Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 22. Mainz, 7. Juli 1848.

Bild:
erste Seite
Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 22. Freitag, den 7. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland und seine Zukunft 1).
II.

*** Das Parlament legt darin eine große praktische Weis-
heit an den Tag, daß es unmittelbar nach der Bestellung des
Reichsverwesers die Grundrechte des Volkes zum Gegenstand
seiner Thätigkeit macht. Die Pedanterie des bisher landläufigen
vulgären Liberalismus hätte ohne Zweifel die sofortige Entwer-
fung einer papiernen Constitution über das Minister= und Kam-
merwesen für das erste und wichtigste gehalten. Daß der Reichs-
tag einen ganz anderen Weg einschlägt, liefert uns den klaren
Beweis, daß wir in eine neue größere Zeit eingetreten sind, wo
die bisherige Freiheitsthümelei der wahren Freiheit Platz
machen muß, und wo, wie die Zeit der Minister= und Diplo-
matenkünste, auch die Zeit der Kammer= und Advokatenkünste
vorüber ist. Wie nun das Parlament für Deutschlands Einheit
nicht durch die Ernennung einer aktendreschenden und mit Phra-
sen fechtenden Commission Fürsehung treffen wollte, sondern durch
die Wahl eines kaiserlichen Reichsverwesers, so wird es nun auch
bezüglich der Volksfreiheit nicht auf dem dürren Wege
des bisherigen liberalen Constitutionalismus weiter wandeln,
sondern mit Einem Schritt einen ganz neuen Weg, der aber der
Weg des Lebens ist, betreten, indem es die Freiheit, die oder
vielmehr deren Schattenbild bisher ausschließlich in der Kammer
ihre Wohnung hatte, mitten in das Volk hineinpflanzt.

Wie so das? -- Nichts ist jammervoller, als bis zum Ueber-
druß Freiheit, Freiheit! rufen zu hören, während man äußerst
selten einen klaren Begriff darüber antrifft, was denn die Frei-
heit sey. Was ist die Freiheit? Wir stehen keinen Augenblick an,
ohne alle Umschweife eine ganz derbe und gemeinverständliche
Erklärung zu geben: die Freiheit besteht darin, daß Jeder
sein eigner Herr ist;
was aber für den einzelnen Mann,
das gilt auch für die Familie, für die Gemeinde, für den
Gau, für den Stamm, für das Land, für jede Corporation.
Diese Selbstherrschaft und Selbstherrlichkeit jedes einzelnen
Mannes, und weiterhin der Familie, der Gemeinde u. s. w.
kann natürlich keine unumschränkte seyn, allein sie darf auch keine
andere äußerlich bindende Schranke haben als das Recht.
Dieser Begriff von Freiheit, den wir soeben gegeben haben, ist
der uralt deutsche, und, wie jeder Geschichtskundige weiß,
ist diese Freiheit erst in den letzten Zeiten des Mittelalters und
in der Neuzeit den deutschen, wie den meisten andern Völkern,
gründlichst abhanden gekommen. Der alte freie Deutsche war
souverain und Herr in seinem Haus, auf seinem Grund und
Boden; mit seinen Gemeindsgenossen bildete er dann eine freie
Genossenschaft, die wiederum frei auf ihrem Gebiet sich selbst re-
gierte und verwaltete; eine Anzahl Gemeinden bildeten zusammen
einen Gau, der jene Angelegenheiten schlichtete und verwaltete,
die dem ganzen Gau gemeinsam, die Gränzen der Gemeinde-
sphäre überschritten; und wiederum in gleicher Weise bildeten aus
den Gauen sich die großen Stammherzogthümer, die dann alle
das Reich in sich vereinten, welchem Reich dann nur eine doppelte
Aufgabe übrig blieb, nämlich 1 ) das Recht Aller zu schirmen und
gegen Einzelne, wie gegen jede Gesammtheit mit dem Stab oder
dem Schwerte der Gerechtigkeit einzuschreiten, wo sie fremdes
Recht verletzten und verbrecherischer Weise die Gränze ihrer recht-
mäßigen Freiheit überschritten; 2 ) die großen allgemeinen Ange-
legenheiten des gesammten Vaterlandes zu besorgen. Außer den
auf natürlicher Verwandtschaft, gemeinsamer Abstammung und
gemeinsamem Wohnsitz beruhenden Genossenschaften der Familie,

[Spaltenumbruch] der Gemeinde, des Gaues u. s. w. gestalten sich aber, wo Natur
und Leben frei walten können, auch eine Menge anderer Corpo-
rationen. Diejenigen, welche gleiche religiöse Ueberzeugung ver-
eint, bilden eine Kirche; Gelehrte einen sich zu wissenschaftlichen
Gesellschaften, bilden Universitäten und Schulen; Handwerker
und Gewerbsleute schließen sich zu Zünften und Jnnungen zusam-
men, die Handelsleute gründen Gesellschaften, und war es nicht
eine solche Corporation der Handelsleute und Schiffer
-- die Hansa -- die durch Jahrhunderte die Meere beherrschte
und Deutschland zu einem Sammelplatz des Welthandels und
Weltreichthums machte? sind es nicht eben solche freie Handels-
gesellschaften, die Englands merkantile Größe gegründet haben;
wir erinnern nur an die ostindische Compagnie? Alle diese Cor-
porationen waren in den Augen des alten deutschen Rechtes in
ihren Gebieten so frei und selbstständig, als der freie Mann in
seinem Haus und die freie deutsche Gemeinde in ihrem Haushalt,
der Gau in seinen Angelegenheiten und der Kaiser auf seinem
Thron. Des Staates, des Reiches Sache war nur, Alle und
Jede in ihrem Recht zu schirmen, und höchstens noch solchen Cor-
porationen, die dem ganzen Reiche Nutzen schafften, auch Unter-
stützung angedeihen zu lassen.

