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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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theile, die aus der Verbindung einer zahllosen Menge le-
bendig aufgefaßter Thatsachen unter einer hellen Reflec-
tion entstehen. Aber Cato war ein wißbegieriger und
wahrhafter Mann; seine Zeit der Ausführung eines sol-
chen Werks vorzüglich günstig. Die alten Völker Ita-
liens bestanden damals noch mit ihren angestammten
Eigenthümlichkeiten der Sprache und Nationalität: es
waren noch Etrusker, Umbrer, Sabeller. Daß diese
Völker, welche alle Kunst und bürgerliche Ausbildung in
einem hohen Grade besaßen, und seit uralten Zeiten
Schrift, nicht auf Sagen über ihre Geschichte beschränkt
waren, daß sie auch ihre Geschichtsbücher in ihren eig-
nen Sprachen hatten, ist nicht zu bezweifeln 6): und
auch über sehr alte Zeiten waren diese um so merkwür-
diger, weil wenigstens die Etrusker einst eine symbo-
lische Zeichenschrift gebraucht zu haben scheinen, ihre
Nachrichten in die jüngere Buchstabenschrift umschrei-
ben konnten.

Zu Catos Zeit waren die historischen Denkmähler -- sey
es nun daß einige jener Völker eine Litteratur besaßen,
oder daß bey allen nur Jahrbücher, wie von den Priestern
Roms, wie von unsern Vorfahren, und, selbst ohne den
Besitz einer Alphabetschrift, von den Mexikanern, mehr
verzeichnet als geschrieben wurden, -- und außer den
Büchern, reichhaltigere und ältere Denkschriften auf

6) Pränestinische Bücher, die freylich lateinisch waren, citirt
Solinus: Varro kannte etruskische Annalen, und aus sol-
chen Jahrbüchern verfaßte ohne Zweifel der Kaiser Claudius
seine zwanzig Bücher von der Tyrrhenischen Geschichte.

theile, die aus der Verbindung einer zahlloſen Menge le-
bendig aufgefaßter Thatſachen unter einer hellen Reflec-
tion entſtehen. Aber Cato war ein wißbegieriger und
wahrhafter Mann; ſeine Zeit der Ausfuͤhrung eines ſol-
chen Werks vorzuͤglich guͤnſtig. Die alten Voͤlker Ita-
liens beſtanden damals noch mit ihren angeſtammten
Eigenthuͤmlichkeiten der Sprache und Nationalitaͤt: es
waren noch Etrusker, Umbrer, Sabeller. Daß dieſe
Voͤlker, welche alle Kunſt und buͤrgerliche Ausbildung in
einem hohen Grade beſaßen, und ſeit uralten Zeiten
Schrift, nicht auf Sagen uͤber ihre Geſchichte beſchraͤnkt
waren, daß ſie auch ihre Geſchichtsbuͤcher in ihren eig-
nen Sprachen hatten, iſt nicht zu bezweifeln 6): und
auch uͤber ſehr alte Zeiten waren dieſe um ſo merkwuͤr-
diger, weil wenigſtens die Etrusker einſt eine ſymbo-
liſche Zeichenſchrift gebraucht zu haben ſcheinen, ihre
Nachrichten in die juͤngere Buchſtabenſchrift umſchrei-
ben konnten.

Zu Catos Zeit waren die hiſtoriſchen Denkmaͤhler — ſey
es nun daß einige jener Voͤlker eine Litteratur beſaßen,
oder daß bey allen nur Jahrbuͤcher, wie von den Prieſtern
Roms, wie von unſern Vorfahren, und, ſelbſt ohne den
Beſitz einer Alphabetſchrift, von den Mexikanern, mehr
verzeichnet als geſchrieben wurden, — und außer den
Buͤchern, reichhaltigere und aͤltere Denkſchriften auf

6) Praͤneſtiniſche Buͤcher, die freylich lateiniſch waren, citirt
Solinus: Varro kannte etruſkiſche Annalen, und aus ſol-
chen Jahrbuͤchern verfaßte ohne Zweifel der Kaiſer Claudius
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[22/0044] theile, die aus der Verbindung einer zahlloſen Menge le- bendig aufgefaßter Thatſachen unter einer hellen Reflec- tion entſtehen. Aber Cato war ein wißbegieriger und wahrhafter Mann; ſeine Zeit der Ausfuͤhrung eines ſol- chen Werks vorzuͤglich guͤnſtig. Die alten Voͤlker Ita- liens beſtanden damals noch mit ihren angeſtammten Eigenthuͤmlichkeiten der Sprache und Nationalitaͤt: es waren noch Etrusker, Umbrer, Sabeller. Daß dieſe Voͤlker, welche alle Kunſt und buͤrgerliche Ausbildung in einem hohen Grade beſaßen, und ſeit uralten Zeiten Schrift, nicht auf Sagen uͤber ihre Geſchichte beſchraͤnkt waren, daß ſie auch ihre Geſchichtsbuͤcher in ihren eig- nen Sprachen hatten, iſt nicht zu bezweifeln 6): und auch uͤber ſehr alte Zeiten waren dieſe um ſo merkwuͤr- diger, weil wenigſtens die Etrusker einſt eine ſymbo- liſche Zeichenſchrift gebraucht zu haben ſcheinen, ihre Nachrichten in die juͤngere Buchſtabenſchrift umſchrei- ben konnten. Zu Catos Zeit waren die hiſtoriſchen Denkmaͤhler — ſey es nun daß einige jener Voͤlker eine Litteratur beſaßen, oder daß bey allen nur Jahrbuͤcher, wie von den Prieſtern Roms, wie von unſern Vorfahren, und, ſelbſt ohne den Beſitz einer Alphabetſchrift, von den Mexikanern, mehr verzeichnet als geſchrieben wurden, — und außer den Buͤchern, reichhaltigere und aͤltere Denkſchriften auf 6) Praͤneſtiniſche Buͤcher, die freylich lateiniſch waren, citirt Solinus: Varro kannte etruſkiſche Annalen, und aus ſol- chen Jahrbuͤchern verfaßte ohne Zweifel der Kaiſer Claudius ſeine zwanzig Buͤcher von der Tyrrheniſchen Geſchichte.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/44>, abgerufen am 27.04.2024.