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Der Arbeitgeber. Nr. 675. Frankfurt a. M., 8. April 1870.

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[Spaltenumbruch] irgendwo in Europa, und gehen auch praktischer und verständiger zu
Werke, wenn sie irgend etwas zu ihrem Vortheile erreichen wollen.
Der alte, germanische Korporationsgeist ist hier in neuer Gestalt
wieder erwacht und hat schon sehr erfolgreich gewirkt. Vor Allem
muß die erfreuliche Thatsache anerkannt werden, daß all Arbeiter
ohne Unterschied der Nationalität, einen Theil der Jrländer vielleicht
ausgenommen, nicht nur für sich selbst nach größerer, geistiger Aus-
bildung und Verfeinerung der äußerlichen Sitten durch das Mittel
der Vereine streben, sondern daß sie mit einer oft rührenden Auf-
opferung und Sorgfalt für die Erziehung ihrer Kinder sorgen. Sie
wissen genau, daß dies das beste Kapital ist, das sie ihnen für's
Leben mitgeben können. Viele bedauern ihre mangelhafte Bildung
und sprechen dies offen aus; darum, sagen sie, sollen ihre Kinder
nicht in dieselbe Lage gerathen, so daß sie, wenn erwachsen, ihnen
in ihren alten Tagen Vorwürfe über Vernachlässigung ihrer Er-
ziehung machen könnten. Aber der erwachsene Arbeiter sucht sich
ebenfalls weiter zu bilden, so gut es eben mit den ihm gebotenen
Mitteln geht. Und man kann dreist sagen, daß diese Mittel, in den
größeren Städten wenigstens, reichlich vorhanden sind. Die meisten
Arbeiter=Vereine, Turn= und Gesang=Vereine besitzen kleine Biblio-
theken, welche die populären deutschen Dichter, die leichter verständ-
lichen Behandlungen der Naturwissenschaften und Werke über Technik
enthalten, die jedem Mitgliede zur Verfügung stehen. Jn den Zu-
sammenkünften dieser Vereine wird debattirt, und von Zeit zu Zeit
gibt ein Freund des Vereins belehrende Vorlesungen. Außer diesen
Arbeiter=Vereinen, in denen Gewerbe aller Art vertreten sind, be-
stehen für jedes Handwerk besondere Organisationen, welche die Wah-
rung und Förderung der pekuniären Jnteressen des Arbeiters zum
Zweck haben, also hauptsächlich dahin streben, den Arbeitslohn vor
einem allzustarken Sinken zu bewahren. Diese Organisationen sind
in manchen Zweigen der Arbeit sehr fest und streng, und die ein-
zelnen Vereine stehen über die ganze Ausdehnung der Vereinigten
Staaten miteinander in Verbindung, so daß es einem Arbeiter, der
die Gesetze des Bundes verletzt hat, oft sehr schwer wird, an irgend
einem Orte Arbeit zu erhalten, da die übrigen Arbeiter eines Ge-
schäfts, in das er einzutreten sucht und die zum Bunde gehören,
seine Zulassung auf irgend eine Weise unmöglich zu machen wissen.
