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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

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H. Bethge: Die Malerei in Belgien. 689

Alfred Stevens ist ein diskreter Porträtist, besonders der vornehmen
Frau. Seine malerische Kultur hat sich an Velasquez gebildet, und seine
Grazie und Eleganz, besonders in den sechziger Jahren, sind nicht gering.
Er zeigt als einer der Ersten in Europa eine lebhafte Freude an der an-
gewandten Kunst der Japaner, die damals in Massen aus dem neu ent-
deckten Jnselreich zu uns herüberkam, und man findet diese japanischen Sachen
und Sächelchen als Beiwerk auf seinen Gemälden nicht selten. Auch vom
japanischen Holzschnitt hat er als einer der Ersten gelernt. Ferner zeigt er
sich mit einem anderen Japanschwärmer verwandt: mit Whistler, der damals
in Paris begann.

Der Einfluß des französischen Jmpressionismus ist auf Belgien nicht
minder bedeutsam wie auf die anderen Länder moderner Kultur. Auch in
Belgien ging diese Bewegung, wie in Frankreich, von den Landschaftern aus.
Hippolyte Boulanger ist als der erste anzusprechen, der nicht mehr die Aka-
demie, sondern den Wald von Tervueren befragte, wie man zu malen habe.
Dieser Wald gewann für die Belgier bald eine ähnliche Bedeutung wie der
Wald von Fontainebleau für die Franzosen. Boulanger malt das Licht der
Sonne, wie es zwischen den Kronen der Bäume und auf dem Boden des
Waldes herumhüpft, jenes reizvolle Thema, das der Deutsche Liebermann
später unaufhörlich variiert hat. Er malt wandernde Wolken an hohem Fir-
mament, lichtüberflossene Wiesen und vor allem die melancholischen Stim-
mungen des goldenen Herbstes. Er gelangt zu einer farbigen Frische, die ihn
vor allen seinen Mitstrebenden auszeichnet, und sein allzu früher Tod -- er
starb 1874 mit 37 Jahren -- riß eine Lücke in die belgische Malerei, die
nicht mehr ausgefüllt werden konnte.

Um 1870 macht sich Manets Einfluß in hervorragender Weise geltend.
Die Belgier wurden zuerst durch Felicien Rops auf ihn hingewiesen, den
diabolischen Radierer, der in seinen heute so wenig gekannten, delikaten
Bildern sich durchaus als ein Jmpressionist im Sinne Manets erweist. Rops,
obwohl Belgier von Geburt, ist seinem ganzen Gefühl nach Franzose. Wenn
man etwa seine Malerei "Erwischt" betrachtet, auf der sich zwei vornehme
Kokotten mit heroischen Geberden Grobheiten sagen, so wird man sofort den
Gedanken haben: das kann nur ein Franzose gemacht haben, und zwar ein
Franzose, der Manet liebt. Auch mit Rops' Radierungen, die gewiß zu den
intimsten und geistreichsten, freilich auch zu den gewagtesten der neueren Zeit
gehören, ist es so. Alle diese verzwickten Dinge, die das Geschlechtliche in
so satanischer Weise betonen, haben wohl in der französischen Kunst, aber
nicht in der belgischen ihre Parallelen.

Noch ein anderer Künstler, der das Höchste zu leisten berufen schien, ging
von Manet aus: Henri Evenepoel, der allzu jung Verstorbene, der erst nach
seinem Tode, durch die Weltausstellung von 1900 in weiteren Kreisen bekannt
wurde und von dessen Leistungen man immer wieder zwei wird rühmen
müssen: den bekannten "Spanier in Paris" ( der in Wirklichkeit ein Kata-
lonier ist ) mit dem Moulin rouge im Hintergrunde, und ein exzellentes
Knabenbild; zwei Sachen, die von einer erstaunlichen Reife sind und zeigen,
in welchem Maße der Sinn dieses Künstlers für malerische Wirkungen, ge-
steigert war. Evenepoel ist tot, und einen Künstler, der so rein Maler wäre

