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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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unter einem Dictator ins Feld. Der Schauplatz des
Kriegs lag selten über einen Tagemarsch entfernt von
Rom, den Feinden nicht ferner: man traf zusammen,
und wer einmal das seltne Glück hatte entscheidend zu sie-
gen, verwüstete ein Paar Tage lang die nächsten Gegen-
den, und eilte dann seine Beute in Sicherheit zu bringen.
Diese Schlachten, so ernsthaft geschildert, waren sicher
auch nicht mörderischer als die gewöhnlichen der griechi-
schen Geschichte, welche oft entscheidend und folgenreich
waren, wenn einige Hunderte fielen; obgleich freylich die
Niederlage in Sicilien der von Cannä kaum nachsteht.
Daher erstaunt Livius 59) nur weil ihn falsche Bilder irre
leiten, wie Volsker und Aequer durch mehr als hundert-
jährige Kriege nicht völlig aufgerieben wären. Zwey
Jahrhunderte lang bekriegten sich die lombardischen
Städte rastlos und erbittert, dabey wuchsen sie an Volks-
menge und Blüthe so lange sie frey blieben: Toscana nicht
minder. Zu diesen Schlachten kamen die Römer, und
ohne Zweifel auch die Feinde, jeder Soldat mit eignen
Waffen, und mit Speisevorrath vom Hause verse-
hen 60): eine Kriegsweise welche dem Zug in sehr weni-
gen Tagen sein Ziel setzte, wenn nicht Beute dem Mangel
abhalf. So war es nicht allein unmöglich einen Sieg zu
verfolgen und Eroberungen zu machen, weil jeder eilte zu-
rück zu kehren; auch der Kriegsgeist der Nation konnte
sich nicht bilden; und der älteste Veteran besaß weniger
Erfahrung als ein Soldat der späteren Legionen welcher

59) Livius VI. c. 12.
60) Oikositoi. Zonaras VII. c. 19.

unter einem Dictator ins Feld. Der Schauplatz des
Kriegs lag ſelten uͤber einen Tagemarſch entfernt von
Rom, den Feinden nicht ferner: man traf zuſammen,
und wer einmal das ſeltne Gluͤck hatte entſcheidend zu ſie-
gen, verwuͤſtete ein Paar Tage lang die naͤchſten Gegen-
den, und eilte dann ſeine Beute in Sicherheit zu bringen.
Dieſe Schlachten, ſo ernſthaft geſchildert, waren ſicher
auch nicht moͤrderiſcher als die gewoͤhnlichen der griechi-
ſchen Geſchichte, welche oft entſcheidend und folgenreich
waren, wenn einige Hunderte fielen; obgleich freylich die
Niederlage in Sicilien der von Cannaͤ kaum nachſteht.
Daher erſtaunt Livius 59) nur weil ihn falſche Bilder irre
leiten, wie Volsker und Aequer durch mehr als hundert-
jaͤhrige Kriege nicht voͤllig aufgerieben waͤren. Zwey
Jahrhunderte lang bekriegten ſich die lombardiſchen
Staͤdte raſtlos und erbittert, dabey wuchſen ſie an Volks-
menge und Bluͤthe ſo lange ſie frey blieben: Toscana nicht
minder. Zu dieſen Schlachten kamen die Roͤmer, und
ohne Zweifel auch die Feinde, jeder Soldat mit eignen
Waffen, und mit Speiſevorrath vom Hauſe verſe-
hen 60): eine Kriegsweiſe welche dem Zug in ſehr weni-
gen Tagen ſein Ziel ſetzte, wenn nicht Beute dem Mangel
abhalf. So war es nicht allein unmoͤglich einen Sieg zu
verfolgen und Eroberungen zu machen, weil jeder eilte zu-
ruͤck zu kehren; auch der Kriegsgeiſt der Nation konnte
ſich nicht bilden; und der aͤlteſte Veteran beſaß weniger
Erfahrung als ein Soldat der ſpaͤteren Legionen welcher

59) Livius VI. c. 12.
60) Οἰκόσιτοι. Zonaras VII. c. 19.
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[217/0233] unter einem Dictator ins Feld. Der Schauplatz des Kriegs lag ſelten uͤber einen Tagemarſch entfernt von Rom, den Feinden nicht ferner: man traf zuſammen, und wer einmal das ſeltne Gluͤck hatte entſcheidend zu ſie- gen, verwuͤſtete ein Paar Tage lang die naͤchſten Gegen- den, und eilte dann ſeine Beute in Sicherheit zu bringen. Dieſe Schlachten, ſo ernſthaft geſchildert, waren ſicher auch nicht moͤrderiſcher als die gewoͤhnlichen der griechi- ſchen Geſchichte, welche oft entſcheidend und folgenreich waren, wenn einige Hunderte fielen; obgleich freylich die Niederlage in Sicilien der von Cannaͤ kaum nachſteht. Daher erſtaunt Livius 59) nur weil ihn falſche Bilder irre leiten, wie Volsker und Aequer durch mehr als hundert- jaͤhrige Kriege nicht voͤllig aufgerieben waͤren. Zwey Jahrhunderte lang bekriegten ſich die lombardiſchen Staͤdte raſtlos und erbittert, dabey wuchſen ſie an Volks- menge und Bluͤthe ſo lange ſie frey blieben: Toscana nicht minder. Zu dieſen Schlachten kamen die Roͤmer, und ohne Zweifel auch die Feinde, jeder Soldat mit eignen Waffen, und mit Speiſevorrath vom Hauſe verſe- hen 60): eine Kriegsweiſe welche dem Zug in ſehr weni- gen Tagen ſein Ziel ſetzte, wenn nicht Beute dem Mangel abhalf. So war es nicht allein unmoͤglich einen Sieg zu verfolgen und Eroberungen zu machen, weil jeder eilte zu- ruͤck zu kehren; auch der Kriegsgeiſt der Nation konnte ſich nicht bilden; und der aͤlteſte Veteran beſaß weniger Erfahrung als ein Soldat der ſpaͤteren Legionen welcher 59) Livius VI. c. 12. 60) Οἰκόσιτοι. Zonaras VII. c. 19.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/233>, abgerufen am 27.04.2024.