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Mainzer Journal. Nr. 115. Mainz, 18. Oktober 1848.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 115. Donnerstag, den 19. October. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Wahrheit aus Wien.

Berichte aus Wien vom 14. fehlen noch, die Schlesischen
Blätter, welche vielleicht Mittheilungen enthalten könnten, kom-
men sehr unregelmäßig hier an, -- wir geben daher in Ermange-
lung neuerer Nachrichten einen Bericht der Frankf. O. P. A. Z.
vom 13., der viel Jnteressantes enthält. "Nicht zwei Cürassierre-
gimenter, heißt es daselbst, nicht einige Grenadierbataillons und
Jnfanterie vergaßen ihren Eid, sondern die Schaar österreichischer
Krieger, welche in Wien ihre Pflicht vergaß ( es ist notorisch, daß
die Mannschaft größtentheils in trunkenem Zustande war, als sie
sich gegen den Nordbahnhof in Marsch setzte ) , beschränkte sich auf
ungefähr den dritten Theil eines 700 Mann starken Grenadier-
bataillons, wovon bis heute aber schon der größte Theil den
begangenen Fehltritt schwer bereuend, sich wieder bei der Fahne
einfand, so daß nur ein kleiner Rest von circa 50 Mann noch
hier ist, nicht aber um zu kämpfen, sondern um auf der Aula
fortwährend im trunkenen Zustande erhalten zu werden, welche
Beschäftigung höchstens durch triumphartiges Herumführen
der irregeleiteten treulosen Soldaten in der Stadt unterbrochen
wird. -- Ebenso unwahr sind alle Nachrichten von der Zu-
zügen der Bauern aus dem Marchfeld und den 1500 Schü-
tzen aus Steyermark; die Bauern des [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]Marchfeldes, welche
im gewöhnlichen täglichen Verkehr Lebensmittel in die Stadt
brachten, empfingen dort Waffen, mit denen sie jedoch in
ihre Heimath zurückkehrten, um ihr Hab und Gut gegen
etwaige Angriffe der Proletarier zu vertheidigen. -- Der Zuzug
aus Steyermark beschränkt sich aber auf 90, sage: neunzig
Schützen und Studenten unter dem gleich nach den Märztagen in
Gratz aufgetretenen Wühler Dr. Emperger. Eine weitere schänd-
liche Lüge, deren Ausstreuung man sich sehr angelegen seyn ließ,
war es, daß der Kaiser auf der Flucht von Wien von den Bau-
ern auf seiner Reiseroute angehalten und nach Wien zurückge-
bracht worden sey; denn schon bei Purkersdorf, eine Post von
Wien entfernt, und von da weiter hätten sich die Wiener Beweg-
ungsmänner leicht überzeugen können, daß Wien nicht Oesterreich
ist; denn schon da haben die Bauern, ebenso wie auf der ganzen
Route durch Oesterreich, weit davon entfernt, mit manchem Gelehr-
ten in Wien die Abreise des Kaisers aus seiner allerdings unruhigen
Residenz zu tadeln, dieselbe vielmehr als vollkommen recht erkannt
und sind vor ihrem unter dem Schutze treuer Soldaten fliehenden
Monarchen, seinen Segen erbittend, auf die Kniee gefallen. Son-
derbar, auch diese Thatsache fand ich in keinem Wiener Journale.
-- Was wäre von der braven Armee des treuen Banus noch
übrig, wären alle die Siege wahr, welche die Magyaren über ihn
errungen haben sollen? Und doch steht er, nicht mit 2000 zerlump-
tem, zusammengerafftem Gesindel, sondern mit 12,000 Mann
kampflustiger kernhafter Truppen, vor Wien und erwartet in we-
nigen Tagen seine Verstärkung auf mehr als 30,000 Mann.
