Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Noth zwingt ein Schurke zu seyn. Wahr-
lich! rief ich aus, Johannes Fischer ist ge-
rechter denn ich! Wohl der Stadt die viel
so gute Bürger hat! Wohl dem Lande das
solche Patrioten und Menschenfreunde auf-
zuweisen hat! Wohl dem Fürsten, der über
so biedre Unterthanen gebiethet! Der kan sich
wie iener Graf rühmen, daß er in dem
Schooß eines jeden sicher ausschlafen kön-
ne. Jch faßte den Vorsatz, nach diesem
guten Beyspiel mein Studium zu erweitern,
und in Zukunft dabey nicht die Physiogno-
mie des Gesichts allein, sondern die ganze
Jndividualität der Menschen, so viel es der
armselige menschliche Allumfassungsblick ver-
stattet, in Anschlag zu bringen, verhoffe
daß solches der Menschenliebe ungleich för-
dersamer seyn werde, als das beste Studi-
um der Lineamenten.

Der Tag begann sich eben zu neigen,
wie ich in ein Walddörfchen einritt, wo ich

beschloß

Noth zwingt ein Schurke zu ſeyn. Wahr-
lich! rief ich aus, Johannes Fiſcher iſt ge-
rechter denn ich! Wohl der Stadt die viel
ſo gute Buͤrger hat! Wohl dem Lande das
ſolche Patrioten und Menſchenfreunde auf-
zuweiſen hat! Wohl dem Fuͤrſten, der uͤber
ſo biedre Unterthanen gebiethet! Der kan ſich
wie iener Graf ruͤhmen, daß er in dem
Schooß eines jeden ſicher ausſchlafen koͤn-
ne. Jch faßte den Vorſatz, nach dieſem
guten Beyſpiel mein Studium zu erweitern,
und in Zukunft dabey nicht die Phyſiogno-
mie des Geſichts allein, ſondern die ganze
Jndividualitaͤt der Menſchen, ſo viel es der
armſelige menſchliche Allumfaſſungsblick ver-
ſtattet, in Anſchlag zu bringen, verhoffe
daß ſolches der Menſchenliebe ungleich foͤr-
derſamer ſeyn werde, als das beſte Studi-
um der Lineamenten.

Der Tag begann ſich eben zu neigen,
wie ich in ein Walddoͤrfchen einritt, wo ich

beſchloß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0277" n="269"/>
Noth zwingt ein Schurke zu &#x017F;eyn. Wahr-<lb/>
lich! rief ich aus, Johannes Fi&#x017F;cher i&#x017F;t ge-<lb/>
rechter denn ich! Wohl der Stadt die viel<lb/>
&#x017F;o gute Bu&#x0364;rger hat! Wohl dem Lande das<lb/>
&#x017F;olche Patrioten und Men&#x017F;chenfreunde auf-<lb/>
zuwei&#x017F;en hat! Wohl dem Fu&#x0364;r&#x017F;ten, der u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;o biedre Unterthanen gebiethet! Der kan &#x017F;ich<lb/>
wie iener Graf ru&#x0364;hmen, daß er in dem<lb/>
Schooß eines jeden &#x017F;icher aus&#x017F;chlafen ko&#x0364;n-<lb/>
ne. Jch faßte den Vor&#x017F;atz, nach die&#x017F;em<lb/>
guten Bey&#x017F;piel mein Studium zu erweitern,<lb/>
und in Zukunft dabey nicht die Phy&#x017F;iogno-<lb/>
mie des Ge&#x017F;ichts allein, &#x017F;ondern die ganze<lb/>
Jndividualita&#x0364;t der Men&#x017F;chen, &#x017F;o viel es der<lb/>
arm&#x017F;elige men&#x017F;chliche Allumfa&#x017F;&#x017F;ungsblick ver-<lb/>
&#x017F;tattet, in An&#x017F;chlag zu bringen, verhoffe<lb/>
daß &#x017F;olches der Men&#x017F;chenliebe ungleich fo&#x0364;r-<lb/>
der&#x017F;amer &#x017F;eyn werde, als das be&#x017F;te Studi-<lb/>
um der Lineamenten.</p><lb/>
        <p>Der Tag begann &#x017F;ich eben zu neigen,<lb/>
wie ich in ein Walddo&#x0364;rfchen einritt, wo ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">be&#x017F;chloß</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0277] Noth zwingt ein Schurke zu ſeyn. Wahr- lich! rief ich aus, Johannes Fiſcher iſt ge- rechter denn ich! Wohl der Stadt die viel ſo gute Buͤrger hat! Wohl dem Lande das ſolche Patrioten und Menſchenfreunde auf- zuweiſen hat! Wohl dem Fuͤrſten, der uͤber ſo biedre Unterthanen gebiethet! Der kan ſich wie iener Graf ruͤhmen, daß er in dem Schooß eines jeden ſicher ausſchlafen koͤn- ne. Jch faßte den Vorſatz, nach dieſem guten Beyſpiel mein Studium zu erweitern, und in Zukunft dabey nicht die Phyſiogno- mie des Geſichts allein, ſondern die ganze Jndividualitaͤt der Menſchen, ſo viel es der armſelige menſchliche Allumfaſſungsblick ver- ſtattet, in Anſchlag zu bringen, verhoffe daß ſolches der Menſchenliebe ungleich foͤr- derſamer ſeyn werde, als das beſte Studi- um der Lineamenten. Der Tag begann ſich eben zu neigen, wie ich in ein Walddoͤrfchen einritt, wo ich beſchloß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/277
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/277>, abgerufen am 01.05.2024.