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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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guinische Temperament auch in seinen schlechten Eigen-
schaften stärker hervor als bei dem Alter. Auch liegt
es in der Natur der Sache, daß solche "Studenten-
gemeinden" keine stabilen sind. Wenn die jungen Leute
ihre Studien beendigt haben, so greifen sie zum Wander-
stabe und sind in der Regel für die Muttergemeinde
hinfort verloren. Wohl mag in einzelnen Fällen auf
diese Weise das Christentum weiter getragen werden;
aber mindestens ebenso groß als dieser Gewinn ist die
Gefahr, daß die jungen Christen, losgelöst von der Ge-
meinschaft, in ihrem Glaubensfeuer erkalten und den
Einflüssen ihrer neuen heidnischen Umgebung zum Opfer
fallen. Unter dem beständigen Wechsel haben die Ge-
meinden schwer zu leiden, zumal in Zeiten der Prüfung,
wo der Zugang so gering ist, daß er nur schwer den
durch die Verhältnisse bedingten Abgang zu decken
vermag. Für junge Gemeinden handelt es sich in
solchen Zeiten buchstäblich um Sein oder Nichtsein.
Bis eine Gemeinde als konsolidiert betrachtet werden
darf, dauert es eine lange Reihe von Jahren. Denn
zu einer konsolidierten Gemeinde gehört, daß die jungen
Christen herangereift und an Ort und Stelle seßhaft
geworden sind, und daß nicht bloß vereinzelte Glieder,
sondern ganze Familien der Kirche zugehören. So
innig sich darum der Missionar auch freuen mag, wenn
es ihm gelungen ist, eine junge Menschenseele zu
Christus zu führen, so schaut er doch dabei zugleich
hoffend vorwärts in die Zeit, da der Jüngling, zum
Manne gereift seiner Kirche zu größerem Segen
werden kann.

Es wäre ja freilich gut, wenn man von Anbeginn
schon recht viele gereifte Elemente in die Gemeinde auf-
nehmen könnte. Aber die Erfahrung zeigt, daß mit

guiniſche Temperament auch in ſeinen ſchlechten Eigen-
ſchaften ſtärker hervor als bei dem Alter. Auch liegt
es in der Natur der Sache, daß ſolche „Studenten-
gemeinden“ keine ſtabilen ſind. Wenn die jungen Leute
ihre Studien beendigt haben, ſo greifen ſie zum Wander-
ſtabe und ſind in der Regel für die Muttergemeinde
hinfort verloren. Wohl mag in einzelnen Fällen auf
dieſe Weiſe das Chriſtentum weiter getragen werden;
aber mindeſtens ebenſo groß als dieſer Gewinn iſt die
Gefahr, daß die jungen Chriſten, losgelöſt von der Ge-
meinſchaft, in ihrem Glaubensfeuer erkalten und den
Einflüſſen ihrer neuen heidniſchen Umgebung zum Opfer
fallen. Unter dem beſtändigen Wechſel haben die Ge-
meinden ſchwer zu leiden, zumal in Zeiten der Prüfung,
wo der Zugang ſo gering iſt, daß er nur ſchwer den
durch die Verhältniſſe bedingten Abgang zu decken
vermag. Für junge Gemeinden handelt es ſich in
ſolchen Zeiten buchſtäblich um Sein oder Nichtſein.
Bis eine Gemeinde als konſolidiert betrachtet werden
darf, dauert es eine lange Reihe von Jahren. Denn
zu einer konſolidierten Gemeinde gehört, daß die jungen
Chriſten herangereift und an Ort und Stelle ſeßhaft
geworden ſind, und daß nicht bloß vereinzelte Glieder,
ſondern ganze Familien der Kirche zugehören. So
innig ſich darum der Miſſionar auch freuen mag, wenn
es ihm gelungen iſt, eine junge Menſchenſeele zu
Chriſtus zu führen, ſo ſchaut er doch dabei zugleich
hoffend vorwärts in die Zeit, da der Jüngling, zum
Manne gereift ſeiner Kirche zu größerem Segen
werden kann.

Es wäre ja freilich gut, wenn man von Anbeginn
ſchon recht viele gereifte Elemente in die Gemeinde auf-
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[335/0349] guiniſche Temperament auch in ſeinen ſchlechten Eigen- ſchaften ſtärker hervor als bei dem Alter. Auch liegt es in der Natur der Sache, daß ſolche „Studenten- gemeinden“ keine ſtabilen ſind. Wenn die jungen Leute ihre Studien beendigt haben, ſo greifen ſie zum Wander- ſtabe und ſind in der Regel für die Muttergemeinde hinfort verloren. Wohl mag in einzelnen Fällen auf dieſe Weiſe das Chriſtentum weiter getragen werden; aber mindeſtens ebenſo groß als dieſer Gewinn iſt die Gefahr, daß die jungen Chriſten, losgelöſt von der Ge- meinſchaft, in ihrem Glaubensfeuer erkalten und den Einflüſſen ihrer neuen heidniſchen Umgebung zum Opfer fallen. Unter dem beſtändigen Wechſel haben die Ge- meinden ſchwer zu leiden, zumal in Zeiten der Prüfung, wo der Zugang ſo gering iſt, daß er nur ſchwer den durch die Verhältniſſe bedingten Abgang zu decken vermag. Für junge Gemeinden handelt es ſich in ſolchen Zeiten buchſtäblich um Sein oder Nichtſein. Bis eine Gemeinde als konſolidiert betrachtet werden darf, dauert es eine lange Reihe von Jahren. Denn zu einer konſolidierten Gemeinde gehört, daß die jungen Chriſten herangereift und an Ort und Stelle ſeßhaft geworden ſind, und daß nicht bloß vereinzelte Glieder, ſondern ganze Familien der Kirche zugehören. So innig ſich darum der Miſſionar auch freuen mag, wenn es ihm gelungen iſt, eine junge Menſchenſeele zu Chriſtus zu führen, ſo ſchaut er doch dabei zugleich hoffend vorwärts in die Zeit, da der Jüngling, zum Manne gereift ſeiner Kirche zu größerem Segen werden kann. Es wäre ja freilich gut, wenn man von Anbeginn ſchon recht viele gereifte Elemente in die Gemeinde auf- nehmen könnte. Aber die Erfahrung zeigt, daß mit

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/349>, abgerufen am 26.04.2024.