Alle diese Siege, von denen wohl Niemand etwas wissen kann, weil
noch gar kein Gefecht zwischen dem Banus und den Magyaren
stattgefunden, bilden eine der unverschämtesten Lügen der neuern
Zeit, obwohl diese Nachricht die Runde durch eine Menge Wiener
Journale gefunden hat. Wahrscheinlich finden es jedoch dieselben
überflüßig diese Unwahrheiten zu widerrufen, weil der Allarm
durch alle Straßen Wiens geschlagen wurde, als man von den
Thürmen aus die Avantgarde des Banus anrücken sah. Man
könnte versucht werden, den Muth des Banus nach den ihm von
den Magyaren beigebrachten gänzlichen Niederlagen zu bewun-
dern, daß er auf der Flucht mit seinen feigen Horden so ruhig
zwischen zwei fürchterliche Feinde sich wagt, zwischen die helden-
müthige akademische Wiener Legion und das von Kossuth decre-
tirte Heer von 300,000 Mann, welchem auch die von Kos-
suth decretirten 40 Millionen Gulden, nach Abschlag der für
allerlei besondere Zwecke verausgabten, noch zu Gebote stehen.
Eine Lüge ist es, wenn man behauptet, daß der größte Theil der
Einwohner Wiens sich nach jener Freiheit sehnt, welche man jetzt
dort genießt; die "Wiener Zeitung" mag darauf antworten, wenn
sie es darf, oder vielmehr, wenn sie es wagt. -- Es ist unwahr,
daß die dermaligen Vertheidiger Wiens die Mittel zu einer kräf-
tigen Vertheidigung besitzen, denn sie haben das kaiserliche Zeug-
haus wohl größtentheils geplündert, ja sogar die dort aufbewahr-
ten Trophäen, aus den früheren ruhmvollen Kriegen des Vater-
landes, verschleppt; ja man genießt hier sogar den komischen
[Spaltenumbruch] Anblick, viele Mitglieder der akademischen Legion mit den im Zeug-
hause aufbewahrt gewesenen Kürassen gepanzert durch die Gassen
Wiens umhersteigen zu sehen; indeß zu dem von dort auf die Wälle
transportirten schweren Geschütze fehlt ihnen -- die Munition; denn
es ist glücklicherweise gelungen, sämmtliche Munitions= und Pulver-
vorräthe von der sogenannten Türkenschanze, aus den Depots auf
der Seilerstadt und im Wiener Stöckel zu retten, und wie be-
kannt enthalten die Casernen keine Munitionsvorräthe, da die
Mannschaft die beihabenden Patronen ( 60 per Mann ) in der
Patrontasche bei sich führt; auch ist die Wiener Nationalgarde
weit davon, in ihrer ganzen Stärke die Sache des Proletariats
und der academischen Legion zu vertreten, denn nur etwa 30 Com-
pagnien derselben sind als verführt zu bezeichnen; die gesammte
Nationalgarde der Stadt und der größte Theil jener der Vorstädte
sehnt sich nach Ruhe, nach einem gesetzmäßigen Zustande, in welchem
Sinne auch die wichtigsten Gebäude und Etablissements in der Stadt,
wie die Nationalbank, die Staatsschuldencasse, die Sparcasse u. s. w.
