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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Soldaten machten sie nicht. Ich glaube -- und viele
sind derselben Ansicht --, daß es überhaupt keine Sol-
daten waren, sondern gewöhnliche Arbeiter, denen man
im letzten Augenblick noch Flinten in die Hand ge-
geben hatte, und dazu noch Flinten, die nicht los-
gingen. Ich habe darüber nach dem Feldzug aus dem
Munde japanischer Offiziere die unglaublichsten Dinge
gehört, so z. B., daß das ganze japanische Heer
laut auflachte, wenn wieder einmal eine Kanonen-
kugel aus dem chinesischen Lager geflogen kam;
denn man wußte im voraus, daß sie nicht platzen werde:
Sie war nicht mit Pulver, sondern mit Lehm gefüllt;
das Geld für das Pulver aber war in die Taschen der
Beamten, der Mandarinen geflossen. Das war Kano-
nenfutter für die Japaner, gefährliche Feinde waren sie
nicht. Wie sie nun vorbeizogen, voran die Kranken
und Verwundeten auf Tragbahren oder in Jinriksha,
hinterher die Gesunden zu Fuß, die meisten ohne Zopf,
weil ihnen derselbe von den Japanern teils aus Über-
mut, teils aus Reinlichkeitsgründen abgeschnitten worden
war, standen die Japaner neben am Wege und be-
trachteten sie sich mit sichtbarem Stolz, aber ernst und
ruhig.

In diesem Bild haben wir das Bild Ostasiens.
Auf der einen Seite das Volk der Chinesen, stumpf und
phlegmatisch, als einzelne tüchtig und wohl wert, daß
man an ihnen arbeite, als Ganzes und Staat verlumpt
und verrottet bis in das innerste Mark, als Soldaten
und Patrioten Nullen und weiter nichts, ein Volk,
welches als Volk in greisenhaftem Niedergange begriffen
ist. Auf der andern Seite das Volk der Japaner, ernst
und ruhig im stolzen Bewußtsein seiner Kraft, als Sol-
daten stramm, schneidig und wohl diszipliniert, ein

Soldaten machten ſie nicht. Ich glaube — und viele
ſind derſelben Anſicht —, daß es überhaupt keine Sol-
daten waren, ſondern gewöhnliche Arbeiter, denen man
im letzten Augenblick noch Flinten in die Hand ge-
geben hatte, und dazu noch Flinten, die nicht los-
gingen. Ich habe darüber nach dem Feldzug aus dem
Munde japaniſcher Offiziere die unglaublichſten Dinge
gehört, ſo z. B., daß das ganze japaniſche Heer
laut auflachte, wenn wieder einmal eine Kanonen-
kugel aus dem chineſiſchen Lager geflogen kam;
denn man wußte im voraus, daß ſie nicht platzen werde:
Sie war nicht mit Pulver, ſondern mit Lehm gefüllt;
das Geld für das Pulver aber war in die Taſchen der
Beamten, der Mandarinen gefloſſen. Das war Kano-
nenfutter für die Japaner, gefährliche Feinde waren ſie
nicht. Wie ſie nun vorbeizogen, voran die Kranken
und Verwundeten auf Tragbahren oder in Jinrikſha,
hinterher die Geſunden zu Fuß, die meiſten ohne Zopf,
weil ihnen derſelbe von den Japanern teils aus Über-
mut, teils aus Reinlichkeitsgründen abgeſchnitten worden
war, ſtanden die Japaner neben am Wege und be-
trachteten ſie ſich mit ſichtbarem Stolz, aber ernſt und
ruhig.

In dieſem Bild haben wir das Bild Oſtaſiens.
Auf der einen Seite das Volk der Chineſen, ſtumpf und
phlegmatiſch, als einzelne tüchtig und wohl wert, daß
man an ihnen arbeite, als Ganzes und Staat verlumpt
und verrottet bis in das innerſte Mark, als Soldaten
und Patrioten Nullen und weiter nichts, ein Volk,
welches als Volk in greiſenhaftem Niedergange begriffen
iſt. Auf der andern Seite das Volk der Japaner, ernſt
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[184/0198] Soldaten machten ſie nicht. Ich glaube — und viele ſind derſelben Anſicht —, daß es überhaupt keine Sol- daten waren, ſondern gewöhnliche Arbeiter, denen man im letzten Augenblick noch Flinten in die Hand ge- geben hatte, und dazu noch Flinten, die nicht los- gingen. Ich habe darüber nach dem Feldzug aus dem Munde japaniſcher Offiziere die unglaublichſten Dinge gehört, ſo z. B., daß das ganze japaniſche Heer laut auflachte, wenn wieder einmal eine Kanonen- kugel aus dem chineſiſchen Lager geflogen kam; denn man wußte im voraus, daß ſie nicht platzen werde: Sie war nicht mit Pulver, ſondern mit Lehm gefüllt; das Geld für das Pulver aber war in die Taſchen der Beamten, der Mandarinen gefloſſen. Das war Kano- nenfutter für die Japaner, gefährliche Feinde waren ſie nicht. Wie ſie nun vorbeizogen, voran die Kranken und Verwundeten auf Tragbahren oder in Jinrikſha, hinterher die Geſunden zu Fuß, die meiſten ohne Zopf, weil ihnen derſelbe von den Japanern teils aus Über- mut, teils aus Reinlichkeitsgründen abgeſchnitten worden war, ſtanden die Japaner neben am Wege und be- trachteten ſie ſich mit ſichtbarem Stolz, aber ernſt und ruhig. In dieſem Bild haben wir das Bild Oſtaſiens. Auf der einen Seite das Volk der Chineſen, ſtumpf und phlegmatiſch, als einzelne tüchtig und wohl wert, daß man an ihnen arbeite, als Ganzes und Staat verlumpt und verrottet bis in das innerſte Mark, als Soldaten und Patrioten Nullen und weiter nichts, ein Volk, welches als Volk in greiſenhaftem Niedergange begriffen iſt. Auf der andern Seite das Volk der Japaner, ernſt und ruhig im ſtolzen Bewußtſein ſeiner Kraft, als Sol- daten ſtramm, ſchneidig und wohl diszipliniert, ein

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/198>, abgerufen am 27.04.2024.