die doch nun nicht mehr furchtbar waren; ein Sena- tusconsult genügte die Freyheit herzustellen. Aber die Patricier empfanden nicht wie das Volk. Sehr viele waren mitschuldig: diese sahen keine Straflosigkeit für sich als in der Fortdauer der Decemviraltyranney. Haß und Verachtung gegen die Plebejer mochte nur in sehr wenigen die Stimme menschlicher Gefühle über die Trag- ödie des Tags laut werden lassen: wenigstens ver- stummte sie vor der Furcht den Ansprüchen ihres Standes zu vergeben. Möglichkeit des Mißbrauchs der höchsten Gewalt sey von ihrem Besitz unzertrennlich; und wenn auch dieser Mißbrauch noch so sehr zu tadeln wäre, so sey der gewaltsame Widerstand doch weit strafwürdiger, weil er gränzenlos gefährlich und bis in seine Quelle ganz wi- derrechtlich sey. Es würde eine unsinnige Gutmüthigkeit seyn wegen eines solchen Vorfalls der Gegenparthey Waf- fen zu ihrer Vertheidigung zu gewähren, von denen sie ja auch, und gegen die deren Kränkung ein weit größeres Unrecht sey, Mißbrauch machen könnten. Wäre es bis dahin wünschenswerth gewesen die Decemvirn zu bewegen ihre Macht gewählten Consuln zu überlassen, sofern die tribunicische auf ewig vernichtet bliebe, so sey es jetzt nothwendig, unerschrocken Meinung und Schein verach- tend, sich an sie anzuschließen und ihr Ansehen zu behaup- ten. In diesen Gesinnungen täuschten sie alle vertrau- liche Hoffnungen des Volks. Zwar beschlossen sie es für jetzt nicht weiter zu reizen: aber die jungen Patricier wur- den in die Läger gesandt, um durch alle Mittel die Ar- meen im Gehorsam zu erhalten. Es war zu spät. Vir-
die doch nun nicht mehr furchtbar waren; ein Sena- tusconſult genuͤgte die Freyheit herzuſtellen. Aber die Patricier empfanden nicht wie das Volk. Sehr viele waren mitſchuldig: dieſe ſahen keine Strafloſigkeit fuͤr ſich als in der Fortdauer der Decemviraltyranney. Haß und Verachtung gegen die Plebejer mochte nur in ſehr wenigen die Stimme menſchlicher Gefuͤhle uͤber die Trag- oͤdie des Tags laut werden laſſen: wenigſtens ver- ſtummte ſie vor der Furcht den Anſpruͤchen ihres Standes zu vergeben. Moͤglichkeit des Mißbrauchs der hoͤchſten Gewalt ſey von ihrem Beſitz unzertrennlich; und wenn auch dieſer Mißbrauch noch ſo ſehr zu tadeln waͤre, ſo ſey der gewaltſame Widerſtand doch weit ſtrafwuͤrdiger, weil er graͤnzenlos gefaͤhrlich und bis in ſeine Quelle ganz wi- derrechtlich ſey. Es wuͤrde eine unſinnige Gutmuͤthigkeit ſeyn wegen eines ſolchen Vorfalls der Gegenparthey Waf- fen zu ihrer Vertheidigung zu gewaͤhren, von denen ſie ja auch, und gegen die deren Kraͤnkung ein weit groͤßeres Unrecht ſey, Mißbrauch machen koͤnnten. Waͤre es bis dahin wuͤnſchenswerth geweſen die Decemvirn zu bewegen ihre Macht gewaͤhlten Conſuln zu uͤberlaſſen, ſofern die tribuniciſche auf ewig vernichtet bliebe, ſo ſey es jetzt nothwendig, unerſchrocken Meinung und Schein verach- tend, ſich an ſie anzuſchließen und ihr Anſehen zu behaup- ten. In dieſen Geſinnungen taͤuſchten ſie alle vertrau- liche Hoffnungen des Volks. Zwar beſchloſſen ſie es fuͤr jetzt nicht weiter zu reizen: aber die jungen Patricier wur- den in die Laͤger geſandt, um durch alle Mittel die Ar- meen im Gehorſam zu erhalten. Es war zu ſpaͤt. Vir-
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die doch nun nicht mehr furchtbar waren; ein Sena-
tusconſult genuͤgte die Freyheit herzuſtellen. Aber die
Patricier empfanden nicht wie das Volk. Sehr viele
waren mitſchuldig: dieſe ſahen keine Strafloſigkeit fuͤr
ſich als in der Fortdauer der Decemviraltyranney. Haß
und Verachtung gegen die Plebejer mochte nur in ſehr
wenigen die Stimme menſchlicher Gefuͤhle uͤber die Trag-
oͤdie des Tags laut werden laſſen: wenigſtens ver-
ſtummte ſie vor der Furcht den Anſpruͤchen ihres Standes
zu vergeben. Moͤglichkeit des Mißbrauchs der hoͤchſten
Gewalt ſey von ihrem Beſitz unzertrennlich; und wenn
auch dieſer Mißbrauch noch ſo ſehr zu tadeln waͤre, ſo ſey
der gewaltſame Widerſtand doch weit ſtrafwuͤrdiger, weil
er graͤnzenlos gefaͤhrlich und bis in ſeine Quelle ganz wi-
derrechtlich ſey. Es wuͤrde eine unſinnige Gutmuͤthigkeit
ſeyn wegen eines ſolchen Vorfalls der Gegenparthey Waf-
fen zu ihrer Vertheidigung zu gewaͤhren, von denen ſie ja
auch, und gegen die deren Kraͤnkung ein weit groͤßeres
Unrecht ſey, Mißbrauch machen koͤnnten. Waͤre es bis
dahin wuͤnſchenswerth geweſen die Decemvirn zu bewegen
ihre Macht gewaͤhlten Conſuln zu uͤberlaſſen, ſofern die
tribuniciſche auf ewig vernichtet bliebe, ſo ſey es jetzt
nothwendig, unerſchrocken Meinung und Schein verach-
tend, ſich an ſie anzuſchließen und ihr Anſehen zu behaup-
ten. In dieſen Geſinnungen taͤuſchten ſie alle vertrau-
liche Hoffnungen des Volks. Zwar beſchloſſen ſie es fuͤr
jetzt nicht weiter zu reizen: aber die jungen Patricier wur-
den in die Laͤger geſandt, um durch alle Mittel die Ar-
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/154>, abgerufen am 19.05.2024.
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