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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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stigen Geschlecht, aber durch die Erfahrung belehrt die
Gewalt des Strohms werde nur reissender wenn man ihn
aufzuhalten versuchen wolle, suchte die Gemüther zu ge-
winnen und abzulenken: Appius Claudius redete höhnend
und verächtlich. Der Tribun M. Lätorius, dem der Ur-
heber der Gesetze ihre Verhandlung eingeräumt hatte, for-
derte die Patricier auf sich mit den Ihrigen zu entfernen,
damit die Tribus zur Stimmengebung zusammentreten
könnten: eine Forderung welche in allgemein anerkanntem
Völkerrecht gegründet war, weil die Fremden sich aus je-
der Gemeinde entfernen mußten ehe man die Stimmen
sammelte, und die Patricier mit ihrem Anhang für die
Plebejer nicht weniger Fremde waren als diese ihnen.
Seine Aufforderung fand keinen Gehorsam, und ihre Aus-
führung Widerstand. Appius nannte es eine tolle Ver-
messenheit des Plebejers Gewalt gegen Mitglieder des er-
sten Standes zu verfügen, denen er nicht zu gebieten habe:
ein Tribun sey nichts mehr als jeder andre Unterthan, ja
sein eigner Stand brauche ihm nur nach Willkühr zu ge-
horchen. Er befahl seinen Lictoren den Lätorins zu ver-
haften. Dieser erwiederte die Beleidigung durch einen
gleichen Befehl gegen den Consul. Die Lictoren suchten
den Tribun zu ergreifen, das Volk drängte sich um ihn
zusammen, die Steckenbündel der Lictoren wurden ihnen
entrissen und zerbrochen: es ward allen sichtbar daß wenn
die Patricier eine gewaltsame Entscheidung herbeyriefen,
ihr Untergang unvermeidlich war. Sie flüchteten vom
Forum: dies genügte den Tribunen. In der Versamm-
lung des Senats trug der Consul T. Quinctius auf die

ſtigen Geſchlecht, aber durch die Erfahrung belehrt die
Gewalt des Strohms werde nur reiſſender wenn man ihn
aufzuhalten verſuchen wolle, ſuchte die Gemuͤther zu ge-
winnen und abzulenken: Appius Claudius redete hoͤhnend
und veraͤchtlich. Der Tribun M. Laͤtorius, dem der Ur-
heber der Geſetze ihre Verhandlung eingeraͤumt hatte, for-
derte die Patricier auf ſich mit den Ihrigen zu entfernen,
damit die Tribus zur Stimmengebung zuſammentreten
koͤnnten: eine Forderung welche in allgemein anerkanntem
Voͤlkerrecht gegruͤndet war, weil die Fremden ſich aus je-
der Gemeinde entfernen mußten ehe man die Stimmen
ſammelte, und die Patricier mit ihrem Anhang fuͤr die
Plebejer nicht weniger Fremde waren als dieſe ihnen.
Seine Aufforderung fand keinen Gehorſam, und ihre Aus-
fuͤhrung Widerſtand. Appius nannte es eine tolle Ver-
meſſenheit des Plebejers Gewalt gegen Mitglieder des er-
ſten Standes zu verfuͤgen, denen er nicht zu gebieten habe:
ein Tribun ſey nichts mehr als jeder andre Unterthan, ja
ſein eigner Stand brauche ihm nur nach Willkuͤhr zu ge-
horchen. Er befahl ſeinen Lictoren den Laͤtorins zu ver-
haften. Dieſer erwiederte die Beleidigung durch einen
gleichen Befehl gegen den Conſul. Die Lictoren ſuchten
den Tribun zu ergreifen, das Volk draͤngte ſich um ihn
zuſammen, die Steckenbuͤndel der Lictoren wurden ihnen
entriſſen und zerbrochen: es ward allen ſichtbar daß wenn
die Patricier eine gewaltſame Entſcheidung herbeyriefen,
ihr Untergang unvermeidlich war. Sie fluͤchteten vom
Forum: dies genuͤgte den Tribunen. In der Verſamm-
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[41/0057] ſtigen Geſchlecht, aber durch die Erfahrung belehrt die Gewalt des Strohms werde nur reiſſender wenn man ihn aufzuhalten verſuchen wolle, ſuchte die Gemuͤther zu ge- winnen und abzulenken: Appius Claudius redete hoͤhnend und veraͤchtlich. Der Tribun M. Laͤtorius, dem der Ur- heber der Geſetze ihre Verhandlung eingeraͤumt hatte, for- derte die Patricier auf ſich mit den Ihrigen zu entfernen, damit die Tribus zur Stimmengebung zuſammentreten koͤnnten: eine Forderung welche in allgemein anerkanntem Voͤlkerrecht gegruͤndet war, weil die Fremden ſich aus je- der Gemeinde entfernen mußten ehe man die Stimmen ſammelte, und die Patricier mit ihrem Anhang fuͤr die Plebejer nicht weniger Fremde waren als dieſe ihnen. Seine Aufforderung fand keinen Gehorſam, und ihre Aus- fuͤhrung Widerſtand. Appius nannte es eine tolle Ver- meſſenheit des Plebejers Gewalt gegen Mitglieder des er- ſten Standes zu verfuͤgen, denen er nicht zu gebieten habe: ein Tribun ſey nichts mehr als jeder andre Unterthan, ja ſein eigner Stand brauche ihm nur nach Willkuͤhr zu ge- horchen. Er befahl ſeinen Lictoren den Laͤtorins zu ver- haften. Dieſer erwiederte die Beleidigung durch einen gleichen Befehl gegen den Conſul. Die Lictoren ſuchten den Tribun zu ergreifen, das Volk draͤngte ſich um ihn zuſammen, die Steckenbuͤndel der Lictoren wurden ihnen entriſſen und zerbrochen: es ward allen ſichtbar daß wenn die Patricier eine gewaltſame Entſcheidung herbeyriefen, ihr Untergang unvermeidlich war. Sie fluͤchteten vom Forum: dies genuͤgte den Tribunen. In der Verſamm- lung des Senats trug der Conſul T. Quinctius auf die

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/57>, abgerufen am 30.04.2024.