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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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gegen Morgen starb. Sebaldus fiel in die stum-
pfe Fühllosigkeit, die den tiefsten Jammer erdulden
hilft, und erwartete sonder Bewegung, in welches
unbekannte Land man ihn schleppen würde, und wel-
chem unbekanntem Elende er noch entgegen sehen sollte.

Jndessen verschafte der Tod des einen Unglückli-
chen, den übrigen unvermuthet einige Erleichterung.
Des Seelenverkäufers Geiz machte ihn etwas mensch-
licher. Er glaubte ein Kapital verlohren zu haben,
indem er den Verstorbenen sechs Wochen vergebens
genährt hatte. Bey einigen der übergebliebenen äußer-
ten sich Schwachheiten, die die Furcht erweckten, daß
ein ansteckendes Fieber unter ihnen einreißen möchte.
Er entschloß sich also, sie sämmtlich, nachdem sie mit
Wein und starken Getränken etwas erquickt worden,
frische Luft schöpfen zu lassen. Vorher wurde jeder,
der unterweges mir muchsen würde, mit der schärf-
sten Strafe bedrohet, und so ließ er sie unter Be-
gleitung von sechs seiner Knechte und Unterhändler,
ausgehen.

Sie zogen ganz langsam fort. Mancher ehrlicher
Bürgersmann sah ihnen mit Mitleiden nach. Hin
und wieder zuckte ein Vornehmerer über sie die
Achsel, und rief: ,'s sind ja nur Mofjes!' So zogen
Sie durch die schattigen Gänge der Plantage endlich

zum
Dritter Theil. D



gegen Morgen ſtarb. Sebaldus fiel in die ſtum-
pfe Fuͤhlloſigkeit, die den tiefſten Jammer erdulden
hilft, und erwartete ſonder Bewegung, in welches
unbekannte Land man ihn ſchleppen wuͤrde, und wel-
chem unbekanntem Elende er noch entgegen ſehen ſollte.

Jndeſſen verſchafte der Tod des einen Ungluͤckli-
chen, den uͤbrigen unvermuthet einige Erleichterung.
Des Seelenverkaͤufers Geiz machte ihn etwas menſch-
licher. Er glaubte ein Kapital verlohren zu haben,
indem er den Verſtorbenen ſechs Wochen vergebens
genaͤhrt hatte. Bey einigen der uͤbergebliebenen aͤußer-
ten ſich Schwachheiten, die die Furcht erweckten, daß
ein anſteckendes Fieber unter ihnen einreißen moͤchte.
Er entſchloß ſich alſo, ſie ſaͤmmtlich, nachdem ſie mit
Wein und ſtarken Getraͤnken etwas erquickt worden,
friſche Luft ſchoͤpfen zu laſſen. Vorher wurde jeder,
der unterweges mir muchſen wuͤrde, mit der ſchaͤrf-
ſten Strafe bedrohet, und ſo ließ er ſie unter Be-
gleitung von ſechs ſeiner Knechte und Unterhaͤndler,
ausgehen.

Sie zogen ganz langſam fort. Mancher ehrlicher
Buͤrgersmann ſah ihnen mit Mitleiden nach. Hin
und wieder zuckte ein Vornehmerer uͤber ſie die
Achſel, und rief: ‚’s ſind ja nur Mofjes!‛ So zogen
Sie durch die ſchattigen Gaͤnge der Plantage endlich

zum
Dritter Theil. D
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[47[46]/0055] gegen Morgen ſtarb. Sebaldus fiel in die ſtum- pfe Fuͤhlloſigkeit, die den tiefſten Jammer erdulden hilft, und erwartete ſonder Bewegung, in welches unbekannte Land man ihn ſchleppen wuͤrde, und wel- chem unbekanntem Elende er noch entgegen ſehen ſollte. Jndeſſen verſchafte der Tod des einen Ungluͤckli- chen, den uͤbrigen unvermuthet einige Erleichterung. Des Seelenverkaͤufers Geiz machte ihn etwas menſch- licher. Er glaubte ein Kapital verlohren zu haben, indem er den Verſtorbenen ſechs Wochen vergebens genaͤhrt hatte. Bey einigen der uͤbergebliebenen aͤußer- ten ſich Schwachheiten, die die Furcht erweckten, daß ein anſteckendes Fieber unter ihnen einreißen moͤchte. Er entſchloß ſich alſo, ſie ſaͤmmtlich, nachdem ſie mit Wein und ſtarken Getraͤnken etwas erquickt worden, friſche Luft ſchoͤpfen zu laſſen. Vorher wurde jeder, der unterweges mir muchſen wuͤrde, mit der ſchaͤrf- ſten Strafe bedrohet, und ſo ließ er ſie unter Be- gleitung von ſechs ſeiner Knechte und Unterhaͤndler, ausgehen. Sie zogen ganz langſam fort. Mancher ehrlicher Buͤrgersmann ſah ihnen mit Mitleiden nach. Hin und wieder zuckte ein Vornehmerer uͤber ſie die Achſel, und rief: ‚’s ſind ja nur Mofjes!‛ So zogen Sie durch die ſchattigen Gaͤnge der Plantage endlich zum Dritter Theil. D

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 47[46]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/55>, abgerufen am 29.04.2024.