Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



einer höhern Art halten, dessen Anträge ihnen zu hoch
wären, oder das dabey vielleicht keine wohlthätigen
Absichten für sie hätte. Wenn aber dieser Große
sich zu ihnen herabließe, mit ihnen lebte und umgienge,
und den Bauer vorstellte, so würde er viel weiter mit
ihnen kommen. Deswegen, glaube ich, ließ sich
Christus in einer so niedrigen Gestalt sehen. Nun hielt
ihn der große Haufen für einen von seines gleichen, und
faßte Zutrauen zu ihm. Deswegen wählte er auch zu
seinen Aposteln lauter geringe Leute. Deswegen hielt er
sowohl als die Apostel sich am meisten unter dem gemei-
nen Mann auf. Und der gemeine Mann konnte die Wun-
der, die sie thaten, eben so gut anschauen, als eine Ver-
samlung von Philosophen, denn sie waren alle von der
Beschaffenheit, daß nur gesunde Sinne und allgemeiner
Menschenverstand dazu gehörten, sie zu beobachten. Ein
gemeiner Soldat wäre vielleicht fähiger eine solche Er-
scheinung genau anzusehen, als ein General, der etwa
den Kopf von andern Dingen voll hätte, oder es der Mühe
nicht wehrt schätzte darauf zu achten. Das Zeugniß der
Sinne gemeiner Leute von den Thaten Christi, in denen
seine Wunder bestehen, ist also sehr zuverlässig. Nun
können ja die Gelehrten und Philosophen über diese hin-
länglich bezeugten Thatsachen nachdenken, sie prüfen ob
sie Wunder sind, und dann schließen, was sie für Jesum
und seine Lehre beweisen.

Es ist nun kein einziger Zweifel mehr übrig,
auch dieß sind des Grafen Worte, der mich beunruhigen,
oder über meine Begnadigung bey Gott unsicher machen
könnte, als etwa dieser: ob nicht meine Verbesserung
durch die Religion mehr im Verstande als in den Gesin-
nungen bestehe. Jch habe darüber nachgedacht, und
folgendes zu meiner Beruhigung gefunden. Jch bin
mirs bewußt, daß ich alles moralische Böse ohne Aus-
nahme verabscheue, und das entgegengesetzte Gute liebe.

Jch



einer hoͤhern Art halten, deſſen Antraͤge ihnen zu hoch
waͤren, oder das dabey vielleicht keine wohlthaͤtigen
Abſichten fuͤr ſie haͤtte. Wenn aber dieſer Große
ſich zu ihnen herabließe, mit ihnen lebte und umgienge,
und den Bauer vorſtellte, ſo wuͤrde er viel weiter mit
ihnen kommen. Deswegen, glaube ich, ließ ſich
Chriſtus in einer ſo niedrigen Geſtalt ſehen. Nun hielt
ihn der große Haufen fuͤr einen von ſeines gleichen, und
faßte Zutrauen zu ihm. Deswegen waͤhlte er auch zu
ſeinen Apoſteln lauter geringe Leute. Deswegen hielt er
ſowohl als die Apoſtel ſich am meiſten unter dem gemei-
nen Mann auf. Und der gemeine Mann konnte die Wun-
der, die ſie thaten, eben ſo gut anſchauen, als eine Ver-
ſamlung von Philoſophen, denn ſie waren alle von der
Beſchaffenheit, daß nur geſunde Sinne und allgemeiner
Menſchenverſtand dazu gehoͤrten, ſie zu beobachten. Ein
gemeiner Soldat waͤre vielleicht faͤhiger eine ſolche Er-
ſcheinung genau anzuſehen, als ein General, der etwa
den Kopf von andern Dingen voll haͤtte, oder es der Muͤhe
nicht wehrt ſchaͤtzte darauf zu achten. Das Zeugniß der
Sinne gemeiner Leute von den Thaten Chriſti, in denen
ſeine Wunder beſtehen, iſt alſo ſehr zuverlaͤſſig. Nun
koͤnnen ja die Gelehrten und Philoſophen uͤber dieſe hin-
laͤnglich bezeugten Thatſachen nachdenken, ſie pruͤfen ob
ſie Wunder ſind, und dann ſchließen, was ſie fuͤr Jeſum
und ſeine Lehre beweiſen.

