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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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begreift die Nothwendigkeit des Krieges und der
Forderung von Seiten der Alliirten nicht. Je-
der von beiden repräsentirt seine Behörde, Kei-
ner das Vaterland. Begriffe sind, wie alles Leb-
lose, nicht zu vermitteln, nicht zu versöhnen; die
ganze Berathschlagung konnte unterbleiben: wer
den Augenblick auf seiner Seite hat, behält
Recht; und das ist der Finanz-Minister.

Das Jahrhundert der Industrie, in welchem
wir leben, trieb jene traurige Spaltung der Be-
hörden so weit, daß man der alten guten Ein-
richtung -- wonach jeder Staatsbeamte seine
Schule mit einem gründlichen juristischen Stu-
dium anfangen mußte, und dem zu Folge man
der Vergangenheit und den Gesetzen zwar keinen
Vorzug, aber den Rang, die Art von Adel ein-
räumte, welche ihnen gebührt -- untreu wurde;
daß sich auf den Universitäten, zum großen
Schaden des Gemeinwesens, eigene Cameral-
Facultäten zu bilden anfingen, an die der junge
Staatsmann sich unmittelbar wenden konnte, und
wo denn das Studium von der Vermehrung des
reinen Einkommens auf eigne Hand getrieben
wurde.

Was für Früchte dieses lockre Mode-Stu-
dium getragen hat, und wie das reine Einkommen
in Deutschland vermehrt worden ist, weiß Gott.

begreift die Nothwendigkeit des Krieges und der
Forderung von Seiten der Alliirten nicht. Je-
der von beiden repraͤſentirt ſeine Behoͤrde, Kei-
ner das Vaterland. Begriffe ſind, wie alles Leb-
loſe, nicht zu vermitteln, nicht zu verſoͤhnen; die
ganze Berathſchlagung konnte unterbleiben: wer
den Augenblick auf ſeiner Seite hat, behaͤlt
Recht; und das iſt der Finanz-Miniſter.

Das Jahrhundert der Induſtrie, in welchem
wir leben, trieb jene traurige Spaltung der Be-
hoͤrden ſo weit, daß man der alten guten Ein-
richtung — wonach jeder Staatsbeamte ſeine
Schule mit einem gruͤndlichen juriſtiſchen Stu-
dium anfangen mußte, und dem zu Folge man
der Vergangenheit und den Geſetzen zwar keinen
Vorzug, aber den Rang, die Art von Adel ein-
raͤumte, welche ihnen gebuͤhrt — untreu wurde;
daß ſich auf den Univerſitaͤten, zum großen
Schaden des Gemeinweſens, eigene Cameral-
Facultaͤten zu bilden anfingen, an die der junge
Staatsmann ſich unmittelbar wenden konnte, und
wo denn das Studium von der Vermehrung des
reinen Einkommens auf eigne Hand getrieben
wurde.

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dium getragen hat, und wie das reine Einkommen
in Deutſchland vermehrt worden iſt, weiß Gott.

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[100/0134] begreift die Nothwendigkeit des Krieges und der Forderung von Seiten der Alliirten nicht. Je- der von beiden repraͤſentirt ſeine Behoͤrde, Kei- ner das Vaterland. Begriffe ſind, wie alles Leb- loſe, nicht zu vermitteln, nicht zu verſoͤhnen; die ganze Berathſchlagung konnte unterbleiben: wer den Augenblick auf ſeiner Seite hat, behaͤlt Recht; und das iſt der Finanz-Miniſter. Das Jahrhundert der Induſtrie, in welchem wir leben, trieb jene traurige Spaltung der Be- hoͤrden ſo weit, daß man der alten guten Ein- richtung — wonach jeder Staatsbeamte ſeine Schule mit einem gruͤndlichen juriſtiſchen Stu- dium anfangen mußte, und dem zu Folge man der Vergangenheit und den Geſetzen zwar keinen Vorzug, aber den Rang, die Art von Adel ein- raͤumte, welche ihnen gebuͤhrt — untreu wurde; daß ſich auf den Univerſitaͤten, zum großen Schaden des Gemeinweſens, eigene Cameral- Facultaͤten zu bilden anfingen, an die der junge Staatsmann ſich unmittelbar wenden konnte, und wo denn das Studium von der Vermehrung des reinen Einkommens auf eigne Hand getrieben wurde. Was fuͤr Fruͤchte dieſes lockre Mode-Stu- dium getragen hat, und wie das reine Einkommen in Deutſchland vermehrt worden iſt, weiß Gott.

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/134>, abgerufen am 30.04.2024.