von ihr bewacht werden. Es wäre wohl eine zu schwere Aufgabe,
wollte man die Unzahl Lügen, womit man Leichtgläubige auf aller-
lei Wegen bethört, und endlich unglücklich macht, widerlegen,
welche wir aber mit einigen Wahrheiten trösten wollen. -- Es
ist wahr, daß der Commandirende, Graf Auersperg, sich gestern
aus seiner Stellung am Belvedere und im Schwarzenberg'schen
Garten in die Position am Wienerberg zurückgezogen hat, und
zwar aus zwei Gründen: erstens aus Menschlichkeit gegen die
Helden der Wiener Aula, um dieselben durch die größere Entfern-
ung von den Truppen der Gefahr zu entziehen, von den braven
Soldaten wegen Verführungsversuchen auf kurzem Wege gerich-
tet zu werden, wie dies in der Nacht vom 9. auf den 10. an zwei
dieser hoffnungsvollen Jungen geschehen ist, welche auch am Mor-
gen des 10. im Hofe des Schwarzenberg'schen Gartens in einiger
Erhöhung vom Erdboden zu sehen waren; zweitens um bei der
bevorstehenden Einschließung der Stadt nach militärischen Grund-
sätzen, von der Möglichkeit eines Straßenkampfes in der Vorstadt
Wieden entfernt, deren Nationalgarde größtentheils verführt ist,
ganz außerhalb der Linien sich frei bewegen zu können. Es ist seit
heute Nacht eine Wahrheit, daß der Banus sich mit 12,000 Mann
uns ganz nahe, mit seinem Hauptquartier in Jnzersdorfsteht, daß
er heute schon alle nahen Ortschaften, südlich seiner Stellung, be-
reits entwaffnet hat; es ist eben so wahr, daß das am 5. Abends abge-
rückte, über Gänserndorf nach Ungarn zur Armee des Banus be-
stimmte Grenadierbataillon Ferrari sich nach den Nachrichten über
die Wiener Ereignisse und nachdem die Taborbrücke abgebrochen
worden war, bei Klosterneuburg über die Donau zurückgezogen
und sich anderen, der Wiener Garnison zueilenden Truppen
angeschlossen hat; und eben so wahr ist es endlich, daß ein
Theil der unter dem Commando des in Wien so gefürchteten
Fürsten Windischgrätz aus Böhmen und Mähren anrückenden
Truppen, schon in der Nähe der Taborlinie steht, und der Rest
heute noch erwartet wird, so daß wir die Aussicht haben, bis
morgen ganz eingeschlossen zu seyn. Welche Aussichten wir dann
haben, diese Frage wird jetzt wohl Niemand hier zu beantworten
wissen. Die Antwort des Banus an den Reichstag ist beinahe wie
ein delphischer Orakelspruch, keineswegs zeigt sie besondere Freund-
lichkeit gegen Jene, welche seit langer Zeit sich an dem Staate und
der Armee so schwer versündigt haben; indeß selbst für den Fall,
unsere Jugend, unterstützt von ihren Freunden und Brüdern
Arbeitern, es auf eine, wenn auch noch so kurze Vertheidigung
ankommen lassen sollte, und dadurch die gerechte Wuth der Armee,
in welcher der feste Entschluß besteht, den schändlichen Mord
ihres Ministers und den Schandfleck, welchen man ihr durch
Verführung Einzelner beigebracht hat, zu rächen, noch steigern
würde, wollen die wenigen durch ihre Verhältnisse hier Zurück-
gehaltenen sich sogar nach dem Einrücken der Truppen sehnen,
denn dann erst dürfte die Gefahr des Proletariats in der Stadt
als beseitigt und die seit dem März wohl ausgesprochene und an-
gerühmte, von den Wienern aber bisher noch nicht genossene Frei-
heit in Wien wirklich zu finden seyn.

Deutschland.

Wien. Die Wiener Blätter treffen fortwährend nur in frag-
mentarischer Form ein. Die Presse fehlt von Zeit zu Zeit, so
heute; die Geißel, ein anderes conservatives Blatt, scheint
ganz aufgehört zu haben. Ueber die Wendung, welche die Dinge
nehmen werden, läßt sich kaum etwas voraussagen. Die Unge-
[Ende Spaltensatz]

Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 115. Donnerstag, den 19. October. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Wahrheit aus Wien.

