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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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Athenäer und Attiker, welchen die Sprache auch da
noch behielt, als die Demokratie ihn factisch ganz auf-
gehoben hatte. So braucht Platon ersteres als eine
edlere Benennung denn das letztere 1, und wenn Dikäarch
im Leben von Hellas die Attiker als geschwätzig, syko-
phantisch, unzuverläßlich, den großherzigen, einfachen
und treuen Athenern entgegensetzt: so sind dies wohl
die ächten alten Geschlechter, und jenes der seit Klei-
sthenes Zeit aus fremdartigen Bestandtheilen gemischte
Demos. -- Eben so war polis und demos zwar in
Athen eins geworden, und das letztere Wort wurde
mit Vorliebe zur Bezeichnung des Staatsganzen ge-
braucht, aber in andern Staaten steht polis als die
regierende, aristokratische Macht dem Demos gegen-
über 2. So sagt der Megarer Theognis in Beziehung
auf seine Vaterstadt in aristokratischem Sinne:

Grad' aus geh' ich den richtigen Weg, nicht dahin noch dorthin
Beugend den Sinn, der stets sich nach dem Heilsamen kehrt.
So dann ehr' ich die herrliche Stadt, sie weder dem Demos
Je zuwendend noch auch je dem tyrannischen Mann 3.

Daher nichtdemokratische Staaten auch in öffentlichen
Urkunden zur Bezeichnung der regierenden Gewalt das
Wort Polis gebrauchen, wie die Kretischen Städte
noch im zweiten Jahrhundert 4; obgleich die Spartia-

1 Gesetze 1, 626 c.
2 Bei Homer ist noch keine Spur
von demos als politischer Gewalt im Gegensatze einer andern. Die
Stelle Il. 2, 546, wo der Demos von Athen hervorgehoben wird,
ist sicher erst aus Solonischer Zeit.
3 V. 924. Vgl. Aeschyl.
Iket. 375. vom Monarchen: su toi polis, su de to demion,
prutanis akritos on.
4 S. besonders Stellen wie Chishull
Antt. Asiatt. p. 113. Subrition a polis kai oi kosmoi Teion ta
boula kai to damo khairein. p. 137. Allariotan oi kosmoi kai
a polis Parion ta polei kai to damo. Doch bisweilen, beson-
ders in spätern Inschr., auch demos, wie bei Pococke 4, 2. p. 43,
n. 2.
, wo etwa zu ergänzen ist: agatha tukha. edoxe ta boula kai

Athenaͤer und Attiker, welchen die Sprache auch da
noch behielt, als die Demokratie ihn factiſch ganz auf-
gehoben hatte. So braucht Platon erſteres als eine
edlere Benennung denn das letztere 1, und wenn Dikaͤarch
im Leben von Hellas die Attiker als geſchwaͤtzig, ſyko-
phantiſch, unzuverlaͤßlich, den großherzigen, einfachen
und treuen Athenern entgegenſetzt: ſo ſind dies wohl
die aͤchten alten Geſchlechter, und jenes der ſeit Klei-
ſthenes Zeit aus fremdartigen Beſtandtheilen gemiſchte
Demos. — Eben ſo war πόλις und δῆμος zwar in
Athen eins geworden, und das letztere Wort wurde
mit Vorliebe zur Bezeichnung des Staatsganzen ge-
braucht, aber in andern Staaten ſteht πόλις als die
regierende, ariſtokratiſche Macht dem Demos gegen-
uͤber 2. So ſagt der Megarer Theognis in Beziehung
auf ſeine Vaterſtadt in ariſtokratiſchem Sinne:

Grad’ aus geh’ ich den richtigen Weg, nicht dahin noch dorthin
Beugend den Sinn, der ſtets ſich nach dem Heilſamen kehrt.
So dann ehr’ ich die herrliche Stadt, ſie weder dem Demos
Je zuwendend noch auch je dem tyranniſchen Mann 3.

