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Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 21. Rudolstadt, 22. Mai 1848.

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[Spaltenumbruch] Thlr. mehr und nahm einen Zwischendeckskammerplatz, die an der
Seite des Schiffes herumliegen, und deren jede ein Fenster habe,
wie mir gesagt ward. Als ich in meine Kammer trete, sind schon
4 Frauenzimmer darin, die hier ebenfalls Plätze haben; mein
jungfräuliches Blut stieg mir zu Kopfe, und die Frauen erhoben
ein Lamento, da wir beiderseits der Meinung gewesen, daß in
den Kammern die Reisenden nach dem Geschlecht geschieden seien;
man ist doch zu genirt, und es war mir sehr angenehm, als sie,
meine Galanterie zurückweisend, ihre sieben Sachen zusammen-
nahmen und eine andere Kammer suchten. Mit mir sind nun
noch 4 Männer in der Kammer, und ich wünsche nur, daß die
übrigen 3 Plätze leer bleiben. Jch nahm gleich den obersten
Platz am Fenster, das aber nur 4 Zoll Durchmesser hat und
von sehr dickem Glase ist. Welche Erleuchtung daher in der
Kammer ist, könnt Jhr Euch vorstellen. Der einzige Platz, der
einigermaßen genügendes Licht zum Schreiben bietet, ist unmittel-
bar am Fenster, indem mein Bett mir als Tisch dienen muß.
Jch kann versichern, daß es nicht allzu bequem ist. Mein Lager
selbst liegt 4 Fuß hoch, so daß ich immer erst auf einer Art Stiege
hinaufklettern muß. Dafür bin ich aber auch sicher, nicht
getauft zu werden, wenn die Seekrankheit beginnen wird. Da
draußen aber ( ich meine, wo Alles unter einander liegt ) ist's
fürchterlich, und der Mensch versuche die Götter nicht. Wie es
dort zugeht, was man da sehen und hören muß, das läßt sich besser
denken als beschreiben; es herrscht dort ewige Finsterniß, wie in
der Unterwelt, da Licht nicht gebrannt werden darf; es ist dort
mit einem Worte erschrecklich. Jm alleruntersten Zwischendeck
aber ist es gerade, als gebe es auf der lieben Erde weder Sonne
noch Licht; ich versuchte gestern, mir die Räumlichkeiten anzusehen,
kehrte aber bald um; denn für's Auge hatte ich gar nichts, für
einen andern Sinn aber zu viel. Heute Mittag war das Er-
halten der Mahlzeit wieder mit so vielen Schwierigkeiten ver-
bunden, daß ich ganz davon abstand. Wenn das nicht besser
wird, so bleibt's so. Es ist immer noch schrecklicher Trubel hier;
sehr oft kommt ein Boot von Glückstadt heran mit Lebensmitteln,
das dann so überstürmt wird, daß beim besten Willen nichts zu
erhalten ist. Unser Trinkwasser ist Elbwasser, das auch für die
Reise mitgenommen und jetzt noch Jedem verabreicht wird, so viel
er davon will. Später wird es wol spärlicher vertheilt werden.
Unser Schiff, ein ungeheurer Kerl mit 3 Masten, hat noch 19
Fuß Tiefe unter dem Wasserspiegel; die ganze Besatzung spricht
nur englisch und so schnell, daß es schwer verstehen ist.

   

Gestern Abend endlich ist der Capitain angelangt; nun wird
mehr Ordnung in alle Verhältnisse kommen, auch geht es fort,
sobald der Wind günstig ist. Der Wellenschlag ist schon hier
köstlich; wie muß es nicht erst herrlich auf der offenen See sein!
Der Wind saust mit schauerlichen Tönen durch die Takelage, eine
Aeolsharfe eigenthümlicher Art. Die petites miseres werden
doch etwas drückend; so kann ich mich mit meinem Bette immer
noch nicht vertragen, die Länge ist genügend, aber die Breite be-
trägt nur 2 Fuß. Sagt Euch selbst, wie man sich unter solchem
[Spaltenumbruch] Breitengrade zu verhalten hat. Jch werde noch meine Decke
rings an die Matratze fest nähen müssen, um wenigstens sicher
zu liegen. Alle Vortheile gelten hier.

