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Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914.

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7. November 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] die Hjördis hätte wohl jedermann in unserem Personal
Frl. Berndl ausgesucht. Diese gab aber die sanfte Dagny,
um als solche die kleinere und unbedeutendere Hjördis des
Frl. Lena um einen halben Kopf zu überschauen: eine ver-
fehlte Besetzung schon nach den Aeußerlichkeiten. Frl. Lena
war, wie schon früher einmal als Sappho, im ruhigen Fluß
der Rede am besten und verständlichsten. Im gesteigerten
Affekt wird die kleine, auf die gewöhnliche Konversation an-
gelegte Stimme leicht kreischend, die Bewegungen eckig und
fahrig. Darüber helfen leider weder ein entschiedenes Talent
noch gewiß nicht abzuleugnende Bühnenintelligenz hinweg.
Den jungen Thorolf würde wohl Herr v. Jacobi am besten
gegeben haben. Er ist aber das erste Opfer des Krieges aus
unserem Hoftheater-Personal geworden. Die Generalinten-
danz widmete ihm -- der erste Fall in diesem Hause -- einen
begeisterten Nachruf, den ich hier um so lieber zitiere, als ich
Herrn v. Jacobi zwar stets für ein großes Talent und für
eine glückliche Akquisition unseres Hofschauspiels gehalten
habe, nicht aber die fast tendenziöse Begeisterung unserer
Modernen für alles, was er spielte, teilen konnte. In die-
sem traurigen Falle aber kann die Kritik gern auf ihr Wort
verzichten und es der um einen ihren Besten trauernden Lei-
tung unserer Hofbühne überlassen: "Bernhard von Jacobi
ist auf dem Schlachtfeld in Nordfrankreich als ein Held ge-
fallen. Er war inmitten der bunten, vielgliedrigen Welt des
Theaters eine Gestalt von starken, weithin sichtbarer Eigen-
art. Das Auszeichnende dieser Eigenart bestand vor allem
darin, daß zwei oftmals unverträgliche Eigenschaften -- schar-
fer Verstand und glühende Empfindung -- zur schönsten
Wechselwirkung sich vereinigten. Eine ungemein klare und
regsame Intelligenz, der eine umfassende Bildung stets neue
Nahrung gab, ermöglichte ihm, bedeutsame künstlerische Auf-
gaben sehr mannigfaltiger Art sich selbst und anderen bis in
die feinsten Verästelungen durchsichtig zu machen. Zugleich
sicherte das stets wachsame Gehirn seinem stürmischen Tem-
perament jene Mäßigung und innere Gehaltenheit, ohne die
gerade die Schauspielkunst so leicht ins Rohe und Zügellose
abirrt. Das feurige Gefühl wiederum gab seinem Verstande
Flügel und verhinderte, daß er je zu einem frostigen Hemm-
nis des produktiven Ansturms werden konnte. Die kühn zu-
packende, schwungvolle Jugendlichkeit war es sogar, die den
meisten Gestalten Bernhard von Jacobi's das charakteristische
Gepräge gab. Sein schöner, schlanker und geschmeidiger
Körper war dabei gleichsam das kostbare Instrument, das
jedem Antrieb der beherrschenden Energie willig und aus-
drucksvoll gehorchte. Der Tod des vortrefflichen Künstlers ist
für die Hofbühne, der er seit 1909 angehörte, ein harter,
schwer zu ersetzender Verlust. Aber im ganzen Umkreis der
Königlichen Theater bis zum letzten Arbeiter hinab, ist nie-
mand, der nicht zugleich, im Innersten erschüttert, das Schei-
den des edlen und liebenswürdigen Menschen beklagte, von
dem ohne Uebertreibung gesagt werden darf, daß er nur
Freunde und keine Gegner hinterläßt. Das Andenken Bern-
hard von Jacobi's wird in der Geschichte des Münchener
Hoftheaters bewahrt bleiben, und, wenn der ruhmvolle Friede
einen neuen Aufschwung der Künste herbeiführt, werden wir
mit Ehrfurcht und nie verlöschendem Danke des Tapferen
gedenken, der gleich so vielen anderen sein Leben hingab, um
diesen Weg zur Höhe für uns zu erschließen."

