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Allgemeine Zeitung. Nr. 47. Augsburg (Bayern), 16. Februar 1871.

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[Beginn Spaltensatz]

Die Ueberlegenheit der feindlichen Flotte, einer Flotte ersten Rangs,
über die unsrige, welche erst auf dem Wege war eine Flotte zweiten Rangs
zu werden, und sich ein höheres Ziel bisher überhaupt niemals gesteckt hat,
erklärt einiges, jedoch bei weitem nicht alles. Ein unglücklicher Zufall
war es natürlich daß in dem stärksten unserer Panzerschiffe, dem "König
Wilhelm," ein Cylinder brach, und so seine Schnelligkeit von 14 auf 9
Seemeilen herabgesetzt wurde, gerade als der Krieg ausbrach; wodurch das
einzige jedem französischen Panzerschiff einzeln gewachsene oder überlegene
Schiff, das wir besaßen, für die Dauer des Kriegs zur Unthätigkeit verur-
theilt ward. Das gleiche widerfuhr dem einen der beiden Panzerschiffe
zweiten Kalibers, dem "Prinz Friedrich Karl," später mit der Schraube,
und er liegt noch gegenwärtig zu Wilhelmshafen im Dock. Dieses Dock
dagegen, welches so wichtig werden sollte, hätte wohl etwas früher fertig
werden können. Und besser vorbereitet auf den Krieg hätte die Holzflotte
im allgemeinen sein sollen, jene schnellen Kriegsdampfer deren einer schon
-- wie die schönen Erfolge der "Augusta" zeigen -- dem Waffenschmuggel
sein Spiel gar sehr hätte verderben können, wenn er rechtzeitig halb unter
Dampf, halb unter Segel, zum Kreuzen in den Atlantischen Ocean hinaus-
gegangen wäre. Als Capitän Weikhmanns Glück diese Bahn zum Ruhm
geöffnet hatte, traf die Waffenstillstandsnachricht das nachgesandte, nun
endlich ausgerüstete Geschwader noch östlich vom Sunde. Es war aber
doch nichts so ganz neues daß die wesentliche Wirksamkeit kleiner Marinen
gegen große oft in einzelnen schnellen und gutgeführten Schiffen liegt.
Während des amerikanischen Bürgerkriegs hatten die "Alabama" und die
"Shenandoah" der Secessionisten diese Lehre eindringlich genug gepredigt.

Ob für diese Vernachlässigung eines wichtigen Theils der nationalen
Wehrkraft einzelne Personen haftbar zu machen sein mögen, oder nicht, ist
ziemlich einerlei. Gewiß erscheint daß sie aus keinem andern Grunde mit
der wundervollen Vorbereitung und Fertigkeit der Armee so scharf contra-
stirt als weil in Berlin für die Flotte von jeher weniger Geld, Aufmerk-
samkeit und Geisteskraft verfügbar gewesen. Das preußische Heer steht
auf einer hundert= oder zweihundertjährigen Tradition; das hat seine Be-
deutung, auch wenn heute kein Handgriff mehr so geschieht und kein Buch-
stabe in den Reglements mehr so lautet wie zu des großen Kurfürsten
oder selbst zu Friedrichs des Großen Zeit. Die Flotte dagegen zählt erst
etwa zwei Jahrzehnte. Jhrer Jdee nach ist sie eine revolutionäre Schö-
pfung. Als der regierende Monarch seine militärischen Studien machte,
galt eine Flotte für der Natur des preußischen Staats zuwider; und als
sie dann doch aus dem spröden Boden hervorbrach, ein unglaublich zartes
Pflänzchen, konnten selbst so entschiedene Fortschrittsmänner wie Varnha-
gen ( s. die Tagebücher 13. und 14. Band ) nicht genug über ihre Anma-
ßung herrvorzukommen den Kopf schütteln. Daher mag man auch zweifeln
ob es den schwachen Keim anfänglich nicht mehr beschützt als verkümmern
zu lassen gedient hat daß General v. Roon, einer der beschäftigtsten und
angestrengtesten Kriegsminister aller Zeiten, das Marineministerium noch
mitübernahm. Aber freilich mußte unter allen Umständen einmal der
Punkt erreicht werden wo der vorher erwünschte und förderliche Schutz in
den Nachtheil mangelnder Hingebung, Aufmerksamkeit und Sachkenntniß
umschlug. Auch aus andern Gründen als militärischen ist es im Laufe
dieses wechselreichen Krieges beklagt worden daß, während der Kriegsmini-
ster wie billig dem großen Hauptquartier in den Krieg folgte, der Marine-
minister nicht zur beständigen Observation und Action auf seinem wei-
ten Feld in Deutschland bleiben konnte; allein es scheint daß sich das
gleiche Bedauern aus einer Vergleichung des Fertigkeitsstandes der Armee
und der Flotte beim Kriegsausbruch ebenfalls ergibt. Auf Hrn. v. Roons
unsterbliche Verdienste fällt damit kein Schatten. Es entsteht nur der ge-
rechte Wunsch daß wenigstens für die Zukunft nicht zweier ganzer Männer
höchste Leistung von einem möge verlangt und erwartet werden.