Berichte aus Wien vom 14. fehlen noch, die Schlesischen
Blätter, welche vielleicht Mittheilungen enthalten könnten, kom-
men sehr unregelmäßig hier an, — wir geben daher in Ermange-
lung neuerer Nachrichten einen Bericht der Frankf. O. P. A. Z.
vom 13., der viel Jnteressantes enthält. „Nicht zwei Cürassierre-
gimenter, heißt es daselbst, nicht einige Grenadierbataillons und
Jnfanterie vergaßen ihren Eid, sondern die Schaar österreichischer
Krieger, welche in Wien ihre Pflicht vergaß ( es ist notorisch, daß
die Mannschaft größtentheils in trunkenem Zustande war, als sie
sich gegen den Nordbahnhof in Marsch setzte ) , beschränkte sich auf
ungefähr den dritten Theil eines 700 Mann starken Grenadier-
bataillons, wovon bis heute aber schon der größte Theil den
begangenen Fehltritt schwer bereuend, sich wieder bei der Fahne
einfand, so daß nur ein kleiner Rest von circa 50 Mann noch
hier ist, nicht aber um zu kämpfen, sondern um auf der Aula
fortwährend im trunkenen Zustande erhalten zu werden, welche
Beschäftigung höchstens durch triumphartiges Herumführen
der irregeleiteten treulosen Soldaten in der Stadt unterbrochen
wird. — Ebenso unwahr sind alle Nachrichten von der Zu-
zügen der Bauern aus dem Marchfeld und den 1500 Schü-
tzen aus Steyermark; die Bauern des [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]Marchfeldes, welche
im gewöhnlichen täglichen Verkehr Lebensmittel in die Stadt
brachten, empfingen dort Waffen, mit denen sie jedoch in
ihre Heimath zurückkehrten, um ihr Hab und Gut gegen
etwaige Angriffe der Proletarier zu vertheidigen. — Der Zuzug
aus Steyermark beschränkt sich aber auf 90, sage: neunzig
Schützen und Studenten unter dem gleich nach den Märztagen in
Gratz aufgetretenen Wühler Dr. Emperger. Eine weitere schänd-
liche Lüge, deren Ausstreuung man sich sehr angelegen seyn ließ,
war es, daß der Kaiser auf der Flucht von Wien von den Bau-
ern auf seiner Reiseroute angehalten und nach Wien zurückge-
bracht worden sey; denn schon bei Purkersdorf, eine Post von
Wien entfernt, und von da weiter hätten sich die Wiener Beweg-
ungsmänner leicht überzeugen können, daß Wien nicht Oesterreich
ist; denn schon da haben die Bauern, ebenso wie auf der ganzen
Route durch Oesterreich, weit davon entfernt, mit manchem Gelehr-
ten in Wien die Abreise des Kaisers aus seiner allerdings unruhigen
Residenz zu tadeln, dieselbe vielmehr als vollkommen recht erkannt
und sind vor ihrem unter dem Schutze treuer Soldaten fliehenden
Monarchen, seinen Segen erbittend, auf die Kniee gefallen. Son-
derbar, auch diese Thatsache fand ich in keinem Wiener Journale.
— Was wäre von der braven Armee des treuen Banus noch
übrig, wären alle die Siege wahr, welche die Magyaren über ihn
errungen haben sollen? Und doch steht er, nicht mit 2000 zerlump-
tem, zusammengerafftem Gesindel, sondern mit 12,000 Mann
kampflustiger kernhafter Truppen, vor Wien und erwartet in we-
nigen Tagen seine Verstärkung auf mehr als 30,000 Mann.
Alle diese Siege, von denen wohl Niemand etwas wissen kann, weil
noch gar kein Gefecht zwischen dem Banus und den Magyaren
stattgefunden, bilden eine der unverschämtesten Lügen der neuern
Zeit, obwohl diese Nachricht die Runde durch eine Menge Wiener
Journale gefunden hat. Wahrscheinlich finden es jedoch dieselben
überflüßig diese Unwahrheiten zu widerrufen, weil der Allarm
durch alle Straßen Wiens geschlagen wurde, als man von den
Thürmen aus die Avantgarde des Banus anrücken sah. Man
könnte versucht werden, den Muth des Banus nach den ihm von
den Magyaren beigebrachten gänzlichen Niederlagen zu bewun-
dern, daß er auf der Flucht mit seinen feigen Horden so ruhig
zwischen zwei fürchterliche Feinde sich wagt, zwischen die helden-
müthige akademische Wiener Legion und das von Kossuth decre-
tirte Heer von 300,000 Mann, welchem auch die von Kos-
suth decretirten 40 Millionen Gulden, nach Abschlag der für
allerlei besondere Zwecke verausgabten, noch zu Gebote stehen.