Zum letztenmal konnte man Herrn v. Jacobi noch kaum
vierzehn Tage vor seinem Tode sehen und hören. Schon ein-
mal verwundet vom Feld zurückgekehrt, trat er sichtlich nicht
ganz ohne Mühe in einem der sogenannten Vaterländischen
Abende auf und trug zündend einige patriotische Gedichte
vor. Diese Vaterländischen Abende, die gewissermaßen eine
Fortsetzung der vor dem Kriege im Residenztheater veran-
stalteten Sonntags-Matineen waren, haben jetzt wieder einer
neuen Einrichtung, den sogenannten "Deutschen Abenden"
im Hoftheater Platz gemacht. Ich vermute, sie sind wie jene
eine Idee des Dramaturgen Dr. Wollf und, wie es scheint,
keine solche, die einen erheblichen Erfolg verspräche. Die
Vaterländischen Abende hatten noch ihre Berechtigung, in-
dem sie mitten in den ersten schwankenden Kriegsereignissen
zur eigentlichen Theatersaison hinüberleiteten. Jetzt aber
können sie eben die Konkurrenz mit dem Theater selbst nicht
[Spaltenumbruch] recht aushalten. Die Sänger, die mit Klavierbegleitung da
singen, hört man weit lieber und besser in der Oper und die
Gedichte deklamierenden Schauspieler lieber im Schauspiel.
Wenn nun gar, wie mir vom ersten Deutschen Abend, der
schon wieder sehr schwach besucht gewesen sein soll, berichtet
wird, gerade der Schauspieler Schiller'sche Gedichte vortrug,
der wie Herr Steinrück zu sämtlichen deutschen Dichtern ein
stärkeres und inneres Verhältnis haben mag als gerade zu
Friedrich Schiller, so darf man sich nicht wundern, wenn die
Anziehungskraft trotz der niedrigen Preise nur gering ist.
Der Gedanke, an jedem dieser Deutschen Abende einem
Dichter ausschließlich das Programm zu widmen, ist ja an sich
sehr schön, aber ich fürchte fast, nach den bisherigen Erfah-
rungen, wird man keine Seide dabei spinnen. Niemand kann
Schiller höher stellen und hat ihn schon vor dem Kriege
höher gestellt als der Unterzeichnete, aber um ihn richtig zu
feiern und ihn von der Bühne herabreden zu lassen, darf man
nicht seine Gedichte deklamieren und singen lassen, sondern
man muß seine unsterblichen großen Dramen aufführen und
immer wieder aufführen.

Zu Grillparzers 100 jährigem Geburtstage ließ Dr. Max
Georg Zimmermann im Januar 1891 in unserer Beilage
eine Serie von Artikeln erscheinen, welche die Antike in des
Dichters Dramen behandelten. Im Eingange derselben heißt
es mit Recht: "Bei uns im Reich, da sind es nur Teile, welche
die Erkenntnis in sich tragen, daß Grillparzer nicht nur dem
österreichischen Volk angehört, daß er Gemeingut des deut-
schen Volkes ist, daß er zu den größten Dichtern unsrer Nation
zählt, daß nach Goethe und Schiller keiner ist, der neben ihm
den Anspruch auf den ersten Platz erheben kann. Nicht ist
er eine Gestalt wie Schiller, nicht spricht er wie dieser zum
Herzen des einfachen Volkes; wie Goethe wendet er sich an
die Gebildeten der Nation; aber während bei Goethe das
Ansehen so ungeheuer gewachsen ist, daß auch diejenigen,
welche ihn nicht kennen und verstehen, sich in Ehrfurcht vor
