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Märkische Blätter. Jahrgang 7, Nr. 17. Hattingen, 28. Februar 1855.

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Märkische Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

Erscheinen Mittwoch und Sonnabend.
Preis vierteljährlich 10 Sgr.
[Spaltenumbruch] Siebter Jahrgang.
[Spaltenumbruch] Anzeigen per Petitzeile 1 Sgr.
Briefe werden franco erbeten.

[Ende Spaltensatz]

ro 17.Hattingen, Mittwoch, den 28. Februar 1855.


[Beginn Spaltensatz]
Der Geizhals und sein Nachbar.
Eine Geschichte.
( Fortsetzung. )

Es war, bei meiner Treue, eine arge Zeit. Niemand machte
bessere Geschäfte, als Quacksalber und nichtsnutzige Feldscheerer, alte
docternde Hebammen und dergleichen Volk. Sie machten durch aller-
lei [unleserliches Material] Mittel für schweres Geld, wenn die Ziehung nahte, Wunden die
den Anschein hatten, als wären sie mindestens zwölf bis fünfzehn
Jahre alt, und mancher kräftige Bursche behielt einen Denkzettel für
sein ganzes Leben an solcher Wunde.

Jch kenne Manche, die jetzt elendiglich an Krücken gehen und
Manchen hat folche an Betrügeret und Spitzbüberei ins Grab ge-
bracht.

Man konnte sich auch einen Einsteher kaufen in früheren Tagen;
er kostete freilich viel Geld, weil keiner seine Haut wohlfeil zu Markte
tragrn wollte. Diese Leute waren aber in der Regel Tagediebe und
solche von denen zwei und dreißig -- nicht auf ein Pfund, sondern
auf ein Loth gehen.

Kam es nun solch einem Einsteher in den Sinn, Reißaus zu
nehmen und sich zu ranzioniren, wie früher zu desertiren, wie man
heute sagt so war keine Wahl, der mußte für ihn einrücken der ihn
als Einsteher gekauft hatte.

Eine einzige Hoffnung war noch übrig, die nämlich, daß sich ein
junger Mensch eine Nummer zog, die so hoch hinauflief, daß wenn
man ehrlich verfuhr, die Reihe nicht an ihm kommen konnte.

Da war denn in den Familien, die Söhne im loosungsfähigen
Alter hatten, Kreuz und Herzeleid in Hüll' und Fülle, und in Stoffels
Hause zogs nun auch ein. Und wie in der Regel ein Leid nicht
allein kommt, so ereignete sich um die Zeit der Pfiingsten etwas in
Stoffels Haus, das dem Alten den Kopf völlig toll machte und
ihm Glück und Frieden unwiderbringlich aus dem Hause
trieb. --

Stoffels Haus hatte, wie fast alle Häuser im Dorf, ein Pflanz-
und Wiesengarten zur Seite, wo Stall und Scheuer einen spitzen
Winkel bildeten, die lag gar sonnig und heimlich.

Die Scheuer des Nachbars Bender trat auf der Abendseite so
weit vor, daß man nirgends hinblicken konnte. An der Wände der
Gebäude hatte Stoffel Weinreben gesetzt und hinaufgeleitet an Latten
was man am Rhein einen "Lüfter" nennt, und Jacob und Ludwig
hatten in der Ecke eine Bank geposselt, und darüber aus Pfählen und
Latten eine Laube gebaut die so dicht mit Reben bezogen war, daß
man in der hellen Mittagsgluth der Sonne dort sitzen konnte im
herrlichsten Blätterschatten. Stoffel kam selten dahin, weil er auf
der Stelle einschlief und dann Nachts nicht schlafen konnte. Sein
Sitz war am Abend und an den Sonntagnachmittagen vor Benders
Hause.

Es war justement am zweiten Pfingstage, Mittags, so zwischen
Eins und Zwei, als die Männer schon auf dem Bauholz im Sonn-
tagsnachmittagswamms saßen und über die Gerüchte fprachen, welche
über Napoleons Pläne unter den Leuten umherliefen.

Da sah Stoffel, wie sein schönes Töchterlein in den Garten
schlüpfte und ein bedeutungsvoller Wink den Ludwig einlud, ihm zu
[Spaltenumbruch] folgen, Ludwig machte sich nun noch hier und da etwas zu schaffen
ging erst in den Pferdestall, nach den Thieren zu sehen, und husch!
war er auch im Garten.

Stoffel hätte sicherlich diesen Blick nicht gesehen oder noch nicht
beachtet, wäre nicht in der Pfingstsamstagsnacht etwas passirt, was
ihm unsägliches bitteres Kopfbrechen gemacht hätte.

