Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

daß die Philosophie des Maaßes, der Einheit, des
khosmos das unbewußte Streben der Bessern der Zeit
aussprechend, und daher an sich anschließend, die Lei-
tung des gemeinsamen Handelns übernahm und auf
eine geraume Zeit in Händen behielt; so daß die vor-
handenen Elemente jegliches in seinem Wesen erkannt,
und jedem der gebührende Platz angewiesen, die durch
äußeres und inneres Recht Befähigten an die Spitze
gestellt, aber ihnen, wie den Platonischen phulakhes,
zuerst strenge Selbsterziehung zur Hauptpflicht gemacht
wurde, um so auch die Erziehung der Uebrigen allge-
mach vorzubereiten. Jetzt zweifelt Niemand mehr, daß
der Pythagorische Bund großentheils politischer Natur,
daß sein Zweck förmliche Leitung der Staaten, und daß
sein heilsamer Einfluß auf dieselben von der tiefgrei-
fendsten Art und auch nach der Zerstörung des Ganzen
in Groß-Griechenland durch mehrere Geschlechter fort-
dauernd war 1. Diese Zerstörung ging aus von der
natürlichen Gegenkraft einer solchen Aristokratie, von
dem Demos und dessen Führern, denn nur als solcher
konnte Kylon die Katastrophe herbeiführen, die er her-
beiführte; es wird berichtet, daß der Widerstand des
Ordens gegen ein agrarisches Gesetz, das die Verthei-
lung des Gebiets des eroberten Sybaris unter das
Volk betraf, die Gemüther zu entzünden diente 2. Das
gesammte Volk solle zu den Volksversammlungen und
obrigkeitlichen Stellen zugelassen, und allen abgehenden
Magistraten Rechenschaft von einer durch das Loos
aus dem Volke erwählten Behörde abgenommen wer-
den 3, dabei Schuldenerlaß und neue Aeckerverthei-

1 Die Auseinandersetzung dieser Thatsache ist ohne Zweise
ein Verdienst von Meiners Gesch. der Wissensch. B. 3. K. 3.
2 Apollon. bei Jambl. 35, 255.
3 Apollon. bei Jambl. 35,
257. vgl. 260.

daß die Philoſophie des Maaßes, der Einheit, des
χόσμος das unbewußte Streben der Beſſern der Zeit
ausſprechend, und daher an ſich anſchließend, die Lei-
tung des gemeinſamen Handelns uͤbernahm und auf
eine geraume Zeit in Haͤnden behielt; ſo daß die vor-
handenen Elemente jegliches in ſeinem Weſen erkannt,
und jedem der gebuͤhrende Platz angewieſen, die durch
aͤußeres und inneres Recht Befaͤhigten an die Spitze
geſtellt, aber ihnen, wie den Platoniſchen φύλαχες,
zuerſt ſtrenge Selbſterziehung zur Hauptpflicht gemacht
wurde, um ſo auch die Erziehung der Uebrigen allge-
mach vorzubereiten. Jetzt zweifelt Niemand mehr, daß
der Pythagoriſche Bund großentheils politiſcher Natur,
daß ſein Zweck foͤrmliche Leitung der Staaten, und daß
ſein heilſamer Einfluß auf dieſelben von der tiefgrei-
fendſten Art und auch nach der Zerſtoͤrung des Ganzen
in Groß-Griechenland durch mehrere Geſchlechter fort-
dauernd war 1. Dieſe Zerſtoͤrung ging aus von der
natuͤrlichen Gegenkraft einer ſolchen Ariſtokratie, von
dem Demos und deſſen Fuͤhrern, denn nur als ſolcher
konnte Kylon die Kataſtrophe herbeifuͤhren, die er her-
beifuͤhrte; es wird berichtet, daß der Widerſtand des
Ordens gegen ein agrariſches Geſetz, das die Verthei-
lung des Gebiets des eroberten Sybaris unter das
Volk betraf, die Gemuͤther zu entzuͤnden diente 2. Das
geſammte Volk ſolle zu den Volksverſammlungen und
obrigkeitlichen Stellen zugelaſſen, und allen abgehenden
Magiſtraten Rechenſchaft von einer durch das Loos
aus dem Volke erwaͤhlten Behoͤrde abgenommen wer-
den 3, dabei Schuldenerlaß und neue Aeckerverthei-