Eine Lüge ist es, wenn man behauptet, daß der größte Theil der
Einwohner Wiens sich nach jener Freiheit sehnt, welche man jetzt
dort genießt; die „Wiener Zeitung“ mag darauf antworten, wenn
sie es darf, oder vielmehr, wenn sie es wagt. — Es ist unwahr,
daß die dermaligen Vertheidiger Wiens die Mittel zu einer kräf-
tigen Vertheidigung besitzen, denn sie haben das kaiserliche Zeug-
haus wohl größtentheils geplündert, ja sogar die dort aufbewahr-
ten Trophäen, aus den früheren ruhmvollen Kriegen des Vater-
landes, verschleppt; ja man genießt hier sogar den komischen
[Spaltenumbruch] Anblick, viele Mitglieder der akademischen Legion mit den im Zeug-
hause aufbewahrt gewesenen Kürassen gepanzert durch die Gassen
Wiens umhersteigen zu sehen; indeß zu dem von dort auf die Wälle
transportirten schweren Geschütze fehlt ihnen — die Munition; denn
es ist glücklicherweise gelungen, sämmtliche Munitions= und Pulver-
vorräthe von der sogenannten Türkenschanze, aus den Depots auf
der Seilerstadt und im Wiener Stöckel zu retten, und wie be-
kannt enthalten die Casernen keine Munitionsvorräthe, da die
Mannschaft die beihabenden Patronen ( 60 per Mann ) in der
Patrontasche bei sich führt; auch ist die Wiener Nationalgarde
weit davon, in ihrer ganzen Stärke die Sache des Proletariats
und der academischen Legion zu vertreten, denn nur etwa 30 Com-
pagnien derselben sind als verführt zu bezeichnen; die gesammte
Nationalgarde der Stadt und der größte Theil jener der Vorstädte
sehnt sich nach Ruhe, nach einem gesetzmäßigen Zustande, in welchem
Sinne auch die wichtigsten Gebäude und Etablissements in der Stadt,
wie die Nationalbank, die Staatsschuldencasse, die Sparcasse u. s. w.
von ihr bewacht werden. Es wäre wohl eine zu schwere Aufgabe,
wollte man die Unzahl Lügen, womit man Leichtgläubige auf aller-
lei Wegen bethört, und endlich unglücklich macht, widerlegen,
welche wir aber mit einigen Wahrheiten trösten wollen. — Es
ist wahr, daß der Commandirende, Graf Auersperg, sich gestern
aus seiner Stellung am Belvedere und im Schwarzenberg'schen
Garten in die Position am Wienerberg zurückgezogen hat, und
zwar aus zwei Gründen: erstens aus Menschlichkeit gegen die
Helden der Wiener Aula, um dieselben durch die größere Entfern-
ung von den Truppen der Gefahr zu entziehen, von den braven
Soldaten wegen Verführungsversuchen auf kurzem Wege gerich-
tet zu werden, wie dies in der Nacht vom 9. auf den 10. an zwei
dieser hoffnungsvollen Jungen geschehen ist, welche auch am Mor-
gen des 10. im Hofe des Schwarzenberg'schen Gartens in einiger
Erhöhung vom Erdboden zu sehen waren; zweitens um bei der
bevorstehenden Einschließung der Stadt nach militärischen Grund-
sätzen, von der Möglichkeit eines Straßenkampfes in der Vorstadt
Wieden entfernt, deren Nationalgarde größtentheils verführt ist,
ganz außerhalb der Linien sich frei bewegen zu können. Es ist seit
heute Nacht eine Wahrheit, daß der Banus sich mit 12,000 Mann
uns ganz nahe, mit seinem Hauptquartier in Jnzersdorfsteht, daß
er heute schon alle nahen Ortschaften, südlich seiner Stellung, be-
reits entwaffnet hat; es ist eben so wahr, daß das am 5. Abends abge-
rückte, über Gänserndorf nach Ungarn zur Armee des Banus be-
stimmte Grenadierbataillon Ferrari sich nach den Nachrichten über
