Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

zend, oder negativ; sie befruchtet, sie segnet,
sie begeistert. --

Durch den Streit der Freiheit mit der Frei-
heit bildet sich also in's Unendliche fort ein über
allen diesen einzelnen Freiheiten waltendes Recht,
Gesetz, oder -- um dieses höhere Erzeugniß der Ge-
sellschaft noch lebendiger auszudrücken -- die ver-
mittelnde Macht eines Richters, Patriarchen,
Monarchen, Fürsten. -- Ein unvollkommenes,
lebendiges Gesetz ist, allen meinen Voraussetzun-
gen zu Folge, besser als ein noch so logisches,
künstliches, aber todtes Gesetz. Darin nun besteht
der große Vorzug aller monarchischen Ver-
fassung
: das Gesetz wird nicht bloß mechanisch
ausgelegt, sondern wirklich repräsentirt durch eine
Person; es kann gemißbraucht werden, aber
nicht erstarren; ein lebendiges Individuum, wie
es auch gestaltet seyn möge, wird unaufhörlich
in dem Strome fortschreitender Zeiten fortge-
rissen, kann also auf die Dauer der Freiheit
der Einzelnen keine Gefahr bringen, während
ein todter Gesetzbegriff, wenn er aufrecht erhal-
ten werden könnte, allgemeinen Stillstand be-
wirken würde. Ein lebendiges Individuum wird
von der Natur unaufhörlich in die verschieden-
sten Gesichtspunkte gestellt, durch Jugend und
Alter, durch männliche und weibliche Ansichten

zend, oder negativ; ſie befruchtet, ſie ſegnet,
ſie begeiſtert. —

Durch den Streit der Freiheit mit der Frei-
heit bildet ſich alſo in’s Unendliche fort ein uͤber
allen dieſen einzelnen Freiheiten waltendes Recht,
Geſetz, oder — um dieſes hoͤhere Erzeugniß der Ge-
ſellſchaft noch lebendiger auszudruͤcken — die ver-
mittelnde Macht eines Richters, Patriarchen,
Monarchen, Fuͤrſten. — Ein unvollkommenes,
lebendiges Geſetz iſt, allen meinen Vorausſetzun-
gen zu Folge, beſſer als ein noch ſo logiſches,
kuͤnſtliches, aber todtes Geſetz. Darin nun beſteht
der große Vorzug aller monarchiſchen Ver-
faſſung
: das Geſetz wird nicht bloß mechaniſch
ausgelegt, ſondern wirklich repraͤſentirt durch eine
Perſon; es kann gemißbraucht werden, aber
nicht erſtarren; ein lebendiges Individuum, wie
es auch geſtaltet ſeyn moͤge, wird unaufhoͤrlich
in dem Strome fortſchreitender Zeiten fortge-
riſſen, kann alſo auf die Dauer der Freiheit
der Einzelnen keine Gefahr bringen, waͤhrend
ein todter Geſetzbegriff, wenn er aufrecht erhal-
ten werden koͤnnte, allgemeinen Stillſtand be-
wirken wuͤrde. Ein lebendiges Individuum wird
von der Natur unaufhoͤrlich in die verſchieden-
ſten Geſichtspunkte geſtellt, durch Jugend und
Alter, durch maͤnnliche und weibliche Anſichten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0281" n="247"/>
zend, oder negativ; &#x017F;ie befruchtet, &#x017F;ie &#x017F;egnet,<lb/>
&#x017F;ie begei&#x017F;tert. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Durch den Streit der Freiheit mit der Frei-<lb/>
heit bildet &#x017F;ich al&#x017F;o in&#x2019;s Unendliche fort ein u&#x0364;ber<lb/>
allen die&#x017F;en einzelnen Freiheiten waltendes Recht,<lb/>
Ge&#x017F;etz, oder &#x2014; um die&#x017F;es ho&#x0364;here Erzeugniß der Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft noch lebendiger auszudru&#x0364;cken &#x2014; die ver-<lb/>
mittelnde Macht eines Richters, Patriarchen,<lb/>
Monarchen, Fu&#x0364;r&#x017F;ten. &#x2014; Ein unvollkommenes,<lb/>
lebendiges Ge&#x017F;etz i&#x017F;t, allen meinen Voraus&#x017F;etzun-<lb/>
gen zu Folge, be&#x017F;&#x017F;er als ein noch &#x017F;o logi&#x017F;ches,<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tliches, aber todtes Ge&#x017F;etz. Darin nun be&#x017F;teht<lb/>
der große Vorzug aller <hi rendition="#g">monarchi&#x017F;chen Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung</hi>: das Ge&#x017F;etz wird nicht bloß mechani&#x017F;ch<lb/>
ausgelegt, &#x017F;ondern wirklich repra&#x0364;&#x017F;entirt durch eine<lb/>
Per&#x017F;on; es kann gemißbraucht werden, aber<lb/>
nicht er&#x017F;tarren; ein lebendiges Individuum, wie<lb/>
es auch ge&#x017F;taltet &#x017F;eyn mo&#x0364;ge, wird unaufho&#x0364;rlich<lb/>
in dem Strome fort&#x017F;chreitender Zeiten fortge-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en, kann al&#x017F;o auf die Dauer der Freiheit<lb/>
der Einzelnen keine Gefahr bringen, wa&#x0364;hrend<lb/>
ein todter Ge&#x017F;etzbegriff, wenn er aufrecht erhal-<lb/>
ten werden ko&#x0364;nnte, allgemeinen Still&#x017F;tand be-<lb/>
wirken wu&#x0364;rde. Ein lebendiges Individuum wird<lb/>
von der Natur unaufho&#x0364;rlich in die ver&#x017F;chieden-<lb/>
&#x017F;ten Ge&#x017F;ichtspunkte ge&#x017F;tellt, durch Jugend und<lb/>
Alter, durch ma&#x0364;nnliche und weibliche An&#x017F;ichten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0281] zend, oder negativ; ſie befruchtet, ſie ſegnet, ſie begeiſtert. — Durch den Streit der Freiheit mit der Frei- heit bildet ſich alſo in’s Unendliche fort ein uͤber allen dieſen einzelnen Freiheiten waltendes Recht, Geſetz, oder — um dieſes hoͤhere Erzeugniß der Ge- ſellſchaft noch lebendiger auszudruͤcken — die ver- mittelnde Macht eines Richters, Patriarchen, Monarchen, Fuͤrſten. — Ein unvollkommenes, lebendiges Geſetz iſt, allen meinen Vorausſetzun- gen zu Folge, beſſer als ein noch ſo logiſches, kuͤnſtliches, aber todtes Geſetz. Darin nun beſteht der große Vorzug aller monarchiſchen Ver- faſſung: das Geſetz wird nicht bloß mechaniſch ausgelegt, ſondern wirklich repraͤſentirt durch eine Perſon; es kann gemißbraucht werden, aber nicht erſtarren; ein lebendiges Individuum, wie es auch geſtaltet ſeyn moͤge, wird unaufhoͤrlich in dem Strome fortſchreitender Zeiten fortge- riſſen, kann alſo auf die Dauer der Freiheit der Einzelnen keine Gefahr bringen, waͤhrend ein todter Geſetzbegriff, wenn er aufrecht erhal- ten werden koͤnnte, allgemeinen Stillſtand be- wirken wuͤrde. Ein lebendiges Individuum wird von der Natur unaufhoͤrlich in die verſchieden- ſten Geſichtspunkte geſtellt, durch Jugend und Alter, durch maͤnnliche und weibliche Anſichten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/281
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/281>, abgerufen am 09.05.2024.