seinem Namen beugen, hat sich die Größe Grillparzers zu
dieser Stellung erst in einem beschränkten Teile des deut-
schen Vaterlandes, in seinem engeren Heimatstaate, durch-
gerungen. Von den Staaten des Reiches hat zumeist
Bayern, mit Wien durch alte Ueberlieferung verbunden, den
Dichter geschätzt. Das Münchener Hoftheater ist nächst dem
Burgtheater zu Wien dasjenige, welches des Dichters Dra-
men am häufigsten gegeben hat. ... Die letzte Arbeit, mit
der Grillparzer an die Oeffentlichkeit trat, war das Lustspiel:
"Weh dem, der lügt" vom Jahre 1838. Diesmal aber blieb
der Erfolg aus, trotzdem daß das Haus in der besten Stim-
mung für den Dichter war. Zu geistreich, zu fein, zu poetisch
ist dieses Lustspiel aus der Merowingerzeit, als daß selbst ein
so geschultes Publikum, wie das des Burgtheaters, es bei
einer Vorstellung hätte fassen können. Und doch ist es eine
Leistung, ebenso bedeutend wie die großen Tragödien des
Meisters, wenn auch der eigentliche Humor in dem Stücke
fehlt. Die Zeit auch für dieses Stück wird noch kommen,
wenn das Publikum gelernt hat, sich mit Liebe in des Dich-
ters Eigentümlichkeiten zu versenken." -- "Weh' dem, der
lügt!" ist in den neunziger Jahren einigemal in unserem
Hoftheater aufgeführt worden. Nun erscheint die liebens-
würdige Komödie auf einmal drüben im Schauspielhaus, was
an sich schon hohe Anerkennung verdient, denn schon Großes
zu wollen ist ein Verdienst, hier um so mehr, als es eigent-
lich an unserer Hofbühne gewesen wäre, dem großen Drama-
tiker gerecht zu werden, den sie nach der Aufführung seines
"Bruderzwists in Habsburg" allzu schnell hat wieder fallen
lassen. Mit früheren Hoftheater-Aufführungen konnte sich
nun allerdings die Aufführung im Schauspielhause nicht ver-
gleichen: sein Personal steht dem Versstücke immer etwas
fremd gegenüber. Auch die Inßenierung war etwas ver-
nachlässigt worden, insofern man sie ins Häßliche und Derb-
komische übertrieb. An Uebertreibung litt auch der Galomir
des Herrn Peppler und der Kattwald des Herrn Jessen. Bei
der ersteren Rolle hat Grillparzer selbst schon ganz dieselbe
falsche Auffassung des ersten Darstellers korrigiert. Gut
waren die Edrita des Frl. Nicoletti, der Leon des Herrn
Günther und der Bischof Siegfried Raabes. Das Stück hatte
vor ziemlich schwach besetztem Hause einen entschiedenen Er-

7. November 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] die Hjördis hätte wohl jedermann in unſerem Perſonal
Frl. Berndl ausgeſucht. Dieſe gab aber die ſanfte Dagny,
um als ſolche die kleinere und unbedeutendere Hjördis des
Frl. Lena um einen halben Kopf zu überſchauen: eine ver-
fehlte Beſetzung ſchon nach den Aeußerlichkeiten. Frl. Lena
war, wie ſchon früher einmal als Sappho, im ruhigen Fluß
der Rede am beſten und verſtändlichſten. Im geſteigerten
Affekt wird die kleine, auf die gewöhnliche Konverſation an-
gelegte Stimme leicht kreiſchend, die Bewegungen eckig und
fahrig. Darüber helfen leider weder ein entſchiedenes Talent
noch gewiß nicht abzuleugnende Bühnenintelligenz hinweg.