Es iſt nun kein einziger Zweifel mehr uͤbrig,
auch dieß ſind des Grafen Worte, der mich beunruhigen,
oder uͤber meine Begnadigung bey Gott unſicher machen
koͤnnte, als etwa dieſer: ob nicht meine Verbeſſerung
durch die Religion mehr im Verſtande als in den Geſin-
nungen beſtehe. Jch habe daruͤber nachgedacht, und
folgendes zu meiner Beruhigung gefunden. Jch bin
mirs bewußt, daß ich alles moraliſche Boͤſe ohne Aus-
nahme verabſcheue, und das entgegengeſetzte Gute liebe.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0252" n="240"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
einer ho&#x0364;hern Art halten, de&#x017F;&#x017F;en Antra&#x0364;ge ihnen zu hoch<lb/>
wa&#x0364;ren, oder das dabey vielleicht keine wohltha&#x0364;tigen<lb/>
Ab&#x017F;ichten fu&#x0364;r &#x017F;ie ha&#x0364;tte. Wenn aber die&#x017F;er Große<lb/>
&#x017F;ich zu ihnen herabließe, mit ihnen lebte und umgienge,<lb/>
und den Bauer vor&#x017F;tellte, &#x017F;o wu&#x0364;rde er viel weiter mit<lb/>
ihnen kommen. Deswegen, glaube ich, ließ &#x017F;ich<lb/>
Chri&#x017F;tus in einer &#x017F;o niedrigen Ge&#x017F;talt &#x017F;ehen. Nun hielt<lb/>
ihn der große Haufen fu&#x0364;r einen von &#x017F;eines gleichen, und<lb/>
faßte Zutrauen zu ihm. Deswegen wa&#x0364;hlte er auch zu<lb/>
&#x017F;einen Apo&#x017F;teln lauter geringe Leute. Deswegen hielt er<lb/>
&#x017F;owohl als die Apo&#x017F;tel &#x017F;ich am mei&#x017F;ten unter dem gemei-<lb/>
nen Mann auf. Und der gemeine Mann konnte die Wun-<lb/>
der, die &#x017F;ie thaten, eben &#x017F;o gut an&#x017F;chauen, als eine Ver-<lb/>
&#x017F;amlung von Philo&#x017F;ophen, denn &#x017F;ie waren alle von der<lb/>
Be&#x017F;chaffenheit, daß nur ge&#x017F;unde Sinne und allgemeiner<lb/>
Men&#x017F;chenver&#x017F;tand dazu geho&#x0364;rten, &#x017F;ie zu beobachten. Ein<lb/>
gemeiner Soldat wa&#x0364;re vielleicht fa&#x0364;higer eine &#x017F;olche Er-<lb/>
&#x017F;cheinung genau anzu&#x017F;ehen, als ein General, der etwa<lb/>
den Kopf von andern Dingen voll ha&#x0364;tte, oder es der Mu&#x0364;he<lb/>
nicht wehrt &#x017F;cha&#x0364;tzte darauf zu achten. Das Zeugniß der<lb/>
Sinne gemeiner Leute von den Thaten Chri&#x017F;ti, in denen<lb/>
&#x017F;eine Wunder be&#x017F;tehen, i&#x017F;t al&#x017F;o &#x017F;ehr zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig. Nun<lb/>
ko&#x0364;nnen ja die Gelehrten und Philo&#x017F;ophen u&#x0364;ber die&#x017F;e hin-<lb/>
la&#x0364;nglich bezeugten That&#x017F;achen nachdenken, &#x017F;ie pru&#x0364;fen ob<lb/>
&#x017F;ie Wunder &#x017F;ind, und dann &#x017F;chließen, was &#x017F;ie fu&#x0364;r Je&#x017F;um<lb/>
und &#x017F;eine Lehre bewei&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t nun kein einziger Zweifel mehr u&#x0364;brig,<lb/>
auch dieß &#x017F;ind des Grafen Worte, der mich beunruhigen,<lb/>
oder u&#x0364;ber meine Begnadigung bey Gott un&#x017F;icher machen<lb/>
ko&#x0364;nnte, als etwa die&#x017F;er: ob nicht meine Verbe&#x017F;&#x017F;erung<lb/>
durch die Religion mehr im Ver&#x017F;tande als in den Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen be&#x017F;tehe. Jch habe daru&#x0364;ber nachgedacht, und<lb/>
folgendes zu meiner Beruhigung gefunden. Jch bin<lb/>
mirs bewußt, daß ich alles morali&#x017F;che Bo&#x0364;&#x017F;e ohne Aus-<lb/>
nahme verab&#x017F;cheue, und das entgegenge&#x017F;etzte Gute liebe.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0252] einer hoͤhern Art halten, deſſen Antraͤge ihnen zu hoch waͤren, oder das dabey vielleicht keine wohlthaͤtigen Abſichten fuͤr ſie haͤtte. Wenn aber dieſer Große ſich zu ihnen herabließe, mit ihnen lebte und umgienge, und den Bauer vorſtellte, ſo wuͤrde er viel weiter mit ihnen kommen. Deswegen, glaube ich, ließ ſich Chriſtus in einer ſo niedrigen Geſtalt ſehen. Nun hielt ihn der große Haufen fuͤr einen von ſeines gleichen, und faßte Zutrauen zu ihm. Deswegen waͤhlte er auch zu ſeinen Apoſteln lauter geringe Leute. Deswegen hielt er ſowohl als die Apoſtel ſich am meiſten unter dem gemei- nen Mann auf. Und der gemeine Mann konnte die Wun- der, die ſie thaten, eben ſo gut anſchauen, als eine Ver- ſamlung von Philoſophen, denn ſie waren alle von der Beſchaffenheit, daß nur geſunde Sinne und allgemeiner Menſchenverſtand dazu gehoͤrten, ſie zu beobachten. Ein gemeiner Soldat waͤre vielleicht faͤhiger eine ſolche Er- ſcheinung genau anzuſehen, als ein General, der etwa den Kopf von andern Dingen voll haͤtte, oder es der Muͤhe nicht wehrt ſchaͤtzte darauf zu achten. Das Zeugniß der Sinne gemeiner Leute von den Thaten Chriſti, in denen ſeine Wunder beſtehen, iſt alſo ſehr zuverlaͤſſig. Nun koͤnnen ja die Gelehrten und Philoſophen uͤber dieſe hin- laͤnglich bezeugten Thatſachen nachdenken, ſie pruͤfen ob ſie Wunder ſind, und dann ſchließen, was ſie fuͤr Jeſum und ſeine Lehre beweiſen. Es iſt nun kein einziger Zweifel mehr uͤbrig, auch dieß ſind des Grafen Worte, der mich beunruhigen, oder uͤber meine Begnadigung bey Gott unſicher machen koͤnnte, als etwa dieſer: ob nicht meine Verbeſſerung durch die Religion mehr im Verſtande als in den Geſin- nungen beſtehe. Jch habe daruͤber nachgedacht, und folgendes zu meiner Beruhigung gefunden. Jch bin mirs bewußt, daß ich alles moraliſche Boͤſe ohne Aus- nahme verabſcheue, und das entgegengeſetzte Gute liebe. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/252
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/252>, abgerufen am 28.04.2024.