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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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die Aufopferung seiner neu gewonnenen Vorrechte anzu-
dieten 85): ein Vorschlag der nicht nur, wie es Livius
gesteht, ruchlos war, sondern auch, gegen seine Meinung,
unausführbar bleiben mußte, da er, nur ausgesprochen,
seinem Urheber Verderben brachte.

Daß ein verhärtetes Factionshaupt, den ein verdien-
tes Urtheil zum Landesfeinde machte, und der als Feld-
herr der Erbfeinde sich für die erlittene gerechte Strafe
fürchterlich am Vaterland rächte, von der Geschichte als
ein großer Mann genannt wird ist Beyspiel wie vorur-
theilsvoll auch die Nachwelt richtet. Coriolanus verdient
es nicht mit Alcibiades verglichen zu werden, dem, nach
der Sinnesart seines Volks, der leidenschaftliche Ueber-
gang zu großen Vergehungen und die Rückkehr leichter
war als dem Römer; den ein wirklich ungerechtes Urtheil
getroffen hatte; der seine Nation nicht faßte, und der, als
sein Zorn gekühlt war, seine Verirrung wie kein andrer
gut machte. In ihm lebte die Liebe zu seinem Vaterlande
fort, wie in dem Eifersüchtigen, wie unglücklich er auch
ihren Gegenstand macht: er wollte, nach einer kurzen un-
widerstehlichen Aufwallung des Zorns, nur das Gefühl
seines Verlusts bey den Atheniensern erzwingen; nicht das

85) Man führe dieses nicht zur Bestätigung der griechischen
Ansicht allgemeiner Armuth der Plebejer an. Die Mehr-
zahl war nothwendig arm bey der Kleinheit der plebejischen
Hufen von sieben Jugern, welche überdies bey Erbschaften,
die auf mehrere fielen, wenn sie auch nicht getheilt wur-
den, doch mehreren Familien genügen mußten. Ueberdies
hatte das Unglück der Zeiten die kleinen Landeigenthümer
zu Grunde gerichtet.

die Aufopferung ſeiner neu gewonnenen Vorrechte anzu-
dieten 85): ein Vorſchlag der nicht nur, wie es Livius
geſteht, ruchlos war, ſondern auch, gegen ſeine Meinung,
unausfuͤhrbar bleiben mußte, da er, nur ausgeſprochen,
ſeinem Urheber Verderben brachte.

Daß ein verhaͤrtetes Factionshaupt, den ein verdien-
tes Urtheil zum Landesfeinde machte, und der als Feld-
herr der Erbfeinde ſich fuͤr die erlittene gerechte Strafe
fuͤrchterlich am Vaterland raͤchte, von der Geſchichte als
ein großer Mann genannt wird iſt Beyſpiel wie vorur-
theilsvoll auch die Nachwelt richtet. Coriolanus verdient
es nicht mit Alcibiades verglichen zu werden, dem, nach
der Sinnesart ſeines Volks, der leidenſchaftliche Ueber-
gang zu großen Vergehungen und die Ruͤckkehr leichter
war als dem Roͤmer; den ein wirklich ungerechtes Urtheil
getroffen hatte; der ſeine Nation nicht faßte, und der, als
ſein Zorn gekuͤhlt war, ſeine Verirrung wie kein andrer
gut machte. In ihm lebte die Liebe zu ſeinem Vaterlande
fort, wie in dem Eiferſuͤchtigen, wie ungluͤcklich er auch
ihren Gegenſtand macht: er wollte, nach einer kurzen un-
widerſtehlichen Aufwallung des Zorns, nur das Gefuͤhl
ſeines Verluſts bey den Athenienſern erzwingen; nicht das

85) Man fuͤhre dieſes nicht zur Beſtaͤtigung der griechiſchen
Anſicht allgemeiner Armuth der Plebejer an. Die Mehr-
zahl war nothwendig arm bey der Kleinheit der plebejiſchen
Hufen von ſieben Jugern, welche uͤberdies bey Erbſchaften,
die auf mehrere fielen, wenn ſie auch nicht getheilt wur-
den, doch mehreren Familien genuͤgen mußten. Ueberdies
hatte das Ungluͤck der Zeiten die kleinen Landeigenthuͤmer
zu Grunde gerichtet.
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[429/0451] die Aufopferung ſeiner neu gewonnenen Vorrechte anzu- dieten 85): ein Vorſchlag der nicht nur, wie es Livius geſteht, ruchlos war, ſondern auch, gegen ſeine Meinung, unausfuͤhrbar bleiben mußte, da er, nur ausgeſprochen, ſeinem Urheber Verderben brachte. Daß ein verhaͤrtetes Factionshaupt, den ein verdien- tes Urtheil zum Landesfeinde machte, und der als Feld- herr der Erbfeinde ſich fuͤr die erlittene gerechte Strafe fuͤrchterlich am Vaterland raͤchte, von der Geſchichte als ein großer Mann genannt wird iſt Beyſpiel wie vorur- theilsvoll auch die Nachwelt richtet. Coriolanus verdient es nicht mit Alcibiades verglichen zu werden, dem, nach der Sinnesart ſeines Volks, der leidenſchaftliche Ueber- gang zu großen Vergehungen und die Ruͤckkehr leichter war als dem Roͤmer; den ein wirklich ungerechtes Urtheil getroffen hatte; der ſeine Nation nicht faßte, und der, als ſein Zorn gekuͤhlt war, ſeine Verirrung wie kein andrer gut machte. In ihm lebte die Liebe zu ſeinem Vaterlande fort, wie in dem Eiferſuͤchtigen, wie ungluͤcklich er auch ihren Gegenſtand macht: er wollte, nach einer kurzen un- widerſtehlichen Aufwallung des Zorns, nur das Gefuͤhl ſeines Verluſts bey den Athenienſern erzwingen; nicht das 85) Man fuͤhre dieſes nicht zur Beſtaͤtigung der griechiſchen Anſicht allgemeiner Armuth der Plebejer an. Die Mehr- zahl war nothwendig arm bey der Kleinheit der plebejiſchen Hufen von ſieben Jugern, welche uͤberdies bey Erbſchaften, die auf mehrere fielen, wenn ſie auch nicht getheilt wur- den, doch mehreren Familien genuͤgen mußten. Ueberdies hatte das Ungluͤck der Zeiten die kleinen Landeigenthuͤmer zu Grunde gerichtet.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/451>, abgerufen am 29.04.2024.