Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



Sie gleng in ihr Zimmer, und überlegte mit Hiero-
nymus,
was in ihren itzigen Umständen zu thun
sey, oder vielmehr Hieronymus überlegte es allein;
denn die gute Mariane lag halb sinnlos auf einem
Lehnstuhle, und zerfloß in Thränen. Hieronymus
sann auf verschiedene Vorschläge, die er wieder ver-
warf. Endlich besann er sich auf den Freyherrn von
D ***. Dieser würdige Mann hatte eigentlich Wil-
helminens
Heurath mit Sebaldus veranlasset*),
und Mariane war seine Pathe. Er hatte, als er
noch am Hofe war, den unüberlegten Vorsatz ge-
habt, ein ehrlicher Mann zu seyn, nie zu schmeicheln,
keinen mächtigen Bösewicht erheben, und keinen recht-
schaffenen Mann, in Ungnade, unterdrücken zu hel-
fen. Es konnte also nicht fehlen, daß er nicht endlich
ein Opfer der List und der Ränke der Hofschranzen
werden mußte, und selbst in Ungnade kam; wenn
man es Ungnade heißen kann, daß ein ehrlicher Mann
der Abhängigkeit entzogen, und sich selbst, seinen Gü-
tern, und seiuer Familie wiedergegeben wird. Der
Herr von D *** hatte seitdem, auf seinen Gütern im
Hildesheimischen, im Schooße seiner Familie und als
ein Vater seiner Unterthanen gelebt. Er hatte sich
noch kürzlich nach seiner Pathe, der er in ihrer ersten

Jugend
*) S. Wilhelmine, S. 100.



Sie gleng in ihr Zimmer, und uͤberlegte mit Hiero-
nymus,
was in ihren itzigen Umſtaͤnden zu thun
ſey, oder vielmehr Hieronymus uͤberlegte es allein;
denn die gute Mariane lag halb ſinnlos auf einem
Lehnſtuhle, und zerfloß in Thraͤnen. Hieronymus
ſann auf verſchiedene Vorſchlaͤge, die er wieder ver-
warf. Endlich beſann er ſich auf den Freyherrn von
D ***. Dieſer wuͤrdige Mann hatte eigentlich Wil-
helminens
Heurath mit Sebaldus veranlaſſet*),
und Mariane war ſeine Pathe. Er hatte, als er
noch am Hofe war, den unuͤberlegten Vorſatz ge-
habt, ein ehrlicher Mann zu ſeyn, nie zu ſchmeicheln,
keinen maͤchtigen Boͤſewicht erheben, und keinen recht-
ſchaffenen Mann, in Ungnade, unterdruͤcken zu hel-
fen. Es konnte alſo nicht fehlen, daß er nicht endlich
ein Opfer der Liſt und der Raͤnke der Hofſchranzen
werden mußte, und ſelbſt in Ungnade kam; wenn
man es Ungnade heißen kann, daß ein ehrlicher Mann
der Abhaͤngigkeit entzogen, und ſich ſelbſt, ſeinen Guͤ-
tern, und ſeiuer Familie wiedergegeben wird. Der
Herr von D *** hatte ſeitdem, auf ſeinen Guͤtern im
Hildesheimiſchen, im Schooße ſeiner Familie und als
ein Vater ſeiner Unterthanen gelebt. Er hatte ſich
noch kuͤrzlich nach ſeiner Pathe, der er in ihrer erſten