Das ist nämlich die Nacht, wo die Burschen am Rhein ihren
Mädchen grüne Majen, junge weißstämmige Birken, denn die müssen
es sein, an das Haus setzen

Das ist ein Liebeszeichen und das Mädchen ist nm so stolzer
darauf, je schöner die Birken sind, und je größer die Gesahr ist,
welcher sich die Burschen aussetzen, vom Förster erwischt zu werden,
wenn sie sie holen.

Ob sein Ammichen auch Birkenmajen bekäme und von wem,
das setzte ihn in große Aufregung.

Er hatte einen reichen Burschen auf dem Korne für sie und er
dachte der wird schon kommen, zumal er wußte daß er ihr zu Ge-
fallen ging.

Er legte sich nun zwar zu Bett aber er schlief nicht, weil ers ein-
mal ablauern wollte. Das Jacob und Ludwig Majen hauen und
setzen gehen würden, das war ihm gar nicht in den Sinn
gekommen.

Aber, siehe da! Um elf Uhr trappelts die Stiege herunter. Rich-
tig! Das waren Jacob und Ludwig! Euch soll ja! dachte Stoffel
und sein Herz klopfte laut.

Das muß ich wissen, wohin sie die Majen tragen! dachte er.
Zu Ammichen kommt der Jochem Lützeldörfer, daß ist sicher; aber
wohin der Jacob gehen wird? Nun, vielleicht hilft er dem Ludwig
wem sie der aber setzen mag.

Er hörte, wie sie zum Hause hinausschlichen und aller Schlaf
war weg.

Der Schlag wo sie die Birken holten, war kaum eine Viertel-
stunde vom Dorfr. Sie konnten also bald zurückkommen. Der Mond
schien taghell.

Leise stahl sich Stoffel von Evas Seite, die den tiefen Schlaf
der Ermüdung und des guten Gewissens schlief, und schlich ans
Fenster, wo er die Laden beizog und mit seinem Strumpfbändel so
befestigte, daß er, ungefehen, unten durch Alles genau beachten konnte,
was draußen vorging.

Mit großer Ungeduld blieb er am Fenster stehen, das er ohne
Geräusch öffnen konnte, wenn sie nun mit dem Majen kamen. End-
lich vernahm er ein Geräusch.

Jacob ging vorüber, legte auf Benders Bauholz seine Majen ab
und kam zurück in den Hof des väterlichen Hauses, wo Ludwig un-
ter den Augen des vor Grimm bebenden Vaters seine Majen ablegte.
Jetzt begannen sie Löcher zu graben, setzten ihre Majen, betrachteten
sie beifällig und dann nahmen sie die Birken Jacobs und gingen da-
mit nach dem Oberdorfe.

Wie gesagt, bebend hatte Stoffel das mit angesehen. Jetzt gingen
ihm die Augen auf. Also Ludwig hatte sein Ammichen lieb; Jacob
wußte drum und förderte es, und er selbst hatte ein Mädchen im
Oberdorfe. Wer war das? Stoffel mußte das wissen. Rasch
wollte er sich ankleiden, rückte aber am Stuhl und Eva erwachte.

Sie setzte sich auf, sah mit Verwunderung ihren Mann mit An-
[Ende Spaltensatz]

Märkische Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

Erscheinen Mittwoch und Sonnabend.
Preis vierteljährlich 10 Sgr.
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Briefe werden franco erbeten.

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ro 17.Hattingen, Mittwoch, den 28. Februar 1855.


[Beginn Spaltensatz]
Der Geizhals und sein Nachbar.
Eine Geschichte.
( Fortsetzung. )

Es war, bei meiner Treue, eine arge Zeit. Niemand machte
bessere Geschäfte, als Quacksalber und nichtsnutzige Feldscheerer, alte
docternde Hebammen und dergleichen Volk. Sie machten durch aller-
lei [unleserliches Material] Mittel für schweres Geld, wenn die Ziehung nahte, Wunden die
den Anschein hatten, als wären sie mindestens zwölf bis fünfzehn
Jahre alt, und mancher kräftige Bursche behielt einen Denkzettel für
sein ganzes Leben an solcher Wunde.

Jch kenne Manche, die jetzt elendiglich an Krücken gehen und
Manchen hat folche an Betrügeret und Spitzbüberei ins Grab ge-
bracht.

Man konnte sich auch einen Einsteher kaufen in früheren Tagen;
er kostete freilich viel Geld, weil keiner seine Haut wohlfeil zu Markte
tragrn wollte. Diese Leute waren aber in der Regel Tagediebe und
solche von denen zwei und dreißig — nicht auf ein Pfund, sondern
auf ein Loth gehen.