Die Maschinenarbeiter, die Setzer, die Zimmerleute, die Steinhauer
und andere haben solche Schutz=Vereine ( union leagues ) , die schon
viel Gutes gewirkt haben, manchmal aber auch in eine wahre Arbeiter-
Tyrannei ausarten. So kam es vor einigen Jahren in Neu=York
vor, daß die Hufschmiede ihre Arbeit einstellten, und dem Erfinder
einer Maschine, mit der Hufeisen sehr wohlfeil hergestellt werden
konnten, die Ausübung seines Geschäfts verbieten wollten. Jm Som-
mer 1864, als der Krieg noch nicht zu Ende war, stellten die
Steinhauer in Chicago ihre Arbeit ein, weil sie statt vier Dollar
per Tag 4 Dollar 35 Cts. haben wollten. Es war dies aller-
dings zur Zeit, als das Gold sehr hoch stand, dennoch war aber die
Forderung eine exorbitante. Jn solchen Fällen geschieht es oft, daß
die Kontraktoren und Meister ebenfalls zusammentreten und ihre
übernommenen Kontrakte liegen lassen, bis sich wieder Arbeiter zu
einem erträglichen Preise finden. Auch die Schriftsetzer haben schon
oft zum Schrecken der Herausgeber von Zeitungen die Arbeit eingestellt,
da diese Art Arbeit eben jeden Tag gethan werden muß. Doch waren
ihre Forderungen in den meisten Fällen gerecht. Die eigenthüm-
lichste Organisation, welche mit Recht eine Zunft genannt werden
kann, ist die der Kohlengräber; der größte Theil derselben sind Eng-
länder aus den dortigen Kohlendistrikten, meistens von wälischer Ab-
stammung und Sprache, der Rest sind Deutsche und wenig Jrländer.
Sie dulden nicht, daß die Eigenthümer der Kohlengruben neue Ar-
beiter zu geringeren Preisen anstellen; dies können sie, weil der Herr
ohne die alten Arbeiter nicht fertig werden kann. Jn den Minen
von St. Clair County, St. Louis gegenüber, die jährlich etwa zwölf
Millionen Bushel Kohlen nach dieser Stadt liefern, haben sie den
Lohn nach und nach so in die Höhe getrieben, daß die Eigenthümer
zuletzt den Arbeitern die ganzen Minen für eigne Rechnung über-
geben haben, so daß der Eigenthümer nur gewisse Prozente von dem
Ertrage zieht und damit aller Streit zwischen Herren und Arbeitern
zu Ende ist. Glaubwürdige Leute versichern, daß solche Kohlen-
gräber schon 100 Dollar in der Woche verdient haben, so daß
dieses Geschäft ein einträglicheres wäre als Gold graben. Man muß
aber nicht außer Acht lassen, daß ein Arbeiter, wenn er sich nicht
schnell zu Grunde richten will, nicht anhaltend, wie andere Arbeiter,
[Spaltenumbruch] dieses Geschäft treiben kann und ferner, daß die Arbeit durch allge-
meines Uebereinkommen so vertheilt ist, daß auf jeden Mann nur
vier bis sechs Stunden per Tag kommen. Mit dieser Arbeitszeit
verdient er übrigens durchschnittlich per Woche mindestens 20 Dollars.

   
Die Welt=Jndustrie
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Von Peter Barthel.
X.

Eines der mächtigsten Hilfsmittel bei der Gütererzeugung ist
die angesammelte Arbeitskraft oder das Kapital. Man hat dasselbe
verschieden definirt, und nennt es in neuester Zeit verdichtete Ar-
beit, womit man wohl den modernen Begriff des Kapitals ziemlich
genau wiedergegeben haben mag. Wir glauben indeß präciser zu
sprechen, wenn wir es angesammelte Arbeitskraft nennen; die Funk-
tionen des Kapitals sind dann leichter zu erklären.

Ueber keinen Begriff sind Jahrhunderte lang dauernde irrige
Anschauungen so verbreitet gewesen und noch verbreitet wie über das
"Kapital"; und niemals waren falsche Auffassungen eines Begriffes
mit solchen materiellen Nachtheilen und greifbaren Schädigungen ver-
bunden, wie beim Kapital. Falsche Ansichten von demselben haben
häufig zu sinnloser Zerstörung desselben geführt, sowie zu nachtheiligen
Anwendungen. Mit der Zerstörung des Kapitals wurde ein mächtiger
Gütererzeuger vernichtet, und dadurch der Entwicklung des Volkswohl-
standes an der Wurzel geschadet. Soll das Kapital segensreich
wirken, so muß man zwei Dinge nicht unberücksichtigt lassen:
1. man muß es zu erhalten suchen, das ist manchmal
schwieriger wie das Erzeugen des Kapitals selbst; 2. das Ka-
pital darf nicht falsch angewendet werden.
