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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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verpflichteten Nation erfordern, absprechen, und sie einer
vorhistorischen Zeit zuschreiben. Solche Kräfte aber über-
steigen sie nicht: die etruskischen Mauern sind kaum ge-
ringer: die Aushebung der aus dem Felsen gehauenen
Obelisken und ihre Fortschaffung ist ein fast noch riesen-
mäßigeres und unsrer Mechanik noch mehr spottendes Un-
ternehmen; doch kennen wir die Nation welche dieses
Wunder ausführte als ein Volk gewöhnlicher Art. Auch
sind die Peruanischen Mauern beynahe eben so ungeheuer
wie die sogenannten Cyclopischen. Also gehören diese ewi-
gen Werke höchst wahrscheinlich ganz vergeßnen Urvöl-
kern des heutigen Menschengeschlechts, gegen deren Bau-
kunst die römische verkümmert war: Völkern eines Zeital-
ters worin der griechische Geschichtschreiber des augustei-
schen Jahrhunderts, gleich den philosophischen des letzten,
nur fast sprachlose Wilde auf der rohen jungen Erde sah.
Eben so sind die auf dreyßig Stadien durch den Felsen
geführten Abzugsgewölbe des Sees Kopais, deren Reini-
gung Böotiens Kräfte unter Alexander überstieg, sicher
das Werk eines uralten vorgriechischen Volks.

Das darf als historische Wahrheit behauptet werden,
daß die Hauptvölker Italiens in ihren Sprachen grell von
einander unterschieden waren, wie Celten und Deutsche,
wie Iberer und Celten; obgleich es zweifelhaft ist welche
von denen die abgesondert erscheinen, ob etwa die Auso-
ner und Sabeller zu einem Geschlecht gehörten. Ihre Re-
ligionen, alle verschieden von der griechischen, waren es
auch unter sich. Aber mehrere von diesen verschiedenen

Erster Theil. H

verpflichteten Nation erfordern, abſprechen, und ſie einer
vorhiſtoriſchen Zeit zuſchreiben. Solche Kraͤfte aber uͤber-
ſteigen ſie nicht: die etruskiſchen Mauern ſind kaum ge-
ringer: die Aushebung der aus dem Felſen gehauenen
Obelisken und ihre Fortſchaffung iſt ein faſt noch rieſen-
maͤßigeres und unſrer Mechanik noch mehr ſpottendes Un-
ternehmen; doch kennen wir die Nation welche dieſes
Wunder ausfuͤhrte als ein Volk gewoͤhnlicher Art. Auch
ſind die Peruaniſchen Mauern beynahe eben ſo ungeheuer
wie die ſogenannten Cyclopiſchen. Alſo gehoͤren dieſe ewi-
gen Werke hoͤchſt wahrſcheinlich ganz vergeßnen Urvoͤl-
kern des heutigen Menſchengeſchlechts, gegen deren Bau-
kunſt die roͤmiſche verkuͤmmert war: Voͤlkern eines Zeital-
ters worin der griechiſche Geſchichtſchreiber des auguſtei-
ſchen Jahrhunderts, gleich den philoſophiſchen des letzten,
nur faſt ſprachloſe Wilde auf der rohen jungen Erde ſah.
Eben ſo ſind die auf dreyßig Stadien durch den Felſen
gefuͤhrten Abzugsgewoͤlbe des Sees Kopais, deren Reini-
gung Boͤotiens Kraͤfte unter Alexander uͤberſtieg, ſicher
das Werk eines uralten vorgriechiſchen Volks.

Das darf als hiſtoriſche Wahrheit behauptet werden,
daß die Hauptvoͤlker Italiens in ihren Sprachen grell von
einander unterſchieden waren, wie Celten und Deutſche,
wie Iberer und Celten; obgleich es zweifelhaft iſt welche
von denen die abgeſondert erſcheinen, ob etwa die Auſo-
ner und Sabeller zu einem Geſchlecht gehoͤrten. Ihre Re-
ligionen, alle verſchieden von der griechiſchen, waren es
auch unter ſich. Aber mehrere von dieſen verſchiedenen

Erſter Theil. H
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[113/0135] verpflichteten Nation erfordern, abſprechen, und ſie einer vorhiſtoriſchen Zeit zuſchreiben. Solche Kraͤfte aber uͤber- ſteigen ſie nicht: die etruskiſchen Mauern ſind kaum ge- ringer: die Aushebung der aus dem Felſen gehauenen Obelisken und ihre Fortſchaffung iſt ein faſt noch rieſen- maͤßigeres und unſrer Mechanik noch mehr ſpottendes Un- ternehmen; doch kennen wir die Nation welche dieſes Wunder ausfuͤhrte als ein Volk gewoͤhnlicher Art. Auch ſind die Peruaniſchen Mauern beynahe eben ſo ungeheuer wie die ſogenannten Cyclopiſchen. Alſo gehoͤren dieſe ewi- gen Werke hoͤchſt wahrſcheinlich ganz vergeßnen Urvoͤl- kern des heutigen Menſchengeſchlechts, gegen deren Bau- kunſt die roͤmiſche verkuͤmmert war: Voͤlkern eines Zeital- ters worin der griechiſche Geſchichtſchreiber des auguſtei- ſchen Jahrhunderts, gleich den philoſophiſchen des letzten, nur faſt ſprachloſe Wilde auf der rohen jungen Erde ſah. Eben ſo ſind die auf dreyßig Stadien durch den Felſen gefuͤhrten Abzugsgewoͤlbe des Sees Kopais, deren Reini- gung Boͤotiens Kraͤfte unter Alexander uͤberſtieg, ſicher das Werk eines uralten vorgriechiſchen Volks. Das darf als hiſtoriſche Wahrheit behauptet werden, daß die Hauptvoͤlker Italiens in ihren Sprachen grell von einander unterſchieden waren, wie Celten und Deutſche, wie Iberer und Celten; obgleich es zweifelhaft iſt welche von denen die abgeſondert erſcheinen, ob etwa die Auſo- ner und Sabeller zu einem Geſchlecht gehoͤrten. Ihre Re- ligionen, alle verſchieden von der griechiſchen, waren es auch unter ſich. Aber mehrere von dieſen verſchiedenen Erſter Theil. H

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/135>, abgerufen am 26.04.2024.