Unser Schiff ist 107 Fuß lang, 45 F. breit und 28 F. hoch;
der Anker wiegt 4600 P. Der Mittelmast hat eine Höhe von
107 F., die andern beiden sind etwas niedriger. Heute bin ich
schon trotz heftigem Sturme bis beinahe in die oberste Spitze des
Mittelmastes auf den schwankenden Strickleitern geklettert; da
oben peitschte der Borus gehörig, doch ist es für den nicht Schwind-
ligen nicht gefährlich und unendlich lohnend durch die herrlichste
Aussicht. Jm Grunde ist es nicht erlaubt, in die Mastkörbe zu
steigen, da ich aber als Arzt ein gewisses Vorrecht habe, auch
schon den Obersteuermann von einem bösen Zahn erlöste, ge-
stattet man es mir. Die Reinlichkeit auf dem Schiffe selbst ist
lobenswerth. Jeden Morgen wird das ganze Verdeck von den
Matrosen gescheuert und Mittags gekehrt; auch die Zwischendecke
müssen täglich 3 mal gekehrt werden, was unter den Passagieren
die Reihe nach herumgeht. Gestern Abend gab es beinahe eine
Religions=Revolution, und ich stehe nicht dafür, daß sie im Ver-
lauf der Reise noch wirklich ausbricht. Es ist nämlich ein junger
sehr frommer Theolog am Bord, der Missionär werden will;
wie sich stets im Leben die Gegensätze berühren, so hat es der
Zufall auch hier gewollt, daß er der Mitgenosse meiner Kammer
ist. Natürlich bedurfte es nicht allzulanger Zeit, um uns gegen-
seitig zu durchschauen, und es gibt nun fortwährend Wortkrieg
zwischen einem, der bekehren möchte, und einem, der sich nicht
bekehren lassen will. Morgens und Abends singt und betet er
mit einem Theile der Reisenden, während viele Andere zu gleicher
Zeit, gewissermaßen aus Hohn, lustige Lieder singen. Da gibt
es denn natürlich öfters Reibungen. Das Schrecklichste wird für
mich nachgerade dieses lange, zwecklose Liegen hier; lieber wollte
ich auf dem Meere im wildesten Sturme sein. Aber der Wind
bläst unverdrossen aus Nord oder West und läßt uns nicht zur
Elbe hinaus. Die Mitte des Verdeckes ist der Raum für die
Reisenden, so lange Wind und Wetter den Aufenthalt daselbst
erlaubte. Doch ist es auf jeder Seite durch 7 Fuß hohe Seiten-
wände, mit Thüren für die anlegenden Schiffe, begrenzt; am
obern und untern Ende ist noch ein Stockwerk, in dem auf der
einen Seite die Wohnungen der Matrosen, die Küche, während
im Vordertheil die des Capitains und der obern Besatzung sich
befindet. Unser Schiff hat 42 Mann Besatzung und führt 4
Böte mit sich, deren 3 auswendig hängen, während das vierte
( größte ) vorläufig noch im Schiffe selbst steht und jetzt zum
Stall für die Kälber und Hammel zu des Capitains Tisch
dienen muß.

   

Als Arzt findet sich für mich vielfache Arbeit. Gestern be-
förderte ich eine kleine Weltbürgerin zum Dasein; Mutter und
Kind befinden sich ganz wohl. Sonntag über 8 Tage soll getauft
werden, und da wir dann hoffentlich auf offener See sind und
kein ordinirter Prediger am Bord ist, vollziehe ich vielleicht selbst
diese nothgedrungene Civiltaufe. Außerdem habe ich 7 Patienten

