Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 3. Februar 1850.
[Spaltenumbruch]
nerlei verschiedenes Fruchtmaß im Schwange gehen läßt, nämlich zweierlei Desto eifriger centralisirte man neben dieser Buntscheckigkeit in der Ver- Man muß übrigens gestehen daß dieses System, wegen dessen con- München. || München, 30 Januar. Wir kommen, wie zugesagt, auf
[Spaltenumbruch]
nerlei verſchiedenes Fruchtmaß im Schwange gehen läßt, nämlich zweierlei Deſto eifriger centraliſirte man neben dieſer Buntſcheckigkeit in der Ver- Man muß übrigens geſtehen daß dieſes Syſtem, wegen deſſen con- München. || München, 30 Januar. Wir kommen, wie zugeſagt, auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0012" n="540"/><cb/> nerlei</hi> verſchiedenes Fruchtmaß im Schwange gehen läßt, nämlich zweierlei<lb/> Mainzer Maß, Darmſtädter, Friedberger, Frankfurter, Wetzlarer, Weil-<lb/> burger, Herborner, Dillenburger, Hachenburger, Herſchbacher, Naſſauer,<lb/> Hadamarer, Dietzer, Limburger, Koblenzer und Bopparder Maß. Die<lb/> Maße unterſcheiden ſich obendrein nicht bloß nach den Abſtufungen der<lb/> Größe, ſondern mehrentheils auch wieder nach ihrem Eintheilungsgrund, ſie<lb/> werden demgemäß im einzelnen wieder zerfällt nach dem Syſtem der Achtel,<lb/> Malter, Virnſel, Meſten, Seſter, Simmern, Kompf, Geſcheid, Mäß-<lb/> chen, Minkel, Schoppen u. ſ. w., was dann ſchließlich zu einer babylo-<lb/> niſchen Verwirrung führt. Dem Bauersmann des einen Recepturbezirkes<lb/> wird es ſehr ſchwer halten, ja oft unmöglich ſeyn, ſein Maß auf das des<lb/> zunächſt gelegenen Recepturbezirks genau zurückzuführen. Wie es eine<lb/> Zeit gab wo es in Deutſchland für eine Art von Demagogie galt auf Zoll-<lb/> und Münzeinigung und dergl. zu dringen, ſo in Naſſau wenn einer über<lb/> das bunte Farbenſpiel dieſer Schoppen und Malter Beſchwerde führte. Als<lb/> die frühere Deputirtenkammer den gleichmäßigen Curs des preußiſchen<lb/> Thalers für das ganze Ländchen nicht ohne Kampf durchſetzte, galt dieß<lb/> als ein Triumph der Oppoſition, als ein Sieg der „modernen Ideen“!</p><lb/> <p>Deſto eifriger centraliſirte man neben dieſer Buntſcheckigkeit in der Ver-<lb/> waltung, wo es galt das abſtracte Beamtenthum ſtatt einer ſelbſtänigen<lb/> techniſchen Intelligenz unterzuſchieben. Ich will nicht reden von der Ver-<lb/> ſchmelzung der Juſtiz mit der Adminiſtration, welche erſt die Märzbewe-<lb/> gung aufzulöſen im Stande war, aber einzig in ſeiner Art iſt es viel-<lb/> leicht daß man in Naſſau dreißig Jahre lang eine ungeheuere Furcht vor<lb/> ſtudirten Finanzmännern und Cameraliſten hatte, und ſolche durchaus<lb/> nicht anſtellte. Bei dem Miniſterium Marſchall galt es für einen der<lb/> oberſten Grundſätze der Staatsweisheit daß die ökonomiſche Verwaltung<lb/> nur in Händen von Männern der Schreibſtube oder von Juriſten ſeyn<lb/> dürfe. Erſt die Zukunft wird uns allmählich Finanzmänner und Ca-<lb/> meraliſten von Fach bringen, die man hier bis vor kurzem für einen ge-<lb/> fährlichen Luxus in einem Kleinſtaat gehalten hat. Man glaubte daß<lb/> durch ſolche Techniker die disciplinariſche Uniformität der Schreibſtube<lb/> geſtört würde, und hierin hatte man es in der That in den meiſten klei-<lb/> nen Staaten zu einer muſterhaften Einheit gebracht. Es iſt z. B. in<lb/> Naſſau vorgekommen daß