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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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Landes übertragen ist 1. Man kann nun diese Weise
des Ausdrucks doppelt, entweder als Zeichen eines
Gemüths fassen, das sich mit der möglichst einfachen
Bezeichnung des Mitzutheilenden begnügt, und den
nackten Gedanken ohne schmückende Gewandung giebt,
wie Stesimbrotos der Thasier dem gewandten und
redseligen Athener das Edelgeartete und Aufrichtige
des Peloponnesiers entgegenstellt, der schlicht, prunklos,
aber in der Hauptsache wacker sei 2: oder zweitens
eine absichtliche und sich selbst wohlgefallende Weise
zu reden darin sehn, die durch den Contrast der
Schwere des Gedankens und des geringen Aufwands
an Worten doppelt imponiren will. Beide Ansichten
sind wohl nach Umständen zulässig, die letzte sicher in
den meisten Fällen. Halbscherzend, aber doch im
Grunde ernsthaft, sagt der Platonische Sokrates 3,
daß Kreta und Sparta unter den Hellenen die älteste
Philosophie und die meisten Sophisten habe; nur daß
diese ihre Kunst verheimlichten und sich unwissend stell-
ten; daher wenn einer mit dem geringsten der Lakedämo-
nier conversirt, dieser zuerst zwar ihm als ein schlechter
Sprecher erscheint, plötzlich aber wirft er irgendwo ein
beachtungswerthes Wort dazwischen kurz und zusam-
mengezogen wie ein gewaltiger Wurfspießschleudrer, so
daß der Unterredner ihm gegenüber wie ein Knabe
dasteht. Und diese Weisheit und Kunst theilen dort
auch die Weiber mit den Männern. -- Daß schon in

1 Vgl. die entsprechende Bemerkung oben S. 287, 5.
2 Bei Plut. Kimon 4.
3 Protag. 342. Auf die Stelle be-
zieht sich Plut. Lyk. 20. extr. Wenn Thuk. 4, 84. von Brasidas
sagt, en oude adunatos os Lakedaimonios legein, meint er wohl
nicht, daß die Lak. unvermögend zu reden, sondern zielt nur auf
ihre eigenthümliche Ausdrucksweise.
25 *

Landes uͤbertragen iſt 1. Man kann nun dieſe Weiſe
des Ausdrucks doppelt, entweder als Zeichen eines
Gemuͤths faſſen, das ſich mit der moͤglichſt einfachen
Bezeichnung des Mitzutheilenden begnuͤgt, und den
nackten Gedanken ohne ſchmuͤckende Gewandung giebt,
wie Steſimbrotos der Thaſier dem gewandten und
redſeligen Athener das Edelgeartete und Aufrichtige
des Peloponneſiers entgegenſtellt, der ſchlicht, prunklos,
aber in der Hauptſache wacker ſei 2: oder zweitens
eine abſichtliche und ſich ſelbſt wohlgefallende Weiſe
zu reden darin ſehn, die durch den Contraſt der
Schwere des Gedankens und des geringen Aufwands
an Worten doppelt imponiren will. Beide Anſichten
ſind wohl nach Umſtaͤnden zulaͤſſig, die letzte ſicher in
den meiſten Faͤllen. Halbſcherzend, aber doch im
Grunde ernſthaft, ſagt der Platoniſche Sokrates 3,
daß Kreta und Sparta unter den Hellenen die aͤlteſte
Philoſophie und die meiſten Sophiſten habe; nur daß
dieſe ihre Kunſt verheimlichten und ſich unwiſſend ſtell-
ten; daher wenn einer mit dem geringſten der Lakedaͤmo-
nier converſirt, dieſer zuerſt zwar ihm als ein ſchlechter
Sprecher erſcheint, ploͤtzlich aber wirft er irgendwo ein
beachtungswerthes Wort dazwiſchen kurz und zuſam-
mengezogen wie ein gewaltiger Wurfſpießſchleudrer, ſo
daß der Unterredner ihm gegenuͤber wie ein Knabe
daſteht. Und dieſe Weisheit und Kunſt theilen dort
auch die Weiber mit den Maͤnnern. — Daß ſchon in

1 Vgl. die entſprechende Bemerkung oben S. 287, 5.
2 Bei Plut. Kimon 4.
3 Protag. 342. Auf die Stelle be-
zieht ſich Plut. Lyk. 20. extr. Wenn Thuk. 4, 84. von Braſidas
ſagt, ἦν οὐδὲ ἀδύνατος ὡς Λακεδαιμόνιος λέγειν, meint er wohl
nicht, daß die Lak. unvermoͤgend zu reden, ſondern zielt nur auf
ihre eigenthuͤmliche Ausdrucksweiſe.
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[387/0393] Landes uͤbertragen iſt 1. Man kann nun dieſe Weiſe des Ausdrucks doppelt, entweder als Zeichen eines Gemuͤths faſſen, das ſich mit der moͤglichſt einfachen Bezeichnung des Mitzutheilenden begnuͤgt, und den nackten Gedanken ohne ſchmuͤckende Gewandung giebt, wie Steſimbrotos der Thaſier dem gewandten und redſeligen Athener das Edelgeartete und Aufrichtige des Peloponneſiers entgegenſtellt, der ſchlicht, prunklos, aber in der Hauptſache wacker ſei 2: oder zweitens eine abſichtliche und ſich ſelbſt wohlgefallende Weiſe zu reden darin ſehn, die durch den Contraſt der Schwere des Gedankens und des geringen Aufwands an Worten doppelt imponiren will. Beide Anſichten ſind wohl nach Umſtaͤnden zulaͤſſig, die letzte ſicher in den meiſten Faͤllen. Halbſcherzend, aber doch im Grunde ernſthaft, ſagt der Platoniſche Sokrates 3, daß Kreta und Sparta unter den Hellenen die aͤlteſte Philoſophie und die meiſten Sophiſten habe; nur daß dieſe ihre Kunſt verheimlichten und ſich unwiſſend ſtell- ten; daher wenn einer mit dem geringſten der Lakedaͤmo- nier converſirt, dieſer zuerſt zwar ihm als ein ſchlechter Sprecher erſcheint, ploͤtzlich aber wirft er irgendwo ein beachtungswerthes Wort dazwiſchen kurz und zuſam- mengezogen wie ein gewaltiger Wurfſpießſchleudrer, ſo daß der Unterredner ihm gegenuͤber wie ein Knabe daſteht. Und dieſe Weisheit und Kunſt theilen dort auch die Weiber mit den Maͤnnern. — Daß ſchon in 1 Vgl. die entſprechende Bemerkung oben S. 287, 5. 2 Bei Plut. Kimon 4. 3 Protag. 342. Auf die Stelle be- zieht ſich Plut. Lyk. 20. extr. Wenn Thuk. 4, 84. von Braſidas ſagt, ἦν οὐδὲ ἀδύνατος ὡς Λακεδαιμόνιος λέγειν, meint er wohl nicht, daß die Lak. unvermoͤgend zu reden, ſondern zielt nur auf ihre eigenthuͤmliche Ausdrucksweiſe. 25 *

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/393>, abgerufen am 29.04.2024.