Den jungen Thorolf würde wohl Herr v. Jacobi am beſten
gegeben haben. Er iſt aber das erſte Opfer des Krieges aus
unſerem Hoftheater-Perſonal geworden. Die Generalinten-
danz widmete ihm — der erſte Fall in dieſem Hauſe — einen
begeiſterten Nachruf, den ich hier um ſo lieber zitiere, als ich
Herrn v. Jacobi zwar ſtets für ein großes Talent und für
eine glückliche Akquiſition unſeres Hofſchauſpiels gehalten
habe, nicht aber die faſt tendenziöſe Begeiſterung unſerer
Modernen für alles, was er ſpielte, teilen konnte. In die-
ſem traurigen Falle aber kann die Kritik gern auf ihr Wort
verzichten und es der um einen ihren Beſten trauernden Lei-
tung unſerer Hofbühne überlaſſen: „Bernhard von Jacobi
iſt auf dem Schlachtfeld in Nordfrankreich als ein Held ge-
fallen. Er war inmitten der bunten, vielgliedrigen Welt des
Theaters eine Geſtalt von ſtarken, weithin ſichtbarer Eigen-
art. Das Auszeichnende dieſer Eigenart beſtand vor allem
darin, daß zwei oftmals unverträgliche Eigenſchaften — ſchar-
fer Verſtand und glühende Empfindung — zur ſchönſten
Wechſelwirkung ſich vereinigten. Eine ungemein klare und
regſame Intelligenz, der eine umfaſſende Bildung ſtets neue
Nahrung gab, ermöglichte ihm, bedeutſame künſtleriſche Auf-
gaben ſehr mannigfaltiger Art ſich ſelbſt und anderen bis in
die feinſten Veräſtelungen durchſichtig zu machen. Zugleich
ſicherte das ſtets wachſame Gehirn ſeinem ſtürmiſchen Tem-
perament jene Mäßigung und innere Gehaltenheit, ohne die
gerade die Schauſpielkunſt ſo leicht ins Rohe und Zügelloſe
abirrt. Das feurige Gefühl wiederum gab ſeinem Verſtande
Flügel und verhinderte, daß er je zu einem froſtigen Hemm-
nis des produktiven Anſturms werden konnte. Die kühn zu-
packende, ſchwungvolle Jugendlichkeit war es ſogar, die den
meiſten Geſtalten Bernhard von Jacobi’s das charakteriſtiſche
Gepräge gab. Sein ſchöner, ſchlanker und geſchmeidiger
Körper war dabei gleichſam das koſtbare Inſtrument, das
jedem Antrieb der beherrſchenden Energie willig und aus-
drucksvoll gehorchte. Der Tod des vortrefflichen Künſtlers iſt
für die Hofbühne, der er ſeit 1909 angehörte, ein harter,
ſchwer zu erſetzender Verluſt. Aber im ganzen Umkreis der
Königlichen Theater bis zum letzten Arbeiter hinab, iſt nie-
mand, der nicht zugleich, im Innerſten erſchüttert, das Schei-
den des edlen und liebenswürdigen Menſchen beklagte, von
dem ohne Uebertreibung geſagt werden darf, daß er nur
Freunde und keine Gegner hinterläßt. Das Andenken Bern-
hard von Jacobi’s wird in der Geſchichte des Münchener
Hoftheaters bewahrt bleiben, und, wenn der ruhmvolle Friede
einen neuen Aufſchwung der Künſte herbeiführt, werden wir
mit Ehrfurcht und nie verlöſchendem Danke des Tapferen
gedenken, der gleich ſo vielen anderen ſein Leben hingab, um
dieſen Weg zur Höhe für uns zu erſchließen.“

Zum letztenmal konnte man Herrn v. Jacobi noch kaum
vierzehn Tage vor ſeinem Tode ſehen und hören. Schon ein-
mal verwundet vom Feld zurückgekehrt, trat er ſichtlich nicht
ganz ohne Mühe in einem der ſogenannten Vaterländiſchen
Abende auf und trug zündend einige patriotiſche Gedichte
vor. Dieſe Vaterländiſchen Abende, die gewiſſermaßen eine
Fortſetzung der vor dem Kriege im Reſidenztheater veran-
ſtalteten Sonntags-Matineen waren, haben jetzt wieder einer
neuen Einrichtung, den ſogenannten „Deutſchen Abenden“
im Hoftheater Platz gemacht. Ich vermute, ſie ſind wie jene
eine Idee des Dramaturgen Dr. Wollf und, wie es ſcheint,
keine ſolche, die einen erheblichen Erfolg verſpräche. Die
Vaterländiſchen Abende hatten noch ihre Berechtigung, in-
dem ſie mitten in den erſten ſchwankenden Kriegsereigniſſen
zur eigentlichen Theaterſaiſon hinüberleiteten. Jetzt aber
können ſie eben die Konkurrenz mit dem Theater ſelbſt nicht
[Spaltenumbruch] recht aushalten. Die Sänger, die mit Klavierbegleitung da
ſingen, hört man weit lieber und beſſer in der Oper und die
Gedichte deklamierenden Schauſpieler lieber im Schauſpiel.