Soweit die vorhandenen Kräfte jetzt reichen, läßt man es in der Ma-
rine so wenig als im Heerwesen noch während des Kriegs an eifriger
Fortentwicklung fehlen. Eine Commission von Capitänen ist vor kurzem
niedergesetzt worden, um zu prüfen wie sich die Anstalten zum Schutze der
Nordseeküsten bewährt haben, und danach neue erweiterte Vorschläge für
diesen Theil des allgemeinen Küstenschutzes zu machen. Jhre Vorschläge
gehen, wie man hört, im allgemeinen dahin: neben den Maßregeln zur
Sperre der Strommündungen für jede derselben ( d. h. Elbe, Weser und
Jahde, die Emsmündung bleibt als zur Hälfte niederländisch einstweilen
außer Betracht ) ein halbes Duzend Torpedo = Boote aufzustellen, welche
sich einem doch etwa durchbrechenden Feinde nach Art der alten Brander an
die Ferse zu hängen hätten; ferner ein Duzend Panzerschiffe von der Mo-
nitor = Sorte zum Angriff auf blokirende Geschwader, nicht zur Lieferung
von Schlachten in entlegenen Gewässern zu bauen, und endlich schnelle
Holzdampfer in genügender Zahl zur Beunruhigung blokirender feind-
licher Flotten, Abschneidung ihrer Zufuhren, Verhinderung des Waf-
fenschmuggels u. dgl. bereit zu halten. Von diesen Maßregeln ist die erste,[Spaltenumbruch]
einfachste und zugleich dringlichste, durch Bestellungen in Spandau und
Bremen bereits in der Ausführung begriffen. Die andern warten wohl
auf die völlige Herstellung des Friedens.

Wenn die Reichsregierung alsdann an die Nationalvertretung ihre
Forderungen stellt, so mag es der Entwicklung der Marine zu statten kom-
men daß sie doch nicht völlig unwirksam im Kriege geblieben ist, auch ab-
gesehen von ihrer mehr passiven Leistung für die Sicherheit der Häfen
und Küsten. Noch durchschlagender aber wird es ihr hoffentlich frommen
daß nun ganz Deutschlands Kräfte und Triebe an ihre Ausbildung ge-
setzt werden können, da sie schon häufig erfahren hat daß, wenn der Sinn
für ihren Werth im Binnenlande nur erst einmal wach geworden ist, der
dort ausbrechende feurige Enthusiasmus die gelassene, auf Gewohnheit be-
ruhende und durch Gewohnheit abgestumpfte Sympathie des Küstenan-
wohners weit übertrifft.

Der Krieg. Die Belagerung von Belfort.

Petit Croix, 11 Febr. Es dürfte vielleicht nicht ohne Jn-
teresse sein etwas näheres von der Action zu erfahren die, unberührt durch
den Waffenstillstand der im größten Theile Frankreichs abgeschlossen,
ihren Fortgang nimmt, wir meinen die Belagerung von Belfort.

Schon bei Beginn dieses Feldzugs waren aller Augen auf die Be-
lagerung einer großen Festung, auf die Straßburgs, gerichtet, und man
war entzückt als diese alte Veste der deutschen Kunst nicht länger wider-
stehen konnte. Man hielt die Action gegen Straßburg für ein Meisterstück
des Artilleristen und des Jngenieurs, und hielt sie für die schwierigste Un-
ternehmung die man sich denken konnte. Und doch war die Belage-
rung von Straßburg ein Kinderspiel gegen die von Belfort! Eine Festung,
nach den alten Grundsätzen gebaut, in der Ebene gelegen, ohne besondere
casemattirte Räume, dagegen mit einer zahlreichen Bevölkerung versehen,
wie lange kann diese im Stande sein bei einer engen Cernirung dem auf der
Höhe der Zeit besindlichen Geschütz unserer Armee Widerstand zu leisten?
Jch dächte nach dem Falle von Paris müsse man hierüber alle Jllusionen
schwinden lassen!