Kam es nun solch einem Einsteher in den Sinn, Reißaus zu
nehmen und sich zu ranzioniren, wie früher zu desertiren, wie man
heute sagt so war keine Wahl, der mußte für ihn einrücken der ihn
als Einsteher gekauft hatte.

Eine einzige Hoffnung war noch übrig, die nämlich, daß sich ein
junger Mensch eine Nummer zog, die so hoch hinauflief, daß wenn
man ehrlich verfuhr, die Reihe nicht an ihm kommen konnte.

Da war denn in den Familien, die Söhne im loosungsfähigen
Alter hatten, Kreuz und Herzeleid in Hüll' und Fülle, und in Stoffels
Hause zogs nun auch ein. Und wie in der Regel ein Leid nicht
allein kommt, so ereignete sich um die Zeit der Pfiingsten etwas in
Stoffels Haus, das dem Alten den Kopf völlig toll machte und
ihm Glück und Frieden unwiderbringlich aus dem Hause
trieb. —

Stoffels Haus hatte, wie fast alle Häuser im Dorf, ein Pflanz-
und Wiesengarten zur Seite, wo Stall und Scheuer einen spitzen
Winkel bildeten, die lag gar sonnig und heimlich.

Die Scheuer des Nachbars Bender trat auf der Abendseite so
weit vor, daß man nirgends hinblicken konnte. An der Wände der
Gebäude hatte Stoffel Weinreben gesetzt und hinaufgeleitet an Latten
was man am Rhein einen „Lüfter“ nennt, und Jacob und Ludwig
hatten in der Ecke eine Bank geposselt, und darüber aus Pfählen und
Latten eine Laube gebaut die so dicht mit Reben bezogen war, daß
man in der hellen Mittagsgluth der Sonne dort sitzen konnte im
herrlichsten Blätterschatten. Stoffel kam selten dahin, weil er auf
der Stelle einschlief und dann Nachts nicht schlafen konnte. Sein
Sitz war am Abend und an den Sonntagnachmittagen vor Benders
Hause.

Es war justement am zweiten Pfingstage, Mittags, so zwischen
Eins und Zwei, als die Männer schon auf dem Bauholz im Sonn-
tagsnachmittagswamms saßen und über die Gerüchte fprachen, welche
über Napoleons Pläne unter den Leuten umherliefen.

Da sah Stoffel, wie sein schönes Töchterlein in den Garten
schlüpfte und ein bedeutungsvoller Wink den Ludwig einlud, ihm zu
[Spaltenumbruch] folgen, Ludwig machte sich nun noch hier und da etwas zu schaffen
ging erst in den Pferdestall, nach den Thieren zu sehen, und husch!
war er auch im Garten.

Stoffel hätte sicherlich diesen Blick nicht gesehen oder noch nicht
beachtet, wäre nicht in der Pfingstsamstagsnacht etwas passirt, was
ihm unsägliches bitteres Kopfbrechen gemacht hätte.

Das ist nämlich die Nacht, wo die Burschen am Rhein ihren
Mädchen grüne Majen, junge weißstämmige Birken, denn die müssen
es sein, an das Haus setzen

Das ist ein Liebeszeichen und das Mädchen ist nm so stolzer
darauf, je schöner die Birken sind, und je größer die Gesahr ist,
welcher sich die Burschen aussetzen, vom Förster erwischt zu werden,
wenn sie sie holen.

Ob sein Ammichen auch Birkenmajen bekäme und von wem,
das setzte ihn in große Aufregung.

Er hatte einen reichen Burschen auf dem Korne für sie und er
dachte der wird schon kommen, zumal er wußte daß er ihr zu Ge-
fallen ging.

Er legte sich nun zwar zu Bett aber er schlief nicht, weil ers ein-
mal ablauern wollte. Das Jacob und Ludwig Majen hauen und
setzen gehen würden, das war ihm gar nicht in den Sinn
gekommen.

Aber, siehe da! Um elf Uhr trappelts die Stiege herunter. Rich-
tig! Das waren Jacob und Ludwig! Euch soll ja! dachte Stoffel
und sein Herz klopfte laut.

Das muß ich wissen, wohin sie die Majen tragen! dachte er.
Zu Ammichen kommt der Jochem Lützeldörfer, daß ist sicher; aber
wohin der Jacob gehen wird? Nun, vielleicht hilft er dem Ludwig
wem sie der aber setzen mag.

Er hörte, wie sie zum Hause hinausschlichen und aller Schlaf
war weg.

Der Schlag wo sie die Birken holten, war kaum eine Viertel-
stunde vom Dorfr. Sie konnten also bald zurückkommen. Der Mond
schien taghell.