Zu
beiden Dingen gehört ein wirthschaftlich gut erzogenes Volk;
ein einfach gebildetes Volk, bei dem die richtigen wirth-
schaftlichen Jdeen nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind,
reicht nicht aus und wird selten die beiden gestellten Anforderungen
erfüllen. Ein Verschwender z. B. ist für viele gebildete Per-
sonen kein wirthschaftlicher Sünder; das Militärbudget fließt nach
der Ansicht mancher gebildeter Leute wieder wie ein befruchtender
Regen auf das Volk zurück, und die landläufige Redensart, nach
welcher alle Ausgaben unschädlich sind, bei denen "das Geld nicht
aus dem Land" geht, ist nichts anderes, als die wirthschaftlich rohe
Auffassung eines vielleicht sonst gebildeten Jndividuums oder gar eines
Volkes. Auch der angebliche Streit zwischen Arbeit und Ka-
pital
hat in nichts anderem seinen Grund als in falschen Ansichten
über die Erhaltung und Verwendung des Kapitals. Arbeit und
Kapital können nach den wirthschaftlich geklärten Ansichten nur in
Harmonie gut wirksam sein. Störungen, die zwischen ihnen vor-
kommen, wirken verderblich auf die Gütererzeugung. Gerade in
unserer Zeit gährt es aber in dieser Beziehung, und bestimmte Auf-
klärungen sind daher mehr wie je am Platz; diese Aufklärungen
müssen jedoch in die breite Masse dringen, wenn sie wirken sollen,
d. h. wenn der angebliche Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital,
in welchen heutzutage die Arbeiterfrage gekleidet wird, verschwinden
soll. Wodurch ist dieser Antagonismus entstanden? Wir glauben
dadurch, daß man gegen die beiden obengestellten Anforderungen von
allen Seiten gesündigt hat; von allen Seiten sagen wir, und zwar
von der einen Seite aktiv und von der anderen passiv; hier speziell
wiegt aber die passive Sünde so schwer wie die aktive. Wir werden
dies näher erklären.

Man hat vor allen Dingen fortgesetzt, d. h. Jahrhunderte lang,
gegen das oberste Gesetz von der Erhaltung des Kapitals ge-
sündigt und in der Zerstörung desselben wahrhaft excellirt. Die
Geschichte unserer Kriege ist nichts anderes als die
Geschichte der Kapitalzerstörungen.
Diejenigen
Herren, welche dieselben führten, und denen man diese Ver-
wüstungen schuldig ist, sind aber nicht als die alleinigen
Urheber der Zerstörungen anzusehen; die Völker, welche sich
diese Wirthschaft gefallen ließen, sind mit schuld an dem Verderben,
und haben die Folgen in der Regel auch tragen müssen. Denn
wenn sie sich nicht zum Kriegführen hergegeben hätten, so hätten die
Fürsten ihre Degen in der Scheide behalten müssen. "Den meisten

[Spaltenumbruch] irgendwo in Europa, und gehen auch praktischer und verständiger zu
Werke, wenn sie irgend etwas zu ihrem Vortheile erreichen wollen.
