Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

bei solchen Gelegenheiten auch zu Tausenden geschrieben
werden. Noch Versicherungen heißester Liebe, aber
man muß der Nothwendigkeit, der Pflicht, der Ehre
weichen, wenn auch das Herz darüber bricht. -- Klär¬
chen las und weinte, und weinte und las wieder, und
blieb den Tag im Bett liegen. So viel Besinnung
nur hatte sie, den größeren Theil der Goldstücke, die
der Graf mitgeschickt, für sich zu behalten und der
Mutter nur den kleineren zu geben.


Der März war gekommen, der Schnee geschmol¬
zen, und die warme Frühlingssonne schien auf die
belebten Straßen. Klärchen hatte unter dem Vorgeben,
sie sei krank, das Haus 14 Tage lang nicht verlassen;
eigentlich aber fürchtete sie sich ihren Bekannten zu
begegnen, und besonders der Tante Rieke. Die Mut¬
ter hatte vorläufig der Tante vom Dienstwechsel sagen,
und als Grund dazu angeben müssen: Klärchen könne
das Sitzen nicht vertragen, sie hätte sich darum nach
einem Dienst umgesehen, wo sie mehr Bewegung
hätte.

Eines Tages nun ging Klärchen aus, um Be¬
sorgungen für die Frau Generalin zu machen. Die
Sonne schien so warm, Kinder spielten lustig auf der
Straße, vom nahen Exerzierplatz klang laute Musik
zu Klärchens Ohren. Klärchen aber war betrübt und
verbittert; gerade das fröhliche Treiben überall, das
lustige Aussehn der ganzen Welt war ihr unangenehm.
Noch unangenehmer aber war es ihr, daß Tante Rieke
ihr entgegen kam. Ausweichen konnte sie nicht, sie

bei ſolchen Gelegenheiten auch zu Tauſenden geſchrieben
werden. Noch Verſicherungen heißeſter Liebe, aber
man muß der Nothwendigkeit, der Pflicht, der Ehre
weichen, wenn auch das Herz darüber bricht. — Klär¬
chen las und weinte, und weinte und las wieder, und
blieb den Tag im Bett liegen. So viel Beſinnung
nur hatte ſie, den größeren Theil der Goldſtücke, die
der Graf mitgeſchickt, für ſich zu behalten und der
Mutter nur den kleineren zu geben.


Der März war gekommen, der Schnee geſchmol¬
zen, und die warme Frühlingsſonne ſchien auf die
belebten Straßen. Klärchen hatte unter dem Vorgeben,
ſie ſei krank, das Haus 14 Tage lang nicht verlaſſen;
eigentlich aber fürchtete ſie ſich ihren Bekannten zu
begegnen, und beſonders der Tante Rieke. Die Mut¬
ter hatte vorläufig der Tante vom Dienſtwechſel ſagen,
und als Grund dazu angeben müſſen: Klärchen könne
das Sitzen nicht vertragen, ſie hätte ſich darum nach
einem Dienſt umgeſehen, wo ſie mehr Bewegung
hätte.