So war es um Freiheit, Recht und Reich beschaffen, da
unser Vaterland noch groß und herrlich war. Und wenn der
Leser sich an den Aufsatz über die nordamerikanische Freiheit in
Nro. 2 und 3 dieser Blätter erinnern will, so wird er in der
dortigen Selbstregierung die frappanteste Aehnlichkeit mit den
eben geschilderten altgermanischen Zuständen entdecken. Dieses
self-government, nicht aber etwa daß an der Spitze des Ganzen
nicht ein Kaiser und Parlament, sondern ein Präsident und Con-
gro [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]ß steht, -- ist das Eigenthümliche und Vortreffliche des nord-
amerikanischen Wesens. Das alte Deutschland sah einen Kaiser
an seiner Spitze, und wir fragen jeden Geschichtskenner, ob je
ein Präsident in einer Republik oder im alten republikanischen
Rom ein Consul, sich um ihre Nation solche Verdienste erworben
und sie so groß und herrlich gemacht haben, als die Mehrzahl
dieser Kaiser? -- Doch wir schweifen ab. -- Jenes System der
ächten Freiheit -- was zugleich das System der ächten Wohlfahrt
ist -- wonach jeder selbstständig und souverän ist in seinem Gebiet,
der Familienvater in seinem Haus, die Gemeinde in ihrer Stadt
oder ihrem Dorf, die Kirche auf dem Gebiete der Religion, die Zunft
in ihren Handwerksangelegenheiten u. s. w. wurde ( die Geschichte
und die Ursachen dieser Umwandlung würden uns heute zu weit
führen ) von dem System des Staatsabsolutismus ver-
drängt. Anstatt nämlich sich darauf zu beschränken das Recht Aller
zu schützen und die großen Angelegenheiten des Reiches zu führen,
fing der Staat an, Alles an sich zu reißen, Alles selbst zu thun
und zu verwalten, zu besorgen. Da kam das Geschrei auf, daß
jede selbstständige Corporation "ein Staat im Staate" sey, der
nicht geduldet werden dürfe. Da nahm der Staat die Gemeinden
unter seine Vormundschaft, ihr Vermögen unter seinen Curatel,
erließ ein uniformes Reglement für alle Gemeinden, ernannte ihre
Vorsteher, da wurden die Gemeindebeamten Staatsbeamten.
Während vordem die Unterrichtsanstalten, namentlich die hohen
Schulen, freie wissenschaftliche Körper waren und jeder Fähige
Unterricht ertheilen mochte, vor allem aber der Familienvater
der geborne Erzieher seiner Kinder war, wurde jetzt der Staat
der allgemeine Studien= und Schulmeister, und sogar das A=B=C-
Buch ein Gegenstand seiner Sorge. Da hing es dann von den
jeweiligen Ministerien ab, ob -- wie wir in neuester Zeit in Preu-
ßen gesehen -- Hegelianer oder Orthodoxe Universität und Schule
beherrschten; ob -- wie wir in Baiern gesehen -- Jlluminaten
oder Ultramontane die Erziehung in Händen hielten. Jn wel-
[Ende Spaltensatz]

1) Vergl. Nro. 20.
1 ) Vergl. Nro. 20.
Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 22. Freitag, den 7. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland und seine Zukunft 1).
II.

