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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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9.

Ueberhaupt ist es eine große Ruhe und eine
gebändigte Kraft, die die Krieger Sparta's charakte-
risirt, denen die Berserkerwuth (lussa) eines Aristo-
demos 1 und Isadas 2 mehr tadelnswerth als rühmlich
schien, und die überhaupt die ächten Hellenen von den
nördlicheren Barbaren unterscheidet, deren Tapferkeit
von jeher eine Art Rausch und Taumel war 3. Spar-
ta's Kampfsitten sprechen eine höchst edle Sinnesart
aus, die alle Aeußerungen brutaler Wuth abschneidet;
die Verfolgung der Feinde hörte auf, wenn der Sieg
vollendet 4; und mit dem Zeichen zur Rückkehr sollte
jede kriegerische Handlung abgebrochen sein 5; auch
war das Abziehn der Waffen, wenigstens während der
Schlacht, untersagt 6; und die Spolien erschlagener
Feinde den Göttern zu weihen 7, wie überhaupt jede
Siegesfeier, schien unheilig 8: Grundsätze einer althel-
lenischen Humanität der edelsten Art. Es war der
Krieg möglichst auf ein Messen der Kräfte beschränkt,
und die Schlacht, wie Mardonios bei Herodot die der
Hellenen überhaupt schildert 9, eine Art Duell nach
Grundsätzen der Waffenehre. Alte Tagsatzungen mögen
im Peloponnes, wie auf Euböa 10, den Gebrauch
der Waffen bestimmt haben. Auch hielt Sparta mit
religiöser Scheu die alten Gottesfrieden wie die Olym-
pische Ekecheirie; es feierte nicht blos die einheimischen

1 Herod. 9, 71.
2 Plut. Agesil. 34., wo indeß die
Strafe von tausend Drachmen zu bezweifeln ist.
3 S. Thuk.
4, 126.
4 S. Herod. 9, 77. Thuk. 5, 73. Plut. Lyk. 22.
de cohib. ira 10. p. 438. Lak. Ap. p. 226. Polyän 1, 16, 3.
5 Plut. Lak. Ap. p. 246.
6 Ebd. Aelian V. G. 6, 6.
7 Plut. a. O. p. 214. mit der Bemerkung von Manso 1, 2.
S. 236.
8 Plut. Ages. 33.
9 7, 9, 2.
10 S. Str.
10, 448. wozu außer Il. 2, 544. Archilochos p. 144 Liebel zu vgl.
9.

Ueberhaupt iſt es eine große Ruhe und eine
gebaͤndigte Kraft, die die Krieger Sparta’s charakte-
riſirt, denen die Berſerkerwuth (λύσσα) eines Ariſto-
demos 1 und Iſadas 2 mehr tadelnswerth als ruͤhmlich
ſchien, und die uͤberhaupt die aͤchten Hellenen von den
noͤrdlicheren Barbaren unterſcheidet, deren Tapferkeit
von jeher eine Art Rauſch und Taumel war 3. Spar-
ta’s Kampfſitten ſprechen eine hoͤchſt edle Sinnesart
aus, die alle Aeußerungen brutaler Wuth abſchneidet;
die Verfolgung der Feinde hoͤrte auf, wenn der Sieg
vollendet 4; und mit dem Zeichen zur Ruͤckkehr ſollte
jede kriegeriſche Handlung abgebrochen ſein 5; auch
war das Abziehn der Waffen, wenigſtens waͤhrend der
Schlacht, unterſagt 6; und die Spolien erſchlagener
Feinde den Goͤttern zu weihen 7, wie uͤberhaupt jede
Siegesfeier, ſchien unheilig 8: Grundſaͤtze einer althel-
leniſchen Humanitaͤt der edelſten Art. Es war der
Krieg moͤglichſt auf ein Meſſen der Kraͤfte beſchraͤnkt,
und die Schlacht, wie Mardonios bei Herodot die der
Hellenen uͤberhaupt ſchildert 9, eine Art Duell nach
Grundſaͤtzen der Waffenehre. Alte Tagſatzungen moͤgen
im Peloponnes, wie auf Euboͤa 10, den Gebrauch
der Waffen beſtimmt haben. Auch hielt Sparta mit
religioͤſer Scheu die alten Gottesfrieden wie die Olym-
piſche Ekecheirie; es feierte nicht blos die einheimiſchen

1 Herod. 9, 71.
2 Plut. Ageſil. 34., wo indeß die
Strafe von tauſend Drachmen zu bezweifeln iſt.
3 S. Thuk.
4, 126.
4 S. Herod. 9, 77. Thuk. 5, 73. Plut. Lyk. 22.
de cohib. ira 10. p. 438. Lak. Ap. p. 226. Polyaͤn 1, 16, 3.
5 Plut. Lak. Ap. p. 246.
6 Ebd. Aelian V. G. 6, 6.
7 Plut. a. O. p. 214. mit der Bemerkung von Manſo 1, 2.
S. 236.
8 Plut. Ageſ. 33.
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[247/0253] 9. Ueberhaupt iſt es eine große Ruhe und eine gebaͤndigte Kraft, die die Krieger Sparta’s charakte- riſirt, denen die Berſerkerwuth (λύσσα) eines Ariſto- demos 1 und Iſadas 2 mehr tadelnswerth als ruͤhmlich ſchien, und die uͤberhaupt die aͤchten Hellenen von den noͤrdlicheren Barbaren unterſcheidet, deren Tapferkeit von jeher eine Art Rauſch und Taumel war 3. Spar- ta’s Kampfſitten ſprechen eine hoͤchſt edle Sinnesart aus, die alle Aeußerungen brutaler Wuth abſchneidet; die Verfolgung der Feinde hoͤrte auf, wenn der Sieg vollendet 4; und mit dem Zeichen zur Ruͤckkehr ſollte jede kriegeriſche Handlung abgebrochen ſein 5; auch war das Abziehn der Waffen, wenigſtens waͤhrend der Schlacht, unterſagt 6; und die Spolien erſchlagener Feinde den Goͤttern zu weihen 7, wie uͤberhaupt jede Siegesfeier, ſchien unheilig 8: Grundſaͤtze einer althel- leniſchen Humanitaͤt der edelſten Art. Es war der Krieg moͤglichſt auf ein Meſſen der Kraͤfte beſchraͤnkt, und die Schlacht, wie Mardonios bei Herodot die der Hellenen uͤberhaupt ſchildert 9, eine Art Duell nach Grundſaͤtzen der Waffenehre. Alte Tagſatzungen moͤgen im Peloponnes, wie auf Euboͤa 10, den Gebrauch der Waffen beſtimmt haben. Auch hielt Sparta mit religioͤſer Scheu die alten Gottesfrieden wie die Olym- piſche Ekecheirie; es feierte nicht blos die einheimiſchen 1 Herod. 9, 71. 2 Plut. Ageſil. 34., wo indeß die Strafe von tauſend Drachmen zu bezweifeln iſt. 3 S. Thuk. 4, 126. 4 S. Herod. 9, 77. Thuk. 5, 73. Plut. Lyk. 22. de cohib. ira 10. p. 438. Lak. Ap. p. 226. Polyaͤn 1, 16, 3. 5 Plut. Lak. Ap. p. 246. 6 Ebd. Aelian V. G. 6, 6. 7 Plut. a. O. p. 214. mit der Bemerkung von Manſo 1, 2. S. 236. 8 Plut. Ageſ. 33. 9 7, 9, 2. 10 S. Str. 10, 448. wozu außer Il. 2, 544. Archilochos p. 144 Liebel zu vgl.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/253>, abgerufen am 29.04.2024.