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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Encyklopedisten, die ganze Secte der Philoso-
phen die eigentlichen Urheber des Wahnes ge-
wesen wären, die Wissenschaft könne den Staat
zu ihren Experimenten gebrauchen, und die über
ganz Europa verbreitete Republik der Gelehrten
sey unabhängig vom Staat, und wichtiger als
der Staat selbst. Dies wäre ein reiches Thema;
doch die Wahrheit der Sache springt schon von
selbst in die Augen. Daher will ich nur zeigen,
daß die Wissenschaften verderben und verdunsten,
daß ihnen alles Leben, dessen sie bedürfen, und
alle Gemüthlichkeit, aller Kern, alle Kraft ab-
geht, sobald sie aus dem Vereine mit dem Staat'
heraustreten und für sich selbst herrschen und
bedeuten wollen.

Der Staat, so wie ich ihn in seiner einzig
wahren und lebendigen Gestalt beschrieben habe,
ist das ewig bewegte Reich aller Ideen: das kör-
perliche, physische, ergreifbare Leben reicht nicht
hin, ihn zu deduciren, und wir waren genö-
thigt, alles Unsichtbare, Geist, Sitte, Herz,
das ganze idealische Treiben des Menschen zu-
rückzufordern, die dem Staat abwendig gemach-
ten Gedanken der Bürger zu vindiciren, als wir
uns oben bestrebten, das Wesen des Staates zu
erkennen.

Eben so sind wir jetzt nicht im Stande, die

Encyklopediſten, die ganze Secte der Philoſo-
phen die eigentlichen Urheber des Wahnes ge-
weſen waͤren, die Wiſſenſchaft koͤnne den Staat
zu ihren Experimenten gebrauchen, und die uͤber
ganz Europa verbreitete Republik der Gelehrten
ſey unabhaͤngig vom Staat, und wichtiger als
der Staat ſelbſt. Dies waͤre ein reiches Thema;
doch die Wahrheit der Sache ſpringt ſchon von
ſelbſt in die Augen. Daher will ich nur zeigen,
daß die Wiſſenſchaften verderben und verdunſten,
daß ihnen alles Leben, deſſen ſie beduͤrfen, und
alle Gemuͤthlichkeit, aller Kern, alle Kraft ab-
geht, ſobald ſie aus dem Vereine mit dem Staat’
heraustreten und fuͤr ſich ſelbſt herrſchen und
bedeuten wollen.

Der Staat, ſo wie ich ihn in ſeiner einzig
wahren und lebendigen Geſtalt beſchrieben habe,
iſt das ewig bewegte Reich aller Ideen: das koͤr-
perliche, phyſiſche, ergreifbare Leben reicht nicht
hin, ihn zu deduciren, und wir waren genoͤ-
thigt, alles Unſichtbare, Geiſt, Sitte, Herz,
das ganze idealiſche Treiben des Menſchen zu-
ruͤckzufordern, die dem Staat abwendig gemach-
ten Gedanken der Buͤrger zu vindiciren, als wir
uns oben beſtrebten, das Weſen des Staates zu
erkennen.

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[63/0097] Encyklopediſten, die ganze Secte der Philoſo- phen die eigentlichen Urheber des Wahnes ge- weſen waͤren, die Wiſſenſchaft koͤnne den Staat zu ihren Experimenten gebrauchen, und die uͤber ganz Europa verbreitete Republik der Gelehrten ſey unabhaͤngig vom Staat, und wichtiger als der Staat ſelbſt. Dies waͤre ein reiches Thema; doch die Wahrheit der Sache ſpringt ſchon von ſelbſt in die Augen. Daher will ich nur zeigen, daß die Wiſſenſchaften verderben und verdunſten, daß ihnen alles Leben, deſſen ſie beduͤrfen, und alle Gemuͤthlichkeit, aller Kern, alle Kraft ab- geht, ſobald ſie aus dem Vereine mit dem Staat’ heraustreten und fuͤr ſich ſelbſt herrſchen und bedeuten wollen. Der Staat, ſo wie ich ihn in ſeiner einzig wahren und lebendigen Geſtalt beſchrieben habe, iſt das ewig bewegte Reich aller Ideen: das koͤr- perliche, phyſiſche, ergreifbare Leben reicht nicht hin, ihn zu deduciren, und wir waren genoͤ- thigt, alles Unſichtbare, Geiſt, Sitte, Herz, das ganze idealiſche Treiben des Menſchen zu- ruͤckzufordern, die dem Staat abwendig gemach- ten Gedanken der Buͤrger zu vindiciren, als wir uns oben beſtrebten, das Weſen des Staates zu erkennen. Eben ſo ſind wir jetzt nicht im Stande, die

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/97>, abgerufen am 27.04.2024.