Wenn nun gar, wie mir vom erſten Deutſchen Abend, der
ſchon wieder ſehr ſchwach beſucht geweſen ſein ſoll, berichtet
wird, gerade der Schauſpieler Schiller’ſche Gedichte vortrug,
der wie Herr Steinrück zu ſämtlichen deutſchen Dichtern ein
ſtärkeres und inneres Verhältnis haben mag als gerade zu
Friedrich Schiller, ſo darf man ſich nicht wundern, wenn die
Anziehungskraft trotz der niedrigen Preiſe nur gering iſt.
Der Gedanke, an jedem dieſer Deutſchen Abende einem
Dichter ausſchließlich das Programm zu widmen, iſt ja an ſich
ſehr ſchön, aber ich fürchte faſt, nach den bisherigen Erfah-
rungen, wird man keine Seide dabei ſpinnen. Niemand kann
Schiller höher ſtellen und hat ihn ſchon vor dem Kriege
höher geſtellt als der Unterzeichnete, aber um ihn richtig zu
feiern und ihn von der Bühne herabreden zu laſſen, darf man
nicht ſeine Gedichte deklamieren und ſingen laſſen, ſondern
man muß ſeine unſterblichen großen Dramen aufführen und
immer wieder aufführen.

Zu Grillparzers 100 jährigem Geburtstage ließ Dr. Max
Georg Zimmermann im Januar 1891 in unſerer Beilage
eine Serie von Artikeln erſcheinen, welche die Antike in des
Dichters Dramen behandelten. Im Eingange derſelben heißt
es mit Recht: „Bei uns im Reich, da ſind es nur Teile, welche
die Erkenntnis in ſich tragen, daß Grillparzer nicht nur dem
öſterreichiſchen Volk angehört, daß er Gemeingut des deut-
ſchen Volkes iſt, daß er zu den größten Dichtern unſrer Nation
zählt, daß nach Goethe und Schiller keiner iſt, der neben ihm
den Anſpruch auf den erſten Platz erheben kann. Nicht iſt
er eine Geſtalt wie Schiller, nicht ſpricht er wie dieſer zum
Herzen des einfachen Volkes; wie Goethe wendet er ſich an
die Gebildeten der Nation; aber während bei Goethe das
Anſehen ſo ungeheuer gewachſen iſt, daß auch diejenigen,
welche ihn nicht kennen und verſtehen, ſich in Ehrfurcht vor
ſeinem Namen beugen, hat ſich die Größe Grillparzers zu
dieſer Stellung erſt in einem beſchränkten Teile des deut-
ſchen Vaterlandes, in ſeinem engeren Heimatſtaate, durch-
gerungen. Von den Staaten des Reiches hat zumeiſt
Bayern, mit Wien durch alte Ueberlieferung verbunden, den
Dichter geſchätzt. Das Münchener Hoftheater iſt nächſt dem
Burgtheater zu Wien dasjenige, welches des Dichters Dra-
men am häufigſten gegeben hat. ... Die letzte Arbeit, mit
der Grillparzer an die Oeffentlichkeit trat, war das Luſtſpiel:
„Weh dem, der lügt“ vom Jahre 1838. Diesmal aber blieb
der Erfolg aus, trotzdem daß das Haus in der beſten Stim-
mung für den Dichter war. Zu geiſtreich, zu fein, zu poetiſch
iſt dieſes Luſtſpiel aus der Merowingerzeit, als daß ſelbſt ein
ſo geſchultes Publikum, wie das des Burgtheaters, es bei
einer Vorſtellung hätte faſſen können. Und doch iſt es eine
Leiſtung, ebenſo bedeutend wie die großen Tragödien des
Meiſters, wenn auch der eigentliche Humor in dem Stücke
fehlt. Die Zeit auch für dieſes Stück wird noch kommen,
wenn das Publikum gelernt hat, ſich mit Liebe in des Dich-
ters Eigentümlichkeiten zu verſenken.“ — „Weh’ dem, der
lügt!“ iſt in den neunziger Jahren einigemal in unſerem
Hoftheater aufgeführt worden. Nun erſcheint die liebens-
würdige Komödie auf einmal drüben im Schauſpielhaus, was
an ſich ſchon hohe Anerkennung verdient, denn ſchon Großes
zu wollen iſt ein Verdienſt, hier um ſo mehr, als es eigent-