die Wiener Ereignisse und nachdem die Taborbrücke abgebrochen
worden war, bei Klosterneuburg über die Donau zurückgezogen
und sich anderen, der Wiener Garnison zueilenden Truppen
angeschlossen hat; und eben so wahr ist es endlich, daß ein
Theil der unter dem Commando des in Wien so gefürchteten
Fürsten Windischgrätz aus Böhmen und Mähren anrückenden
Truppen, schon in der Nähe der Taborlinie steht, und der Rest
heute noch erwartet wird, so daß wir die Aussicht haben, bis
morgen ganz eingeschlossen zu seyn. Welche Aussichten wir dann
haben, diese Frage wird jetzt wohl Niemand hier zu beantworten
wissen. Die Antwort des Banus an den Reichstag ist beinahe wie
ein delphischer Orakelspruch, keineswegs zeigt sie besondere Freund-
lichkeit gegen Jene, welche seit langer Zeit sich an dem Staate und
der Armee so schwer versündigt haben; indeß selbst für den Fall,
unsere Jugend, unterstützt von ihren Freunden und Brüdern
Arbeitern, es auf eine, wenn auch noch so kurze Vertheidigung
ankommen lassen sollte, und dadurch die gerechte Wuth der Armee,
in welcher der feste Entschluß besteht, den schändlichen Mord
ihres Ministers und den Schandfleck, welchen man ihr durch
Verführung Einzelner beigebracht hat, zu rächen, noch steigern
würde, wollen die wenigen durch ihre Verhältnisse hier Zurück-
gehaltenen sich sogar nach dem Einrücken der Truppen sehnen,
denn dann erst dürfte die Gefahr des Proletariats in der Stadt
als beseitigt und die seit dem März wohl ausgesprochene und an-
gerühmte, von den Wienern aber bisher noch nicht genossene Frei-
heit in Wien wirklich zu finden seyn.

Deutschland.

Wien. Die Wiener Blätter treffen fortwährend nur in frag-
mentarischer Form ein. Die Presse fehlt von Zeit zu Zeit, so
heute; die Geißel, ein anderes conservatives Blatt, scheint
ganz aufgehört zu haben. Ueber die Wendung, welche die Dinge
nehmen werden, läßt sich kaum etwas voraussagen. Die Unge-
[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 115. Donnerstag, den 19. October. 1848. Die Wahrheit aus Wien. Berichte aus Wien vom 14. fehlen noch, die Schlesischen Blätter, welche vielleicht Mittheilungen enthalten könnten, kom- men sehr unregelmäßig hier an, — wir geben daher in Ermange- lung neuerer Nachrichten einen Bericht der Frankf. O. P. A. Z. vom 13., der viel Jnteressantes enthält. „Nicht zwei Cürassierre- gimenter, heißt es daselbst, nicht einige Grenadierbataillons und Jnfanterie vergaßen ihren Eid, sondern die Schaar österreichischer Krieger, welche in Wien ihre Pflicht vergaß ( es ist notorisch, daß die Mannschaft größtentheils in trunkenem Zustande war, als sie sich gegen den Nordbahnhof in Marsch setzte ) , beschränkte sich auf ungefähr den dritten Theil eines 700 Mann starken Grenadier- bataillons, wovon bis heute aber schon der größte Theil den begangenen Fehltritt schwer bereuend, sich wieder bei der Fahne einfand, so daß nur ein kleiner Rest von circa 50 Mann noch hier ist, nicht aber um zu kämpfen, sondern um auf der Aula fortwährend im trunkenen Zustande erhalten zu werden, welche Beschäftigung höchstens durch triumphartiges Herumführen der irregeleiteten treulosen Soldaten in der Stadt unterbrochen wird. — Ebenso unwahr sind alle Nachrichten von der Zu- zügen der Bauern aus dem Marchfeld und den 1500 Schü- tzen aus Steyermark; die Bauern des ___________Marchfeldes, welche