Der alte, germanische Korporationsgeist ist hier in neuer Gestalt
wieder erwacht und hat schon sehr erfolgreich gewirkt. Vor Allem
muß die erfreuliche Thatsache anerkannt werden, daß all Arbeiter
ohne Unterschied der Nationalität, einen Theil der Jrländer vielleicht
ausgenommen, nicht nur für sich selbst nach größerer, geistiger Aus-
bildung und Verfeinerung der äußerlichen Sitten durch das Mittel
der Vereine streben, sondern daß sie mit einer oft rührenden Auf-
opferung und Sorgfalt für die Erziehung ihrer Kinder sorgen. Sie
wissen genau, daß dies das beste Kapital ist, das sie ihnen für's
Leben mitgeben können. Viele bedauern ihre mangelhafte Bildung
und sprechen dies offen aus; darum, sagen sie, sollen ihre Kinder
nicht in dieselbe Lage gerathen, so daß sie, wenn erwachsen, ihnen
in ihren alten Tagen Vorwürfe über Vernachlässigung ihrer Er-
ziehung machen könnten. Aber der erwachsene Arbeiter sucht sich
ebenfalls weiter zu bilden, so gut es eben mit den ihm gebotenen
Mitteln geht. Und man kann dreist sagen, daß diese Mittel, in den
größeren Städten wenigstens, reichlich vorhanden sind. Die meisten
Arbeiter=Vereine, Turn= und Gesang=Vereine besitzen kleine Biblio-
theken, welche die populären deutschen Dichter, die leichter verständ-
lichen Behandlungen der Naturwissenschaften und Werke über Technik
enthalten, die jedem Mitgliede zur Verfügung stehen. Jn den Zu-
sammenkünften dieser Vereine wird debattirt, und von Zeit zu Zeit
gibt ein Freund des Vereins belehrende Vorlesungen. Außer diesen
Arbeiter=Vereinen, in denen Gewerbe aller Art vertreten sind, be-
stehen für jedes Handwerk besondere Organisationen, welche die Wah-
rung und Förderung der pekuniären Jnteressen des Arbeiters zum
Zweck haben, also hauptsächlich dahin streben, den Arbeitslohn vor
einem allzustarken Sinken zu bewahren. Diese Organisationen sind
in manchen Zweigen der Arbeit sehr fest und streng, und die ein-
zelnen Vereine stehen über die ganze Ausdehnung der Vereinigten
Staaten miteinander in Verbindung, so daß es einem Arbeiter, der
die Gesetze des Bundes verletzt hat, oft sehr schwer wird, an irgend
einem Orte Arbeit zu erhalten, da die übrigen Arbeiter eines Ge-
schäfts, in das er einzutreten sucht und die zum Bunde gehören,
seine Zulassung auf irgend eine Weise unmöglich zu machen wissen.
Die Maschinenarbeiter, die Setzer, die Zimmerleute, die Steinhauer
und andere haben solche Schutz=Vereine ( union leagues ) , die schon
viel Gutes gewirkt haben, manchmal aber auch in eine wahre Arbeiter-
Tyrannei ausarten. So kam es vor einigen Jahren in Neu=York
vor, daß die Hufschmiede ihre Arbeit einstellten, und dem Erfinder
einer Maschine, mit der Hufeisen sehr wohlfeil hergestellt werden
konnten, die Ausübung seines Geschäfts verbieten wollten. Jm Som-
mer 1864, als der Krieg noch nicht zu Ende war, stellten die
Steinhauer in Chicago ihre Arbeit ein, weil sie statt vier Dollar
per Tag 4 Dollar 35 Cts. haben wollten. Es war dies aller-
dings zur Zeit, als das Gold sehr hoch stand, dennoch war aber die
Forderung eine exorbitante. Jn solchen Fällen geschieht es oft, daß
die Kontraktoren und Meister ebenfalls zusammentreten und ihre
übernommenen Kontrakte liegen lassen, bis sich wieder Arbeiter zu
einem erträglichen Preise finden. Auch die Schriftsetzer haben schon
oft zum Schrecken der Herausgeber von Zeitungen die Arbeit eingestellt,
da diese Art Arbeit eben jeden Tag gethan werden muß. Doch waren
ihre Forderungen in den meisten Fällen gerecht. Die eigenthüm-
lichste Organisation, welche mit Recht eine Zunft genannt werden
kann, ist die der Kohlengräber; der größte Theil derselben sind Eng-
länder aus den dortigen Kohlendistrikten, meistens von wälischer Ab-
stammung und Sprache, der Rest sind Deutsche und wenig Jrländer.
