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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Vierter Abschnitt.
aus dem Universum berechnen können, so bleibt uns
zur Berechnung nur der entgegengesetzte Punkt, das
Individuum, in dessen Individualität auch sein Ver-
hältniß zum Universum ausgedrückt ist. Folgen wir
also nur in der Behandlung der Lehrlinge dem inne-
ren Berufe
derselben, und bilden die Anlagen aus,
die wir als die ausgezeichnetsten an ihnen finden; so bil-
den wir sie auch für ihren äußeren Beruf am zweck-
mäßigsten und sichersten, während wir damit auch am
unfehlbarsten jene Differenz auflösen: das Individuum
für sich selbst und für das Universum zugleich zu bilden
und zu Vollendung seiner zweifachen Bestimmung mög-
lichst weit hinan zu führen.

In dieser Umkehrung also nur bleibt die Forderung
wahr: daß der Erziehungsunterricht sich nach der künf-
tigen Bestimmung der Lehrlinge richten müsse. Für die
Praxis wird dadurch sicher nichts verloren, daß jene un-
mittelbare Beziehung des Unterrichts auf den künftigen
Beruf verlassen wird. Denn, wird der Lehrling nur
nach seinen individuellen Anlagen gründlich ausgebildet,
so wird er in dem Beruf, zu dem er durch Anlagen
und Ausbildung bestimmt und vorbereitet übergeht, jede
Forderung zu erfüllen im Stande seyn; wobei das
Berufsgeschäft selbst nichts verlieren, sondern nur ge-
winnen kann. Und wenn man die beiden Maximen
neben einander stellt: "dieser Schüler soll ein
Gelehrter werden, und ist dieser Absicht ge-
mäß im Unterricht zu behandeln
;" und dage-
gen: "dieser Schüler zeichnet sich durch vor-

Vierter Abſchnitt.
aus dem Univerſum berechnen koͤnnen, ſo bleibt uns
zur Berechnung nur der entgegengeſetzte Punkt, das
Individuum, in deſſen Individualitaͤt auch ſein Ver-
haͤltniß zum Univerſum ausgedruͤckt iſt. Folgen wir
alſo nur in der Behandlung der Lehrlinge dem inne-
ren Berufe
derſelben, und bilden die Anlagen aus,
die wir als die ausgezeichnetſten an ihnen finden; ſo bil-
den wir ſie auch fuͤr ihren aͤußeren Beruf am zweck-
maͤßigſten und ſicherſten, waͤhrend wir damit auch am
unfehlbarſten jene Differenz aufloͤſen: das Individuum
fuͤr ſich ſelbſt und fuͤr das Univerſum zugleich zu bilden
und zu Vollendung ſeiner zweifachen Beſtimmung moͤg-
lichſt weit hinan zu fuͤhren.

In dieſer Umkehrung alſo nur bleibt die Forderung
wahr: daß der Erziehungsunterricht ſich nach der kuͤnf-
tigen Beſtimmung der Lehrlinge richten muͤſſe. Fuͤr die
Praxis wird dadurch ſicher nichts verloren, daß jene un-
mittelbare Beziehung des Unterrichts auf den kuͤnftigen
Beruf verlaſſen wird. Denn, wird der Lehrling nur
nach ſeinen individuellen Anlagen gruͤndlich ausgebildet,
ſo wird er in dem Beruf, zu dem er durch Anlagen
und Ausbildung beſtimmt und vorbereitet uͤbergeht, jede
Forderung zu erfuͤllen im Stande ſeyn; wobei das
Berufsgeſchaͤft ſelbſt nichts verlieren, ſondern nur ge-
winnen kann. Und wenn man die beiden Maximen
neben einander ſtellt: „dieſer Schuͤler ſoll ein
Gelehrter werden, und iſt dieſer Abſicht ge-
maͤß im Unterricht zu behandeln
;“ und dage-
gen: „dieſer Schuͤler zeichnet ſich durch vor-

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[336/0348] Vierter Abſchnitt. aus dem Univerſum berechnen koͤnnen, ſo bleibt uns zur Berechnung nur der entgegengeſetzte Punkt, das Individuum, in deſſen Individualitaͤt auch ſein Ver- haͤltniß zum Univerſum ausgedruͤckt iſt. Folgen wir alſo nur in der Behandlung der Lehrlinge dem inne- ren Berufe derſelben, und bilden die Anlagen aus, die wir als die ausgezeichnetſten an ihnen finden; ſo bil- den wir ſie auch fuͤr ihren aͤußeren Beruf am zweck- maͤßigſten und ſicherſten, waͤhrend wir damit auch am unfehlbarſten jene Differenz aufloͤſen: das Individuum fuͤr ſich ſelbſt und fuͤr das Univerſum zugleich zu bilden und zu Vollendung ſeiner zweifachen Beſtimmung moͤg- lichſt weit hinan zu fuͤhren. In dieſer Umkehrung alſo nur bleibt die Forderung wahr: daß der Erziehungsunterricht ſich nach der kuͤnf- tigen Beſtimmung der Lehrlinge richten muͤſſe. Fuͤr die Praxis wird dadurch ſicher nichts verloren, daß jene un- mittelbare Beziehung des Unterrichts auf den kuͤnftigen Beruf verlaſſen wird. Denn, wird der Lehrling nur nach ſeinen individuellen Anlagen gruͤndlich ausgebildet, ſo wird er in dem Beruf, zu dem er durch Anlagen und Ausbildung beſtimmt und vorbereitet uͤbergeht, jede Forderung zu erfuͤllen im Stande ſeyn; wobei das Berufsgeſchaͤft ſelbſt nichts verlieren, ſondern nur ge- winnen kann. Und wenn man die beiden Maximen neben einander ſtellt: „dieſer Schuͤler ſoll ein Gelehrter werden, und iſt dieſer Abſicht ge- maͤß im Unterricht zu behandeln;“ und dage- gen: „dieſer Schuͤler zeichnet ſich durch vor-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/348>, abgerufen am 28.03.2024.