Jugend
*) S. Wilhelmine, S. 100.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="194"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Sie gleng in ihr Zimmer, und u&#x0364;berlegte mit <hi rendition="#fr">Hiero-<lb/>
nymus,</hi> was in ihren itzigen Um&#x017F;ta&#x0364;nden zu thun<lb/>
&#x017F;ey, oder vielmehr <hi rendition="#fr">Hieronymus</hi> u&#x0364;berlegte es allein;<lb/>
denn die gute <hi rendition="#fr">Mariane</hi> lag halb &#x017F;innlos auf einem<lb/>
Lehn&#x017F;tuhle, und zerfloß in Thra&#x0364;nen. <hi rendition="#fr">Hieronymus</hi><lb/>
&#x017F;ann auf ver&#x017F;chiedene Vor&#x017F;chla&#x0364;ge, die er wieder ver-<lb/>
warf. Endlich be&#x017F;ann er &#x017F;ich auf den Freyherrn von<lb/><hi rendition="#fr">D</hi> ***. Die&#x017F;er wu&#x0364;rdige Mann hatte eigentlich <hi rendition="#fr">Wil-<lb/>
helminens</hi> Heurath mit <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> veranla&#x017F;&#x017F;et<note place="foot" n="*)">S. Wilhelmine, S. 100.</note>,<lb/>
und <hi rendition="#fr">Mariane</hi> war &#x017F;eine Pathe. Er hatte, als er<lb/>
noch am Hofe war, den unu&#x0364;berlegten Vor&#x017F;atz ge-<lb/>
habt, ein ehrlicher Mann zu &#x017F;eyn, nie zu &#x017F;chmeicheln,<lb/>
keinen ma&#x0364;chtigen Bo&#x0364;&#x017F;ewicht erheben, und keinen recht-<lb/>
&#x017F;chaffenen Mann, in Ungnade, unterdru&#x0364;cken zu hel-<lb/>
fen. Es konnte al&#x017F;o nicht fehlen, daß er nicht endlich<lb/>
ein Opfer der Li&#x017F;t und der Ra&#x0364;nke der Hof&#x017F;chranzen<lb/>
werden mußte, und &#x017F;elb&#x017F;t in Ungnade kam; wenn<lb/>
man es Ungnade heißen kann, daß ein ehrlicher Mann<lb/>
der Abha&#x0364;ngigkeit entzogen, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;einen Gu&#x0364;-<lb/>
tern, und &#x017F;eiuer Familie wiedergegeben wird. Der<lb/>
Herr von <hi rendition="#fr">D</hi> *** hatte &#x017F;eitdem, auf &#x017F;einen Gu&#x0364;tern im<lb/>
Hildesheimi&#x017F;chen, im Schooße &#x017F;einer Familie und als<lb/>
ein Vater &#x017F;einer Unterthanen gelebt. Er hatte &#x017F;ich<lb/>
noch ku&#x0364;rzlich nach &#x017F;einer Pathe, der er in ihrer er&#x017F;ten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jugend</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0206] Sie gleng in ihr Zimmer, und uͤberlegte mit Hiero- nymus, was in ihren itzigen Umſtaͤnden zu thun ſey, oder vielmehr Hieronymus uͤberlegte es allein; denn die gute Mariane lag halb ſinnlos auf einem Lehnſtuhle, und zerfloß in Thraͤnen. Hieronymus ſann auf verſchiedene Vorſchlaͤge, die er wieder ver- warf. Endlich beſann er ſich auf den Freyherrn von D ***. Dieſer wuͤrdige Mann hatte eigentlich Wil- helminens Heurath mit Sebaldus veranlaſſet *), und Mariane war ſeine Pathe. Er hatte, als er noch am Hofe war, den unuͤberlegten Vorſatz ge- habt, ein ehrlicher Mann zu ſeyn, nie zu ſchmeicheln, keinen maͤchtigen Boͤſewicht erheben, und keinen recht- ſchaffenen Mann, in Ungnade, unterdruͤcken zu hel- fen. Es konnte alſo nicht fehlen, daß er nicht endlich ein Opfer der Liſt und der Raͤnke der Hofſchranzen werden mußte, und ſelbſt in Ungnade kam; wenn man es Ungnade heißen kann, daß ein ehrlicher Mann der Abhaͤngigkeit entzogen, und ſich ſelbſt, ſeinen Guͤ- tern, und ſeiuer Familie wiedergegeben wird. Der Herr von D *** hatte ſeitdem, auf ſeinen Guͤtern im Hildesheimiſchen, im Schooße ſeiner Familie und als ein Vater ſeiner Unterthanen gelebt. Er hatte ſich noch kuͤrzlich nach ſeiner Pathe, der er in ihrer erſten Jugend *) S. Wilhelmine, S. 100.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/206
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/206>, abgerufen am 03.05.2024.