Wie ganz anders sind die Verhältnisse aber bei Belfort gestaltet!
Als Mittelpunkt der Befestigung kann man den Rocher oder das Chateau
von Belfort betrachten, ein Gebilde wie es wohl selten die Laune der so
mannichfach schaffenden Natur hervorgebracht hat: ein riesiger Felsen, der
auf der der Stadt zugekehrten Seite steil abfällt, und dem auf der entgegen-
gesetzten etwas flachern durch etagenförmiges Mauerwerk die Kunst das
gegeben woran es die Natur fehlen ließ. Jmponirt diese Citadelle schon
durch ihre Form, so gewinnt sie durch ihre Lage zu den übrigen Befesti-
gungswerken noch mehr an Bedeutung. Von Norden und Westen her
gegen Belfort vorgehend erblickt man wohl die Rückseite dieses Felsen-
kolosses, allein wenn auch alles andere weggedacht wäre, so ist doch eine ge-
deckte Annäherung der vielen Wasseradern halber unmöglich. Von Süden
und Osten aus ist das Schloß erst zu sehen wenn man sich demselben
schon sehr genähert hat. Daß dieß nicht zu früh geschehe, dafür sorgen la
Justice und la Miotte, auf stolzer Bergeshöhe gelegen, jedes für sich eine
gewaltige Festung: zu allem Ueberflusse haben die Franzosen noch die
beiden provisorischen Werke Haute und Basse Perche angelegt, welche dem
Angriffe sehr wesentliche Hindernisse bereiteten.

Die Stadt selbst ist klein und nur von Westen und Norden her ge-
fährdet, während das Chateau und die Höhen daneben sie gegen Süden
und Osten decken. Außer ihrer günstigen Lage schützen sie die Kanonen von
Miotte, Barres und verschiedenen Werken die zwischen Barres und Miotte
angelegt sind. Ein verschanztes Lager zwischen den Vorwerken und der
Stadt würde dem Gros eines tüchtigen Heers einen sichern Aufenthalt ge-
währen, während seine Vortruppen, in den Dörfern um Belfort vertheilt,
diese unter Beihülfe der Kanonen der Festung gegen jeden nicht mit allzu
großer Uebermacht anrückenden Feind vertheidigen könnten. Rechnet man
zu dem bereits Gesagten noch die Schwierigkeiten die ein felsiger Boden
Angriffsarbeiten entgegensetzt, so kann man sich ungefähr eine Vorstellung
machen von dieser durch Natur und Kunst zu einem Platz ersten Ranges
gemachten Festung! Es ist für das Auge eines Jngenieurs oder eines
Artilleristen wirklich ein Genuß diese mit aller Kunst und allem Fleiß
angelegten Werke zu betrachten, die von einem verständigen Commandanten
zudem ganz vorzüglich armirt sind. Allerdings gesellt sich zu dem Gefühle
der Befriedigung über die Anlage auch -- für uns wenigstens -- der
Aerger sich sagen zu müssen daß wir diesen Werken verhältnißmäßig noch
sehr wenig gethan haben.

Letzteres hat außer der unendlich günstigen Lage des Platzes noch
einen weitern Grund. Wenn man die ungeheuern Mittel sah welche man
auf die Belagerung von Straßburg verwendete, so kann man sich eines be-
dauerlichen mitleidigen Kopfschüttelns nicht erwehren wenn man einen Blick

[Beginn Spaltensatz]

Die Ueberlegenheit der feindlichen Flotte, einer Flotte ersten Rangs,
über die unsrige, welche erst auf dem Wege war eine Flotte zweiten Rangs
zu werden, und sich ein höheres Ziel bisher überhaupt niemals gesteckt hat,
erklärt einiges, jedoch bei weitem nicht alles. Ein unglücklicher Zufall
war es natürlich daß in dem stärksten unserer Panzerschiffe, dem „König
Wilhelm,“ ein Cylinder brach, und so seine Schnelligkeit von 14 auf 9
Seemeilen herabgesetzt wurde, gerade als der Krieg ausbrach; wodurch das
einzige jedem französischen Panzerschiff einzeln gewachsene oder überlegene
Schiff, das wir besaßen, für die Dauer des Kriegs zur Unthätigkeit verur-
theilt ward. Das gleiche widerfuhr dem einen der beiden Panzerschiffe
zweiten Kalibers, dem „Prinz Friedrich Karl,“ später mit der Schraube,
und er liegt noch gegenwärtig zu Wilhelmshafen im Dock. Dieses Dock
dagegen, welches so wichtig werden sollte, hätte wohl etwas früher fertig
werden können. Und besser vorbereitet auf den Krieg hätte die Holzflotte
im allgemeinen sein sollen, jene schnellen Kriegsdampfer deren einer schon
-- wie die schönen Erfolge der „Augusta“ zeigen -- dem Waffenschmuggel
sein Spiel gar sehr hätte verderben können, wenn er rechtzeitig halb unter
Dampf, halb unter Segel, zum Kreuzen in den Atlantischen Ocean hinaus-
gegangen wäre. Als Capitän Weikhmanns Glück diese Bahn zum Ruhm
geöffnet hatte, traf die Waffenstillstandsnachricht das nachgesandte, nun
endlich ausgerüstete Geschwader noch östlich vom Sunde. Es war aber
doch nichts so ganz neues daß die wesentliche Wirksamkeit kleiner Marinen
gegen große oft in einzelnen schnellen und gutgeführten Schiffen liegt.
Während des amerikanischen Bürgerkriegs hatten die „Alabama“ und die
„Shenandoah“ der Secessionisten diese Lehre eindringlich genug gepredigt.