ein Beamter in ſeinem Bericht an eine vorge-<lb/> ſetzte Behörde den „Submiſſionsſtrich“ zwiſchen dem Tert und ſeiner Na-<lb/> mensunterſchrift weggelaſſen hatte, worauf demſelben die Weiſung zuging<lb/> in Zukunft den Submiſſionsſtrich nicht wieder zu vergeſſen. Der Beamte<lb/> hatte Humor genug der Behörde ein ganzes Buch Papier voll großer Sub-<lb/> miſſionsſtriche einzuſenden, mit der gehorſamſten Bitte ſich hiervon, falls<lb/> er den Strich wieder vergeſſen ſollte, einen ſolchen auszuwählen, und die<lb/> ſittengeſchichtlich denkwürdige Komödie endigte mit einer Geldſtrafe für<lb/> den allzu humoriſtiſchen Beamten.</p><lb/> <p>Man muß übrigens geſtehen daß dieſes Syſtem, wegen deſſen con-<lb/> ſequenter Durchführung man Naſſau einen „Muſterſtaat“ nannte, von<lb/> einem ganz richtigen Grundſatze ausging, von dem Grundſatze nämlich<lb/> daß in Kleinſtaaten das Regieren durch das Gegengewicht verſchiedener<lb/> gleichberechtigter Gewalten ein Unding iſt, und daß daher im Grunde hier<lb/> nichts weiteres übrig bleibt als das alte patriarchaliſche Regiment oder<lb/> die Anarchie. Die beiden letztvergangenen Jahre lieferten den Beweis<lb/> hiefür. Solange die revolutionäre Stimmung oben war, regierte und<lb/> verwaltete die Kammer, und das Miniſterium konnte höchſtens ſeinen<lb/> guten Rath geltend machen; als der Rückſchlag des neu gekräftigten con-<lb/> ſervativen Sinnes eintrat, regierte wiederum bloß das Miniſterium, und<lb/> die Kammer ſank von ſelber zu einem bloßen Beirath herab. Es waren<lb/> aber keineswegs förmliche Uebergriffe oder Verfaſſungsverletzungen hüben<lb/> oder drüben vorgekommen, es war die bloße moraliſche Macht oder Ohn-<lb/> macht geweſen die zwiſchen beiden Extremen auf- und abgeſtiegen war.<lb/> In Oeſterreich und Preußen z. B. konnte die Krone in den ſchlimmſten<lb/> Tagen doch immer noch auf das vortreffliche Heer weiſen, in welchem ihre<lb/> ſinkende Macht eine letzte Stütze fand, und wenn revolutionäre parlamen-<lb/> tariſche Verſammlungen auf das Recht des Aufruhrs pochten, dann war<lb/> bei ſo ausgedehnten Ländermaſſen die Größe der Landesbevölkerung ſelber<lb/> wieder das größte Hinderniß einer allgemeinen Volkserhebung; in Naſſau<lb/> dagegen konnte, als die Kammer herrſchte, die Bevölkerung des ganzen<lb/> Landes binnen zwei Tagen vor dem Hotel eines widerſtrebenden Miniſte-<lb/> riums verſammelt werden, und als gegentheils das Miniſterium oben<lb/> war, bedurfte es nur eines telegraphiſchen Signals nach Mainz um mit<lb/> ein paar Regimentern der Beſatzung die ganze widerſpänſtige Bevölkerung<lb/> in die Taſche zu ſtecken. Hier blieb alſo in der That nichts weiter übrig<lb/> als „Hammer oder Amboß zu ſeyn“. Man kann aus dieſen unläugbaren<lb/> Thatſachen eine zwiefache Folgerung ziehen: entweder daß die weſentlich<lb/> auf einen großen Staatsorganismus berechneten conſtitutionellen Formen<lb/> in einem Kleinſtaat nur dem Wortlaut, nicht aber der Sache nach zu ver-<lb/> wirklichen ſind, und alſo in Ländern ſo kleinen Umfangs nur die patriar-<lb/><cb/> chaliſche Regierungsform eine Wahrheit iſt, oder daß, wenn man die pa-<lb/> triarchaliſche Regierungsform als etwas in unſeren Tagen unmöglich<lb/> gewordenes vorausſetzt, die kleinen Staaten gleichfalls eine Unmöglichkeit<lb/> geworden ſind. <hi rendition="#et">W. H. R.