Leise stahl sich Stoffel von Evas Seite, die den tiefen Schlaf
der Ermüdung und des guten Gewissens schlief, und schlich ans
Fenster, wo er die Laden beizog und mit seinem Strumpfbändel so
befestigte, daß er, ungefehen, unten durch Alles genau beachten konnte,
was draußen vorging.

Mit großer Ungeduld blieb er am Fenster stehen, das er ohne
Geräusch öffnen konnte, wenn sie nun mit dem Majen kamen. End-
lich vernahm er ein Geräusch.

Jacob ging vorüber, legte auf Benders Bauholz seine Majen ab
und kam zurück in den Hof des väterlichen Hauses, wo Ludwig un-
ter den Augen des vor Grimm bebenden Vaters seine Majen ablegte.
Jetzt begannen sie Löcher zu graben, setzten ihre Majen, betrachteten
sie beifällig und dann nahmen sie die Birken Jacobs und gingen da-
mit nach dem Oberdorfe.

Wie gesagt, bebend hatte Stoffel das mit angesehen. Jetzt gingen
ihm die Augen auf. Also Ludwig hatte sein Ammichen lieb; Jacob
wußte drum und förderte es, und er selbst hatte ein Mädchen im
Oberdorfe. Wer war das? Stoffel mußte das wissen. Rasch
wollte er sich ankleiden, rückte aber am Stuhl und Eva erwachte.

Sie setzte sich auf, sah mit Verwunderung ihren Mann mit An-
[Ende Spaltensatz]

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( Fortsetzung. )<note type="editorial">Die Ausgabe, die (vermutlich) den direkt vorangegangen Artikelteil enthält, fehlt. In <ref target="nn_maerkische14_1855#Geizhals1">Ausgabe 14</ref> is ein weiterer vorangegangener Artikelteil enthalten.</note></head><lb/>
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Diese Leute waren aber in der Regel Tagediebe und solche von denen zwei und dreißig — nicht auf ein Pfund, sondern auf ein Loth gehen. Kam es nun solch einem Einsteher in den Sinn, Reißaus zu nehmen und sich zu ranzioniren, wie früher zu desertiren, wie man heute sagt so war keine Wahl, der mußte für ihn einrücken der ihn als Einsteher gekauft hatte. Eine einzige Hoffnung war noch übrig, die nämlich, daß sich ein junger Mensch eine Nummer zog, die so hoch hinauflief, daß wenn man ehrlich verfuhr, die Reihe nicht an ihm kommen konnte. Da war denn in den Familien, die Söhne im loosungsfähigen Alter hatten, Kreuz und Herzeleid in Hüll' und Fülle, und in Stoffels Hause zogs nun auch ein. 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Zu Ammichen kommt der Jochem Lützeldörfer, daß ist sicher; aber wohin der Jacob gehen wird? Nun, vielleicht hilft er dem Ludwig wem sie der aber setzen mag. Er hörte, wie sie zum Hause hinausschlichen und aller Schlaf war weg. Der Schlag wo sie die Birken holten, war kaum eine Viertel- stunde vom Dorfr. Sie konnten also bald zurückkommen. Der Mond schien taghell. Leise stahl sich Stoffel von Evas Seite, die den tiefen Schlaf der Ermüdung und des guten Gewissens schlief, und schlich ans Fenster, wo er die Laden beizog und mit seinem Strumpfbändel so befestigte, daß er, ungefehen, unten durch Alles genau beachten konnte, was draußen vorging. Mit großer Ungeduld blieb er am Fenster stehen, das er ohne Geräusch öffnen konnte, wenn sie nun mit dem Majen kamen. End- lich vernahm er ein Geräusch. Jacob ging vorüber, legte auf Benders Bauholz seine Majen ab und kam zurück in den Hof des väterlichen Hauses, wo Ludwig un- ter den Augen des vor Grimm bebenden Vaters seine Majen ablegte. Jetzt begannen sie Löcher zu graben, setzten ihre Majen, betrachteten sie beifällig und dann nahmen sie die Birken Jacobs und gingen da- mit nach dem Oberdorfe. Wie gesagt, bebend hatte Stoffel das mit angesehen. Jetzt gingen ihm die Augen auf. Also Ludwig hatte sein Ammichen lieb; Jacob wußte drum und förderte es, und er selbst hatte ein Mädchen im Oberdorfe. Wer war das? Stoffel mußte das wissen. Rasch wollte er sich ankleiden, rückte aber am Stuhl und Eva erwachte. Sie setzte sich auf, sah mit Verwunderung ihren Mann mit An-

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Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz, Benjamin Fiechter: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Jahrgang 7, Nr. 17. Hattingen, 28. Februar 1855, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische017_1855/1>, abgerufen am 13.05.2024.