Daher nichtdemokratiſche Staaten auch in oͤffentlichen
Urkunden zur Bezeichnung der regierenden Gewalt das
Wort Πόλις gebrauchen, wie die Kretiſchen Staͤdte
noch im zweiten Jahrhundert 4; obgleich die Spartia-

1 Geſetze 1, 626 c.
2 Bei Homer iſt noch keine Spur
von δῆμος als politiſcher Gewalt im Gegenſatze einer andern. Die
Stelle Il. 2, 546, wo der Demos von Athen hervorgehoben wird,
iſt ſicher erſt aus Soloniſcher Zeit.
3 V. 924. Vgl. Aeſchyl.
Ἱκετ. 375. vom Monarchen: σύ τοι πόλις, σὺ δὲ τὸ δήμιον,
πϱύτανις ἄκϱιτος ὤν.
4 S. beſonders Stellen wie Chishull
Antt. Asiatt. p. 113. Συβϱιτιων ἁ πολις και οἱ κοσμοι Τηιων τᾳ
βουλᾳ και τῳ δαμῳ χαιϱειν. p. 137. Αλλαϱιωταν οἱ κοσμοι και
ἁ πολις Παϱιων τᾳ πολει και τῳ δαμῳ. Doch bisweilen, beſon-
ders in ſpaͤtern Inſchr., auch δῆμος, wie bei Pococke 4, 2. p. 43,
n. 2.
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[72/0078] Athenaͤer und Attiker, welchen die Sprache auch da noch behielt, als die Demokratie ihn factiſch ganz auf- gehoben hatte. So braucht Platon erſteres als eine edlere Benennung denn das letztere 1, und wenn Dikaͤarch im Leben von Hellas die Attiker als geſchwaͤtzig, ſyko- phantiſch, unzuverlaͤßlich, den großherzigen, einfachen und treuen Athenern entgegenſetzt: ſo ſind dies wohl die aͤchten alten Geſchlechter, und jenes der ſeit Klei- ſthenes Zeit aus fremdartigen Beſtandtheilen gemiſchte Demos. — Eben ſo war πόλις und δῆμος zwar in Athen eins geworden, und das letztere Wort wurde mit Vorliebe zur Bezeichnung des Staatsganzen ge- braucht, aber in andern Staaten ſteht πόλις als die regierende, ariſtokratiſche Macht dem Demos gegen- uͤber 2. So ſagt der Megarer Theognis in Beziehung auf ſeine Vaterſtadt in ariſtokratiſchem Sinne: Grad’ aus geh’ ich den richtigen Weg, nicht dahin noch dorthin Beugend den Sinn, der ſtets ſich nach dem Heilſamen kehrt. So dann ehr’ ich die herrliche Stadt, ſie weder dem Demos Je zuwendend noch auch je dem tyranniſchen Mann 3. Daher nichtdemokratiſche Staaten auch in oͤffentlichen Urkunden zur Bezeichnung der regierenden Gewalt das Wort Πόλις gebrauchen, wie die Kretiſchen Staͤdte noch im zweiten Jahrhundert 4; obgleich die Spartia- 1 Geſetze 1, 626 c. 2 Bei Homer iſt noch keine Spur von δῆμος als politiſcher Gewalt im Gegenſatze einer andern. Die Stelle Il. 2, 546, wo der Demos von Athen hervorgehoben wird, iſt ſicher erſt aus Soloniſcher Zeit. 3 V. 924. Vgl. Aeſchyl. Ἱκετ. 375. vom Monarchen: σύ τοι πόλις, σὺ δὲ τὸ δήμιον, πϱύτανις ἄκϱιτος ὤν. 4 S. beſonders Stellen wie Chishull Antt. Asiatt. p. 113. Συβϱιτιων ἁ πολις και οἱ κοσμοι Τηιων τᾳ βουλᾳ και τῳ δαμῳ χαιϱειν. p. 137. Αλλαϱιωταν οἱ κοσμοι και ἁ πολις Παϱιων τᾳ πολει και τῳ δαμῳ. Doch bisweilen, beſon- ders in ſpaͤtern Inſchr., auch δῆμος, wie bei Pococke 4, 2. p. 43, n. 2., wo etwa zu ergaͤnzen iſt: αγαθᾳ τυχᾳ. εδοξε τᾳ βουλᾳ και

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/78>, abgerufen am 30.04.2024.