eine besondere Anmaaßung Roms deuten. Es ward so sehr als allgemeines Gesetz anerkannt daß Rom den Gesandten von Apollonia gegen das Ende des fünften Jahrhunderts nur durch Auslieferung der Schuldigen genügen zu können glaubte 2); es wird dabey der fromme Glaube vorausgesetzt, eine ungerechte Verurtheilung sey unwahrscheinlicher als Lossprechung aus zwiefacher Par- theylichkeit. Aus diesem Völkerrecht erklären sich die sonst so sonderbaren Gerichte der Volksgemeinde über die er- sten unter den Patriciern in dem Zeitraume wo dieser Stand noch alles allein war. Diese Gerichte sind häu- fig; auf gleichem Grund waren die Patricier berechtigt über Plebejer zu richten welche sich an ihrem Stande vergangen hatten. So gewiß dieses aus den Grund- sätzen folgt, so findet sich doch nur ein Beyspiel in dun- kelm Andenken erhalten welches bestimmt dahin zu ge- hören scheint.
Jene allgemeine Lösung der Gehorsamspflicht des ple- bejischen Standes, die von dem herrschenden auch nur gezwungen geachtet, und in jedem einzelnen Fall als Em- pörung angeklagt ward, übten die Volkstribunen, und ihre Unverletzlichkeit gab dem Volk Einheit und Entschluß. In der höchsten Gewalt war die Theilnahme des Volks nur ein Schatten. Selbst die Gemeinde der Centurien, ob- wohl den Patriciern und ihrem Einfluß offen, war ohn- mächtig: beschränkt in Hinsicht der Gesetze höchstens den Antrag des Senats zu verwerfen, in einem Zeitalter wo vielmehr nach Herkommen als nach Gesetzen verwaltet
2) Epitome des Livius XV.
eine beſondere Anmaaßung Roms deuten. Es ward ſo ſehr als allgemeines Geſetz anerkannt daß Rom den Geſandten von Apollonia gegen das Ende des fuͤnften Jahrhunderts nur durch Auslieferung der Schuldigen genuͤgen zu koͤnnen glaubte 2); es wird dabey der fromme Glaube vorausgeſetzt, eine ungerechte Verurtheilung ſey unwahrſcheinlicher als Losſprechung aus zwiefacher Par- theylichkeit. Aus dieſem Voͤlkerrecht erklaͤren ſich die ſonſt ſo ſonderbaren Gerichte der Volksgemeinde uͤber die er- ſten unter den Patriciern in dem Zeitraume wo dieſer Stand noch alles allein war. Dieſe Gerichte ſind haͤu- fig; auf gleichem Grund waren die Patricier berechtigt uͤber Plebejer zu richten welche ſich an ihrem Stande vergangen hatten. So gewiß dieſes aus den Grund- ſaͤtzen folgt, ſo findet ſich doch nur ein Beyſpiel in dun- kelm Andenken erhalten welches beſtimmt dahin zu ge- hoͤren ſcheint.