Ob für diese Vernachlässigung eines wichtigen Theils der nationalen
Wehrkraft einzelne Personen haftbar zu machen sein mögen, oder nicht, ist
ziemlich einerlei. Gewiß erscheint daß sie aus keinem andern Grunde mit
der wundervollen Vorbereitung und Fertigkeit der Armee so scharf contra-
stirt als weil in Berlin für die Flotte von jeher weniger Geld, Aufmerk-
samkeit und Geisteskraft verfügbar gewesen. Das preußische Heer steht
auf einer hundert= oder zweihundertjährigen Tradition; das hat seine Be-
deutung, auch wenn heute kein Handgriff mehr so geschieht und kein Buch-
stabe in den Reglements mehr so lautet wie zu des großen Kurfürsten
oder selbst zu Friedrichs des Großen Zeit. Die Flotte dagegen zählt erst
etwa zwei Jahrzehnte. Jhrer Jdee nach ist sie eine revolutionäre Schö-
pfung. Als der regierende Monarch seine militärischen Studien machte,
galt eine Flotte für der Natur des preußischen Staats zuwider; und als
sie dann doch aus dem spröden Boden hervorbrach, ein unglaublich zartes
Pflänzchen, konnten selbst so entschiedene Fortschrittsmänner wie Varnha-
gen ( s. die Tagebücher 13. und 14. Band ) nicht genug über ihre Anma-
ßung herrvorzukommen den Kopf schütteln. Daher mag man auch zweifeln
ob es den schwachen Keim anfänglich nicht mehr beschützt als verkümmern
zu lassen gedient hat daß General v. Roon, einer der beschäftigtsten und
angestrengtesten Kriegsminister aller Zeiten, das Marineministerium noch
mitübernahm. Aber freilich mußte unter allen Umständen einmal der
Punkt erreicht werden wo der vorher erwünschte und förderliche Schutz in
den Nachtheil mangelnder Hingebung, Aufmerksamkeit und Sachkenntniß
umschlug. Auch aus andern Gründen als militärischen ist es im Laufe
dieses wechselreichen Krieges beklagt worden daß, während der Kriegsmini-
ster wie billig dem großen Hauptquartier in den Krieg folgte, der Marine-
minister nicht zur beständigen Observation und Action auf seinem wei-
ten Feld in Deutschland bleiben konnte; allein es scheint daß sich das
gleiche Bedauern aus einer Vergleichung des Fertigkeitsstandes der Armee
und der Flotte beim Kriegsausbruch ebenfalls ergibt. Auf Hrn. v. Roons
unsterbliche Verdienste fällt damit kein Schatten. Es entsteht nur der ge-
rechte Wunsch daß wenigstens für die Zukunft nicht zweier ganzer Männer
höchste Leistung von einem möge verlangt und erwartet werden.

Soweit die vorhandenen Kräfte jetzt reichen, läßt man es in der Ma-
rine so wenig als im Heerwesen noch während des Kriegs an eifriger
Fortentwicklung fehlen. Eine Commission von Capitänen ist vor kurzem
niedergesetzt worden, um zu prüfen wie sich die Anstalten zum Schutze der
Nordseeküsten bewährt haben, und danach neue erweiterte Vorschläge für
diesen Theil des allgemeinen Küstenschutzes zu machen. Jhre Vorschläge
gehen, wie man hört, im allgemeinen dahin: neben den Maßregeln zur
Sperre der Strommündungen für jede derselben ( d. h. Elbe, Weser und
Jahde, die Emsmündung bleibt als zur Hälfte niederländisch einstweilen
außer Betracht ) ein halbes Duzend Torpedo = Boote aufzustellen, welche
sich einem doch etwa durchbrechenden Feinde nach Art der alten Brander an
die Ferse zu hängen hätten; ferner ein Duzend Panzerschiffe von der Mo-
nitor = Sorte zum Angriff auf blokirende Geschwader, nicht zur Lieferung
von Schlachten in entlegenen Gewässern zu bauen, und endlich schnelle
Holzdampfer in genügender Zahl zur Beunruhigung blokirender feind-
licher Flotten, Abschneidung ihrer Zufuhren, Verhinderung des Waf-
fenschmuggels u. dgl. bereit zu halten. Von diesen Maßregeln ist die erste,[Spaltenumbruch]
einfachste und zugleich dringlichste, durch Bestellungen in Spandau und
Bremen bereits in der Ausführung begriffen. Die andern warten wohl
auf die völlige Herstellung des Friedens.