Eines Tages nun ging Klärchen aus, um Be¬
ſorgungen für die Frau Generalin zu machen. Die
Sonne ſchien ſo warm, Kinder ſpielten luſtig auf der
Straße, vom nahen Exerzierplatz klang laute Muſik
zu Klärchens Ohren. Klärchen aber war betrübt und
verbittert; gerade das fröhliche Treiben überall, das
luſtige Ausſehn der ganzen Welt war ihr unangenehm.
Noch unangenehmer aber war es ihr, daß Tante Rieke
ihr entgegen kam. Ausweichen konnte ſie nicht, ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0079" n="73"/>
bei &#x017F;olchen Gelegenheiten auch zu Tau&#x017F;enden ge&#x017F;chrieben<lb/>
werden. Noch Ver&#x017F;icherungen heiße&#x017F;ter Liebe, aber<lb/>
man muß der Nothwendigkeit, der Pflicht, der Ehre<lb/>
weichen, wenn auch das Herz darüber bricht. &#x2014; Klär¬<lb/>
chen las und weinte, und weinte und las wieder, und<lb/>
blieb den Tag im Bett liegen. So viel Be&#x017F;innung<lb/>
nur hatte &#x017F;ie, den größeren Theil der Gold&#x017F;tücke, die<lb/>
der Graf mitge&#x017F;chickt, für &#x017F;ich zu behalten und der<lb/>
Mutter nur den kleineren zu geben.</p><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <p>Der März war gekommen, der Schnee ge&#x017F;chmol¬<lb/>
zen, und die warme Frühlings&#x017F;onne &#x017F;chien auf die<lb/>
belebten Straßen. Klärchen hatte unter dem Vorgeben,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ei krank, das Haus 14 Tage lang nicht verla&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
eigentlich aber fürchtete &#x017F;ie &#x017F;ich ihren Bekannten zu<lb/>
begegnen, und be&#x017F;onders der Tante Rieke. Die Mut¬<lb/>
ter hatte vorläufig der Tante vom Dien&#x017F;twech&#x017F;el &#x017F;agen,<lb/>
und als Grund dazu angeben mü&#x017F;&#x017F;en: Klärchen könne<lb/>
das Sitzen nicht vertragen, &#x017F;ie hätte &#x017F;ich darum nach<lb/>
einem Dien&#x017F;t umge&#x017F;ehen, wo &#x017F;ie mehr Bewegung<lb/>
hätte.</p><lb/>
      <p>Eines Tages nun ging Klärchen aus, um Be¬<lb/>
&#x017F;orgungen für die Frau Generalin zu machen. Die<lb/>
Sonne &#x017F;chien &#x017F;o warm, Kinder &#x017F;pielten lu&#x017F;tig auf der<lb/>
Straße, vom nahen Exerzierplatz klang laute Mu&#x017F;ik<lb/>
zu Klärchens Ohren. Klärchen aber war betrübt und<lb/>
verbittert; gerade das fröhliche Treiben überall, das<lb/>
lu&#x017F;tige Aus&#x017F;ehn der ganzen Welt war ihr unangenehm.<lb/>
Noch unangenehmer aber war es ihr, daß Tante Rieke<lb/>
ihr entgegen kam. Ausweichen konnte &#x017F;ie nicht, &#x017F;ie<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0079] bei ſolchen Gelegenheiten auch zu Tauſenden geſchrieben werden. Noch Verſicherungen heißeſter Liebe, aber man muß der Nothwendigkeit, der Pflicht, der Ehre weichen, wenn auch das Herz darüber bricht. — Klär¬ chen las und weinte, und weinte und las wieder, und blieb den Tag im Bett liegen. So viel Beſinnung nur hatte ſie, den größeren Theil der Goldſtücke, die der Graf mitgeſchickt, für ſich zu behalten und der Mutter nur den kleineren zu geben. Der März war gekommen, der Schnee geſchmol¬ zen, und die warme Frühlingsſonne ſchien auf die belebten Straßen. Klärchen hatte unter dem Vorgeben, ſie ſei krank, das Haus 14 Tage lang nicht verlaſſen; eigentlich aber fürchtete ſie ſich ihren Bekannten zu begegnen, und beſonders der Tante Rieke. Die Mut¬ ter hatte vorläufig der Tante vom Dienſtwechſel ſagen, und als Grund dazu angeben müſſen: Klärchen könne das Sitzen nicht vertragen, ſie hätte ſich darum nach einem Dienſt umgeſehen, wo ſie mehr Bewegung hätte. Eines Tages nun ging Klärchen aus, um Be¬ ſorgungen für die Frau Generalin zu machen. Die Sonne ſchien ſo warm, Kinder ſpielten luſtig auf der Straße, vom nahen Exerzierplatz klang laute Muſik zu Klärchens Ohren. Klärchen aber war betrübt und verbittert; gerade das fröhliche Treiben überall, das luſtige Ausſehn der ganzen Welt war ihr unangenehm. Noch unangenehmer aber war es ihr, daß Tante Rieke ihr entgegen kam. Ausweichen konnte ſie nicht, ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/79
Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/79>, abgerufen am 12.05.2024.