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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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denen welche nur an die griechischen und die späteren An-
sichten gewöhnt waren so widersinnig, daß Plutarch fast
zweifelt daß es jemals bestanden haben könne, und, was
viel auffallender ist, Scaliger es als ein Mährchen ganz
läugnet, und nach Licinius Macer und Fenestella, die es
doch auch nur nicht begriffen, als entschieden annimmt,
das römische Jahr habe vom Anfang her zwölf Monate ge-
zählt 51). Aber neben jenen Angaben, die, wenn für die
Geschichte noch irgend ein Grund bleiben soll, durchaus
nicht verworfen werden dürfen, als Nachrichten denen
an Bestimmtheit wenige aus den ältesten Zeiten gleich
kommen, finden sich unverkennliche Beweise daß dieses
Jahr einst in der That im Gebrauch gewesen, und mehr
als eine sichtbare Spur seiner Anwendung in einer spä-
teren Zeit, wo ihr Ursprung schon verkannt war. Und es
ergiebt sich aus dem cyclischen Verhältniß dieses Jahrs
zu dem von Scaliger erklärten Mondenschaltjahr und des-
sen Säcularperiode, wie es, theils als fortlaufende Cor-
rection neben demselben anwendbar, theils zum wissen-
schaftlichen Gebrauch vorzüglicher als jenes war.

Der erste Schlüssel zum Begriff dieses Systems fin-
det sich in einer Stelle des Censorinus, worin er sagt, das
Lustrum sey das alte römische große Jahr, oder der Cy-
clus in dem der Anfang des bürgerlichen Jahrs wieder
auf den Anfang des Sonnenjahrs gebracht worden wäre.

Allerdings ist es klar, daß Censorinus das Lustrum
seiner Zeit, die Capitolinische Pentaeteris, wie Griechen
die Olympiaden, dem alten Lustrum in Hinsicht der Zeit-

51) De emendat. tempor. p. 173.

denen welche nur an die griechiſchen und die ſpaͤteren An-
ſichten gewoͤhnt waren ſo widerſinnig, daß Plutarch faſt
zweifelt daß es jemals beſtanden haben koͤnne, und, was
viel auffallender iſt, Scaliger es als ein Maͤhrchen ganz
laͤugnet, und nach Licinius Macer und Feneſtella, die es
doch auch nur nicht begriffen, als entſchieden annimmt,
das roͤmiſche Jahr habe vom Anfang her zwoͤlf Monate ge-
zaͤhlt 51). Aber neben jenen Angaben, die, wenn fuͤr die
Geſchichte noch irgend ein Grund bleiben ſoll, durchaus
nicht verworfen werden duͤrfen, als Nachrichten denen
an Beſtimmtheit wenige aus den aͤlteſten Zeiten gleich
kommen, finden ſich unverkennliche Beweiſe daß dieſes
Jahr einſt in der That im Gebrauch geweſen, und mehr
als eine ſichtbare Spur ſeiner Anwendung in einer ſpaͤ-
teren Zeit, wo ihr Urſprung ſchon verkannt war. Und es
ergiebt ſich aus dem cycliſchen Verhaͤltniß dieſes Jahrs
zu dem von Scaliger erklaͤrten Mondenſchaltjahr und deſ-
ſen Saͤcularperiode, wie es, theils als fortlaufende Cor-
rection neben demſelben anwendbar, theils zum wiſſen-
ſchaftlichen Gebrauch vorzuͤglicher als jenes war.

Der erſte Schluͤſſel zum Begriff dieſes Syſtems fin-
det ſich in einer Stelle des Cenſorinus, worin er ſagt, das
Luſtrum ſey das alte roͤmiſche große Jahr, oder der Cy-
clus in dem der Anfang des buͤrgerlichen Jahrs wieder
auf den Anfang des Sonnenjahrs gebracht worden waͤre.

Allerdings iſt es klar, daß Cenſorinus das Luſtrum
ſeiner Zeit, die Capitoliniſche Pentaeteris, wie Griechen
die Olympiaden, dem alten Luſtrum in Hinſicht der Zeit-

51) De emendat. tempor. p. 173.
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[194/0216] denen welche nur an die griechiſchen und die ſpaͤteren An- ſichten gewoͤhnt waren ſo widerſinnig, daß Plutarch faſt zweifelt daß es jemals beſtanden haben koͤnne, und, was viel auffallender iſt, Scaliger es als ein Maͤhrchen ganz laͤugnet, und nach Licinius Macer und Feneſtella, die es doch auch nur nicht begriffen, als entſchieden annimmt, das roͤmiſche Jahr habe vom Anfang her zwoͤlf Monate ge- zaͤhlt 51). Aber neben jenen Angaben, die, wenn fuͤr die Geſchichte noch irgend ein Grund bleiben ſoll, durchaus nicht verworfen werden duͤrfen, als Nachrichten denen an Beſtimmtheit wenige aus den aͤlteſten Zeiten gleich kommen, finden ſich unverkennliche Beweiſe daß dieſes Jahr einſt in der That im Gebrauch geweſen, und mehr als eine ſichtbare Spur ſeiner Anwendung in einer ſpaͤ- teren Zeit, wo ihr Urſprung ſchon verkannt war. Und es ergiebt ſich aus dem cycliſchen Verhaͤltniß dieſes Jahrs zu dem von Scaliger erklaͤrten Mondenſchaltjahr und deſ- ſen Saͤcularperiode, wie es, theils als fortlaufende Cor- rection neben demſelben anwendbar, theils zum wiſſen- ſchaftlichen Gebrauch vorzuͤglicher als jenes war. Der erſte Schluͤſſel zum Begriff dieſes Syſtems fin- det ſich in einer Stelle des Cenſorinus, worin er ſagt, das Luſtrum ſey das alte roͤmiſche große Jahr, oder der Cy- clus in dem der Anfang des buͤrgerlichen Jahrs wieder auf den Anfang des Sonnenjahrs gebracht worden waͤre. Allerdings iſt es klar, daß Cenſorinus das Luſtrum ſeiner Zeit, die Capitoliniſche Pentaeteris, wie Griechen die Olympiaden, dem alten Luſtrum in Hinſicht der Zeit- 51) De emendat. tempor. p. 173.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/216>, abgerufen am 28.04.2024.