im gewöhnlichen täglichen Verkehr Lebensmittel in die Stadt brachten, empfingen dort Waffen, mit denen sie jedoch in ihre Heimath zurückkehrten, um ihr Hab und Gut gegen etwaige Angriffe der Proletarier zu vertheidigen. — Der Zuzug aus Steyermark beschränkt sich aber auf 90, sage: neunzig Schützen und Studenten unter dem gleich nach den Märztagen in Gratz aufgetretenen Wühler Dr. Emperger. Eine weitere schänd- liche Lüge, deren Ausstreuung man sich sehr angelegen seyn ließ, war es, daß der Kaiser auf der Flucht von Wien von den Bau- ern auf seiner Reiseroute angehalten und nach Wien zurückge- bracht worden sey; denn schon bei Purkersdorf, eine Post von Wien entfernt, und von da weiter hätten sich die Wiener Beweg- ungsmänner leicht überzeugen können, daß Wien nicht Oesterreich ist; denn schon da haben die Bauern, ebenso wie auf der ganzen Route durch Oesterreich, weit davon entfernt, mit manchem Gelehr- ten in Wien die Abreise des Kaisers aus seiner allerdings unruhigen Residenz zu tadeln, dieselbe vielmehr als vollkommen recht erkannt und sind vor ihrem unter dem Schutze treuer Soldaten fliehenden Monarchen, seinen Segen erbittend, auf die Kniee gefallen. Son- derbar, auch diese Thatsache fand ich in keinem Wiener Journale. — Was wäre von der braven Armee des treuen Banus noch übrig, wären alle die Siege wahr, welche die Magyaren über ihn errungen haben sollen? Und doch steht er, nicht mit 2000 zerlump- tem, zusammengerafftem Gesindel, sondern mit 12,000 Mann kampflustiger kernhafter Truppen, vor Wien und erwartet in we- nigen Tagen seine Verstärkung auf mehr als 30,000 Mann. Alle diese Siege, von denen wohl Niemand etwas wissen kann, weil noch gar kein Gefecht zwischen dem Banus und den Magyaren stattgefunden, bilden eine der unverschämtesten Lügen der neuern Zeit, obwohl diese Nachricht die Runde durch eine Menge Wiener Journale gefunden hat. Wahrscheinlich finden es jedoch dieselben überflüßig diese Unwahrheiten zu widerrufen, weil der Allarm durch alle Straßen Wiens geschlagen wurde, als man von den Thürmen aus die Avantgarde des Banus anrücken sah. Man könnte versucht werden, den Muth des Banus nach den ihm von den Magyaren beigebrachten gänzlichen Niederlagen zu bewun- dern, daß er auf der Flucht mit seinen feigen Horden so ruhig zwischen zwei fürchterliche Feinde sich wagt, zwischen die helden- müthige akademische Wiener Legion und das von Kossuth decre- tirte Heer von 300,000 Mann, welchem auch die von Kos- suth decretirten 40 Millionen Gulden, nach Abschlag der für allerlei besondere Zwecke verausgabten, noch zu Gebote stehen. Eine Lüge ist es, wenn man behauptet, daß der größte Theil der Einwohner Wiens sich nach jener Freiheit sehnt, welche man jetzt dort genießt; die „Wiener Zeitung“ mag darauf antworten, wenn sie es darf, oder vielmehr, wenn sie es wagt. — Es ist unwahr, daß die dermaligen Vertheidiger Wiens die Mittel zu einer kräf- tigen Vertheidigung besitzen, denn sie haben das kaiserliche Zeug- haus wohl größtentheils geplündert, ja sogar die dort aufbewahr- ten Trophäen, aus den früheren ruhmvollen Kriegen des Vater- landes, verschleppt; ja man genießt hier sogar den komischen Anblick, viele Mitglieder der akademischen Legion mit den im Zeug- hause aufbewahrt gewesenen Kürassen gepanzert durch die Gassen