lich an unſerer Hofbühne geweſen wäre, dem großen Drama-
tiker gerecht zu werden, den ſie nach der Aufführung ſeines
„Bruderzwiſts in Habsburg“ allzu ſchnell hat wieder fallen
laſſen. Mit früheren Hoftheater-Aufführungen konnte ſich
nun allerdings die Aufführung im Schauſpielhauſe nicht ver-
gleichen: ſein Perſonal ſteht dem Versſtücke immer etwas
fremd gegenüber. Auch die Inſzenierung war etwas ver-
nachläſſigt worden, inſofern man ſie ins Häßliche und Derb-
komiſche übertrieb. An Uebertreibung litt auch der Galomir
des Herrn Peppler und der Kattwald des Herrn Jeſſen. Bei
der erſteren Rolle hat Grillparzer ſelbſt ſchon ganz dieſelbe
falſche Auffaſſung des erſten Darſtellers korrigiert. Gut
waren die Edrita des Frl. Nicoletti, der Leon des Herrn
Günther und der Biſchof Siegfried Raabes. Das Stück hatte
vor ziemlich ſchwach beſetztem Hauſe einen entſchiedenen Er-

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[655/0011] 7. November 1914. Allgemeine Zeitung die Hjördis hätte wohl jedermann in unſerem Perſonal Frl. Berndl ausgeſucht. Dieſe gab aber die ſanfte Dagny, um als ſolche die kleinere und unbedeutendere Hjördis des Frl. Lena um einen halben Kopf zu überſchauen: eine ver- fehlte Beſetzung ſchon nach den Aeußerlichkeiten. Frl. Lena war, wie ſchon früher einmal als Sappho, im ruhigen Fluß der Rede am beſten und verſtändlichſten. Im geſteigerten Affekt wird die kleine, auf die gewöhnliche Konverſation an- gelegte Stimme leicht kreiſchend, die Bewegungen eckig und fahrig. Darüber helfen leider weder ein entſchiedenes Talent noch gewiß nicht abzuleugnende Bühnenintelligenz hinweg. Den jungen Thorolf würde wohl Herr v. Jacobi am beſten gegeben haben. Er iſt aber das erſte Opfer des Krieges aus unſerem Hoftheater-Perſonal geworden. Die Generalinten- danz widmete ihm — der erſte Fall in dieſem Hauſe — einen begeiſterten Nachruf, den ich hier um ſo lieber zitiere, als ich Herrn v. Jacobi zwar ſtets für ein großes Talent und für eine glückliche Akquiſition unſeres Hofſchauſpiels gehalten habe, nicht aber die faſt tendenziöſe Begeiſterung unſerer Modernen für alles, was er ſpielte, teilen konnte. In die- ſem traurigen Falle aber kann die Kritik gern auf ihr Wort verzichten und es der um einen ihren Beſten trauernden Lei- tung unſerer Hofbühne überlaſſen: „Bernhard von Jacobi iſt auf dem Schlachtfeld in Nordfrankreich als ein Held ge- fallen. Er war inmitten der bunten, vielgliedrigen Welt des Theaters eine Geſtalt von ſtarken, weithin ſichtbarer Eigen- art. Das Auszeichnende dieſer Eigenart beſtand vor allem darin, daß zwei oftmals unverträgliche Eigenſchaften — ſchar- fer Verſtand und glühende Empfindung — zur ſchönſten Wechſelwirkung ſich vereinigten. Eine ungemein klare und regſame Intelligenz, der eine umfaſſende Bildung ſtets neue Nahrung gab, ermöglichte ihm, bedeutſame künſtleriſche Auf- gaben ſehr mannigfaltiger Art ſich ſelbſt und anderen bis in die feinſten Veräſtelungen durchſichtig zu machen. Zugleich ſicherte das ſtets wachſame Gehirn ſeinem ſtürmiſchen Tem- perament jene Mäßigung und innere Gehaltenheit, ohne die gerade die Schauſpielkunſt ſo leicht ins Rohe und Zügelloſe abirrt. Das feurige Gefühl wiederum gab ſeinem Verſtande Flügel und verhinderte, daß er je zu einem