[Spaltenumbruch] Thlr. mehr und nahm einen Zwischendeckskammerplatz, die an der
Seite des Schiffes herumliegen, und deren jede ein Fenster habe,
wie mir gesagt ward. Als ich in meine Kammer trete, sind schon
4 Frauenzimmer darin, die hier ebenfalls Plätze haben; mein
jungfräuliches Blut stieg mir zu Kopfe, und die Frauen erhoben
ein Lamento, da wir beiderseits der Meinung gewesen, daß in
den Kammern die Reisenden nach dem Geschlecht geschieden seien;
man ist doch zu genirt, und es war mir sehr angenehm, als sie,
meine Galanterie zurückweisend, ihre sieben Sachen zusammen-
nahmen und eine andere Kammer suchten. Mit mir sind nun
noch 4 Männer in der Kammer, und ich wünsche nur, daß die
übrigen 3 Plätze leer bleiben. Jch nahm gleich den obersten
Platz am Fenster, das aber nur 4 Zoll Durchmesser hat und
von sehr dickem Glase ist. Welche Erleuchtung daher in der
Kammer ist, könnt Jhr Euch vorstellen. Der einzige Platz, der
einigermaßen genügendes Licht zum Schreiben bietet, ist unmittel-
bar am Fenster, indem mein Bett mir als Tisch dienen muß.
Jch kann versichern, daß es nicht allzu bequem ist. Mein Lager
selbst liegt 4 Fuß hoch, so daß ich immer erst auf einer Art Stiege
hinaufklettern muß. Dafür bin ich aber auch sicher, nicht
getauft zu werden, wenn die Seekrankheit beginnen wird. Da
draußen aber ( ich meine, wo Alles unter einander liegt ) ist's
fürchterlich, und der Mensch versuche die Götter nicht. Wie es
dort zugeht, was man da sehen und hören muß, das läßt sich besser
denken als beschreiben; es herrscht dort ewige Finsterniß, wie in
der Unterwelt, da Licht nicht gebrannt werden darf; es ist dort
mit einem Worte erschrecklich. Jm alleruntersten Zwischendeck
aber ist es gerade, als gebe es auf der lieben Erde weder Sonne
noch Licht; ich versuchte gestern, mir die Räumlichkeiten anzusehen,
kehrte aber bald um; denn für's Auge hatte ich gar nichts, für
einen andern Sinn aber zu viel. Heute Mittag war das Er-
halten der Mahlzeit wieder mit so vielen Schwierigkeiten ver-
bunden, daß ich ganz davon abstand. Wenn das nicht besser
wird, so bleibt's so. Es ist immer noch schrecklicher Trubel hier;
sehr oft kommt ein Boot von Glückstadt heran mit Lebensmitteln,
das dann so überstürmt wird, daß beim besten Willen nichts zu
erhalten ist. Unser Trinkwasser ist Elbwasser, das auch für die
Reise mitgenommen und jetzt noch Jedem verabreicht wird, so viel
er davon will. Später wird es wol spärlicher vertheilt werden.
Unser Schiff, ein ungeheurer Kerl mit 3 Masten, hat noch 19
Fuß Tiefe unter dem Wasserspiegel; die ganze Besatzung spricht
nur englisch und so schnell, daß es schwer verstehen ist.

   

Gestern Abend endlich ist der Capitain angelangt; nun wird
mehr Ordnung in alle Verhältnisse kommen, auch geht es fort,
sobald der Wind günstig ist. Der Wellenschlag ist schon hier
köstlich; wie muß es nicht erst herrlich auf der offenen See sein!
Der Wind saust mit schauerlichen Tönen durch die Takelage, eine
Aeolsharfe eigenthümlicher Art. Die petites misères werden
doch etwas drückend; so kann ich mich mit meinem Bette immer
noch nicht vertragen, die Länge ist genügend, aber die Breite be-
trägt nur 2 Fuß. Sagt Euch selbst, wie man sich unter solchem
[Spaltenumbruch] Breitengrade zu verhalten hat. Jch werde noch meine Decke
rings an die Matratze fest nähen müssen, um wenigstens sicher
zu liegen. Alle Vortheile gelten hier.