Sie dulden nicht, daß die Eigenthümer der Kohlengruben neue Ar-
beiter zu geringeren Preisen anstellen; dies können sie, weil der Herr
ohne die alten Arbeiter nicht fertig werden kann. Jn den Minen
von St. Clair County, St. Louis gegenüber, die jährlich etwa zwölf
Millionen Bushel Kohlen nach dieser Stadt liefern, haben sie den
Lohn nach und nach so in die Höhe getrieben, daß die Eigenthümer
zuletzt den Arbeitern die ganzen Minen für eigne Rechnung über-
geben haben, so daß der Eigenthümer nur gewisse Prozente von dem
Ertrage zieht und damit aller Streit zwischen Herren und Arbeitern
zu Ende ist. Glaubwürdige Leute versichern, daß solche Kohlen-
gräber schon 100 Dollar in der Woche verdient haben, so daß
dieses Geschäft ein einträglicheres wäre als Gold graben. Man muß
aber nicht außer Acht lassen, daß ein Arbeiter, wenn er sich nicht
schnell zu Grunde richten will, nicht anhaltend, wie andere Arbeiter,
[Spaltenumbruch] dieses Geschäft treiben kann und ferner, daß die Arbeit durch allge-
meines Uebereinkommen so vertheilt ist, daß auf jeden Mann nur
vier bis sechs Stunden per Tag kommen. Mit dieser Arbeitszeit
verdient er übrigens durchschnittlich per Woche mindestens 20 Dollars.

   
Die Welt=Jndustrie
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Von Peter Barthel.
X.

Eines der mächtigsten Hilfsmittel bei der Gütererzeugung ist
die angesammelte Arbeitskraft oder das Kapital. Man hat dasselbe
verschieden definirt, und nennt es in neuester Zeit verdichtete Ar-
beit, womit man wohl den modernen Begriff des Kapitals ziemlich
genau wiedergegeben haben mag. Wir glauben indeß präciser zu
sprechen, wenn wir es angesammelte Arbeitskraft nennen; die Funk-
tionen des Kapitals sind dann leichter zu erklären.

Ueber keinen Begriff sind Jahrhunderte lang dauernde irrige
Anschauungen so verbreitet gewesen und noch verbreitet wie über das
„Kapital“; und niemals waren falsche Auffassungen eines Begriffes
mit solchen materiellen Nachtheilen und greifbaren Schädigungen ver-
bunden, wie beim Kapital. Falsche Ansichten von demselben haben
häufig zu sinnloser Zerstörung desselben geführt, sowie zu nachtheiligen
Anwendungen. Mit der Zerstörung des Kapitals wurde ein mächtiger
Gütererzeuger vernichtet, und dadurch der Entwicklung des Volkswohl-
standes an der Wurzel geschadet. Soll das Kapital segensreich
wirken, so muß man zwei Dinge nicht unberücksichtigt lassen:
1. man muß es zu erhalten suchen, das ist manchmal
schwieriger wie das Erzeugen des Kapitals selbst; 2. das Ka-
pital darf nicht falsch angewendet werden.