</hi></p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">München.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline>|| <hi rendition="#b">München,</hi> 30 Januar.</dateline> <p>Wir kommen, wie zugeſagt, auf<lb/> die Verhandlungen unſerer Reichsrathskammer über den Geſetzent-<lb/> wurf, die Gerichtsverfaſſung betreffend, zurück. Dieſer Entwurf ward<lb/> bereits der Abgeordnetenkammer des vorigen Landtags vorgelegt, war<lb/> aber zur Zeit ihrer Auflöſung noch unberührt neben anderen Geſetzen,<lb/> die das gleiche Schickſal erfuhren. Dießmal wurde er in etwas veränder-<lb/> ter Geſtalt zuerſt in der Reichsrathskammer eingebracht, und mit Freude<lb/> hörte man alsbald daß Präſident Heintz das Referat über denſelben er-<lb/> halten habe. Es war dieß allerdings ein gutes Omen, da ja ſchon im<lb/> Junius 1848 von demſelben Mann die Grundlagen für die künftige Ge-<lb/> ſetzgebung entworfen und mit dem 1 Jan. 1849 die öffentlich mündliche<lb/> Strafrechtspflege mit Schwurgerichten ins Leben gerufen war. Wirft<lb/> man heute noch einen Blick in das Feuerbach’ſche Geſetzbuch oder in die<lb/> Militärſtrafrechtspflege oder in die Nachbarländer Oeſterreich, Württem-<lb/> berg ꝛc., ſo ſieht man welch großen Sprung wir in größtmöglicher Schnel-<lb/> ligkeit zum Beſſeren und momentan Erreichbaren glücklich zurückgelegt<lb/> haben. Daß wir dieſe Erfolge dem trefflichen Kennerblick und dem ent-<lb/> ſchiedenen Organiſationstalente des Präſidenten Heintz verdanken, dieß<lb/> kann man täglich in den offenen Gerichtsſälen rühmen und dabei häufig<lb/> anfügen hören, wie es zu bedauern ſey daß ihm eine Dankadreſſe hiefür<lb/> vor einem Jahre unter Umſtänden dargebracht wurde welche jene Adreſſe<lb/> mehr als eine Ovation für ſeine Politik in der deutſchen Verfaſſungsfrage<lb/> erſcheinen ließ. So kam es auch damals daß mancher jene Adreſſe nicht<lb/> unterzeichnete der die Juſtizreformen tief anerkannte, und mancher ſeinen<lb/> Namen beifügte der dieſe hoffnungsreichſte aller Errungenſchaften recht<lb/> herzlich verwünſchte, weil in ihr nicht ſo faſt der Keim der excluſiv-reli-<lb/> giöſen als der der ſittlichen und politiſchen Bildung gelegen iſt. Präſi-<lb/> dent Heintz rechtfertigte die Erwartungen die man von ſeinem Referate<lb/> hegte. Es iſt in einem lehrreich und faßlich geſchriebenen Hefte enthal-<lb/> ten. Er legt an den Entwurf vorerſt den Maßſtab ſeines vorerwähnten<lb/> Grundlagengeſetzes. Nach dieſem ſollten für die Folge die pfälziſchen<lb/> Einrichtungen überhaupt maßgebend ſeyn, ſoweit ſie ſich durch die Erfah-<lb/> rung erprobt haben. Dadurch wäre das ſicherſte Mittel gefunden recht<lb/> bald eine volkthümliche Juſtiz herzuſtellen und zugleich der Gefahr zu ent-<lb/> gehen rein empiriſche Verſuche machen zu müſſen, während doch natür-<lb/> lich eine viel zuverläſſigere Grundlage in einer Geſetzgebung liegt, die von<lb/> mehr als 40 Millionen durch 50 Jahre geprüft worden iſt und ſich in<lb/> ihren Grundzügen auch bewährt hat. Die Gerichtsverfaſſung hat die<lb/> wichtige Aufgabe den Rahmen zu bilden in den das künftige Civil- und<lb/> Strafverfahren eingepaßt werden muß. Dieſes vorausgeſchickt, weist<lb/> nun das Referat mit Details und Zahlen nach wie in Frankreich und be-<lb/> ziehungsweiſe der Pfalz nach Trennung der Juſtiz und Verwaltung