froſtigen Hemm- nis des produktiven Anſturms werden konnte. Die kühn zu- packende, ſchwungvolle Jugendlichkeit war es ſogar, die den meiſten Geſtalten Bernhard von Jacobi’s das charakteriſtiſche Gepräge gab. Sein ſchöner, ſchlanker und geſchmeidiger Körper war dabei gleichſam das koſtbare Inſtrument, das jedem Antrieb der beherrſchenden Energie willig und aus- drucksvoll gehorchte. Der Tod des vortrefflichen Künſtlers iſt für die Hofbühne, der er ſeit 1909 angehörte, ein harter, ſchwer zu erſetzender Verluſt. Aber im ganzen Umkreis der Königlichen Theater bis zum letzten Arbeiter hinab, iſt nie- mand, der nicht zugleich, im Innerſten erſchüttert, das Schei- den des edlen und liebenswürdigen Menſchen beklagte, von dem ohne Uebertreibung geſagt werden darf, daß er nur Freunde und keine Gegner hinterläßt. Das Andenken Bern- hard von Jacobi’s wird in der Geſchichte des Münchener Hoftheaters bewahrt bleiben, und, wenn der ruhmvolle Friede einen neuen Aufſchwung der Künſte herbeiführt, werden wir mit Ehrfurcht und nie verlöſchendem Danke des Tapferen gedenken, der gleich ſo vielen anderen ſein Leben hingab, um dieſen Weg zur Höhe für uns zu erſchließen.“ Zum letztenmal konnte man Herrn v. Jacobi noch kaum vierzehn Tage vor ſeinem Tode ſehen und hören. Schon ein- mal verwundet vom Feld zurückgekehrt, trat er ſichtlich nicht ganz ohne Mühe in einem der ſogenannten Vaterländiſchen Abende auf und trug zündend einige patriotiſche Gedichte vor. Dieſe Vaterländiſchen Abende, die gewiſſermaßen eine Fortſetzung der vor dem Kriege im Reſidenztheater veran- ſtalteten Sonntags-Matineen waren, haben jetzt wieder einer neuen Einrichtung, den ſogenannten „Deutſchen Abenden“ im Hoftheater Platz gemacht. Ich vermute, ſie ſind wie jene eine Idee des Dramaturgen Dr. Wollf und, wie es ſcheint, keine ſolche, die einen erheblichen Erfolg verſpräche. Die Vaterländiſchen Abende hatten noch ihre Berechtigung, in- dem ſie mitten in den erſten ſchwankenden Kriegsereigniſſen zur eigentlichen Theaterſaiſon hinüberleiteten. Jetzt aber können ſie eben die Konkurrenz mit dem Theater ſelbſt nicht recht aushalten. Die Sänger, die mit Klavierbegleitung da ſingen, hört man weit lieber und beſſer in der Oper und die Gedichte deklamierenden Schauſpieler lieber im Schauſpiel. Wenn nun gar, wie mir vom erſten Deutſchen Abend, der ſchon wieder ſehr ſchwach beſucht geweſen ſein ſoll, berichtet wird, gerade der Schauſpieler Schiller’ſche Gedichte vortrug, der wie Herr Steinrück zu ſämtlichen deutſchen Dichtern ein ſtärkeres und inneres Verhältnis haben mag als gerade zu Friedrich Schiller, ſo darf man ſich nicht wundern, wenn die Anziehungskraft trotz der niedrigen Preiſe nur gering iſt. Der Gedanke, an jedem dieſer Deutſchen Abende einem Dichter ausſchließlich das Programm zu widmen, iſt ja an ſich ſehr ſchön, aber ich fürchte faſt, nach den bisherigen Erfah- rungen, wird man keine Seide dabei ſpinnen. Niemand kann Schiller höher ſtellen und hat ihn ſchon vor dem Kriege höher geſtellt als der Unterzeichnete, aber um ihn richtig zu feiern und ihn von der Bühne herabreden zu laſſen, darf man nicht ſeine Gedichte deklamieren und ſingen laſſen, ſondern man muß ſeine unſterblichen großen Dramen aufführen und immer wieder aufführen. Zu Grillparzers 100 jährigem