H. Bethge: Die Malerei in Belgien. 689

Alfred Stevens ist ein diskreter Porträtist, besonders der vornehmen
Frau. Seine malerische Kultur hat sich an Velasquez gebildet, und seine
Grazie und Eleganz, besonders in den sechziger Jahren, sind nicht gering.
Er zeigt als einer der Ersten in Europa eine lebhafte Freude an der an-
gewandten Kunst der Japaner, die damals in Massen aus dem neu ent-
deckten Jnselreich zu uns herüberkam, und man findet diese japanischen Sachen
und Sächelchen als Beiwerk auf seinen Gemälden nicht selten. Auch vom
japanischen Holzschnitt hat er als einer der Ersten gelernt. Ferner zeigt er
sich mit einem anderen Japanschwärmer verwandt: mit Whistler, der damals
in Paris begann.

Der Einfluß des französischen Jmpressionismus ist auf Belgien nicht
minder bedeutsam wie auf die anderen Länder moderner Kultur. Auch in
Belgien ging diese Bewegung, wie in Frankreich, von den Landschaftern aus.
Hippolyte Boulanger ist als der erste anzusprechen, der nicht mehr die Aka-
demie, sondern den Wald von Tervueren befragte, wie man zu malen habe.
Dieser Wald gewann für die Belgier bald eine ähnliche Bedeutung wie der
Wald von Fontainebleau für die Franzosen. Boulanger malt das Licht der
Sonne, wie es zwischen den Kronen der Bäume und auf dem Boden des
Waldes herumhüpft, jenes reizvolle Thema, das der Deutsche Liebermann
später unaufhörlich variiert hat. Er malt wandernde Wolken an hohem Fir-
mament, lichtüberflossene Wiesen und vor allem die melancholischen Stim-
mungen des goldenen Herbstes. Er gelangt zu einer farbigen Frische, die ihn
vor allen seinen Mitstrebenden auszeichnet, und sein allzu früher Tod — er
starb 1874 mit 37 Jahren — riß eine Lücke in die belgische Malerei, die
nicht mehr ausgefüllt werden konnte.

Um 1870 macht sich Manets Einfluß in hervorragender Weise geltend.
Die Belgier wurden zuerst durch Félicien Rops auf ihn hingewiesen, den
diabolischen Radierer, der in seinen heute so wenig gekannten, delikaten
Bildern sich durchaus als ein Jmpressionist im Sinne Manets erweist. Rops,
obwohl Belgier von Geburt, ist seinem ganzen Gefühl nach Franzose. Wenn
man etwa seine Malerei „Erwischt“ betrachtet, auf der sich zwei vornehme
Kokotten mit heroischen Geberden Grobheiten sagen, so wird man sofort den
Gedanken haben: das kann nur ein Franzose gemacht haben, und zwar ein
Franzose, der Manet liebt. Auch mit Rops' Radierungen, die gewiß zu den
intimsten und geistreichsten, freilich auch zu den gewagtesten der neueren Zeit
gehören, ist es so. Alle diese verzwickten Dinge, die das Geschlechtliche in
so satanischer Weise betonen, haben wohl in der französischen Kunst, aber
nicht in der belgischen ihre Parallelen.

Noch ein anderer Künstler, der das Höchste zu leisten berufen schien, ging
von Manet aus: Henri Evenepoel, der allzu jung Verstorbene, der erst nach
seinem Tode, durch die Weltausstellung von 1900 in weiteren Kreisen bekannt
wurde und von dessen Leistungen man immer wieder zwei wird rühmen
müssen: den bekannten „Spanier in Paris“ ( der in Wirklichkeit ein Kata-
lonier ist ) mit dem Moulin rouge im Hintergrunde, und ein exzellentes
Knabenbild; zwei Sachen, die von einer erstaunlichen Reife sind und zeigen,
in welchem Maße der Sinn dieses Künstlers für malerische Wirkungen, ge-
steigert war. Evenepoel ist tot, und einen Künstler, der so rein Maler wäre

