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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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ob es denkbar wäre, daß die Gemeinde der Patricier
den Plebejern ihre Repräsentanten gewählt, und so un-
glücklich gewählt hätte daß sie sich Jahr für Jahr ihre
eigenen bittersten Feinde ernannt. In den Centurien
waren die Clienten nicht ausgeschlossen, also die plebe-
jischen Wahlen nicht ungestört 39), wiewohl es sicht-
bar falsch ist zu sagen die Patricier hätten durch sie
Tribunen ihrer Wahl ernannt: auch die Negative der
Curien hinderte die Wahlen im plebejischen Sinn nicht:
es wäre wohl zu bedenklich gewesen, sie hartnäckig aus-
zuüben: doch war es recht und billig daß die plebeji-
schen Wahlen ganz frey wurden. Publilius stellte die
Rogation auf, daß diese hinfort durch die Tribus ge-
schehen sollten. Vergebens suchten die Patricier mit al-
ter List das Collegium zu trennen: kein Tribun gewährte
ihnen seine Intercession. Die Patricier versuchten also

mir der Ursprung jener darin zu suchen daß sie nach dersel-
ben Regel wie die patricischen Centurien oder Tribus der
Gentes (genikai phulai; Dionysius IV. c. 14.) in dreyßig
Tribus, wie diese in Curien eingetheilt wurden. Diese
Vermuthung vollendet, wie es scheint, die Consequenz und
Analogie der aufgestellten Geschichte der plebejischen Frey-
heit: zuerst wären die latinischen Ritter zu einer Corpora-
tion erhoben worden, dann die übrigen Freyen. Diese wä-
ren ihnen in den Tribus zugesellt geworden: in der Centu-
rienverfassung wäre noch das Andenken des Unterschieds ge-
blieben.
39) Res -- (die publilische Rogation) -- quae patriciis om-
nem potestatem per clientium suffragia creandi, quos vel-
lent, tribunos auferret.
Livius II. c. 56.

ob es denkbar waͤre, daß die Gemeinde der Patricier
den Plebejern ihre Repraͤſentanten gewaͤhlt, und ſo un-
gluͤcklich gewaͤhlt haͤtte daß ſie ſich Jahr fuͤr Jahr ihre
eigenen bitterſten Feinde ernannt. In den Centurien
waren die Clienten nicht ausgeſchloſſen, alſo die plebe-
jiſchen Wahlen nicht ungeſtoͤrt 39), wiewohl es ſicht-
bar falſch iſt zu ſagen die Patricier haͤtten durch ſie
Tribunen ihrer Wahl ernannt: auch die Negative der
Curien hinderte die Wahlen im plebejiſchen Sinn nicht:
es waͤre wohl zu bedenklich geweſen, ſie hartnaͤckig aus-
zuuͤben: doch war es recht und billig daß die plebeji-
ſchen Wahlen ganz frey wurden. Publilius ſtellte die
Rogation auf, daß dieſe hinfort durch die Tribus ge-
ſchehen ſollten. Vergebens ſuchten die Patricier mit al-
ter Liſt das Collegium zu trennen: kein Tribun gewaͤhrte
ihnen ſeine Interceſſion. Die Patricier verſuchten alſo

mir der Urſprung jener darin zu ſuchen daß ſie nach derſel-
ben Regel wie die patriciſchen Centurien oder Tribus der
Gentes (γενικαὶ φυλαὶ; Dionyſius IV. c. 14.) in dreyßig
Tribus, wie dieſe in Curien eingetheilt wurden. Dieſe
Vermuthung vollendet, wie es ſcheint, die Conſequenz und
Analogie der aufgeſtellten Geſchichte der plebejiſchen Frey-
heit: zuerſt waͤren die latiniſchen Ritter zu einer Corpora-
tion erhoben worden, dann die uͤbrigen Freyen. Dieſe waͤ-
ren ihnen in den Tribus zugeſellt geworden: in der Centu-
rienverfaſſung waͤre noch das Andenken des Unterſchieds ge-
blieben.
39) Res — (die publiliſche Rogation) — quæ patriciis om-
nem potestatem per clientium suffragia creandi, quos vel-
lent, tribunos auferret.
Livius II. c. 56.
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[36/0052] ob es denkbar waͤre, daß die Gemeinde der Patricier den Plebejern ihre Repraͤſentanten gewaͤhlt, und ſo un- gluͤcklich gewaͤhlt haͤtte daß ſie ſich Jahr fuͤr Jahr ihre eigenen bitterſten Feinde ernannt. In den Centurien waren die Clienten nicht ausgeſchloſſen, alſo die plebe- jiſchen Wahlen nicht ungeſtoͤrt 39), wiewohl es ſicht- bar falſch iſt zu ſagen die Patricier haͤtten durch ſie Tribunen ihrer Wahl ernannt: auch die Negative der Curien hinderte die Wahlen im plebejiſchen Sinn nicht: es waͤre wohl zu bedenklich geweſen, ſie hartnaͤckig aus- zuuͤben: doch war es recht und billig daß die plebeji- ſchen Wahlen ganz frey wurden. Publilius ſtellte die Rogation auf, daß dieſe hinfort durch die Tribus ge- ſchehen ſollten. Vergebens ſuchten die Patricier mit al- ter Liſt das Collegium zu trennen: kein Tribun gewaͤhrte ihnen ſeine Interceſſion. Die Patricier verſuchten alſo 38) 39) Res — (die publiliſche Rogation) — quæ patriciis om- nem potestatem per clientium suffragia creandi, quos vel- lent, tribunos auferret. Livius II. c. 56. 38) mir der Urſprung jener darin zu ſuchen daß ſie nach derſel- ben Regel wie die patriciſchen Centurien oder Tribus der Gentes (γενικαὶ φυλαὶ; Dionyſius IV. c. 14.) in dreyßig Tribus, wie dieſe in Curien eingetheilt wurden. Dieſe Vermuthung vollendet, wie es ſcheint, die Conſequenz und Analogie der aufgeſtellten Geſchichte der plebejiſchen Frey- heit: zuerſt waͤren die latiniſchen Ritter zu einer Corpora- tion erhoben worden, dann die uͤbrigen Freyen. Dieſe waͤ- ren ihnen in den Tribus zugeſellt geworden: in der Centu- rienverfaſſung waͤre noch das Andenken des Unterſchieds ge- blieben.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/52>, abgerufen am 30.04.2024.