Wenn die Reichsregierung alsdann an die Nationalvertretung ihre
Forderungen stellt, so mag es der Entwicklung der Marine zu statten kom-
men daß sie doch nicht völlig unwirksam im Kriege geblieben ist, auch ab-
gesehen von ihrer mehr passiven Leistung für die Sicherheit der Häfen
und Küsten. Noch durchschlagender aber wird es ihr hoffentlich frommen
daß nun ganz Deutschlands Kräfte und Triebe an ihre Ausbildung ge-
setzt werden können, da sie schon häufig erfahren hat daß, wenn der Sinn
für ihren Werth im Binnenlande nur erst einmal wach geworden ist, der
dort ausbrechende feurige Enthusiasmus die gelassene, auf Gewohnheit be-
ruhende und durch Gewohnheit abgestumpfte Sympathie des Küstenan-
wohners weit übertrifft.

Der Krieg. Die Belagerung von Belfort.

☧ Petit Croix, 11 Febr. Es dürfte vielleicht nicht ohne Jn-
teresse sein etwas näheres von der Action zu erfahren die, unberührt durch
den Waffenstillstand der im größten Theile Frankreichs abgeschlossen,
ihren Fortgang nimmt, wir meinen die Belagerung von Belfort.

Schon bei Beginn dieses Feldzugs waren aller Augen auf die Be-
lagerung einer großen Festung, auf die Straßburgs, gerichtet, und man
war entzückt als diese alte Veste der deutschen Kunst nicht länger wider-
stehen konnte. Man hielt die Action gegen Straßburg für ein Meisterstück
des Artilleristen und des Jngenieurs, und hielt sie für die schwierigste Un-
ternehmung die man sich denken konnte. Und doch war die Belage-
rung von Straßburg ein Kinderspiel gegen die von Belfort! Eine Festung,
nach den alten Grundsätzen gebaut, in der Ebene gelegen, ohne besondere
casemattirte Räume, dagegen mit einer zahlreichen Bevölkerung versehen,
wie lange kann diese im Stande sein bei einer engen Cernirung dem auf der
Höhe der Zeit besindlichen Geschütz unserer Armee Widerstand zu leisten?
Jch dächte nach dem Falle von Paris müsse man hierüber alle Jllusionen
schwinden lassen!

Wie ganz anders sind die Verhältnisse aber bei Belfort gestaltet!
Als Mittelpunkt der Befestigung kann man den Rocher oder das Château
von Belfort betrachten, ein Gebilde wie es wohl selten die Laune der so
mannichfach schaffenden Natur hervorgebracht hat: ein riesiger Felsen, der
auf der der Stadt zugekehrten Seite steil abfällt, und dem auf der entgegen-
gesetzten etwas flachern durch etagenförmiges Mauerwerk die Kunst das
gegeben woran es die Natur fehlen ließ. Jmponirt diese Citadelle schon
durch ihre Form, so gewinnt sie durch ihre Lage zu den übrigen Befesti-
gungswerken noch mehr an Bedeutung. Von Norden und Westen her
gegen Belfort vorgehend erblickt man wohl die Rückseite dieses Felsen-
kolosses, allein wenn auch alles andere weggedacht wäre, so ist doch eine ge-
deckte Annäherung der vielen Wasseradern halber unmöglich. Von Süden
und Osten aus ist das Schloß erst zu sehen wenn man sich demselben
schon sehr genähert hat. Daß dieß nicht zu früh geschehe, dafür sorgen la
Justice und la Miotte, auf stolzer Bergeshöhe gelegen, jedes für sich eine
gewaltige Festung: zu allem Ueberflusse haben die Franzosen noch die
beiden provisorischen Werke Haute und Basse Perche angelegt, welche dem
Angriffe sehr wesentliche Hindernisse bereiteten.