Zu
beiden Dingen gehört ein wirthschaftlich gut erzogenes Volk;
ein einfach gebildetes Volk, bei dem die richtigen wirth-
schaftlichen Jdeen nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind,
reicht nicht aus und wird selten die beiden gestellten Anforderungen
erfüllen. Ein Verschwender z. B. ist für viele gebildete Per-
sonen kein wirthschaftlicher Sünder; das Militärbudget fließt nach
der Ansicht mancher gebildeter Leute wieder wie ein befruchtender
Regen auf das Volk zurück, und die landläufige Redensart, nach
welcher alle Ausgaben unschädlich sind, bei denen „das Geld nicht
aus dem Land“ geht, ist nichts anderes, als die wirthschaftlich rohe
Auffassung eines vielleicht sonst gebildeten Jndividuums oder gar eines
Volkes. Auch der angebliche Streit zwischen Arbeit und Ka-
pital
hat in nichts anderem seinen Grund als in falschen Ansichten
über die Erhaltung und Verwendung des Kapitals. Arbeit und
Kapital können nach den wirthschaftlich geklärten Ansichten nur in
Harmonie gut wirksam sein. Störungen, die zwischen ihnen vor-
kommen, wirken verderblich auf die Gütererzeugung. Gerade in
unserer Zeit gährt es aber in dieser Beziehung, und bestimmte Auf-
klärungen sind daher mehr wie je am Platz; diese Aufklärungen
müssen jedoch in die breite Masse dringen, wenn sie wirken sollen,
d. h. wenn der angebliche Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital,
in welchen heutzutage die Arbeiterfrage gekleidet wird, verschwinden
soll. Wodurch ist dieser Antagonismus entstanden? Wir glauben
dadurch, daß man gegen die beiden obengestellten Anforderungen von
allen Seiten gesündigt hat; von allen Seiten sagen wir, und zwar
von der einen Seite aktiv und von der anderen passiv; hier speziell
wiegt aber die passive Sünde so schwer wie die aktive. Wir werden
dies näher erklären.

Man hat vor allen Dingen fortgesetzt, d. h. Jahrhunderte lang,
gegen das oberste Gesetz von der Erhaltung des Kapitals ge-
sündigt und in der Zerstörung desselben wahrhaft excellirt. Die
Geschichte unserer Kriege ist nichts anderes als die
Geschichte der Kapitalzerstörungen.
Diejenigen
Herren, welche dieselben führten, und denen man diese Ver-
wüstungen schuldig ist, sind aber nicht als die alleinigen
Urheber der Zerstörungen anzusehen; die Völker, welche sich
diese Wirthschaft gefallen ließen, sind mit schuld an dem Verderben,
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Viele bedauern ihre mangelhafte Bildung und sprechen dies offen aus; darum, sagen sie, sollen ihre Kinder nicht in dieselbe Lage gerathen, so daß sie, wenn erwachsen, ihnen in ihren alten Tagen Vorwürfe über Vernachlässigung ihrer Er- ziehung machen könnten. Aber der erwachsene Arbeiter sucht sich ebenfalls weiter zu bilden, so gut es eben mit den ihm gebotenen Mitteln geht. Und man kann dreist sagen, daß diese Mittel, in den größeren Städten wenigstens, reichlich vorhanden sind. Die meisten Arbeiter=Vereine, Turn= und Gesang=Vereine besitzen kleine Biblio- theken, welche die populären deutschen Dichter, die leichter verständ- lichen Behandlungen der Naturwissenschaften und Werke über Technik enthalten, die jedem Mitgliede zur Verfügung stehen. Jn den Zu- sammenkünften dieser Vereine wird debattirt, und von Zeit zu Zeit gibt ein Freund des Vereins belehrende Vorlesungen. Außer diesen Arbeiter=Vereinen, in denen Gewerbe aller Art vertreten sind, be- stehen für jedes Handwerk besondere Organisationen, welche die Wah- rung und Förderung der pekuniären Jnteressen des Arbeiters zum Zweck haben, also hauptsächlich dahin streben, den Arbeitslohn vor einem allzustarken Sinken zu