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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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rer Schiffe beschränkt: oder ihre Kenntniß entlegner
Gegenden durch die Vorstellungen des daheimbleibenden
Volks, ehe es Bücher, Karten und Gelehrte gab, gemessen
wird.

Die Erzählung daß die Troer bey der Eroberung
Ilions nicht ganz untergegangen wären, daß ein Theil
diese überlebt, und das Geschlecht des Aeneas die Uebrig-
gebliebenen beherrscht habe; ist so alt wie die Gedichte
welche den Trojanischen Krieg besangen. Freylich folgt
hieraus keineswegs daß die Sage eben so alt war, die
Aeneaden hätten außerhalb Trojas über Ausgewanderte
geherrscht, man kann nur sagen daß beydes sich nicht wi-
derspricht. Mehr als die Fortdauer eines troischen Volks
sagt die bekannte Stelle der Ilias nicht; und wahrschein-
licher sogar würde man an die unabhängigen Dardanier
des Aeneas denken, welche, ihrer Lage nach, das ver-
ödete ilische Land sofort nach der Griechen Abzug einneh-
men konnten, als an eine entfernte Niederlassung in Ge-
genden die dem Dichter ganz dunkel, wenn auch dem
Schiffer bekannt waren: wären nicht im homerischen Zeit-
alter Troas und der Hellespont längst voll äolischer Colo-
nieen gewesen. Auch Arktinus von Miletus, der um die
Zeit der Erbauung Roms dichtete, hat, wenn die Auszüge
der Chrestomathie des Proklos nicht täuschen, nur erzählt,
wie Aeneas mit den Seinigen, durch das Wunder der Lao-
koontiden geschreckt, die Stadt verlassen und sich auf
dem Ida dem allgemeinen Untergang entzogen habe.
Uebergangen könnte eine Erzählung der fernern Schicksale
dieser Geflüchteten in den Auszügen allerdings seyn. Im

rer Schiffe beſchraͤnkt: oder ihre Kenntniß entlegner
Gegenden durch die Vorſtellungen des daheimbleibenden
Volks, ehe es Buͤcher, Karten und Gelehrte gab, gemeſſen
wird.

Die Erzaͤhlung daß die Troer bey der Eroberung
Ilions nicht ganz untergegangen waͤren, daß ein Theil
dieſe uͤberlebt, und das Geſchlecht des Aeneas die Uebrig-
gebliebenen beherrſcht habe; iſt ſo alt wie die Gedichte
welche den Trojaniſchen Krieg beſangen. Freylich folgt
hieraus keineswegs daß die Sage eben ſo alt war, die
Aeneaden haͤtten außerhalb Trojas uͤber Ausgewanderte
geherrſcht, man kann nur ſagen daß beydes ſich nicht wi-
derſpricht. Mehr als die Fortdauer eines troiſchen Volks
ſagt die bekannte Stelle der Ilias nicht; und wahrſchein-
licher ſogar wuͤrde man an die unabhaͤngigen Dardanier
des Aeneas denken, welche, ihrer Lage nach, das ver-
oͤdete iliſche Land ſofort nach der Griechen Abzug einneh-
men konnten, als an eine entfernte Niederlaſſung in Ge-
genden die dem Dichter ganz dunkel, wenn auch dem
Schiffer bekannt waren: waͤren nicht im homeriſchen Zeit-
alter Troas und der Helleſpont laͤngſt voll aͤoliſcher Colo-
nieen geweſen. Auch Arktinus von Miletus, der um die
Zeit der Erbauung Roms dichtete, hat, wenn die Auszuͤge
der Chreſtomathie des Proklos nicht taͤuſchen, nur erzaͤhlt,
wie Aeneas mit den Seinigen, durch das Wunder der Lao-
koontiden geſchreckt, die Stadt verlaſſen und ſich auf
dem Ida dem allgemeinen Untergang entzogen habe.
Uebergangen koͤnnte eine Erzaͤhlung der fernern Schickſale
dieſer Gefluͤchteten in den Auszuͤgen allerdings ſeyn. Im

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[127/0149] rer Schiffe beſchraͤnkt: oder ihre Kenntniß entlegner Gegenden durch die Vorſtellungen des daheimbleibenden Volks, ehe es Buͤcher, Karten und Gelehrte gab, gemeſſen wird. Die Erzaͤhlung daß die Troer bey der Eroberung Ilions nicht ganz untergegangen waͤren, daß ein Theil dieſe uͤberlebt, und das Geſchlecht des Aeneas die Uebrig- gebliebenen beherrſcht habe; iſt ſo alt wie die Gedichte welche den Trojaniſchen Krieg beſangen. Freylich folgt hieraus keineswegs daß die Sage eben ſo alt war, die Aeneaden haͤtten außerhalb Trojas uͤber Ausgewanderte geherrſcht, man kann nur ſagen daß beydes ſich nicht wi- derſpricht. Mehr als die Fortdauer eines troiſchen Volks ſagt die bekannte Stelle der Ilias nicht; und wahrſchein- licher ſogar wuͤrde man an die unabhaͤngigen Dardanier des Aeneas denken, welche, ihrer Lage nach, das ver- oͤdete iliſche Land ſofort nach der Griechen Abzug einneh- men konnten, als an eine entfernte Niederlaſſung in Ge- genden die dem Dichter ganz dunkel, wenn auch dem Schiffer bekannt waren: waͤren nicht im homeriſchen Zeit- alter Troas und der Helleſpont laͤngſt voll aͤoliſcher Colo- nieen geweſen. Auch Arktinus von Miletus, der um die Zeit der Erbauung Roms dichtete, hat, wenn die Auszuͤge der Chreſtomathie des Proklos nicht taͤuſchen, nur erzaͤhlt, wie Aeneas mit den Seinigen, durch das Wunder der Lao- koontiden geſchreckt, die Stadt verlaſſen und ſich auf dem Ida dem allgemeinen Untergang entzogen habe. Uebergangen koͤnnte eine Erzaͤhlung der fernern Schickſale dieſer Gefluͤchteten in den Auszuͤgen allerdings ſeyn. Im

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/149>, abgerufen am 29.04.2024.