auch<lb/> noch die Richterfunction in ihre einzelnen Beſtandtheile zerlegt, dadurch<lb/> das Verfahren ſo vereinfacht und erleichtert wurde daß der Richter, durch<lb/> die Nebengerichtsbeamten insbeſondere, der Inſtruction und Execution ent-<lb/> hoben iſt, ſo außer Verkehr mit den Parteien ſteht und damit im Stande<lb/> iſt eine Arbeitsmaſſe ohne Geſchäftsüberbürdung zu erledigen, von der<lb/> man im dießrheiniſchen Bayern trotz Amtsſtube und Bureauſtunden ſich<lb/> kaum eine Vorſtellung machen kann. In dem Entwurfe findet nun der<lb/> Hr. Referent erhebliche Abweichungen von den pfälziſchen Einrichtungen,<lb/> z. B. dadurch daß den Amtspflegern, nun Bezirksrichter genannt, auch<lb/> die Führung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Hypothekenbücher<lb/> übertragen, dann daß die Stellung der Richter und Gerichtsvorſtände eine<lb/> veränderte werden ſoll. Wenn auch die unveränderte Durchführung der<lb/> pfälziſchen Inſtitutionen ſchwierig ſey, ſo glaubt der Hr. Referent doch<lb/> entgegen die Befürchtung ausſprechen zu müſſen daß halbe Maßregeln<lb/> keine weſentliche Erleichterung verſchaffen und nach keiner Seite befriedi-<lb/> gen, wie dieſes alles neueren Geſetzgebungsverſuche — beſonders in Baden<lb/> und wohl auch in Württemberg — bewieſen haben. Um ſeiner Anſicht<lb/> das prakliſche Urtheil zu gewinnen, entwickelt nun das Referat eine klare<lb/> Ueberſicht des Organismus des pfälziſchen Gerichtsweſens und der Art<lb/> der Geſchäftsführung, detaillirt Perſonalſtand und Zuſtändigkeit, und end-<lb/> lich auch die Koſten der Rechtspflege in der Pfalz. Daß dabei der Vor-<lb/> zug ungleich größerer Raſchheit, Präciſion und Wohlfeilheit auf Seite<lb/> der Pfalz gegenüber dem dieſſeitigen Bayern erſcheint, iſt natürlich.<lb/> Gleichwohl knüpft ſich hieran eine genaue Unterſuchung der Frage ob und<lb/> welche Modificationen dieſſeits gemacht werden können oder müſſen, und<lb/> enthält ſofort die Andeutung mehrfacher durch die Erfahrung empfohlenen<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [540/0012]
nerlei verſchiedenes Fruchtmaß im Schwange gehen läßt, nämlich zweierlei
Mainzer Maß, Darmſtädter, Friedberger, Frankfurter, Wetzlarer, Weil-
burger, Herborner, Dillenburger, Hachenburger, Herſchbacher, Naſſauer,
Hadamarer, Dietzer, Limburger, Koblenzer und Bopparder Maß. Die
Maße unterſcheiden ſich obendrein nicht bloß nach den Abſtufungen der
Größe, ſondern mehrentheils auch wieder nach ihrem Eintheilungsgrund, ſie
werden demgemäß im einzelnen wieder zerfällt nach dem Syſtem der Achtel,
Malter, Virnſel, Meſten, Seſter, Simmern, Kompf, Geſcheid, Mäß-
chen, Minkel, Schoppen u. ſ. w., was dann ſchließlich zu einer babylo-
niſchen Verwirrung führt. Dem Bauersmann des einen Recepturbezirkes
wird es ſehr ſchwer halten, ja oft unmöglich ſeyn, ſein Maß auf das des
zunächſt gelegenen Recepturbezirks genau zurückzuführen. Wie es eine
Zeit gab wo es in Deutſchland für eine Art von Demagogie galt auf Zoll-
und Münzeinigung und dergl. zu dringen, ſo in Naſſau wenn einer über
das bunte Farbenſpiel dieſer Schoppen und Malter Beſchwerde führte. Als
die frühere Deputirtenkammer den gleichmäßigen Curs des preußiſchen
Thalers für das ganze Ländchen nicht ohne Kampf durchſetzte, galt dieß
als ein Triumph der Oppoſition, als ein Sieg der „modernen Ideen“!