bewahren. Diese Organisationen sind in manchen Zweigen der Arbeit sehr fest und streng, und die ein- zelnen Vereine stehen über die ganze Ausdehnung der Vereinigten Staaten miteinander in Verbindung, so daß es einem Arbeiter, der die Gesetze des Bundes verletzt hat, oft sehr schwer wird, an irgend einem Orte Arbeit zu erhalten, da die übrigen Arbeiter eines Ge- schäfts, in das er einzutreten sucht und die zum Bunde gehören, seine Zulassung auf irgend eine Weise unmöglich zu machen wissen. Die Maschinenarbeiter, die Setzer, die Zimmerleute, die Steinhauer und andere haben solche Schutz=Vereine ( union leagues ) , die schon viel Gutes gewirkt haben, manchmal aber auch in eine wahre Arbeiter- Tyrannei ausarten. So kam es vor einigen Jahren in Neu=York vor, daß die Hufschmiede ihre Arbeit einstellten, und dem Erfinder einer Maschine, mit der Hufeisen sehr wohlfeil hergestellt werden konnten, die Ausübung seines Geschäfts verbieten wollten. Jm Som- mer 1864, als der Krieg noch nicht zu Ende war, stellten die Steinhauer in Chicago ihre Arbeit ein, weil sie statt vier Dollar per Tag 4 Dollar 35 Cts. haben wollten. Es war dies aller- dings zur Zeit, als das Gold sehr hoch stand, dennoch war aber die Forderung eine exorbitante. Jn solchen Fällen geschieht es oft, daß die Kontraktoren und Meister ebenfalls zusammentreten und ihre übernommenen Kontrakte liegen lassen, bis sich wieder Arbeiter zu einem erträglichen Preise finden. Auch die Schriftsetzer haben schon oft zum Schrecken der Herausgeber von Zeitungen die Arbeit eingestellt, da diese Art Arbeit eben jeden Tag gethan werden muß. Doch waren ihre Forderungen in den meisten Fällen gerecht. Die eigenthüm- lichste Organisation, welche mit Recht eine Zunft genannt werden kann, ist die der Kohlengräber; der größte Theil derselben sind Eng- länder aus den dortigen Kohlendistrikten, meistens von wälischer Ab- stammung und Sprache, der Rest sind Deutsche und wenig Jrländer. Sie dulden nicht, daß die Eigenthümer der Kohlengruben neue Ar- beiter zu geringeren Preisen anstellen; dies können sie, weil der Herr ohne die alten Arbeiter nicht fertig werden kann. Jn den Minen von St. Clair County, St. Louis gegenüber, die jährlich etwa zwölf Millionen Bushel Kohlen nach dieser Stadt liefern, haben sie den Lohn nach und nach so in die Höhe getrieben, daß die Eigenthümer zuletzt den Arbeitern die ganzen Minen für eigne Rechnung über- geben haben, so daß der Eigenthümer nur gewisse Prozente von dem Ertrage zieht und damit aller Streit zwischen Herren und Arbeitern zu Ende ist. Glaubwürdige Leute versichern, daß solche Kohlen- gräber schon 100 Dollar in der Woche verdient haben, so daß dieses Geschäft ein einträglicheres wäre als Gold graben. Man muß aber nicht außer Acht lassen, daß ein Arbeiter, wenn er sich nicht schnell zu Grunde richten will, nicht anhaltend, wie andere Arbeiter, dieses Geschäft treiben kann und ferner, daß die Arbeit durch allge- meines Uebereinkommen so vertheilt ist, daß auf jeden Mann nur vier bis sechs Stunden per Tag kommen. Mit dieser Arbeitszeit verdient er übrigens durchschnittlich per Woche mindestens 20 Dollars. D. Hertle. Die Welt=Jndustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von Peter Barthel. X. Eines der mächtigsten Hilfsmittel bei der Gütererzeugung ist die angesammelte Arbeitskraft oder das Kapital. Man hat dasselbe verschieden definirt, und nennt es in neuester Zeit verdichtete Ar- beit, womit man wohl den modernen Begriff des Kapitals ziemlich genau wiedergegeben haben mag. Wir glauben indeß präciser zu sprechen, wenn wir es angesammelte Arbeitskraft