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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Wuth des ergrimmten Volks: sein Schicksal war ent-
schieden, und ohne den Spruch der Gemeinde zu erwar-
ten begab er sich zu den Tuskern. Zehn Bürgen hatten
mit 30000 Assen seine Erscheinung am Gerichtstage zuge-
sagt: es wird den Tribunen vorgeworfen daß sie diese
Summe mit Härte von seinem Vater eingefordert hätten,
dem, da er also völlig verarmt, nichts als eine Hütte
mit vier Jugern jenseits der Tiber übrig geblieben sey.
Mir scheint es daß die Tribunen mit sehr grundloser
Gehässigkeit für des großen Mannes Unglück verantwort-
lich gemacht werden. Einmal war ohne Zweifel die
Bürgschaft, wie eine Mult, nicht der Volkscasse sondern
den Göttern verfallen; die Tribunen waren nicht be-
fugt sie zu erlassen, vielleicht nicht einmal das Volk:
dann, wie ehrwürdig auch der Vater, so schuldig war
der Sohn, selbst wenn das Zeugniß des Volscius falsch
gewesen seyn sollte, und ein strenges Beyspiel war un-
vermeidlich um die Ruhestörer zu schrecken. Endlich ist
es wohl mehr als wahrscheinlich daß dieser Fall viel-
mehr zu denen gehört wo es, wenn die Umstände in
Vergessenheit gerathen waren, der Parthey, die sich ih-
rer Handlung zu schämen hatte, gelungen ist den bösen
Schein auf ihre Widersacher zu bringen. Vom Vater
können die Tribunen die Bürgschuld nicht eingefordert
haben, sondern nur von den Bürgen: es war aber wie
Polybius sagt bey den alten Römern unerhört etwas zu
schenken 56), und so sind es diese, doch gewiß auch
Patricier, gewesen, welche ihren Verlust als eine Schuld-

56) Polybius XXXII. c. 13.

Wuth des ergrimmten Volks: ſein Schickſal war ent-
ſchieden, und ohne den Spruch der Gemeinde zu erwar-
ten begab er ſich zu den Tuskern. Zehn Buͤrgen hatten
mit 30000 Aſſen ſeine Erſcheinung am Gerichtstage zuge-
ſagt: es wird den Tribunen vorgeworfen daß ſie dieſe
Summe mit Haͤrte von ſeinem Vater eingefordert haͤtten,
dem, da er alſo voͤllig verarmt, nichts als eine Huͤtte
mit vier Jugern jenſeits der Tiber uͤbrig geblieben ſey.
Mir ſcheint es daß die Tribunen mit ſehr grundloſer
Gehaͤſſigkeit fuͤr des großen Mannes Ungluͤck verantwort-
lich gemacht werden. Einmal war ohne Zweifel die
Buͤrgſchaft, wie eine Mult, nicht der Volkscaſſe ſondern
den Goͤttern verfallen; die Tribunen waren nicht be-
fugt ſie zu erlaſſen, vielleicht nicht einmal das Volk:
dann, wie ehrwuͤrdig auch der Vater, ſo ſchuldig war
der Sohn, ſelbſt wenn das Zeugniß des Volſcius falſch
geweſen ſeyn ſollte, und ein ſtrenges Beyſpiel war un-
vermeidlich um die Ruheſtoͤrer zu ſchrecken. Endlich iſt
es wohl mehr als wahrſcheinlich daß dieſer Fall viel-
mehr zu denen gehoͤrt wo es, wenn die Umſtaͤnde in
Vergeſſenheit gerathen waren, der Parthey, die ſich ih-
rer Handlung zu ſchaͤmen hatte, gelungen iſt den boͤſen
Schein auf ihre Widerſacher zu bringen. Vom Vater
koͤnnen die Tribunen die Buͤrgſchuld nicht eingefordert
haben, ſondern nur von den Buͤrgen: es war aber wie
Polybius ſagt bey den alten Roͤmern unerhoͤrt etwas zu
ſchenken 56), und ſo ſind es dieſe, doch gewiß auch
Patricier, geweſen, welche ihren Verluſt als eine Schuld-

56) Polybius XXXII. c. 13.
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[54/0070] Wuth des ergrimmten Volks: ſein Schickſal war ent- ſchieden, und ohne den Spruch der Gemeinde zu erwar- ten begab er ſich zu den Tuskern. Zehn Buͤrgen hatten mit 30000 Aſſen ſeine Erſcheinung am Gerichtstage zuge- ſagt: es wird den Tribunen vorgeworfen daß ſie dieſe Summe mit Haͤrte von ſeinem Vater eingefordert haͤtten, dem, da er alſo voͤllig verarmt, nichts als eine Huͤtte mit vier Jugern jenſeits der Tiber uͤbrig geblieben ſey. Mir ſcheint es daß die Tribunen mit ſehr grundloſer Gehaͤſſigkeit fuͤr des großen Mannes Ungluͤck verantwort- lich gemacht werden. Einmal war ohne Zweifel die Buͤrgſchaft, wie eine Mult, nicht der Volkscaſſe ſondern den Goͤttern verfallen; die Tribunen waren nicht be- fugt ſie zu erlaſſen, vielleicht nicht einmal das Volk: dann, wie ehrwuͤrdig auch der Vater, ſo ſchuldig war der Sohn, ſelbſt wenn das Zeugniß des Volſcius falſch geweſen ſeyn ſollte, und ein ſtrenges Beyſpiel war un- vermeidlich um die Ruheſtoͤrer zu ſchrecken. Endlich iſt es wohl mehr als wahrſcheinlich daß dieſer Fall viel- mehr zu denen gehoͤrt wo es, wenn die Umſtaͤnde in Vergeſſenheit gerathen waren, der Parthey, die ſich ih- rer Handlung zu ſchaͤmen hatte, gelungen iſt den boͤſen Schein auf ihre Widerſacher zu bringen. Vom Vater koͤnnen die Tribunen die Buͤrgſchuld nicht eingefordert haben, ſondern nur von den Buͤrgen: es war aber wie Polybius ſagt bey den alten Roͤmern unerhoͤrt etwas zu ſchenken 56), und ſo ſind es dieſe, doch gewiß auch Patricier, geweſen, welche ihren Verluſt als eine Schuld- 56) Polybius XXXII. c. 13.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/70>, abgerufen am 30.04.2024.