Jene allgemeine Loͤſung der Gehorſamspflicht des ple- bejiſchen Standes, die von dem herrſchenden auch nur gezwungen geachtet, und in jedem einzelnen Fall als Em- poͤrung angeklagt ward, uͤbten die Volkstribunen, und ihre Unverletzlichkeit gab dem Volk Einheit und Entſchluß. In der hoͤchſten Gewalt war die Theilnahme des Volks nur ein Schatten. Selbſt die Gemeinde der Centurien, ob- wohl den Patriciern und ihrem Einfluß offen, war ohn- maͤchtig: beſchraͤnkt in Hinſicht der Geſetze hoͤchſtens den Antrag des Senats zu verwerfen, in einem Zeitalter wo vielmehr nach Herkommen als nach Geſetzen verwaltet
2) Epitome des Livius XV.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0022"n="6"/>
eine beſondere Anmaaßung Roms deuten. Es ward ſo<lb/>ſehr als allgemeines Geſetz anerkannt daß Rom den<lb/>
Geſandten von Apollonia gegen das Ende des fuͤnften<lb/>
Jahrhunderts nur durch Auslieferung der Schuldigen<lb/>
genuͤgen zu koͤnnen glaubte <noteplace="foot"n="2)">Epitome des Livius <hirendition="#aq">XV.</hi></note>; es wird dabey der fromme<lb/>
Glaube vorausgeſetzt, eine ungerechte Verurtheilung ſey<lb/>
unwahrſcheinlicher als Losſprechung aus zwiefacher Par-<lb/>
theylichkeit. Aus dieſem Voͤlkerrecht erklaͤren ſich die ſonſt<lb/>ſo ſonderbaren Gerichte der Volksgemeinde uͤber die er-<lb/>ſten unter den Patriciern in dem Zeitraume wo dieſer<lb/>
Stand noch alles allein war. Dieſe Gerichte ſind haͤu-<lb/>
fig; auf gleichem Grund waren die Patricier berechtigt<lb/>
uͤber Plebejer zu richten welche ſich an ihrem Stande<lb/>
vergangen hatten. So gewiß dieſes aus den Grund-<lb/>ſaͤtzen folgt, ſo findet ſich doch nur ein Beyſpiel in dun-<lb/>
kelm Andenken erhalten welches beſtimmt dahin zu ge-<lb/>
hoͤren ſcheint.</p><lb/><p>Jene allgemeine Loͤſung der Gehorſamspflicht des ple-<lb/>
bejiſchen Standes, die von dem herrſchenden auch nur<lb/>
gezwungen geachtet, und in jedem einzelnen Fall als Em-<lb/>
poͤrung angeklagt ward, uͤbten die Volkstribunen, und<lb/>
ihre Unverletzlichkeit gab dem Volk Einheit und Entſchluß.<lb/>
In der hoͤchſten Gewalt war die Theilnahme des Volks<lb/>
nur ein Schatten. Selbſt die Gemeinde der Centurien, ob-<lb/>
wohl den Patriciern und ihrem Einfluß offen, war ohn-<lb/>
maͤchtig: beſchraͤnkt in Hinſicht der Geſetze hoͤchſtens den<lb/>
Antrag des Senats zu verwerfen, in einem Zeitalter wo<lb/>
vielmehr nach Herkommen als nach Geſetzen verwaltet<lb/></p></div></body></text></TEI>
[6/0022]
eine beſondere Anmaaßung Roms deuten. Es ward ſo
ſehr als allgemeines Geſetz anerkannt daß Rom den
Geſandten von Apollonia gegen das Ende des fuͤnften
Jahrhunderts nur durch Auslieferung der Schuldigen
genuͤgen zu koͤnnen glaubte 2); es wird dabey der fromme
Glaube vorausgeſetzt, eine ungerechte Verurtheilung ſey
unwahrſcheinlicher als Losſprechung aus zwiefacher Par-
theylichkeit. Aus dieſem Voͤlkerrecht erklaͤren ſich die ſonſt
ſo ſonderbaren Gerichte der Volksgemeinde uͤber die er-
ſten unter den Patriciern in dem Zeitraume wo dieſer
Stand noch alles allein war. Dieſe Gerichte ſind haͤu-
fig; auf gleichem Grund waren die Patricier berechtigt
uͤber Plebejer zu richten welche ſich an ihrem Stande
vergangen hatten. So gewiß dieſes aus den Grund-
ſaͤtzen folgt, ſo findet ſich doch nur ein Beyſpiel in dun-
kelm Andenken erhalten welches beſtimmt dahin zu ge-
hoͤren ſcheint.
Jene allgemeine Loͤſung der Gehorſamspflicht des ple-
bejiſchen Standes, die von dem herrſchenden auch nur
gezwungen geachtet, und in jedem einzelnen Fall als Em-
poͤrung angeklagt ward, uͤbten die Volkstribunen, und
ihre Unverletzlichkeit gab dem Volk Einheit und Entſchluß.
In der hoͤchſten Gewalt war die Theilnahme des Volks
nur ein Schatten. Selbſt die Gemeinde der Centurien, ob-
wohl den Patriciern und ihrem Einfluß offen, war ohn-
maͤchtig: beſchraͤnkt in Hinſicht der Geſetze hoͤchſtens den
Antrag des Senats zu verwerfen, in einem Zeitalter wo
vielmehr nach Herkommen als nach Geſetzen verwaltet
2) Epitome des Livius XV.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/22>, abgerufen am 26.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.