Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

nen ihr einziger Trost. Sie weinte und weinte, bis
sie vor Ermüdung einschlief.

Gegen Morgen wachte sie auf. Als sie die Thür
nach der Wohnstube öffnete, regte es sich auch, ihr
Mann tappte in der dunkeln, eiskalten Stube umher.
Sie machte Licht; Günther sah sie scheu an, zugleich
aber flogen seine Glieder vor Schwäche und Frost, er
sah wirklich jämmerlich aus, und Klärchen hätte fast
Mitleiden mit ihm gehabt; aber Zorn und Kummer
überwogen jedes andere Gefühl. Auch war sie selbst
von der entsetzlichen Nacht matt und elend. Gewiß
wird er sich entschuldigen und wieder süße Worte ma¬
chen, dachte Klärchen; aber das vergebe und vergesse
ich nicht; ich werde es ihm sagen, wenn noch einmal
Aehnliches passirt, gehe ich von ihm. Als sie schwei¬
gend nach dem Ofen ging, um Feuer zu machen, be¬
gann er zu reden.

Warum hast Du mich gestern hier in der Stube
sitzen lassen?

Klärchen sah ihn verwundert an. Weißt Du,
was gestern Abend passirt ist? fragte sie mit zittern¬
der Stimme.

Freilich weiß ich das, und es ist schlecht genug
von einer Frau, wenn der Mann krank und aufgeregt
nach Hause kommt, ihn wie eine Xantippe zu behan¬
deln. Du hast gelärmt und getobt, anstatt mich sanft
zu beruhigen, wie es einer ordentlichen Frau zu¬
kommt.

Weißt Du denn, daß ich Dich herüber geholt
habe? fragte Klärchen mit von Thränen erstickter
Stimme, daß Herr Reinhard Dich sprechen wollte, daß

nen ihr einziger Troſt. Sie weinte und weinte, bis
ſie vor Ermüdung einſchlief.

Gegen Morgen wachte ſie auf. Als ſie die Thür
nach der Wohnſtube öffnete, regte es ſich auch, ihr
Mann tappte in der dunkeln, eiskalten Stube umher.
Sie machte Licht; Günther ſah ſie ſcheu an, zugleich
aber flogen ſeine Glieder vor Schwäche und Froſt, er
ſah wirklich jämmerlich aus, und Klärchen hätte faſt
Mitleiden mit ihm gehabt; aber Zorn und Kummer
überwogen jedes andere Gefühl. Auch war ſie ſelbſt
von der entſetzlichen Nacht matt und elend. Gewiß
wird er ſich entſchuldigen und wieder ſüße Worte ma¬
chen, dachte Klärchen; aber das vergebe und vergeſſe
ich nicht; ich werde es ihm ſagen, wenn noch einmal
Aehnliches paſſirt, gehe ich von ihm. Als ſie ſchwei¬
gend nach dem Ofen ging, um Feuer zu machen, be¬
gann er zu reden.

Warum haſt Du mich geſtern hier in der Stube
ſitzen laſſen?

Klärchen ſah ihn verwundert an. Weißt Du,
was geſtern Abend paſſirt iſt? fragte ſie mit zittern¬
der Stimme.

Freilich weiß ich das, und es iſt ſchlecht genug
von einer Frau, wenn der Mann krank und aufgeregt
nach Hauſe kommt, ihn wie eine Xantippe zu behan¬
deln. Du haſt gelärmt und getobt, anſtatt mich ſanft
zu beruhigen, wie es einer ordentlichen Frau zu¬
kommt.