⁂ Das Parlament legt darin eine große praktische Weis-
heit an den Tag, daß es unmittelbar nach der Bestellung des
Reichsverwesers die Grundrechte des Volkes zum Gegenstand
seiner Thätigkeit macht. Die Pedanterie des bisher landläufigen
vulgären Liberalismus hätte ohne Zweifel die sofortige Entwer-
fung einer papiernen Constitution über das Minister= und Kam-
merwesen für das erste und wichtigste gehalten. Daß der Reichs-
tag einen ganz anderen Weg einschlägt, liefert uns den klaren
Beweis, daß wir in eine neue größere Zeit eingetreten sind, wo
die bisherige Freiheitsthümelei der wahren Freiheit Platz
machen muß, und wo, wie die Zeit der Minister= und Diplo-
matenkünste, auch die Zeit der Kammer= und Advokatenkünste
vorüber ist. Wie nun das Parlament für Deutschlands Einheit
nicht durch die Ernennung einer aktendreschenden und mit Phra-
sen fechtenden Commission Fürsehung treffen wollte, sondern durch
die Wahl eines kaiserlichen Reichsverwesers, so wird es nun auch
bezüglich der Volksfreiheit nicht auf dem dürren Wege
des bisherigen liberalen Constitutionalismus weiter wandeln,
sondern mit Einem Schritt einen ganz neuen Weg, der aber der
Weg des Lebens ist, betreten, indem es die Freiheit, die oder
vielmehr deren Schattenbild bisher ausschließlich in der Kammer
ihre Wohnung hatte, mitten in das Volk hineinpflanzt.

Wie so das? — Nichts ist jammervoller, als bis zum Ueber-
druß Freiheit, Freiheit! rufen zu hören, während man äußerst
selten einen klaren Begriff darüber antrifft, was denn die Frei-
heit sey. Was ist die Freiheit? Wir stehen keinen Augenblick an,
ohne alle Umschweife eine ganz derbe und gemeinverständliche
Erklärung zu geben: die Freiheit besteht darin, daß Jeder
sein eigner Herr ist;
was aber für den einzelnen Mann,
das gilt auch für die Familie, für die Gemeinde, für den
Gau, für den Stamm, für das Land, für jede Corporation.
Diese Selbstherrschaft und Selbstherrlichkeit jedes einzelnen
Mannes, und weiterhin der Familie, der Gemeinde u. s. w.
kann natürlich keine unumschränkte seyn, allein sie darf auch keine
andere äußerlich bindende Schranke haben als das Recht.
Dieser Begriff von Freiheit, den wir soeben gegeben haben, ist
der uralt deutsche, und, wie jeder Geschichtskundige weiß,
ist diese Freiheit erst in den letzten Zeiten des Mittelalters und
in der Neuzeit den deutschen, wie den meisten andern Völkern,
gründlichst abhanden gekommen. Der alte freie Deutsche war
souverain und Herr in seinem Haus, auf seinem Grund und
Boden; mit seinen Gemeindsgenossen bildete er dann eine freie
Genossenschaft, die wiederum frei auf ihrem Gebiet sich selbst re-
gierte und verwaltete; eine Anzahl Gemeinden bildeten zusammen
einen Gau, der jene Angelegenheiten schlichtete und verwaltete,
die dem ganzen Gau gemeinsam, die Gränzen der Gemeinde-
sphäre überschritten; und wiederum in gleicher Weise bildeten aus
den Gauen sich die großen Stammherzogthümer, die dann alle
das Reich in sich vereinten, welchem Reich dann nur eine doppelte
Aufgabe übrig blieb, nämlich 1 ) das Recht Aller zu schirmen und
gegen Einzelne, wie gegen jede Gesammtheit mit dem Stab oder
dem Schwerte der Gerechtigkeit einzuschreiten, wo sie fremdes
Recht verletzten und verbrecherischer Weise die Gränze ihrer recht-
mäßigen Freiheit überschritten; 2 ) die großen allgemeinen Ange-
legenheiten des gesammten Vaterlandes zu besorgen. Außer den
auf natürlicher Verwandtschaft, gemeinsamer Abstammung und
gemeinsamem Wohnsitz beruhenden Genossenschaften der Familie,

[Spaltenumbruch] der Gemeinde, des Gaues u. s. w. gestalten sich aber, wo Natur
und Leben frei walten können, auch eine Menge anderer Corpo-
rationen. Diejenigen, welche gleiche religiöse Ueberzeugung ver-
eint, bilden eine Kirche; Gelehrte einen sich zu wissenschaftlichen
Gesellschaften, bilden Universitäten und Schulen; Handwerker
und Gewerbsleute schließen sich zu Zünften und Jnnungen zusam-
men, die Handelsleute gründen Gesellschaften, und war es nicht
eine solche Corporation der Handelsleute und Schiffer
— die Hansa — die durch Jahrhunderte die Meere beherrschte
und Deutschland zu einem Sammelplatz des Welthandels und
Weltreichthums machte? sind es nicht eben solche freie Handels-
gesellschaften, die Englands merkantile Größe gegründet haben;
wir erinnern nur an die ostindische Compagnie? Alle diese Cor-
porationen waren in den Augen des alten deutschen Rechtes in
ihren Gebieten so frei und selbstständig, als der freie Mann in
seinem Haus und die freie deutsche Gemeinde in ihrem Haushalt,
der Gau in seinen Angelegenheiten und der Kaiser auf seinem
Thron. Des Staates, des Reiches Sache war nur, Alle und
Jede in ihrem Recht zu schirmen, und höchstens noch solchen Cor-
porationen, die dem ganzen Reiche Nutzen schafften, auch Unter-
stützung angedeihen zu lassen.

So war es um Freiheit, Recht und Reich beschaffen, da
unser Vaterland noch groß und herrlich war. Und wenn der
Leser sich an den Aufsatz über die nordamerikanische Freiheit in
Nro. 2 und 3 dieser Blätter erinnern will, so wird er in der
dortigen Selbstregierung die frappanteste Aehnlichkeit mit den
eben geschilderten altgermanischen Zuständen entdecken. Dieses
self-government, nicht aber etwa daß an der Spitze des Ganzen
nicht ein Kaiser und Parlament, sondern ein Präsident und Con-
gro [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ß steht, — ist das Eigenthümliche und Vortreffliche des nord-
amerikanischen Wesens. Das alte Deutschland sah einen Kaiser
an seiner Spitze, und wir fragen jeden Geschichtskenner, ob je
ein Präsident in einer Republik oder im alten republikanischen
Rom ein Consul, sich um ihre Nation solche Verdienste erworben
und sie so groß und herrlich gemacht haben, als die Mehrzahl
dieser Kaiser? — Doch wir schweifen ab. — Jenes System der
ächten Freiheit — was zugleich das System der ächten Wohlfahrt
ist — wonach jeder selbstständig und souverän ist in seinem Gebiet,
der Familienvater in seinem Haus, die Gemeinde in ihrer Stadt
oder ihrem Dorf, die Kirche auf dem Gebiete der Religion, die Zunft
in ihren Handwerksangelegenheiten u. s. w. wurde ( die Geschichte
und die Ursachen dieser Umwandlung würden uns heute zu weit
führen ) von dem System des Staatsabsolutismus ver-
drängt. Anstatt nämlich sich darauf zu beschränken das Recht Aller
zu schützen und die großen Angelegenheiten des Reiches zu führen,
fing der Staat an, Alles an sich zu reißen, Alles selbst zu thun
und zu verwalten, zu besorgen. Da kam das Geschrei auf, daß
jede selbstständige Corporation „ein Staat im Staate“ sey, der
nicht geduldet werden dürfe. Da nahm der Staat die Gemeinden
unter seine Vormundschaft, ihr Vermögen unter seinen Curatel,
erließ ein uniformes Reglement für alle Gemeinden, ernannte ihre
Vorsteher, da wurden die Gemeindebeamten Staatsbeamten.
Während vordem die Unterrichtsanstalten, namentlich die hohen
Schulen, freie wissenschaftliche Körper waren und jeder Fähige
Unterricht ertheilen mochte, vor allem aber der Familienvater
der geborne Erzieher seiner Kinder war, wurde jetzt der Staat
der allgemeine Studien= und Schulmeister, und sogar das A=B=C-
Buch ein Gegenstand seiner Sorge. Da hing es dann von den
jeweiligen Ministerien ab, ob — wie wir in neuester Zeit in Preu-
ßen gesehen — Hegelianer oder Orthodoxe Universität und Schule
beherrschten; ob — wie wir in Baiern gesehen — Jlluminaten
oder Ultramontane die Erziehung in Händen hielten. Jn wel-
[Ende Spaltensatz]

1) Vergl. Nro. 20.
1 ) Vergl. Nro. 20.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0001"/>
      <titlePage xml:id="tb01" type="heading" next="#tb02">
        <docTitle>
          <titlePart type="main"> <hi rendition="#fr">Mainzer Journal.</hi> </titlePart>
        </docTitle>
      </titlePage><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jExpedition">
        <p>Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den &#x201E;Rheinischen Unterhaltungs-<lb/>
blättern &#x201C; schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;<lb/>
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von <hi rendition="#g">Kirchheim, Schott</hi> und <hi rendition="#g">Thielmann</hi> am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz<lb/>
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-<lb/>
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <titlePage xml:id="tb02" prev="#tb01" type="heading">
        <docImprint>N<hi rendition="#sup">ro</hi> 22.              <docDate><hi rendition="#c">Freitag, den 7. Juli.</hi><hi rendition="#right">1848.</hi></docDate></docImprint>
      </titlePage><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </front>
    <body>
      <cb type="start"/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head>Deutschland und seine Zukunft <note place="foot" n="1)">Vergl. Nro. 20.</note>.<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi></head><lb/>
        <p>&#x2042; Das Parlament legt darin eine große praktische Weis-<lb/>
heit an den Tag, daß es unmittelbar nach der Bestellung des<lb/>
Reichsverwesers die Grundrechte des Volkes zum Gegenstand<lb/>
seiner Thätigkeit macht. Die Pedanterie des bisher landläufigen<lb/>
vulgären Liberalismus hätte ohne Zweifel die sofortige Entwer-<lb/>
fung einer papiernen Constitution über das Minister= und Kam-<lb/>
merwesen für das erste und wichtigste gehalten. Daß der Reichs-<lb/>
tag einen ganz anderen Weg einschlägt, liefert uns den klaren<lb/>
Beweis, daß wir in eine neue größere Zeit eingetreten sind, wo<lb/>
die bisherige Freiheitsthümelei <hi rendition="#g">der wahren Freiheit</hi> Platz<lb/>
machen muß, und wo, wie die Zeit der Minister= und Diplo-<lb/>
matenkünste, auch die Zeit der Kammer= und Advokatenkünste<lb/>
vorüber ist. Wie nun das Parlament für Deutschlands Einheit<lb/>
nicht durch die Ernennung einer aktendreschenden und mit Phra-<lb/>
sen fechtenden Commission Fürsehung treffen wollte, sondern durch<lb/>
die Wahl eines kaiserlichen Reichsverwesers, so wird es nun auch<lb/><hi rendition="#g">bezüglich der Volksfreiheit</hi> nicht auf dem dürren Wege<lb/>
des bisherigen liberalen Constitutionalismus weiter wandeln,<lb/>
sondern mit Einem Schritt einen ganz neuen Weg, der aber der<lb/>
Weg des Lebens ist, betreten, indem es die Freiheit, die oder<lb/>
vielmehr deren Schattenbild bisher ausschließlich in der Kammer<lb/>
ihre Wohnung hatte, mitten in das Volk hineinpflanzt.</p><lb/>
        <p>Wie so das? &#x2014; Nichts ist jammervoller, als bis zum Ueber-<lb/>
druß Freiheit, Freiheit! rufen zu hören, während man äußerst<lb/>
selten einen klaren Begriff darüber antrifft, was denn die Frei-<lb/>
heit sey. Was ist die Freiheit? Wir stehen keinen Augenblick an,<lb/>
ohne alle Umschweife eine ganz derbe und gemeinverständliche<lb/>
Erklärung zu geben: die Freiheit besteht darin, <hi rendition="#g">daß Jeder<lb/>
sein eigner Herr ist;</hi> was aber für den einzelnen Mann,<lb/>
das gilt auch für die Familie, für die Gemeinde, für den<lb/>
Gau, für den Stamm, für das Land, für jede Corporation.<lb/>
Diese Selbstherrschaft und Selbstherrlichkeit jedes einzelnen<lb/>
Mannes, und weiterhin der Familie, der Gemeinde u. s. w.<lb/>
kann natürlich keine unumschränkte seyn, allein sie darf auch keine<lb/>
andere äußerlich bindende Schranke haben <hi rendition="#g">als das Recht.</hi><lb/>
Dieser Begriff von Freiheit, den wir soeben gegeben haben, ist<lb/>
der <hi rendition="#g">uralt deutsche,</hi> und, wie jeder Geschichtskundige weiß,<lb/>
ist diese Freiheit erst in den <hi rendition="#g">letzten</hi> Zeiten des Mittelalters und<lb/>
in der Neuzeit den deutschen, wie den meisten andern Völkern,<lb/>
gründlichst abhanden gekommen. Der alte freie Deutsche war<lb/>
souverain und Herr in seinem Haus, auf seinem Grund und<lb/>
Boden; mit seinen Gemeindsgenossen bildete er dann eine freie<lb/>
Genossenschaft, die wiederum frei auf ihrem Gebiet sich selbst re-<lb/>
gierte und verwaltete; eine Anzahl Gemeinden bildeten zusammen<lb/>
einen Gau, der jene Angelegenheiten schlichtete und verwaltete,<lb/>
die dem ganzen Gau gemeinsam, die Gränzen der Gemeinde-<lb/>
sphäre überschritten; und wiederum in gleicher Weise bildeten aus<lb/>
den Gauen sich die großen Stammherzogthümer, die dann alle<lb/>
das Reich in sich vereinten, welchem Reich dann nur eine doppelte<lb/>
Aufgabe übrig blieb, nämlich 1 ) das Recht Aller zu schirmen und<lb/>
gegen Einzelne, wie gegen jede Gesammtheit mit dem Stab oder<lb/>
dem Schwerte der Gerechtigkeit einzuschreiten, wo sie fremdes<lb/>
Recht verletzten und verbrecherischer Weise die Gränze ihrer recht-<lb/>
mäßigen Freiheit überschritten; 2 ) die großen allgemeinen Ange-<lb/>
legenheiten des gesammten Vaterlandes zu besorgen. Außer den<lb/>
auf natürlicher Verwandtschaft, gemeinsamer Abstammung und<lb/>
gemeinsamem Wohnsitz beruhenden Genossenschaften der Familie,<lb/><note place="foot"><p>1 ) Vergl. Nro. 20.</p></note><lb/><cb n="2"/>
der Gemeinde, des Gaues u. s. w. gestalten sich aber, wo Natur<lb/>
und Leben frei walten können, auch eine Menge anderer Corpo-<lb/>
rationen. Diejenigen, welche gleiche religiöse Ueberzeugung ver-<lb/>
eint, bilden eine Kirche; Gelehrte einen sich zu wissenschaftlichen<lb/>
Gesellschaften, bilden Universitäten und Schulen; Handwerker<lb/>
und Gewerbsleute schließen sich zu Zünften und Jnnungen zusam-<lb/>
men, die Handelsleute gründen Gesellschaften, und war es nicht<lb/>
eine solche Corporation <hi rendition="#g">der Handelsleute und Schiffer</hi><lb/>
&#x2014; die Hansa &#x2014; die durch Jahrhunderte die Meere beherrschte<lb/>
und Deutschland zu einem Sammelplatz des Welthandels und<lb/>
Weltreichthums machte? sind es nicht eben solche freie Handels-<lb/>
gesellschaften, die Englands merkantile Größe gegründet haben;<lb/>
wir erinnern nur an die ostindische Compagnie? Alle diese Cor-<lb/>
porationen waren in den Augen des alten deutschen Rechtes in<lb/>
ihren Gebieten so frei und selbstständig, als der freie Mann in<lb/>
seinem Haus und die freie deutsche Gemeinde in ihrem Haushalt,<lb/>
der Gau in seinen Angelegenheiten und der Kaiser auf seinem<lb/>
Thron. Des Staates, des Reiches Sache war nur, Alle und<lb/>
Jede in ihrem Recht zu schirmen, und höchstens noch solchen Cor-<lb/>
porationen, die dem ganzen Reiche Nutzen schafften, auch Unter-<lb/>
stützung angedeihen zu lassen.</p><lb/>
        <p>So war es um Freiheit, Recht und Reich beschaffen, da<lb/>
unser Vaterland noch groß und herrlich war. Und wenn der<lb/>
Leser sich an den Aufsatz über die nordamerikanische Freiheit in<lb/>
Nro. 2 und 3 dieser Blätter erinnern will, so wird er in der<lb/>
dortigen Selbstregierung die frappanteste Aehnlichkeit mit den<lb/>
eben geschilderten altgermanischen Zuständen entdecken. Dieses<lb/><hi rendition="#aq">self-government</hi>, nicht aber etwa daß an der Spitze des Ganzen<lb/>
nicht ein Kaiser und Parlament, sondern ein Präsident und Con-<lb/>
gro <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>ß steht, &#x2014; ist das Eigenthümliche und Vortreffliche des nord-<lb/>
amerikanischen Wesens. Das alte Deutschland sah einen Kaiser<lb/>
an seiner Spitze, und wir fragen jeden Geschichtskenner, ob je<lb/>
ein Präsident in einer Republik oder im alten republikanischen<lb/>
Rom ein Consul, sich um ihre Nation solche Verdienste erworben<lb/>
und sie so groß und herrlich gemacht haben, als die Mehrzahl<lb/>
dieser Kaiser? &#x2014; Doch wir schweifen ab. &#x2014; Jenes System der<lb/>
ächten Freiheit &#x2014; was zugleich das System der ächten Wohlfahrt<lb/>
ist &#x2014; wonach jeder selbstständig und souverän ist in seinem Gebiet,<lb/>
der Familienvater in seinem Haus, die Gemeinde in ihrer Stadt<lb/>
oder ihrem Dorf, die Kirche auf dem Gebiete der Religion, die Zunft<lb/>
in ihren Handwerksangelegenheiten u. s. w. wurde ( die Geschichte<lb/>
und die Ursachen dieser Umwandlung würden uns heute zu weit<lb/>
führen ) von dem System <hi rendition="#g">des Staatsabsolutismus</hi> ver-<lb/>
drängt. Anstatt nämlich sich darauf zu beschränken das Recht Aller<lb/>
zu schützen und die großen Angelegenheiten des Reiches zu führen,<lb/>
fing der Staat an, Alles an sich zu reißen, Alles selbst zu thun<lb/>
und zu verwalten, zu besorgen. Da kam das Geschrei auf, daß<lb/>
jede selbstständige Corporation &#x201E;ein Staat im Staate&#x201C; sey, der<lb/>
nicht geduldet werden dürfe. Da nahm der Staat die Gemeinden<lb/>
unter seine Vormundschaft, ihr Vermögen unter seinen Curatel,<lb/>
erließ ein uniformes Reglement für alle Gemeinden, ernannte ihre<lb/>
Vorsteher, da wurden die Gemeindebeamten Staatsbeamten.<lb/>
Während vordem die Unterrichtsanstalten, namentlich die hohen<lb/>
Schulen, freie wissenschaftliche Körper waren und jeder Fähige<lb/>
Unterricht ertheilen mochte, vor allem aber der Familienvater<lb/>
der geborne Erzieher seiner Kinder war, wurde jetzt der Staat<lb/>
der allgemeine Studien= und Schulmeister, und sogar das A=B=C-<lb/>
Buch ein Gegenstand seiner Sorge. Da hing es dann von den<lb/>
jeweiligen Ministerien ab, ob &#x2014; wie wir in neuester Zeit in Preu-<lb/>
ßen gesehen &#x2014; Hegelianer oder Orthodoxe Universität und Schule<lb/>
beherrschten; ob &#x2014; wie wir in Baiern gesehen &#x2014; Jlluminaten<lb/>
oder Ultramontane die Erziehung in Händen hielten. Jn wel-<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0001] Mainzer Journal. Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs- blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an; für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben- falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet. Nro 22. Freitag, den 7. Juli. 1848. Deutschland und seine Zukunft 1). II. ⁂ Das Parlament legt darin eine große praktische Weis- heit an den Tag, daß es unmittelbar nach der Bestellung des Reichsverwesers die Grundrechte des Volkes zum Gegenstand seiner Thätigkeit macht. Die Pedanterie des bisher landläufigen vulgären Liberalismus hätte ohne Zweifel die sofortige Entwer- fung einer papiernen Constitution über das Minister= und Kam- merwesen für das erste und wichtigste gehalten. Daß der Reichs- tag einen ganz anderen Weg einschlägt, liefert uns den klaren Beweis, daß wir in eine neue größere Zeit eingetreten sind, wo die bisherige Freiheitsthümelei der wahren Freiheit Platz machen muß, und wo, wie die Zeit der Minister= und Diplo- matenkünste, auch die Zeit der Kammer= und Advokatenkünste vorüber ist. Wie nun das Parlament für Deutschlands Einheit nicht durch die Ernennung einer aktendreschenden und mit Phra- sen fechtenden Commission Fürsehung treffen wollte, sondern durch die Wahl eines kaiserlichen Reichsverwesers, so wird es nun auch bezüglich der Volksfreiheit nicht auf dem dürren Wege des bisherigen liberalen Constitutionalismus weiter wandeln, sondern mit Einem Schritt einen ganz neuen Weg, der aber der Weg des Lebens ist, betreten, indem es die Freiheit, die oder vielmehr deren Schattenbild bisher ausschließlich in der Kammer ihre Wohnung hatte, mitten in das Volk hineinpflanzt. Wie so das? — Nichts ist jammervoller, als bis zum Ueber- druß Freiheit, Freiheit! rufen zu hören, während man äußerst selten einen klaren Begriff darüber antrifft, was denn die Frei- heit sey. Was ist die Freiheit? Wir stehen keinen Augenblick an, ohne alle Umschweife eine ganz derbe und gemeinverständliche Erklärung zu geben: die Freiheit besteht darin, daß Jeder sein eigner Herr ist; was aber für den einzelnen Mann, das gilt auch für die Familie, für die Gemeinde, für den Gau, für den Stamm, für das Land, für jede Corporation. Diese Selbstherrschaft und Selbstherrlichkeit jedes einzelnen Mannes, und weiterhin der Familie, der Gemeinde u. s. w. kann natürlich keine unumschränkte seyn, allein sie darf auch keine andere äußerlich bindende Schranke haben als das Recht. Dieser Begriff von Freiheit, den wir soeben gegeben haben, ist der uralt deutsche, und, wie jeder Geschichtskundige weiß, ist diese Freiheit erst in den letzten Zeiten des Mittelalters und in der Neuzeit den deutschen, wie den meisten andern Völkern, gründlichst abhanden gekommen. Der alte freie Deutsche war souverain und Herr in seinem Haus, auf seinem Grund und Boden; mit seinen Gemeindsgenossen bildete er dann eine freie Genossenschaft, die wiederum frei auf ihrem Gebiet sich selbst re- gierte und verwaltete; eine Anzahl Gemeinden bildeten zusammen einen Gau, der jene Angelegenheiten schlichtete und verwaltete, die dem ganzen Gau gemeinsam, die Gränzen der Gemeinde- sphäre überschritten; und wiederum in gleicher Weise bildeten aus den Gauen sich die großen Stammherzogthümer, die dann alle das Reich in sich vereinten, welchem Reich dann nur eine doppelte Aufgabe übrig blieb, nämlich 1 ) das Recht Aller zu schirmen und gegen Einzelne, wie gegen jede Gesammtheit mit dem Stab oder dem Schwerte der Gerechtigkeit einzuschreiten, wo sie fremdes Recht verletzten und verbrecherischer Weise die Gränze ihrer recht- mäßigen Freiheit überschritten; 2 ) die großen allgemeinen Ange- legenheiten des gesammten Vaterlandes zu besorgen. Außer den auf natürlicher Verwandtschaft, gemeinsamer Abstammung und gemeinsamem Wohnsitz beruhenden Genossenschaften der Familie, der Gemeinde, des Gaues u. s. w. gestalten sich aber, wo Natur und Leben frei walten können, auch eine Menge anderer Corpo- rationen. Diejenigen, welche gleiche religiöse Ueberzeugung ver- eint, bilden eine Kirche; Gelehrte einen sich zu wissenschaftlichen Gesellschaften, bilden Universitäten und Schulen; Handwerker und Gewerbsleute schließen sich zu Zünften und Jnnungen zusam- men, die Handelsleute gründen Gesellschaften, und war es nicht eine solche Corporation der Handelsleute und Schiffer — die Hansa — die durch Jahrhunderte die Meere beherrschte und Deutschland zu einem Sammelplatz des Welthandels und Weltreichthums machte? sind es nicht eben solche freie Handels- gesellschaften, die Englands merkantile Größe gegründet haben; wir erinnern nur an die ostindische Compagnie? Alle diese Cor- porationen waren in den Augen des alten deutschen Rechtes in ihren Gebieten so frei und selbstständig, als der freie Mann in seinem Haus und die freie deutsche Gemeinde in ihrem Haushalt, der Gau in seinen Angelegenheiten und der Kaiser auf seinem Thron. Des Staates, des Reiches Sache war nur, Alle und Jede in ihrem Recht zu schirmen, und höchstens noch solchen Cor- porationen, die dem ganzen Reiche Nutzen schafften, auch Unter- stützung angedeihen zu lassen. So war es um Freiheit, Recht und Reich beschaffen, da unser Vaterland noch groß und herrlich war. Und wenn der Leser sich an den Aufsatz über die nordamerikanische Freiheit in Nro. 2 und 3 dieser Blätter erinnern will, so wird er in der dortigen Selbstregierung die frappanteste Aehnlichkeit mit den eben geschilderten altgermanischen Zuständen entdecken. Dieses self-government, nicht aber etwa daß an der Spitze des Ganzen nicht ein Kaiser und Parlament, sondern ein Präsident und Con- gro _ß steht, — ist das Eigenthümliche und Vortreffliche des nord- amerikanischen Wesens. Das alte Deutschland sah einen Kaiser an seiner Spitze, und wir fragen jeden Geschichtskenner, ob je ein Präsident in einer Republik oder im alten republikanischen Rom ein Consul, sich um ihre Nation solche Verdienste erworben und sie so groß und herrlich gemacht haben, als die Mehrzahl dieser Kaiser? — Doch wir schweifen ab. — Jenes System der ächten Freiheit — was zugleich das System der ächten Wohlfahrt ist — wonach jeder selbstständig und souverän ist in seinem Gebiet, der Familienvater in seinem Haus, die Gemeinde in ihrer Stadt oder ihrem Dorf, die Kirche auf dem Gebiete der Religion, die Zunft in ihren Handwerksangelegenheiten u. s. w. wurde ( die Geschichte und die Ursachen dieser Umwandlung würden uns heute zu weit führen ) von dem System des Staatsabsolutismus ver- drängt. Anstatt nämlich sich darauf zu beschränken das Recht Aller zu schützen und die großen Angelegenheiten des Reiches zu führen, fing der Staat an, Alles an sich zu reißen, Alles selbst zu thun und zu verwalten, zu besorgen. Da kam das Geschrei auf, daß jede selbstständige Corporation „ein Staat im Staate“ sey, der nicht geduldet werden dürfe. Da nahm der Staat die Gemeinden unter seine Vormundschaft, ihr Vermögen unter seinen Curatel, erließ ein uniformes Reglement für alle Gemeinden, ernannte ihre Vorsteher, da wurden die Gemeindebeamten Staatsbeamten. Während vordem die Unterrichtsanstalten, namentlich die hohen Schulen, freie wissenschaftliche Körper waren und jeder Fähige Unterricht ertheilen mochte, vor allem aber der Familienvater der geborne Erzieher seiner Kinder war, wurde jetzt der Staat der allgemeine Studien= und Schulmeister, und sogar das A=B=C- Buch ein Gegenstand seiner Sorge. Da hing es dann von den jeweiligen Ministerien ab, ob — wie wir in neuester Zeit in Preu- ßen gesehen — Hegelianer oder Orthodoxe Universität und Schule beherrschten; ob — wie wir in Baiern gesehen — Jlluminaten oder Ultramontane die Erziehung in Händen hielten. Jn wel- 1) Vergl. Nro. 20. 1 ) Vergl. Nro. 20.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal022_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal022_1848/1
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 22. Mainz, 7. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal022_1848/1>, abgerufen am 06.10.2024.