Die Stadt selbst ist klein und nur von Westen und Norden her ge-
fährdet, während das Château und die Höhen daneben sie gegen Süden
und Osten decken. Außer ihrer günstigen Lage schützen sie die Kanonen von
Miotte, Barres und verschiedenen Werken die zwischen Barres und Miotte
angelegt sind. Ein verschanztes Lager zwischen den Vorwerken und der
Stadt würde dem Gros eines tüchtigen Heers einen sichern Aufenthalt ge-
währen, während seine Vortruppen, in den Dörfern um Belfort vertheilt,
diese unter Beihülfe der Kanonen der Festung gegen jeden nicht mit allzu
großer Uebermacht anrückenden Feind vertheidigen könnten. Rechnet man
zu dem bereits Gesagten noch die Schwierigkeiten die ein felsiger Boden
Angriffsarbeiten entgegensetzt, so kann man sich ungefähr eine Vorstellung
machen von dieser durch Natur und Kunst zu einem Platz ersten Ranges
gemachten Festung! Es ist für das Auge eines Jngenieurs oder eines
Artilleristen wirklich ein Genuß diese mit aller Kunst und allem Fleiß
angelegten Werke zu betrachten, die von einem verständigen Commandanten
zudem ganz vorzüglich armirt sind. Allerdings gesellt sich zu dem Gefühle
der Befriedigung über die Anlage auch -- für uns wenigstens -- der
Aerger sich sagen zu müssen daß wir diesen Werken verhältnißmäßig noch
sehr wenig gethan haben.

Letzteres hat außer der unendlich günstigen Lage des Platzes noch
einen weitern Grund. Wenn man die ungeheuern Mittel sah welche man
auf die Belagerung von Straßburg verwendete, so kann man sich eines be-
dauerlichen mitleidigen Kopfschüttelns nicht erwehren wenn man einen Blick