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[689/0049] H. Bethge: Die Malerei in Belgien. 689 Alfred Stevens ist ein diskreter Porträtist, besonders der vornehmen Frau. Seine malerische Kultur hat sich an Velasquez gebildet, und seine Grazie und Eleganz, besonders in den sechziger Jahren, sind nicht gering. Er zeigt als einer der Ersten in Europa eine lebhafte Freude an der an- gewandten Kunst der Japaner, die damals in Massen aus dem neu ent- deckten Jnselreich zu uns herüberkam, und man findet diese japanischen Sachen und Sächelchen als Beiwerk auf seinen Gemälden nicht selten. Auch vom japanischen Holzschnitt hat er als einer der Ersten gelernt. Ferner zeigt er sich mit einem anderen Japanschwärmer verwandt: mit Whistler, der damals in Paris begann. Der Einfluß des französischen Jmpressionismus ist auf Belgien nicht minder bedeutsam wie auf die anderen Länder moderner Kultur. Auch in Belgien ging diese Bewegung, wie in Frankreich, von den Landschaftern aus. Hippolyte Boulanger ist als der erste anzusprechen, der nicht mehr die Aka- demie, sondern den Wald von Tervueren befragte, wie man zu malen habe. Dieser Wald gewann für die Belgier bald eine ähnliche Bedeutung wie der Wald von Fontainebleau für die Franzosen. Boulanger malt das Licht der Sonne, wie es zwischen den Kronen der Bäume und auf dem Boden des Waldes herumhüpft, jenes reizvolle Thema, das der Deutsche Liebermann später unaufhörlich variiert hat. Er malt wandernde Wolken an hohem Fir- mament, lichtüberflossene Wiesen und vor allem die melancholischen Stim- mungen des goldenen Herbstes. Er gelangt zu einer farbigen Frische, die ihn vor allen seinen Mitstrebenden auszeichnet, und sein allzu früher Tod — er starb 1874 mit 37 Jahren — riß eine Lücke in die belgische Malerei, die nicht mehr ausgefüllt werden konnte. Um 1870 macht sich Manets Einfluß in hervorragender Weise geltend. Die Belgier wurden zuerst durch Félicien Rops auf ihn hingewiesen, den diabolischen Radierer, der in seinen heute so wenig gekannten, delikaten Bildern sich durchaus als ein Jmpressionist im Sinne Manets erweist. Rops, obwohl Belgier von Geburt, ist seinem ganzen Gefühl nach Franzose. Wenn man etwa seine Malerei „Erwischt“ betrachtet, auf der sich zwei vornehme Kokotten mit heroischen Geberden Grobheiten sagen, so wird man sofort den Gedanken haben: das kann nur ein Franzose gemacht haben, und zwar ein Franzose, der Manet liebt. Auch mit Rops' Radierungen, die gewiß zu den intimsten und geistreichsten, freilich auch zu den gewagtesten der neueren Zeit gehören, ist es so. Alle diese verzwickten Dinge, die das Geschlechtliche in so satanischer Weise betonen, haben wohl in der französischen Kunst, aber nicht in der belgischen ihre Parallelen. Noch ein anderer Künstler, der das Höchste zu leisten berufen schien, ging von Manet aus: Henri Evenepoel, der allzu jung Verstorbene, der erst nach seinem Tode, durch die Weltausstellung von 1900 in weiteren Kreisen bekannt wurde und von dessen Leistungen man immer wieder zwei wird rühmen müssen: den bekannten „Spanier in Paris“ ( der in Wirklichkeit ein Kata- lonier ist ) mit dem Moulin rouge im Hintergrunde, und ein exzellentes Knabenbild; zwei Sachen, die von einer erstaunlichen Reife sind und zeigen, in welchem Maße der Sinn dieses Künstlers für malerische Wirkungen, ge- steigert war. Evenepoel ist tot, und einen Künstler, der so rein Maler wäre

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/49>, abgerufen am 20.05.2024.