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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Schreibart derselben nicht modern wäre. Sie haben wohl
von Sully reden gehört, antwortete ihm der Graf. Er
ward zu seiner Zeit für einen der größten Männer gehal-
ten, und man erkennt ihn noch davor. Dieser große
Mann war eine geraume Zeit vom französischen Hofe
entfernt gewesen, als ihn der König in Frankreich wie-
der zurückberief. Während seiner Entfernung hatte der
Hof die alte französische Kleidertracht abgelegt, und die
italiänische war Mode geworden. Sully war der alten
Mode treu geblieben, und erschien bey Hofe in der Tracht,
die nicht mehr gebräuchlich war. Und er ward, so ein
großer und allgemein dafür gehaltener Mann er war, von
den jungen Hofleuten ausgelacht. Eben so, mein Herr,
machen Sie es mit der Bibel. So ein vortreffliches
Buch sie ist, so gefällt sie Jhnen nicht, weil der Ton,
welcher in ihr herrscht, nicht der herrschende unsrer Zei-
ten ist. Sie sollten aber bedenken, daß die heiligen
Schriftsteller zunächst für ihre Zeiten geschrieben, und
vielleicht gar nicht daran gedacht haben, daß Gott ihre
Schriften noch nach vielen Jahrhunderten brauchen würde,
die Welt zu erleuchten. Dazu aber hat Gott sie uns
nun aufbehalten. Wie hätten denn wohl diese Männer
sich nach dem heutigen Geschmack richten können? Und
hätten sie das thun können und würklich gethan, so wür-
den ihre Schriften für diejenigen, um deren willen sie
eigentlich geschrieben wurden, für ihre Zeitgenossen,
ganz unschicklich gewesen seyn. Diese würden sie gar
nicht haben verstehen können, da es uns hingegen nicht
an Hülfsmitteln fehlt, uns ihre Art zu schreiben gewöhn-
lich zu machen, und sie selbst angenehm und vortrefflich
zu finden.

Die Spöttereyen der Freygeister über Christum
und seine Lehre, sagte der Graf bey dieser Gelegenheit
zu mir, zeugen augenscheinlich, daß sie nicht aufrichtig

handeln



Schreibart derſelben nicht modern waͤre. Sie haben wohl
von Sully reden gehoͤrt, antwortete ihm der Graf. Er
ward zu ſeiner Zeit fuͤr einen der groͤßten Maͤnner gehal-
ten, und man erkennt ihn noch davor. Dieſer große
Mann war eine geraume Zeit vom franzoͤſiſchen Hofe
entfernt geweſen, als ihn der Koͤnig in Frankreich wie-
der zuruͤckberief. Waͤhrend ſeiner Entfernung hatte der
Hof die alte franzoͤſiſche Kleidertracht abgelegt, und die
italiaͤniſche war Mode geworden. Sully war der alten
Mode treu geblieben, und erſchien bey Hofe in der Tracht,
die nicht mehr gebraͤuchlich war. Und er ward, ſo ein
großer und allgemein dafuͤr gehaltener Mann er war, von
den jungen Hofleuten ausgelacht. Eben ſo, mein Herr,
machen Sie es mit der Bibel. So ein vortreffliches
Buch ſie iſt, ſo gefaͤllt ſie Jhnen nicht, weil der Ton,
welcher in ihr herrſcht, nicht der herrſchende unſrer Zei-
ten iſt. Sie ſollten aber bedenken, daß die heiligen
Schriftſteller zunaͤchſt fuͤr ihre Zeiten geſchrieben, und
vielleicht gar nicht daran gedacht haben, daß Gott ihre
Schriften noch nach vielen Jahrhunderten brauchen wuͤrde,
die Welt zu erleuchten. Dazu aber hat Gott ſie uns
nun aufbehalten. Wie haͤtten denn wohl dieſe Maͤnner
ſich nach dem heutigen Geſchmack richten koͤnnen? Und
haͤtten ſie das thun koͤnnen und wuͤrklich gethan, ſo wuͤr-
den ihre Schriften fuͤr diejenigen, um deren willen ſie
eigentlich geſchrieben wurden, fuͤr ihre Zeitgenoſſen,
ganz unſchicklich geweſen ſeyn. Dieſe wuͤrden ſie gar
nicht haben verſtehen koͤnnen, da es uns hingegen nicht
an Huͤlfsmitteln fehlt, uns ihre Art zu ſchreiben gewoͤhn-
lich zu machen, und ſie ſelbſt angenehm und vortrefflich
zu finden.

Die Spoͤttereyen der Freygeiſter uͤber Chriſtum
und ſeine Lehre, ſagte der Graf bey dieſer Gelegenheit
zu mir, zeugen augenſcheinlich, daß ſie nicht aufrichtig

handeln
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[207/0219] Schreibart derſelben nicht modern waͤre. Sie haben wohl von Sully reden gehoͤrt, antwortete ihm der Graf. Er ward zu ſeiner Zeit fuͤr einen der groͤßten Maͤnner gehal- ten, und man erkennt ihn noch davor. Dieſer große Mann war eine geraume Zeit vom franzoͤſiſchen Hofe entfernt geweſen, als ihn der Koͤnig in Frankreich wie- der zuruͤckberief. Waͤhrend ſeiner Entfernung hatte der Hof die alte franzoͤſiſche Kleidertracht abgelegt, und die italiaͤniſche war Mode geworden. Sully war der alten Mode treu geblieben, und erſchien bey Hofe in der Tracht, die nicht mehr gebraͤuchlich war. Und er ward, ſo ein großer und allgemein dafuͤr gehaltener Mann er war, von den jungen Hofleuten ausgelacht. Eben ſo, mein Herr, machen Sie es mit der Bibel. So ein vortreffliches Buch ſie iſt, ſo gefaͤllt ſie Jhnen nicht, weil der Ton, welcher in ihr herrſcht, nicht der herrſchende unſrer Zei- ten iſt. Sie ſollten aber bedenken, daß die heiligen Schriftſteller zunaͤchſt fuͤr ihre Zeiten geſchrieben, und vielleicht gar nicht daran gedacht haben, daß Gott ihre Schriften noch nach vielen Jahrhunderten brauchen wuͤrde, die Welt zu erleuchten. Dazu aber hat Gott ſie uns nun aufbehalten. Wie haͤtten denn wohl dieſe Maͤnner ſich nach dem heutigen Geſchmack richten koͤnnen? Und haͤtten ſie das thun koͤnnen und wuͤrklich gethan, ſo wuͤr- den ihre Schriften fuͤr diejenigen, um deren willen ſie eigentlich geſchrieben wurden, fuͤr ihre Zeitgenoſſen, ganz unſchicklich geweſen ſeyn. Dieſe wuͤrden ſie gar nicht haben verſtehen koͤnnen, da es uns hingegen nicht an Huͤlfsmitteln fehlt, uns ihre Art zu ſchreiben gewoͤhn- lich zu machen, und ſie ſelbſt angenehm und vortrefflich zu finden. Die Spoͤttereyen der Freygeiſter uͤber Chriſtum und ſeine Lehre, ſagte der Graf bey dieſer Gelegenheit zu mir, zeugen augenſcheinlich, daß ſie nicht aufrichtig handeln

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/219>, abgerufen am 26.04.2024.