nennen; die Funk- tionen des Kapitals sind dann leichter zu erklären. Ueber keinen Begriff sind Jahrhunderte lang dauernde irrige Anschauungen so verbreitet gewesen und noch verbreitet wie über das „Kapital“; und niemals waren falsche Auffassungen eines Begriffes mit solchen materiellen Nachtheilen und greifbaren Schädigungen ver- bunden, wie beim Kapital. Falsche Ansichten von demselben haben häufig zu sinnloser Zerstörung desselben geführt, sowie zu nachtheiligen Anwendungen. Mit der Zerstörung des Kapitals wurde ein mächtiger Gütererzeuger vernichtet, und dadurch der Entwicklung des Volkswohl- standes an der Wurzel geschadet. Soll das Kapital segensreich wirken, so muß man zwei Dinge nicht unberücksichtigt lassen: 1. man muß es zu erhalten suchen, das ist manchmal schwieriger wie das Erzeugen des Kapitals selbst; 2. das Ka- pital darf nicht falsch angewendet werden. Zu beiden Dingen gehört ein wirthschaftlich gut erzogenes Volk; ein einfach gebildetes Volk, bei dem die richtigen wirth- schaftlichen Jdeen nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind, reicht nicht aus und wird selten die beiden gestellten Anforderungen erfüllen. Ein Verschwender z. B. ist für viele gebildete Per- sonen kein wirthschaftlicher Sünder; das Militärbudget fließt nach der Ansicht mancher gebildeter Leute wieder wie ein befruchtender Regen auf das Volk zurück, und die landläufige Redensart, nach welcher alle Ausgaben unschädlich sind, bei denen „das Geld nicht aus dem Land“ geht, ist nichts anderes, als die wirthschaftlich rohe Auffassung eines vielleicht sonst gebildeten Jndividuums oder gar eines Volkes. Auch der angebliche Streit zwischen Arbeit und Ka- pital hat in nichts anderem seinen Grund als in falschen Ansichten über die Erhaltung und Verwendung des Kapitals. Arbeit und Kapital können nach den wirthschaftlich geklärten Ansichten nur in Harmonie gut wirksam sein. Störungen, die zwischen ihnen vor- kommen, wirken verderblich auf die Gütererzeugung. Gerade in unserer Zeit gährt es aber in dieser Beziehung, und bestimmte Auf- klärungen sind daher mehr wie je am Platz; diese Aufklärungen müssen jedoch in die breite Masse dringen, wenn sie wirken sollen, d. h. wenn der angebliche Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital, in welchen heutzutage die Arbeiterfrage gekleidet wird, verschwinden soll. Wodurch ist dieser Antagonismus entstanden? Wir glauben dadurch, daß man gegen die beiden obengestellten Anforderungen von allen Seiten gesündigt hat; von allen Seiten sagen wir, und zwar von der einen Seite aktiv und von der anderen passiv; hier speziell wiegt aber die passive Sünde so schwer wie die aktive. Wir werden dies näher erklären. Man hat vor allen Dingen fortgesetzt, d. h. Jahrhunderte lang, gegen das oberste Gesetz von der Erhaltung des Kapitals ge- sündigt und in der Zerstörung desselben wahrhaft excellirt. Die Geschichte unserer Kriege ist nichts anderes als die Geschichte der Kapitalzerstörungen. Diejenigen Herren, welche dieselben führten, und denen man diese Ver- wüstungen schuldig ist, sind aber nicht als die alleinigen Urheber der Zerstörungen anzusehen; die Völker, welche sich diese Wirthschaft gefallen ließen, sind mit schuld an dem Verderben, und haben die Folgen in der Regel auch tragen müssen. Denn wenn sie sich nicht zum Kriegführen hergegeben hätten, so hätten die Fürsten ihre Degen in der Scheide behalten müssen. „Den meisten

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 675. Frankfurt a. M., 8. April 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0675_1870/2>, abgerufen am 27.04.2024.