1 Die Auseinanderſetzung dieſer Thatſache iſt ohne Zweiſe
ein Verdienſt von Meiners Geſch. der Wiſſenſch. B. 3. K. 3.
2 Apollon. bei Jambl. 35, 255.
3 Apollon. bei Jambl. 35,
257. vgl. 260.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0186" n="180"/>
daß die Philo&#x017F;ophie des Maaßes, der Einheit, des<lb/>
&#x03C7;&#x03CC;&#x03C3;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C2; das unbewußte Streben der Be&#x017F;&#x017F;ern der Zeit<lb/>
aus&#x017F;prechend, und daher an &#x017F;ich an&#x017F;chließend, die Lei-<lb/>
tung des gemein&#x017F;amen Handelns u&#x0364;bernahm und auf<lb/>
eine geraume Zeit in Ha&#x0364;nden behielt; &#x017F;o daß die vor-<lb/>
handenen Elemente jegliches in &#x017F;einem We&#x017F;en erkannt,<lb/>
und jedem der gebu&#x0364;hrende Platz angewie&#x017F;en, die durch<lb/>
a&#x0364;ußeres und inneres Recht Befa&#x0364;higten an die Spitze<lb/>
ge&#x017F;tellt, aber ihnen, wie den Platoni&#x017F;chen &#x03C6;&#x03CD;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C7;&#x03B5;&#x03C2;,<lb/>
zuer&#x017F;t &#x017F;trenge Selb&#x017F;terziehung zur Hauptpflicht gemacht<lb/>
wurde, um &#x017F;o auch die Erziehung der Uebrigen allge-<lb/>
mach vorzubereiten. Jetzt zweifelt Niemand mehr, daß<lb/>
der Pythagori&#x017F;che Bund großentheils politi&#x017F;cher Natur,<lb/>
daß &#x017F;ein Zweck fo&#x0364;rmliche Leitung der Staaten, und daß<lb/>
&#x017F;ein heil&#x017F;amer Einfluß auf die&#x017F;elben von der tiefgrei-<lb/>
fend&#x017F;ten Art und auch nach der Zer&#x017F;to&#x0364;rung des Ganzen<lb/>
in Groß-Griechenland durch mehrere Ge&#x017F;chlechter fort-<lb/>
dauernd war <note place="foot" n="1">Die Auseinander&#x017F;etzung die&#x017F;er That&#x017F;ache i&#x017F;t ohne Zwei&#x017F;e<lb/>
ein Verdien&#x017F;t von Meiners Ge&#x017F;ch. der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ch. B. 3. K. 3.</note>. Die&#x017F;e Zer&#x017F;to&#x0364;rung ging aus von der<lb/>
natu&#x0364;rlichen Gegenkraft einer &#x017F;olchen Ari&#x017F;tokratie, von<lb/>
dem Demos und de&#x017F;&#x017F;en Fu&#x0364;hrern, denn nur als &#x017F;olcher<lb/>
konnte Kylon die Kata&#x017F;trophe herbeifu&#x0364;hren, die er her-<lb/>
beifu&#x0364;hrte; es wird berichtet, daß der Wider&#x017F;tand des<lb/>
Ordens gegen ein agrari&#x017F;ches Ge&#x017F;etz, das die Verthei-<lb/>
lung des Gebiets des eroberten Sybaris unter das<lb/>
Volk betraf, die Gemu&#x0364;ther zu entzu&#x0364;nden diente <note place="foot" n="2">Apollon. bei Jambl. 35, 255.</note>. Das<lb/>
ge&#x017F;ammte Volk &#x017F;olle zu den Volksver&#x017F;ammlungen und<lb/>
obrigkeitlichen Stellen zugela&#x017F;&#x017F;en, und allen abgehenden<lb/>
Magi&#x017F;traten Rechen&#x017F;chaft von einer durch das <hi rendition="#g">Loos</hi><lb/>
aus dem Volke erwa&#x0364;hlten Beho&#x0364;rde abgenommen wer-<lb/>
den <note place="foot" n="3">Apollon. bei Jambl. 35,<lb/>
257. vgl. 260.</note>, dabei Schuldenerlaß und neue Aeckerverthei-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0186] daß die Philoſophie des Maaßes, der Einheit, des χόσμος das unbewußte Streben der Beſſern der Zeit ausſprechend, und daher an ſich anſchließend, die Lei- tung des gemeinſamen Handelns uͤbernahm und auf eine geraume Zeit in Haͤnden behielt; ſo daß die vor- handenen Elemente jegliches in ſeinem Weſen erkannt, und jedem der gebuͤhrende Platz angewieſen, die durch aͤußeres und inneres Recht Befaͤhigten an die Spitze geſtellt, aber ihnen, wie den Platoniſchen φύλαχες, zuerſt ſtrenge Selbſterziehung zur Hauptpflicht gemacht wurde, um ſo auch die Erziehung der Uebrigen allge- mach vorzubereiten. Jetzt zweifelt Niemand mehr, daß der Pythagoriſche Bund großentheils politiſcher Natur, daß ſein Zweck foͤrmliche Leitung der Staaten, und daß ſein heilſamer Einfluß auf dieſelben von der tiefgrei- fendſten Art und auch nach der Zerſtoͤrung des Ganzen in Groß-Griechenland durch mehrere Geſchlechter fort- dauernd war 1. Dieſe Zerſtoͤrung ging aus von der natuͤrlichen Gegenkraft einer ſolchen Ariſtokratie, von dem Demos und deſſen Fuͤhrern, denn nur als ſolcher konnte Kylon die Kataſtrophe herbeifuͤhren, die er her- beifuͤhrte; es wird berichtet, daß der Widerſtand des Ordens gegen ein agrariſches Geſetz, das die Verthei- lung des Gebiets des eroberten Sybaris unter das Volk betraf, die Gemuͤther zu entzuͤnden diente 2. Das geſammte Volk ſolle zu den Volksverſammlungen und obrigkeitlichen Stellen zugelaſſen, und allen abgehenden Magiſtraten Rechenſchaft von einer durch das Loos aus dem Volke erwaͤhlten Behoͤrde abgenommen wer- den 3, dabei Schuldenerlaß und neue Aeckerverthei- 1 Die Auseinanderſetzung dieſer Thatſache iſt ohne Zweiſe ein Verdienſt von Meiners Geſch. der Wiſſenſch. B. 3. K. 3. 2 Apollon. bei Jambl. 35, 255. 3 Apollon. bei Jambl. 35, 257. vgl. 260.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/186
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/186>, abgerufen am 04.05.2024.