Unser Schiff ist 107 Fuß lang, 45 F. breit und 28 F. hoch;
der Anker wiegt 4600 P. Der Mittelmast hat eine Höhe von
107 F., die andern beiden sind etwas niedriger. Heute bin ich
schon trotz heftigem Sturme bis beinahe in die oberste Spitze des
Mittelmastes auf den schwankenden Strickleitern geklettert; da
oben peitschte der Borus gehörig, doch ist es für den nicht Schwind-
ligen nicht gefährlich und unendlich lohnend durch die herrlichste
Aussicht. Jm Grunde ist es nicht erlaubt, in die Mastkörbe zu
steigen, da ich aber als Arzt ein gewisses Vorrecht habe, auch
schon den Obersteuermann von einem bösen Zahn erlöste, ge-
stattet man es mir. Die Reinlichkeit auf dem Schiffe selbst ist
lobenswerth. Jeden Morgen wird das ganze Verdeck von den
Matrosen gescheuert und Mittags gekehrt; auch die Zwischendecke
müssen täglich 3 mal gekehrt werden, was unter den Passagieren
die Reihe nach herumgeht. Gestern Abend gab es beinahe eine
Religions=Revolution, und ich stehe nicht dafür, daß sie im Ver-
lauf der Reise noch wirklich ausbricht. Es ist nämlich ein junger
sehr frommer Theolog am Bord, der Missionär werden will;
wie sich stets im Leben die Gegensätze berühren, so hat es der
Zufall auch hier gewollt, daß er der Mitgenosse meiner Kammer
ist. Natürlich bedurfte es nicht allzulanger Zeit, um uns gegen-
seitig zu durchschauen, und es gibt nun fortwährend Wortkrieg
zwischen einem, der bekehren möchte, und einem, der sich nicht
bekehren lassen will. Morgens und Abends singt und betet er
mit einem Theile der Reisenden, während viele Andere zu gleicher
Zeit, gewissermaßen aus Hohn, lustige Lieder singen. Da gibt
es denn natürlich öfters Reibungen. Das Schrecklichste wird für
mich nachgerade dieses lange, zwecklose Liegen hier; lieber wollte
ich auf dem Meere im wildesten Sturme sein. Aber der Wind
bläst unverdrossen aus Nord oder West und läßt uns nicht zur
Elbe hinaus. Die Mitte des Verdeckes ist der Raum für die
Reisenden, so lange Wind und Wetter den Aufenthalt daselbst
erlaubte. Doch ist es auf jeder Seite durch 7 Fuß hohe Seiten-
wände, mit Thüren für die anlegenden Schiffe, begrenzt; am
obern und untern Ende ist noch ein Stockwerk, in dem auf der
einen Seite die Wohnungen der Matrosen, die Küche, während
im Vordertheil die des Capitains und der obern Besatzung sich
befindet. Unser Schiff hat 42 Mann Besatzung und führt 4
Böte mit sich, deren 3 auswendig hängen, während das vierte
( größte ) vorläufig noch im Schiffe selbst steht und jetzt zum
Stall für die Kälber und Hammel zu des Capitains Tisch
dienen muß.

   

Als Arzt findet sich für mich vielfache Arbeit. Gestern be-
förderte ich eine kleine Weltbürgerin zum Dasein; Mutter und
Kind befinden sich ganz wohl. Sonntag über 8 Tage soll getauft
werden, und da wir dann hoffentlich auf offener See sind und
kein ordinirter Prediger am Bord ist, vollziehe ich vielleicht selbst
diese nothgedrungene Civiltaufe. Außerdem habe ich 7 Patienten