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[782/0002] Die Ueberlegenheit der feindlichen Flotte, einer Flotte ersten Rangs, über die unsrige, welche erst auf dem Wege war eine Flotte zweiten Rangs zu werden, und sich ein höheres Ziel bisher überhaupt niemals gesteckt hat, erklärt einiges, jedoch bei weitem nicht alles. Ein unglücklicher Zufall war es natürlich daß in dem stärksten unserer Panzerschiffe, dem „König Wilhelm,“ ein Cylinder brach, und so seine Schnelligkeit von 14 auf 9 Seemeilen herabgesetzt wurde, gerade als der Krieg ausbrach; wodurch das einzige jedem französischen Panzerschiff einzeln gewachsene oder überlegene Schiff, das wir besaßen, für die Dauer des Kriegs zur Unthätigkeit verur- theilt ward. Das gleiche widerfuhr dem einen der beiden Panzerschiffe zweiten Kalibers, dem „Prinz Friedrich Karl,“ später mit der Schraube, und er liegt noch gegenwärtig zu Wilhelmshafen im Dock. Dieses Dock dagegen, welches so wichtig werden sollte, hätte wohl etwas früher fertig werden können. Und besser vorbereitet auf den Krieg hätte die Holzflotte im allgemeinen sein sollen, jene schnellen Kriegsdampfer deren einer schon -- wie die schönen Erfolge der „Augusta“ zeigen -- dem Waffenschmuggel sein Spiel gar sehr hätte verderben können, wenn er rechtzeitig halb unter Dampf, halb unter Segel, zum Kreuzen in den Atlantischen Ocean hinaus- gegangen wäre. Als Capitän Weikhmanns Glück diese Bahn zum Ruhm geöffnet hatte, traf die Waffenstillstandsnachricht das nachgesandte, nun endlich ausgerüstete Geschwader noch östlich vom Sunde. Es war aber doch nichts so ganz neues daß die wesentliche Wirksamkeit kleiner Marinen gegen große oft in einzelnen schnellen und gutgeführten Schiffen liegt. Während des amerikanischen Bürgerkriegs hatten die „Alabama“ und die „Shenandoah“ der Secessionisten diese Lehre eindringlich genug gepredigt. Ob für diese Vernachlässigung eines wichtigen Theils der nationalen Wehrkraft einzelne Personen haftbar zu machen sein mögen, oder nicht, ist ziemlich einerlei. Gewiß erscheint daß sie aus keinem andern Grunde mit der wundervollen Vorbereitung und Fertigkeit der Armee so scharf contra- stirt als weil in Berlin für die Flotte von jeher weniger Geld, Aufmerk- samkeit und Geisteskraft verfügbar gewesen. Das preußische Heer steht auf einer hundert= oder zweihundertjährigen Tradition; das hat seine Be- deutung, auch wenn heute kein Handgriff mehr so geschieht und kein Buch- stabe in den Reglements mehr so lautet wie zu des großen Kurfürsten oder selbst zu Friedrichs des Großen Zeit. Die Flotte dagegen zählt erst etwa zwei Jahrzehnte. Jhrer Jdee nach ist sie eine revolutionäre Schö- pfung. Als der regierende Monarch seine militärischen Studien machte, galt eine Flotte für der Natur des preußischen Staats zuwider; und als sie dann doch aus dem spröden Boden hervorbrach, ein unglaublich zartes Pflänzchen, konnten selbst so entschiedene Fortschrittsmänner wie Varnha- gen ( s. die Tagebücher 13. und 14. Band ) nicht genug über ihre Anma- ßung herrvorzukommen den Kopf schütteln. Daher mag man auch zweifeln ob es den schwachen Keim anfänglich nicht mehr beschützt als verkümmern zu lassen gedient hat daß General v. Roon, einer der beschäftigtsten und angestrengtesten Kriegsminister aller Zeiten, das Marineministerium noch mitübernahm. Aber freilich mußte unter allen Umständen einmal der Punkt erreicht werden wo der vorher erwünschte und förderliche Schutz in den Nachtheil mangelnder Hingebung, Aufmerksamkeit und Sachkenntniß umschlug. Auch aus andern Gründen als militärischen ist es im Laufe dieses wechselreichen Krieges beklagt worden daß, während der Kriegsmini- ster wie billig dem großen Hauptquartier in den Krieg folgte, der Marine- minister nicht zur beständigen Observation und Action auf seinem wei- ten Feld in Deutschland bleiben konnte; allein es scheint daß sich das gleiche Bedauern aus einer Vergleichung des Fertigkeitsstandes der Armee und der Flotte beim Kriegsausbruch ebenfalls ergibt. Auf Hrn. v. Roons unsterbliche Verdienste fällt damit kein Schatten. Es entsteht nur der ge- rechte Wunsch daß wenigstens für die Zukunft nicht zweier ganzer Männer höchste Leistung von einem möge verlangt und erwartet werden. Soweit die vorhandenen Kräfte jetzt reichen, läßt man es in der Ma- rine so wenig als im Heerwesen noch während des Kriegs an eifriger Fortentwicklung fehlen. Eine Commission von Capitänen ist vor kurzem niedergesetzt worden, um zu prüfen wie sich die Anstalten zum Schutze der Nordseeküsten bewährt haben, und danach neue erweiterte Vorschläge für diesen Theil des allgemeinen Küstenschutzes zu machen. Jhre Vorschläge gehen, wie man hört, im allgemeinen dahin: neben den Maßregeln zur Sperre der Strommündungen für jede derselben ( d. h. Elbe, Weser und Jahde, die Emsmündung bleibt als zur Hälfte niederländisch einstweilen außer Betracht ) ein halbes Duzend Torpedo = Boote aufzustellen, welche sich einem doch etwa durchbrechenden Feinde nach Art der alten Brander an die Ferse zu hängen hätten; ferner ein Duzend Panzerschiffe von der Mo- nitor = Sorte zum Angriff auf blokirende Geschwader, nicht zur Lieferung von Schlachten in entlegenen Gewässern zu bauen, und endlich schnelle Holzdampfer in genügender Zahl zur Beunruhigung blokirender