Deſto eifriger centraliſirte man neben dieſer Buntſcheckigkeit in der Ver-
waltung, wo es galt das abſtracte Beamtenthum ſtatt einer ſelbſtänigen
techniſchen Intelligenz unterzuſchieben. Ich will nicht reden von der Ver-
ſchmelzung der Juſtiz mit der Adminiſtration, welche erſt die Märzbewe-
gung aufzulöſen im Stande war, aber einzig in ſeiner Art iſt es viel-
leicht daß man in Naſſau dreißig Jahre lang eine ungeheuere Furcht vor
ſtudirten Finanzmännern und Cameraliſten hatte, und ſolche durchaus
nicht anſtellte. Bei dem Miniſterium Marſchall galt es für einen der
oberſten Grundſätze der Staatsweisheit daß die ökonomiſche Verwaltung
nur in Händen von Männern der Schreibſtube oder von Juriſten ſeyn
dürfe. Erſt die Zukunft wird uns allmählich Finanzmänner und Ca-
meraliſten von Fach bringen, die man hier bis vor kurzem für einen ge-
fährlichen Luxus in einem Kleinſtaat gehalten hat. Man glaubte daß
durch ſolche Techniker die disciplinariſche Uniformität der Schreibſtube
geſtört würde, und hierin hatte man es in der That in den meiſten klei-
nen Staaten zu einer muſterhaften Einheit gebracht. Es iſt z. B. in
Naſſau vorgekommen daß ein Beamter in ſeinem Bericht an eine vorge-
ſetzte Behörde den „Submiſſionsſtrich“ zwiſchen dem Tert und ſeiner Na-
mensunterſchrift weggelaſſen hatte, worauf demſelben die Weiſung zuging
in Zukunft den Submiſſionsſtrich nicht wieder zu vergeſſen. Der Beamte
hatte Humor genug der Behörde ein ganzes Buch Papier voll großer Sub-
miſſionsſtriche einzuſenden, mit der gehorſamſten Bitte ſich hiervon, falls
er den Strich wieder vergeſſen ſollte, einen ſolchen auszuwählen, und die
ſittengeſchichtlich denkwürdige Komödie endigte mit einer Geldſtrafe für
den allzu humoriſtiſchen Beamten.
Man muß übrigens geſtehen daß dieſes Syſtem, wegen deſſen con-
ſequenter Durchführung man Naſſau einen „Muſterſtaat“ nannte, von
einem ganz richtigen Grundſatze ausging, von dem Grundſatze nämlich
daß in Kleinſtaaten das Regieren durch das Gegengewicht verſchiedener
gleichberechtigter Gewalten ein Unding iſt, und daß daher im Grunde hier
nichts weiteres übrig bleibt als das alte patriarchaliſche Regiment oder
die Anarchie. Die beiden letztvergangenen Jahre lieferten den Beweis
hiefür. Solange die revolutionäre Stimmung oben war, regierte und
verwaltete die Kammer, und das Miniſterium konnte höchſtens ſeinen
guten Rath geltend machen; als der Rückſchlag des neu gekräftigten con-
ſervativen Sinnes eintrat, regierte wiederum bloß das Miniſterium, und
die Kammer ſank von ſelber zu einem bloßen Beirath herab. Es waren
aber keineswegs förmliche Uebergriffe oder Verfaſſungsverletzungen hüben
oder drüben vorgekommen, es war die bloße moraliſche Macht oder Ohn-
macht geweſen die zwiſchen beiden Extremen auf- und abgeſtiegen war.