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Der einzige Platz, der einigermaßen genügendes Licht zum Schreiben bietet, ist unmittel- bar am Fenster, indem mein Bett mir als Tisch dienen muß. Jch kann versichern, daß es nicht allzu bequem ist. Mein Lager selbst liegt 4 Fuß hoch, so daß ich immer erst auf einer Art Stiege hinaufklettern muß. Dafür bin ich aber auch sicher, nicht getauft zu werden, wenn die Seekrankheit beginnen wird. Da draußen aber ( ich meine, wo Alles unter einander liegt ) ist's fürchterlich, und der Mensch versuche die Götter nicht. Wie es dort zugeht, was man da sehen und hören muß, das läßt sich besser denken als beschreiben; es herrscht dort ewige Finsterniß, wie in der Unterwelt, da Licht nicht gebrannt werden darf; es ist dort mit einem Worte erschrecklich. Jm alleruntersten Zwischendeck aber ist es gerade, als gebe es auf der lieben Erde weder Sonne noch Licht; ich versuchte gestern, mir die Räumlichkeiten anzusehen, kehrte aber bald um; denn für's Auge hatte ich gar nichts, für einen andern Sinn aber zu viel. Heute Mittag war das Er- halten der Mahlzeit wieder mit so vielen Schwierigkeiten ver- bunden, daß ich ganz davon abstand. Wenn das nicht besser wird, so bleibt's so. Es ist immer noch schrecklicher Trubel hier; sehr oft kommt ein Boot von Glückstadt heran mit Lebensmitteln, das dann so überstürmt wird, daß beim besten Willen nichts zu erhalten ist. Unser Trinkwasser ist Elbwasser, das auch für die Reise mitgenommen und jetzt noch Jedem verabreicht wird, so viel er davon will. Später wird es wol spärlicher vertheilt werden. Unser Schiff, ein ungeheurer Kerl mit 3 Masten, hat noch 19 Fuß Tiefe unter dem Wasserspiegel; die ganze Besatzung spricht nur englisch und so schnell, daß es schwer verstehen ist. Den 5. Juni. Gestern Abend endlich ist der Capitain angelangt; nun wird mehr Ordnung in alle Verhältnisse kommen, auch geht es fort, sobald der Wind günstig ist. Der Wellenschlag ist schon hier köstlich; wie muß es nicht erst herrlich auf der offenen See sein! Der Wind saust mit schauerlichen Tönen durch die Takelage, eine Aeolsharfe eigenthümlicher Art. Die petites misères werden doch etwas drückend; so kann ich mich mit meinem Bette immer noch nicht vertragen, die Länge ist genügend, aber die Breite be- trägt nur 2 Fuß. Sagt Euch selbst, wie man sich unter solchem Breitengrade zu verhalten hat. Jch werde noch meine Decke rings an die Matratze fest nähen müssen, um wenigstens sicher zu liegen. Alle Vortheile gelten hier. Unser Schiff ist 107 Fuß lang, 45 F. breit und 28 F. hoch; der Anker wiegt 4600 P. Der Mittelmast hat eine Höhe von 107 F., die andern beiden sind etwas niedriger. Heute bin ich schon trotz heftigem Sturme bis beinahe in die oberste Spitze des Mittelmastes auf den schwankenden Strickleitern geklettert; da oben peitschte der Borus gehörig, doch ist es für den nicht Schwind- ligen nicht gefährlich und unendlich lohnend durch die herrlichste Aussicht. Jm Grunde ist es nicht erlaubt, in die Mastkörbe zu steigen, da ich aber als Arzt ein gewisses Vorrecht habe, auch schon den Obersteuermann von einem bösen Zahn erlöste, ge- stattet man es mir. Die Reinlichkeit auf dem Schiffe selbst ist lobenswerth. Jeden Morgen wird das ganze Verdeck von den Matrosen gescheuert und Mittags gekehrt; auch die Zwischendecke müssen täglich 3 mal gekehrt werden, was unter den Passagieren die Reihe nach herumgeht. Gestern Abend gab es beinahe eine Religions=Revolution, und ich stehe nicht dafür, daß sie im Ver- lauf der Reise noch wirklich ausbricht. Es ist nämlich ein junger sehr frommer Theolog am Bord, der Missionär werden will; wie sich stets im Leben die Gegensätze berühren, so hat es der Zufall auch hier gewollt, daß er der Mitgenosse meiner Kammer ist. Natürlich bedurfte es nicht allzulanger Zeit, um uns gegen- seitig zu durchschauen, und es gibt nun fortwährend Wortkrieg zwischen einem, der bekehren möchte, und einem, der sich nicht bekehren lassen will. Morgens und Abends singt und betet er mit einem Theile der Reisenden, während viele Andere zu gleicher Zeit, gewissermaßen aus Hohn, lustige Lieder singen. Da gibt es denn natürlich öfters Reibungen. Das Schrecklichste wird für mich nachgerade dieses lange, zwecklose Liegen hier; lieber wollte ich auf dem Meere im wildesten Sturme sein. Aber der Wind bläst unverdrossen aus Nord oder West und läßt uns nicht zur Elbe hinaus. Die Mitte des Verdeckes ist der Raum für die Reisenden, so lange Wind und Wetter den Aufenthalt daselbst erlaubte. Doch ist es auf jeder Seite durch 7 Fuß hohe Seiten- wände, mit Thüren für die anlegenden Schiffe, begrenzt; am obern und untern Ende ist noch ein Stockwerk, in dem auf der einen Seite die Wohnungen der Matrosen, die Küche, während im Vordertheil die des Capitains und der obern Besatzung sich befindet. Unser Schiff hat 42 Mann Besatzung und führt 4 Böte mit sich, deren 3 auswendig hängen, während das vierte ( größte ) vorläufig noch im Schiffe selbst steht und jetzt zum Stall für die Kälber und Hammel zu des Capitains Tisch dienen muß. Den 11. Juni. Als Arzt findet sich für mich vielfache Arbeit. Gestern be- förderte ich eine kleine Weltbürgerin zum Dasein; Mutter und Kind befinden sich ganz wohl. Sonntag über 8 Tage soll getauft werden, und da wir dann hoffentlich auf offener See sind und kein ordinirter Prediger am Bord ist, vollziehe ich vielleicht selbst diese nothgedrungene Civiltaufe. Außerdem habe ich 7 Patienten

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Zitationshilfe: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 21. Rudolstadt, 22. Mai 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer21_1848/2>, abgerufen am 29.04.2024.