Weißt Du denn, daß ich Dich herüber geholt
habe? fragte Klärchen mit von Thränen erſtickter
Stimme, daß Herr Reinhard Dich ſprechen wollte, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0108" n="102"/>
nen ihr einziger Tro&#x017F;t. Sie weinte und weinte, bis<lb/>
&#x017F;ie vor Ermüdung ein&#x017F;chlief.</p><lb/>
      <p>Gegen Morgen wachte &#x017F;ie auf. Als &#x017F;ie die Thür<lb/>
nach der Wohn&#x017F;tube öffnete, regte es &#x017F;ich auch, ihr<lb/>
Mann tappte in der dunkeln, eiskalten Stube umher.<lb/>
Sie machte Licht; Günther &#x017F;ah &#x017F;ie &#x017F;cheu an, zugleich<lb/>
aber flogen &#x017F;eine Glieder vor Schwäche und Fro&#x017F;t, er<lb/>
&#x017F;ah wirklich jämmerlich aus, und Klärchen hätte fa&#x017F;t<lb/>
Mitleiden mit ihm gehabt; aber Zorn und Kummer<lb/>
überwogen jedes andere Gefühl. Auch war &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
von der ent&#x017F;etzlichen Nacht matt und elend. Gewiß<lb/>
wird er &#x017F;ich ent&#x017F;chuldigen und wieder &#x017F;üße Worte ma¬<lb/>
chen, dachte Klärchen; aber das vergebe und verge&#x017F;&#x017F;e<lb/>
ich nicht; ich werde es ihm &#x017F;agen, wenn noch einmal<lb/>
Aehnliches pa&#x017F;&#x017F;irt, gehe ich von ihm. Als &#x017F;ie &#x017F;chwei¬<lb/>
gend nach dem Ofen ging, um Feuer zu machen, be¬<lb/>
gann er zu reden.</p><lb/>
      <p>Warum ha&#x017F;t Du mich ge&#x017F;tern hier in der Stube<lb/>
&#x017F;itzen la&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
      <p>Klärchen &#x017F;ah ihn verwundert an. Weißt Du,<lb/>
was ge&#x017F;tern Abend pa&#x017F;&#x017F;irt i&#x017F;t? fragte &#x017F;ie mit zittern¬<lb/>
der Stimme.</p><lb/>
      <p>Freilich weiß ich das, und es i&#x017F;t &#x017F;chlecht genug<lb/>
von einer Frau, wenn der Mann krank und aufgeregt<lb/>
nach Hau&#x017F;e kommt, ihn wie eine Xantippe zu behan¬<lb/>
deln. Du ha&#x017F;t gelärmt und getobt, an&#x017F;tatt mich &#x017F;anft<lb/>
zu beruhigen, wie es einer ordentlichen Frau zu¬<lb/>
kommt.</p><lb/>
      <p>Weißt Du denn, daß ich Dich herüber geholt<lb/>
habe? fragte Klärchen mit von Thränen er&#x017F;tickter<lb/>
Stimme, daß Herr Reinhard Dich &#x017F;prechen wollte, daß<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0108] nen ihr einziger Troſt. Sie weinte und weinte, bis ſie vor Ermüdung einſchlief. Gegen Morgen wachte ſie auf. Als ſie die Thür nach der Wohnſtube öffnete, regte es ſich auch, ihr Mann tappte in der dunkeln, eiskalten Stube umher. Sie machte Licht; Günther ſah ſie ſcheu an, zugleich aber flogen ſeine Glieder vor Schwäche und Froſt, er ſah wirklich jämmerlich aus, und Klärchen hätte faſt Mitleiden mit ihm gehabt; aber Zorn und Kummer überwogen jedes andere Gefühl. Auch war ſie ſelbſt von der entſetzlichen Nacht matt und elend. Gewiß wird er ſich entſchuldigen und wieder ſüße Worte ma¬ chen, dachte Klärchen; aber das vergebe und vergeſſe ich nicht; ich werde es ihm ſagen, wenn noch einmal Aehnliches paſſirt, gehe ich von ihm. Als ſie ſchwei¬ gend nach dem Ofen ging, um Feuer zu machen, be¬ gann er zu reden. Warum haſt Du mich geſtern hier in der Stube ſitzen laſſen? Klärchen ſah ihn verwundert an. Weißt Du, was geſtern Abend paſſirt iſt? fragte ſie mit zittern¬ der Stimme. Freilich weiß ich das, und es iſt ſchlecht genug von einer Frau, wenn der Mann krank und aufgeregt nach Hauſe kommt, ihn wie eine Xantippe zu behan¬ deln. Du haſt gelärmt und getobt, anſtatt mich ſanft zu beruhigen, wie es einer ordentlichen Frau zu¬ kommt. Weißt Du denn, daß ich Dich herüber geholt habe? fragte Klärchen mit von Thränen erſtickter Stimme, daß Herr Reinhard Dich ſprechen wollte, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/108
Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/108>, abgerufen am 03.05.2024.