In Oeſterreich und Preußen z. B. konnte die Krone in den ſchlimmſten
Tagen doch immer noch auf das vortreffliche Heer weiſen, in welchem ihre
ſinkende Macht eine letzte Stütze fand, und wenn revolutionäre parlamen-
tariſche Verſammlungen auf das Recht des Aufruhrs pochten, dann war
bei ſo ausgedehnten Ländermaſſen die Größe der Landesbevölkerung ſelber
wieder das größte Hinderniß einer allgemeinen Volkserhebung; in Naſſau
dagegen konnte, als die Kammer herrſchte, die Bevölkerung des ganzen
Landes binnen zwei Tagen vor dem Hotel eines widerſtrebenden Miniſte-
riums verſammelt werden, und als gegentheils das Miniſterium oben
war, bedurfte es nur eines telegraphiſchen Signals nach Mainz um mit
ein paar Regimentern der Beſatzung die ganze widerſpänſtige Bevölkerung
in die Taſche zu ſtecken. Hier blieb alſo in der That nichts weiter übrig
als „Hammer oder Amboß zu ſeyn“. Man kann aus dieſen unläugbaren
Thatſachen eine zwiefache Folgerung ziehen: entweder daß die weſentlich
auf einen großen Staatsorganismus berechneten conſtitutionellen Formen
in einem Kleinſtaat nur dem Wortlaut, nicht aber der Sache nach zu ver-
wirklichen ſind, und alſo in Ländern ſo kleinen Umfangs nur die patriar-
chaliſche Regierungsform eine Wahrheit iſt, oder daß, wenn man die pa-
triarchaliſche Regierungsform als etwas in unſeren Tagen unmöglich
gewordenes vorausſetzt, die kleinen Staaten gleichfalls eine Unmöglichkeit
geworden ſind. W. H. R.
München.
|| München, 30 Januar. Wir kommen, wie zugeſagt, auf
die Verhandlungen unſerer Reichsrathskammer über den Geſetzent-
wurf, die Gerichtsverfaſſung betreffend, zurück. Dieſer Entwurf ward
bereits der Abgeordnetenkammer des vorigen Landtags vorgelegt, war
aber zur Zeit ihrer Auflöſung noch unberührt neben anderen Geſetzen,
die das gleiche Schickſal erfuhren. Dießmal wurde er in etwas veränder-
ter Geſtalt zuerſt in der Reichsrathskammer eingebracht, und mit Freude
hörte man alsbald daß Präſident Heintz das Referat über denſelben er-
halten habe. Es war dieß allerdings ein gutes Omen, da ja ſchon im
Junius 1848 von demſelben Mann die Grundlagen für die künftige Ge-
ſetzgebung entworfen und mit dem 1 Jan. 1849 die öffentlich mündliche
Strafrechtspflege mit Schwurgerichten ins Leben gerufen war. Wirft
man heute noch einen Blick in das Feuerbach’ſche Geſetzbuch oder in die
Militärſtrafrechtspflege oder in die Nachbarländer Oeſterreich, Württem-
berg ꝛc., ſo ſieht man welch großen Sprung wir in größtmöglicher Schnel-
ligkeit zum Beſſeren und momentan Erreichbaren glücklich zurückgelegt
haben. Daß wir dieſe Erfolge dem trefflichen Kennerblick und dem ent-
ſchiedenen Organiſationstalente des Präſidenten Heintz verdanken, dieß
kann man täglich in den offenen Gerichtsſälen rühmen und dabei häufig
anfügen hören, wie es zu bedauern ſey daß ihm eine Dankadreſſe hiefür
vor einem Jahre unter Umſtänden dargebracht wurde welche jene Adreſſe
mehr als eine Ovation für ſeine Politik in der deutſchen Verfaſſungsfrage
erſcheinen ließ. So kam es auch damals daß mancher jene Adreſſe nicht
unterzeichnete der die Juſtizreformen tief anerkannte, und mancher ſeinen
Namen beifügte der dieſe hoffnungsreichſte aller Errungenſchaften recht