feind- licher Flotten, Abschneidung ihrer Zufuhren, Verhinderung des Waf- fenschmuggels u. dgl. bereit zu halten. Von diesen Maßregeln ist die erste, einfachste und zugleich dringlichste, durch Bestellungen in Spandau und Bremen bereits in der Ausführung begriffen. Die andern warten wohl auf die völlige Herstellung des Friedens. Wenn die Reichsregierung alsdann an die Nationalvertretung ihre Forderungen stellt, so mag es der Entwicklung der Marine zu statten kom- men daß sie doch nicht völlig unwirksam im Kriege geblieben ist, auch ab- gesehen von ihrer mehr passiven Leistung für die Sicherheit der Häfen und Küsten. Noch durchschlagender aber wird es ihr hoffentlich frommen daß nun ganz Deutschlands Kräfte und Triebe an ihre Ausbildung ge- setzt werden können, da sie schon häufig erfahren hat daß, wenn der Sinn für ihren Werth im Binnenlande nur erst einmal wach geworden ist, der dort ausbrechende feurige Enthusiasmus die gelassene, auf Gewohnheit be- ruhende und durch Gewohnheit abgestumpfte Sympathie des Küstenan- wohners weit übertrifft. Der Krieg. Die Belagerung von Belfort. ☧ Petit Croix, 11 Febr. Es dürfte vielleicht nicht ohne Jn- teresse sein etwas näheres von der Action zu erfahren die, unberührt durch den Waffenstillstand der im größten Theile Frankreichs abgeschlossen, ihren Fortgang nimmt, wir meinen die Belagerung von Belfort. Schon bei Beginn dieses Feldzugs waren aller Augen auf die Be- lagerung einer großen Festung, auf die Straßburgs, gerichtet, und man war entzückt als diese alte Veste der deutschen Kunst nicht länger wider- stehen konnte. Man hielt die Action gegen Straßburg für ein Meisterstück des Artilleristen und des Jngenieurs, und hielt sie für die schwierigste Un- ternehmung die man sich denken konnte. Und doch war die Belage- rung von Straßburg ein Kinderspiel gegen die von Belfort! Eine Festung, nach den alten Grundsätzen gebaut, in der Ebene gelegen, ohne besondere casemattirte Räume, dagegen mit einer zahlreichen Bevölkerung versehen, wie lange kann diese im Stande sein bei einer engen Cernirung dem auf der Höhe der Zeit besindlichen Geschütz unserer Armee Widerstand zu leisten? Jch dächte nach dem Falle von Paris müsse man hierüber alle Jllusionen schwinden lassen! Wie ganz anders sind die Verhältnisse aber bei Belfort gestaltet! Als Mittelpunkt der Befestigung kann man den Rocher oder das Château von Belfort betrachten, ein Gebilde wie es wohl selten die Laune der so mannichfach schaffenden Natur hervorgebracht hat: ein riesiger Felsen, der auf der der Stadt zugekehrten Seite steil abfällt, und dem auf der entgegen- gesetzten etwas flachern durch etagenförmiges Mauerwerk die Kunst das gegeben woran es die Natur fehlen ließ. Jmponirt diese Citadelle schon durch ihre Form, so gewinnt sie durch ihre Lage zu den übrigen Befesti- gungswerken noch mehr an Bedeutung. Von Norden und Westen her gegen Belfort vorgehend erblickt man wohl die Rückseite dieses Felsen- kolosses, allein wenn auch alles andere weggedacht wäre, so ist doch eine ge- deckte Annäherung der vielen Wasseradern halber unmöglich. Von Süden und Osten aus ist das Schloß erst zu sehen wenn man sich demselben schon sehr genähert hat. Daß dieß nicht zu früh geschehe, dafür sorgen la Justice und la Miotte, auf stolzer Bergeshöhe gelegen, jedes für sich eine gewaltige Festung: zu allem Ueberflusse haben die Franzosen noch die beiden provisorischen Werke Haute und Basse Perche angelegt, welche dem Angriffe sehr wesentliche Hindernisse bereiteten. Die Stadt selbst ist klein und nur von Westen und Norden her ge- fährdet, während das Château und die Höhen daneben sie gegen Süden und Osten decken. Außer ihrer günstigen Lage schützen sie die Kanonen von Miotte, Barres und verschiedenen Werken die zwischen Barres und Miotte angelegt sind. Ein verschanztes Lager zwischen den Vorwerken und der Stadt würde dem Gros eines tüchtigen Heers einen sichern Aufenthalt ge- währen, während seine Vortruppen, in den Dörfern um Belfort vertheilt, diese unter Beihülfe der Kanonen der Festung gegen jeden nicht mit allzu großer Uebermacht anrückenden Feind vertheidigen könnten. Rechnet man zu dem bereits Gesagten noch die Schwierigkeiten die ein felsiger Boden Angriffsarbeiten entgegensetzt, so kann man sich ungefähr eine Vorstellung machen von dieser durch Natur und Kunst zu einem Platz ersten Ranges gemachten Festung! Es ist für das Auge eines Jngenieurs oder eines Artilleristen wirklich ein Genuß diese mit aller Kunst und allem Fleiß angelegten Werke zu betrachten, die von einem verständigen Commandanten zudem ganz vorzüglich armirt sind. Allerdings gesellt sich zu dem Gefühle der Befriedigung über die Anlage auch -- für uns wenigstens -- der Aerger sich sagen zu müssen daß wir diesen Werken verhältnißmäßig noch sehr wenig gethan haben. Letzteres hat außer der unendlich günstigen Lage des Platzes noch einen weitern Grund. Wenn man die ungeheuern Mittel sah welche man auf die Belagerung von Straßburg verwendete, so kann man sich eines be- dauerlichen mitleidigen Kopfschüttelns nicht erwehren wenn man einen Blick

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 47. Augsburg (Bayern), 16. Februar 1871, S. 782. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg47_1871/2>, abgerufen am 27.04.2024.