Geburtstage ließ Dr. Max Georg Zimmermann im Januar 1891 in unſerer Beilage eine Serie von Artikeln erſcheinen, welche die Antike in des Dichters Dramen behandelten. Im Eingange derſelben heißt es mit Recht: „Bei uns im Reich, da ſind es nur Teile, welche die Erkenntnis in ſich tragen, daß Grillparzer nicht nur dem öſterreichiſchen Volk angehört, daß er Gemeingut des deut- ſchen Volkes iſt, daß er zu den größten Dichtern unſrer Nation zählt, daß nach Goethe und Schiller keiner iſt, der neben ihm den Anſpruch auf den erſten Platz erheben kann. Nicht iſt er eine Geſtalt wie Schiller, nicht ſpricht er wie dieſer zum Herzen des einfachen Volkes; wie Goethe wendet er ſich an die Gebildeten der Nation; aber während bei Goethe das Anſehen ſo ungeheuer gewachſen iſt, daß auch diejenigen, welche ihn nicht kennen und verſtehen, ſich in Ehrfurcht vor ſeinem Namen beugen, hat ſich die Größe Grillparzers zu dieſer Stellung erſt in einem beſchränkten Teile des deut- ſchen Vaterlandes, in ſeinem engeren Heimatſtaate, durch- gerungen. Von den Staaten des Reiches hat zumeiſt Bayern, mit Wien durch alte Ueberlieferung verbunden, den Dichter geſchätzt. Das Münchener Hoftheater iſt nächſt dem Burgtheater zu Wien dasjenige, welches des Dichters Dra- men am häufigſten gegeben hat. ... Die letzte Arbeit, mit der Grillparzer an die Oeffentlichkeit trat, war das Luſtſpiel: „Weh dem, der lügt“ vom Jahre 1838. Diesmal aber blieb der Erfolg aus, trotzdem daß das Haus in der beſten Stim- mung für den Dichter war. Zu geiſtreich, zu fein, zu poetiſch iſt dieſes Luſtſpiel aus der Merowingerzeit, als daß ſelbſt ein ſo geſchultes Publikum, wie das des Burgtheaters, es bei einer Vorſtellung hätte faſſen können. Und doch iſt es eine Leiſtung, ebenſo bedeutend wie die großen Tragödien des Meiſters, wenn auch der eigentliche Humor in dem Stücke fehlt. Die Zeit auch für dieſes Stück wird noch kommen, wenn das Publikum gelernt hat, ſich mit Liebe in des Dich- ters Eigentümlichkeiten zu verſenken.“ — „Weh’ dem, der lügt!“ iſt in den neunziger Jahren einigemal in unſerem Hoftheater aufgeführt worden. Nun erſcheint die liebens- würdige Komödie auf einmal drüben im Schauſpielhaus, was an ſich ſchon hohe Anerkennung verdient, denn ſchon Großes zu wollen iſt ein Verdienſt, hier um ſo mehr, als es eigent- lich an unſerer Hofbühne geweſen wäre, dem großen Drama- tiker gerecht zu werden, den ſie nach der Aufführung ſeines „Bruderzwiſts in Habsburg“ allzu ſchnell hat wieder fallen laſſen. Mit früheren Hoftheater-Aufführungen konnte ſich nun allerdings die Aufführung im Schauſpielhauſe nicht ver- gleichen: ſein Perſonal ſteht dem Versſtücke immer etwas fremd gegenüber. Auch die Inſzenierung war etwas ver- nachläſſigt worden, inſofern man ſie ins Häßliche und Derb- komiſche übertrieb. An Uebertreibung litt auch der Galomir des Herrn Peppler und der Kattwald des Herrn Jeſſen. Bei der erſteren Rolle hat Grillparzer ſelbſt ſchon ganz dieſelbe falſche Auffaſſung des erſten Darſtellers korrigiert. Gut waren die Edrita des Frl. Nicoletti, der Leon des Herrn Günther und der Biſchof Siegfried Raabes. Das Stück hatte vor ziemlich ſchwach beſetztem Hauſe einen entſchiedenen Er-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine45_1914/11>, abgerufen am 09.06.2024.