herzlich verwünſchte, weil in ihr nicht ſo faſt der Keim der excluſiv-reli-
giöſen als der der ſittlichen und politiſchen Bildung gelegen iſt. Präſi-
dent Heintz rechtfertigte die Erwartungen die man von ſeinem Referate
hegte. Es iſt in einem lehrreich und faßlich geſchriebenen Hefte enthal-
ten. Er legt an den Entwurf vorerſt den Maßſtab ſeines vorerwähnten
Grundlagengeſetzes. Nach dieſem ſollten für die Folge die pfälziſchen
Einrichtungen überhaupt maßgebend ſeyn, ſoweit ſie ſich durch die Erfah-
rung erprobt haben. Dadurch wäre das ſicherſte Mittel gefunden recht
bald eine volkthümliche Juſtiz herzuſtellen und zugleich der Gefahr zu ent-
gehen rein empiriſche Verſuche machen zu müſſen, während doch natür-
lich eine viel zuverläſſigere Grundlage in einer Geſetzgebung liegt, die von
mehr als 40 Millionen durch 50 Jahre geprüft worden iſt und ſich in
ihren Grundzügen auch bewährt hat. Die Gerichtsverfaſſung hat die
wichtige Aufgabe den Rahmen zu bilden in den das künftige Civil- und
Strafverfahren eingepaßt werden muß. Dieſes vorausgeſchickt, weist
nun das Referat mit Details und Zahlen nach wie in Frankreich und be-
ziehungsweiſe der Pfalz nach Trennung der Juſtiz und Verwaltung auch
noch die Richterfunction in ihre einzelnen Beſtandtheile zerlegt, dadurch
das Verfahren ſo vereinfacht und erleichtert wurde daß der Richter, durch
die Nebengerichtsbeamten insbeſondere, der Inſtruction und Execution ent-
hoben iſt, ſo außer Verkehr mit den Parteien ſteht und damit im Stande
iſt eine Arbeitsmaſſe ohne Geſchäftsüberbürdung zu erledigen, von der
man im dießrheiniſchen Bayern trotz Amtsſtube und Bureauſtunden ſich
kaum eine Vorſtellung machen kann. In dem Entwurfe findet nun der
Hr. Referent erhebliche Abweichungen von den pfälziſchen Einrichtungen,
z. B. dadurch daß den Amtspflegern, nun Bezirksrichter genannt, auch
die Führung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Hypothekenbücher
übertragen, dann daß die Stellung der Richter und Gerichtsvorſtände eine
veränderte werden ſoll. Wenn auch die unveränderte Durchführung der
pfälziſchen Inſtitutionen ſchwierig ſey, ſo glaubt der Hr. Referent doch
entgegen die Befürchtung ausſprechen zu müſſen daß halbe Maßregeln
keine weſentliche Erleichterung verſchaffen und nach keiner Seite befriedi-
gen, wie dieſes alles neueren Geſetzgebungsverſuche — beſonders in Baden
und wohl auch in Württemberg — bewieſen haben. Um ſeiner Anſicht
das prakliſche Urtheil zu gewinnen, entwickelt nun das Referat eine klare
Ueberſicht des Organismus des pfälziſchen Gerichtsweſens und der Art
der Geſchäftsführung, detaillirt Perſonalſtand und Zuſtändigkeit, und end-
lich auch die Koſten der Rechtspflege in der Pfalz. Daß dabei der Vor-
zug ungleich größerer Raſchheit, Präciſion und Wohlfeilheit auf Seite
der Pfalz gegenüber dem dieſſeitigen Bayern erſcheint, iſt natürlich.
Gleichwohl knüpft ſich hieran eine genaue Unterſuchung der Frage ob und
welche Modificationen dieſſeits gemacht werden können oder müſſen, und
enthält ſofort die Andeutung mehrfacher durch die Erfahrung empfohlenen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |