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Mainzer Journal. Nr. 30. Mainz, 15. Juli 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 30. Samstag, den 15. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 13. Juli. Nach der mehrtägigen Unterbrech-
ung wegen der Festivitäten wurde in heutiger Reichstagssitzung
die Debatte über §. 2. des Entwurfs der Grundrechte fortgesetzt.
Wesentlich Neues kam dabei nicht zur Sprache, und noch mehr
wie früher war es den meisten Mitgliedern anzumerken, wie
gern sie diese Verhandlung beendigt sähen. Wiederum theilten
sich die Redner nach den zwei verschiedenen Ansichten, wovon die
eine besonders die Rechte der Gemeinde, die andere das ver-
meintliche Recht der Einzelperson in Bezug auf Ansiedlung,
Gewerbbetrieb und Bürgerrechtserwerb geltend macht. Spren-
gel
aus Mecklenburg will neben den Rechten des Reichs auch die
der Gemeinde gewahrt wissen, wohingegen in Kolb von Speyer
die unbeschränkt freie Ansäßigmachung ihren Vertheidiger findet.
Vergleichende statistische Notizen über die Culturverhältnisse von
Rheinbayern u. Altbayern, sowie über die Zahl der Vergehen in bei-
den Landestheilen sollen zu Gunsten seines Systemes sprechen. Lö-
we
v. Calbe spricht für Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, will aber
doch Association für die Handwerker, damit dieselben mit den Alles
verschlingenden großen Fabriken concurriren können. Reichens-
perger
aus Trier tritt den Behauptungen Kolb's entgegen.
Er kenne das Rheinland und er wisse, daß die größeren Städte
am Rhein alle keinen lebhafteren Wunsch hegten, als von der
unbedingten Gewerbfreiheit befreit zu werden. Ueberall gebe sich
unter den Gewerben das Streben kund, sich zu associren, wie denn
auch Berathungen in dieser Beziehnng allerwärts stattgefunden
hätten. Auch Beisler will Schutz für die Gemeinden,
damit denselben nicht ein schädlicher Mitbürger könne aufgedrun-
gen werden, ebenso Robert Mohl, da sonst die reichsten Ge-
meinden bald verarmen müßten. -- Neue Gründe wurden nicht
oder nur wenige vorgebracht; die Sache wäre jetzt spruchreif,
doch wollen noch einige Redner sich hören lassen, und so wird
morgen abermals darüber discutirt werden.

# Frankfurt 13. Juli. Ueber die gestrige und vorgestrige
Sitzung der Nationalversammlung und die damit verbundenen
Festlichkeiten habe ich Jhnen keine Berichte erstattet, theils weil
die Beschreibung mein Fach nicht ist, und Sie das einschlägige
Material ebenso schnell den hiesigen Blättern entnehmen können,
theils aber auch, weil der persönliche Antheil an diesen Erlebnissen
mich vollauf freudig beschäftigte. Jch sage freudig, obgleich
es an einzelnen Mißklängen und Ungehörigkeiten nicht gefehlt hat.
Zu jenen gehört entschieden das brutale Benehmen einiger Herren
der Linken in ihrem Widerspruch gegen die dem Reichsverweser
zu bereitende Empfangsfeierlichkeit, wobei der Abgeordnete von
Düsseldorf sogar prätendirte, es solle der Präsident seine An-
rede an den Erzherzog zuvor der Versammlung zur Discussion
mittheilen ( würde Herr Wesendonk seinen eigenen Commit-
tenten gegenüber an diese Regel gebunden seyn, dann blieben
die meisten seiner Reden dem Publicum auf ewig unbekannt ) .
Ungehörigkeiten aber hat sich nach den Selbstbekenntnissen
des Referenten Heckscher unsere Deputation an den Reichs-
verweser dadurch zu Schulden kommen lassen, daß sie Erklä-
rungen über die Machtvollkommenheit des Volkes und über
den Sinn der Unverantwortlichkeit abgegeben, zu denen weder das
Gesetz über die Centralgewalt noch specielle Aufträge der Natio-
nalversammlung Befugnisse darboten. Jndessen über der Herr-
lichkeit dieser entscheidenden Tage wollen wir solche Dinge gerne
verwinden. Der Erzherzog gehört von nun an ganz dem
deutschen Vaterlande und wird sich nächstens seiner Verbindlich-
keiten gegen seinen Kaiser vollends entledigen, um schleunigst
in unsere Mitte zurückzueilen. Heute Mittag hat er die in der
[Spaltenumbruch] Mainlust zum Mittagessen versammelten Deputirten aufs freu-
digste mit einem Besuche überrascht und durch seine Herablas-
sung und Herzlichkeit Alles bezaubert. Aehnliches ist vielleicht in
Deutschland nie und nirgends geschehen. -- Jn der heutigen
Sitzung sind die ordentlichen Verhandlungen über die Grundrechte
wieder aufgenommen worden. Ueber §. 2. haben noch nicht we-
niger als 21 Redner gesprochen, unter denen v. Linde, Rei-
chenssperger
und v. Beisler durch ruhige Erwägung der
concreten Verhältnisse sich auszeichneten, während Kolb die
pfälzische Gespreiztheit repräsentirte und St. Schlöffel den
Gegensatz seines eigenen Beispiels, die ins Unendliche getriebene
Sympathie für den Communismus, darzustellen beflissen war.
Würden die Rathschläge dieser Herren befolgt, dann bestände die
neue Freiheit darin, daß die Proletarier gleich Heu-
schreckenhaufen in den wohlhabenden Gemeinden
Halt machten, bis alles Vorhandene aufgezehrt
wäre.
Sofort wurde die Berathung über §. 3. der Grund-
rechte aufgenommen. R. Mohl hat das Verdienst, die Wich-
tigkeit des Gegenstandes der Versammlung klar gemacht zu haben.

Ueber die letzten Verhandlungen des Reichstages bemerkt die
Weserzeitung sehr vernünftig: "Wer seit der vorigen Woche
heute zum ersten Male die Paulskirche betreten hätte, der würde
sie nicht wieder erkannt haben. Welch' ein Wechsel! Dem wilden
parlamentarischen Sturm ist die Windstille gefolgt; da wo vor
acht Tagen glühende Leidenschaft tobende Schlachten lieferte,
herrscht heute die Stille der Langeweile. Die Gallerie, sonst
zum Brechen überfüllt, ist nicht zum Drittheile besetzt, die diplo-
matische Tribüne ist so gut wie leer, die Journalistenplätze sind
mit müssigen Herren besetzt, welche Zeitungen lesen. Jn der
Versammlung selbst Unruhe, augenscheinliche Zerstreutheit, ein
beständiges Kommen und Gehen, eine Nichtbeachtung mancher
Redner, welche jede nicht durchaus bügelfeste Eigenliebe aus
dem Sattel heben würde. Kurz, man sollte glauben, es handle
sich gegenwärtig um die gleichgültigsten Dinge von der Welt,
etwa um ein Gesetz über die Spurweite der Eisenbahnen, oder
um eine Marktpolizeiordnung. Gleichwohl ist der Gegenstand,
welcher der Nationalversammlung jetzt zur Entscheidung vorliegt,
einer der bedeutsamsten, mit denen sie sich überhaupt zu beschäftigen
haben wird. Die Feststellung des allgemeinen deutschen
Staatsbürgerrechts
ist die erste Voraussetzung für die Er-
richtung des Gesammtstaates Deutschland und der Jnhalt jenes
Staatsbürgerrechtes bedingt den Jnhalt des Nationalbewußtseins
in dem größten Theile unseres Volkes. Auf der andern Seite ist es ge-
wiß, daß die Nationalversammlung bei Strafe Alles zu verlieren,
nicht mehr auf diesem Gebiete anstreben darf, als den Umständen nach
erreichbar ist. Ein ungeschickter Eingriff in die Befugnisse
der Gemeinde
und in die Jnteressen der gewerb-
lichen Körperschaften
würde der größte Mißgriff seyn, den
die Nationalversammlung begehen könnte, ein Mißgriff von viel
schwereren Folgen als eine offene Verfeindung mit den deutschen
Regierungen. Die Gewohnheiten, die Vorurtheile, die Eigen-
sucht, aber auch vor Allem das Recht der Gemeinden und
der Körperschaften wollen auf das Sorgfältigste geschont seyn;
über die bisherigen Sondergesetze und Sondereinrichtungen der
einzelnen Staaten dagegen kann und muß sich die Nationalver-
sammlung in allen Fällen, wo das Jnteresse des Ganzen es er-
fordert, unbedenklich hinwegsetzen. Jnnerhalb der hier gezogenen
beiden Linien wird sich ohne große Mühe die allgemeine Formel
finden lassen, durch welche die autonomischen ( selbstherrlichen ) ,
Befugnisse der Körperschaften und Gemeinden mit den Forderun-
gen des allgemeinen deutschen Staatsbürgerrechtes vermittelt
werden können. Die Nothwendigkeit einer solchen Vermittlung
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 30. Samstag, den 15. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 13. Juli. Nach der mehrtägigen Unterbrech-
ung wegen der Festivitäten wurde in heutiger Reichstagssitzung
die Debatte über §. 2. des Entwurfs der Grundrechte fortgesetzt.
Wesentlich Neues kam dabei nicht zur Sprache, und noch mehr
wie früher war es den meisten Mitgliedern anzumerken, wie
gern sie diese Verhandlung beendigt sähen. Wiederum theilten
sich die Redner nach den zwei verschiedenen Ansichten, wovon die
eine besonders die Rechte der Gemeinde, die andere das ver-
meintliche Recht der Einzelperson in Bezug auf Ansiedlung,
Gewerbbetrieb und Bürgerrechtserwerb geltend macht. Spren-
gel
aus Mecklenburg will neben den Rechten des Reichs auch die
der Gemeinde gewahrt wissen, wohingegen in Kolb von Speyer
die unbeschränkt freie Ansäßigmachung ihren Vertheidiger findet.
Vergleichende statistische Notizen über die Culturverhältnisse von
Rheinbayern u. Altbayern, sowie über die Zahl der Vergehen in bei-
den Landestheilen sollen zu Gunsten seines Systemes sprechen. Lö-
we
v. Calbe spricht für Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, will aber
doch Association für die Handwerker, damit dieselben mit den Alles
verschlingenden großen Fabriken concurriren können. Reichens-
perger
aus Trier tritt den Behauptungen Kolb's entgegen.
Er kenne das Rheinland und er wisse, daß die größeren Städte
am Rhein alle keinen lebhafteren Wunsch hegten, als von der
unbedingten Gewerbfreiheit befreit zu werden. Ueberall gebe sich
unter den Gewerben das Streben kund, sich zu associren, wie denn
auch Berathungen in dieser Beziehnng allerwärts stattgefunden
hätten. Auch Beisler will Schutz für die Gemeinden,
damit denselben nicht ein schädlicher Mitbürger könne aufgedrun-
gen werden, ebenso Robert Mohl, da sonst die reichsten Ge-
meinden bald verarmen müßten. — Neue Gründe wurden nicht
oder nur wenige vorgebracht; die Sache wäre jetzt spruchreif,
doch wollen noch einige Redner sich hören lassen, und so wird
morgen abermals darüber discutirt werden.

# Frankfurt 13. Juli. Ueber die gestrige und vorgestrige
Sitzung der Nationalversammlung und die damit verbundenen
Festlichkeiten habe ich Jhnen keine Berichte erstattet, theils weil
die Beschreibung mein Fach nicht ist, und Sie das einschlägige
Material ebenso schnell den hiesigen Blättern entnehmen können,
theils aber auch, weil der persönliche Antheil an diesen Erlebnissen
mich vollauf freudig beschäftigte. Jch sage freudig, obgleich
es an einzelnen Mißklängen und Ungehörigkeiten nicht gefehlt hat.
Zu jenen gehört entschieden das brutale Benehmen einiger Herren
der Linken in ihrem Widerspruch gegen die dem Reichsverweser
zu bereitende Empfangsfeierlichkeit, wobei der Abgeordnete von
Düsseldorf sogar prätendirte, es solle der Präsident seine An-
rede an den Erzherzog zuvor der Versammlung zur Discussion
mittheilen ( würde Herr Wesendonk seinen eigenen Commit-
tenten gegenüber an diese Regel gebunden seyn, dann blieben
die meisten seiner Reden dem Publicum auf ewig unbekannt ) .
Ungehörigkeiten aber hat sich nach den Selbstbekenntnissen
des Referenten Heckscher unsere Deputation an den Reichs-
verweser dadurch zu Schulden kommen lassen, daß sie Erklä-
rungen über die Machtvollkommenheit des Volkes und über
den Sinn der Unverantwortlichkeit abgegeben, zu denen weder das
Gesetz über die Centralgewalt noch specielle Aufträge der Natio-
nalversammlung Befugnisse darboten. Jndessen über der Herr-
lichkeit dieser entscheidenden Tage wollen wir solche Dinge gerne
verwinden. Der Erzherzog gehört von nun an ganz dem
deutschen Vaterlande und wird sich nächstens seiner Verbindlich-
keiten gegen seinen Kaiser vollends entledigen, um schleunigst
in unsere Mitte zurückzueilen. Heute Mittag hat er die in der
[Spaltenumbruch] Mainlust zum Mittagessen versammelten Deputirten aufs freu-
digste mit einem Besuche überrascht und durch seine Herablas-
sung und Herzlichkeit Alles bezaubert. Aehnliches ist vielleicht in
Deutschland nie und nirgends geschehen. — Jn der heutigen
Sitzung sind die ordentlichen Verhandlungen über die Grundrechte
wieder aufgenommen worden. Ueber §. 2. haben noch nicht we-
niger als 21 Redner gesprochen, unter denen v. Linde, Rei-
chenssperger
und v. Beisler durch ruhige Erwägung der
concreten Verhältnisse sich auszeichneten, während Kolb die
pfälzische Gespreiztheit repräsentirte und St. Schlöffel den
Gegensatz seines eigenen Beispiels, die ins Unendliche getriebene
Sympathie für den Communismus, darzustellen beflissen war.
Würden die Rathschläge dieser Herren befolgt, dann bestände die
neue Freiheit darin, daß die Proletarier gleich Heu-
schreckenhaufen in den wohlhabenden Gemeinden
Halt machten, bis alles Vorhandene aufgezehrt
wäre.
Sofort wurde die Berathung über §. 3. der Grund-
rechte aufgenommen. R. Mohl hat das Verdienst, die Wich-
tigkeit des Gegenstandes der Versammlung klar gemacht zu haben.

Ueber die letzten Verhandlungen des Reichstages bemerkt die
Weserzeitung sehr vernünftig: „Wer seit der vorigen Woche
heute zum ersten Male die Paulskirche betreten hätte, der würde
sie nicht wieder erkannt haben. Welch' ein Wechsel! Dem wilden
parlamentarischen Sturm ist die Windstille gefolgt; da wo vor
acht Tagen glühende Leidenschaft tobende Schlachten lieferte,
herrscht heute die Stille der Langeweile. Die Gallerie, sonst
zum Brechen überfüllt, ist nicht zum Drittheile besetzt, die diplo-
matische Tribüne ist so gut wie leer, die Journalistenplätze sind
mit müssigen Herren besetzt, welche Zeitungen lesen. Jn der
Versammlung selbst Unruhe, augenscheinliche Zerstreutheit, ein
beständiges Kommen und Gehen, eine Nichtbeachtung mancher
Redner, welche jede nicht durchaus bügelfeste Eigenliebe aus
dem Sattel heben würde. Kurz, man sollte glauben, es handle
sich gegenwärtig um die gleichgültigsten Dinge von der Welt,
etwa um ein Gesetz über die Spurweite der Eisenbahnen, oder
um eine Marktpolizeiordnung. Gleichwohl ist der Gegenstand,
welcher der Nationalversammlung jetzt zur Entscheidung vorliegt,
einer der bedeutsamsten, mit denen sie sich überhaupt zu beschäftigen
haben wird. Die Feststellung des allgemeinen deutschen
Staatsbürgerrechts
ist die erste Voraussetzung für die Er-
richtung des Gesammtstaates Deutschland und der Jnhalt jenes
Staatsbürgerrechtes bedingt den Jnhalt des Nationalbewußtseins
in dem größten Theile unseres Volkes. Auf der andern Seite ist es ge-
wiß, daß die Nationalversammlung bei Strafe Alles zu verlieren,
nicht mehr auf diesem Gebiete anstreben darf, als den Umständen nach
erreichbar ist. Ein ungeschickter Eingriff in die Befugnisse
der Gemeinde
und in die Jnteressen der gewerb-
lichen Körperschaften
würde der größte Mißgriff seyn, den
die Nationalversammlung begehen könnte, ein Mißgriff von viel
schwereren Folgen als eine offene Verfeindung mit den deutschen
Regierungen. Die Gewohnheiten, die Vorurtheile, die Eigen-
sucht, aber auch vor Allem das Recht der Gemeinden und
der Körperschaften wollen auf das Sorgfältigste geschont seyn;
über die bisherigen Sondergesetze und Sondereinrichtungen der
einzelnen Staaten dagegen kann und muß sich die Nationalver-
sammlung in allen Fällen, wo das Jnteresse des Ganzen es er-
fordert, unbedenklich hinwegsetzen. Jnnerhalb der hier gezogenen
beiden Linien wird sich ohne große Mühe die allgemeine Formel
finden lassen, durch welche die autonomischen ( selbstherrlichen ) ,
Befugnisse der Körperschaften und Gemeinden mit den Forderun-
gen des allgemeinen deutschen Staatsbürgerrechtes vermittelt
werden können. Die Nothwendigkeit einer solchen Vermittlung
[Ende Spaltensatz]

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[0001] Mainzer Journal. Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs- blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an; für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben- falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet. Nro 30. Samstag, den 15. Juli. 1848. Deutschland. Reichstag. f Frankfurt 13. Juli. Nach der mehrtägigen Unterbrech- ung wegen der Festivitäten wurde in heutiger Reichstagssitzung die Debatte über §. 2. des Entwurfs der Grundrechte fortgesetzt. Wesentlich Neues kam dabei nicht zur Sprache, und noch mehr wie früher war es den meisten Mitgliedern anzumerken, wie gern sie diese Verhandlung beendigt sähen. Wiederum theilten sich die Redner nach den zwei verschiedenen Ansichten, wovon die eine besonders die Rechte der Gemeinde, die andere das ver- meintliche Recht der Einzelperson in Bezug auf Ansiedlung, Gewerbbetrieb und Bürgerrechtserwerb geltend macht. Spren- gel aus Mecklenburg will neben den Rechten des Reichs auch die der Gemeinde gewahrt wissen, wohingegen in Kolb von Speyer die unbeschränkt freie Ansäßigmachung ihren Vertheidiger findet. Vergleichende statistische Notizen über die Culturverhältnisse von Rheinbayern u. Altbayern, sowie über die Zahl der Vergehen in bei- den Landestheilen sollen zu Gunsten seines Systemes sprechen. Lö- we v. Calbe spricht für Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, will aber doch Association für die Handwerker, damit dieselben mit den Alles verschlingenden großen Fabriken concurriren können. Reichens- perger aus Trier tritt den Behauptungen Kolb's entgegen. Er kenne das Rheinland und er wisse, daß die größeren Städte am Rhein alle keinen lebhafteren Wunsch hegten, als von der unbedingten Gewerbfreiheit befreit zu werden. Ueberall gebe sich unter den Gewerben das Streben kund, sich zu associren, wie denn auch Berathungen in dieser Beziehnng allerwärts stattgefunden hätten. Auch Beisler will Schutz für die Gemeinden, damit denselben nicht ein schädlicher Mitbürger könne aufgedrun- gen werden, ebenso Robert Mohl, da sonst die reichsten Ge- meinden bald verarmen müßten. — Neue Gründe wurden nicht oder nur wenige vorgebracht; die Sache wäre jetzt spruchreif, doch wollen noch einige Redner sich hören lassen, und so wird morgen abermals darüber discutirt werden. # Frankfurt 13. Juli. Ueber die gestrige und vorgestrige Sitzung der Nationalversammlung und die damit verbundenen Festlichkeiten habe ich Jhnen keine Berichte erstattet, theils weil die Beschreibung mein Fach nicht ist, und Sie das einschlägige Material ebenso schnell den hiesigen Blättern entnehmen können, theils aber auch, weil der persönliche Antheil an diesen Erlebnissen mich vollauf freudig beschäftigte. Jch sage freudig, obgleich es an einzelnen Mißklängen und Ungehörigkeiten nicht gefehlt hat. Zu jenen gehört entschieden das brutale Benehmen einiger Herren der Linken in ihrem Widerspruch gegen die dem Reichsverweser zu bereitende Empfangsfeierlichkeit, wobei der Abgeordnete von Düsseldorf sogar prätendirte, es solle der Präsident seine An- rede an den Erzherzog zuvor der Versammlung zur Discussion mittheilen ( würde Herr Wesendonk seinen eigenen Commit- tenten gegenüber an diese Regel gebunden seyn, dann blieben die meisten seiner Reden dem Publicum auf ewig unbekannt ) . Ungehörigkeiten aber hat sich nach den Selbstbekenntnissen des Referenten Heckscher unsere Deputation an den Reichs- verweser dadurch zu Schulden kommen lassen, daß sie Erklä- rungen über die Machtvollkommenheit des Volkes und über den Sinn der Unverantwortlichkeit abgegeben, zu denen weder das Gesetz über die Centralgewalt noch specielle Aufträge der Natio- nalversammlung Befugnisse darboten. Jndessen über der Herr- lichkeit dieser entscheidenden Tage wollen wir solche Dinge gerne verwinden. Der Erzherzog gehört von nun an ganz dem deutschen Vaterlande und wird sich nächstens seiner Verbindlich- keiten gegen seinen Kaiser vollends entledigen, um schleunigst in unsere Mitte zurückzueilen. Heute Mittag hat er die in der Mainlust zum Mittagessen versammelten Deputirten aufs freu- digste mit einem Besuche überrascht und durch seine Herablas- sung und Herzlichkeit Alles bezaubert. Aehnliches ist vielleicht in Deutschland nie und nirgends geschehen. — Jn der heutigen Sitzung sind die ordentlichen Verhandlungen über die Grundrechte wieder aufgenommen worden. Ueber §. 2. haben noch nicht we- niger als 21 Redner gesprochen, unter denen v. Linde, Rei- chenssperger und v. Beisler durch ruhige Erwägung der concreten Verhältnisse sich auszeichneten, während Kolb die pfälzische Gespreiztheit repräsentirte und St. Schlöffel den Gegensatz seines eigenen Beispiels, die ins Unendliche getriebene Sympathie für den Communismus, darzustellen beflissen war. Würden die Rathschläge dieser Herren befolgt, dann bestände die neue Freiheit darin, daß die Proletarier gleich Heu- schreckenhaufen in den wohlhabenden Gemeinden Halt machten, bis alles Vorhandene aufgezehrt wäre. Sofort wurde die Berathung über §. 3. der Grund- rechte aufgenommen. R. Mohl hat das Verdienst, die Wich- tigkeit des Gegenstandes der Versammlung klar gemacht zu haben. Ueber die letzten Verhandlungen des Reichstages bemerkt die Weserzeitung sehr vernünftig: „Wer seit der vorigen Woche heute zum ersten Male die Paulskirche betreten hätte, der würde sie nicht wieder erkannt haben. Welch' ein Wechsel! Dem wilden parlamentarischen Sturm ist die Windstille gefolgt; da wo vor acht Tagen glühende Leidenschaft tobende Schlachten lieferte, herrscht heute die Stille der Langeweile. Die Gallerie, sonst zum Brechen überfüllt, ist nicht zum Drittheile besetzt, die diplo- matische Tribüne ist so gut wie leer, die Journalistenplätze sind mit müssigen Herren besetzt, welche Zeitungen lesen. Jn der Versammlung selbst Unruhe, augenscheinliche Zerstreutheit, ein beständiges Kommen und Gehen, eine Nichtbeachtung mancher Redner, welche jede nicht durchaus bügelfeste Eigenliebe aus dem Sattel heben würde. Kurz, man sollte glauben, es handle sich gegenwärtig um die gleichgültigsten Dinge von der Welt, etwa um ein Gesetz über die Spurweite der Eisenbahnen, oder um eine Marktpolizeiordnung. Gleichwohl ist der Gegenstand, welcher der Nationalversammlung jetzt zur Entscheidung vorliegt, einer der bedeutsamsten, mit denen sie sich überhaupt zu beschäftigen haben wird. Die Feststellung des allgemeinen deutschen Staatsbürgerrechts ist die erste Voraussetzung für die Er- richtung des Gesammtstaates Deutschland und der Jnhalt jenes Staatsbürgerrechtes bedingt den Jnhalt des Nationalbewußtseins in dem größten Theile unseres Volkes. Auf der andern Seite ist es ge- wiß, daß die Nationalversammlung bei Strafe Alles zu verlieren, nicht mehr auf diesem Gebiete anstreben darf, als den Umständen nach erreichbar ist. Ein ungeschickter Eingriff in die Befugnisse der Gemeinde und in die Jnteressen der gewerb- lichen Körperschaften würde der größte Mißgriff seyn, den die Nationalversammlung begehen könnte, ein Mißgriff von viel schwereren Folgen als eine offene Verfeindung mit den deutschen Regierungen. Die Gewohnheiten, die Vorurtheile, die Eigen- sucht, aber auch vor Allem das Recht der Gemeinden und der Körperschaften wollen auf das Sorgfältigste geschont seyn; über die bisherigen Sondergesetze und Sondereinrichtungen der einzelnen Staaten dagegen kann und muß sich die Nationalver- sammlung in allen Fällen, wo das Jnteresse des Ganzen es er- fordert, unbedenklich hinwegsetzen. Jnnerhalb der hier gezogenen beiden Linien wird sich ohne große Mühe die allgemeine Formel finden lassen, durch welche die autonomischen ( selbstherrlichen ) , Befugnisse der Körperschaften und Gemeinden mit den Forderun- gen des allgemeinen deutschen Staatsbürgerrechtes vermittelt werden können. Die Nothwendigkeit einer solchen Vermittlung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 30. Mainz, 15. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal030_1848/1>, abgerufen am 07.05.2024.