Wiens umhersteigen zu sehen; indeß zu dem von dort auf die Wälle transportirten schweren Geschütze fehlt ihnen — die Munition; denn es ist glücklicherweise gelungen, sämmtliche Munitions= und Pulver- vorräthe von der sogenannten Türkenschanze, aus den Depots auf der Seilerstadt und im Wiener Stöckel zu retten, und wie be- kannt enthalten die Casernen keine Munitionsvorräthe, da die Mannschaft die beihabenden Patronen ( 60 per Mann ) in der Patrontasche bei sich führt; auch ist die Wiener Nationalgarde weit davon, in ihrer ganzen Stärke die Sache des Proletariats und der academischen Legion zu vertreten, denn nur etwa 30 Com- pagnien derselben sind als verführt zu bezeichnen; die gesammte Nationalgarde der Stadt und der größte Theil jener der Vorstädte sehnt sich nach Ruhe, nach einem gesetzmäßigen Zustande, in welchem Sinne auch die wichtigsten Gebäude und Etablissements in der Stadt, wie die Nationalbank, die Staatsschuldencasse, die Sparcasse u. s. w. von ihr bewacht werden. Es wäre wohl eine zu schwere Aufgabe, wollte man die Unzahl Lügen, womit man Leichtgläubige auf aller- lei Wegen bethört, und endlich unglücklich macht, widerlegen, welche wir aber mit einigen Wahrheiten trösten wollen. — Es ist wahr, daß der Commandirende, Graf Auersperg, sich gestern aus seiner Stellung am Belvedere und im Schwarzenberg'schen Garten in die Position am Wienerberg zurückgezogen hat, und zwar aus zwei Gründen: erstens aus Menschlichkeit gegen die Helden der Wiener Aula, um dieselben durch die größere Entfern- ung von den Truppen der Gefahr zu entziehen, von den braven Soldaten wegen Verführungsversuchen auf kurzem Wege gerich- tet zu werden, wie dies in der Nacht vom 9. auf den 10. an zwei dieser hoffnungsvollen Jungen geschehen ist, welche auch am Mor- gen des 10. im Hofe des Schwarzenberg'schen Gartens in einiger Erhöhung vom Erdboden zu sehen waren; zweitens um bei der bevorstehenden Einschließung der Stadt nach militärischen Grund- sätzen, von der Möglichkeit eines Straßenkampfes in der Vorstadt Wieden entfernt, deren Nationalgarde größtentheils verführt ist, ganz außerhalb der Linien sich frei bewegen zu können. Es ist seit heute Nacht eine Wahrheit, daß der Banus sich mit 12,000 Mann uns ganz nahe, mit seinem Hauptquartier in Jnzersdorfsteht, daß er heute schon alle nahen Ortschaften, südlich seiner Stellung, be- reits entwaffnet hat; es ist eben so wahr, daß das am 5. Abends abge- rückte, über Gänserndorf nach Ungarn zur Armee des Banus be- stimmte Grenadierbataillon Ferrari sich nach den Nachrichten über die Wiener Ereignisse und nachdem die Taborbrücke abgebrochen worden war, bei Klosterneuburg über die Donau zurückgezogen und sich anderen, der Wiener Garnison zueilenden Truppen angeschlossen hat; und eben so wahr ist es endlich, daß ein Theil der unter dem Commando des in Wien so gefürchteten Fürsten Windischgrätz aus Böhmen und Mähren anrückenden Truppen, schon in der Nähe der Taborlinie steht, und der Rest heute noch erwartet wird, so daß wir die Aussicht haben, bis morgen ganz eingeschlossen zu seyn. Welche Aussichten wir dann haben, diese Frage wird jetzt wohl Niemand hier zu beantworten wissen. Die Antwort des Banus an den Reichstag ist beinahe wie ein delphischer Orakelspruch, keineswegs zeigt sie besondere Freund- lichkeit gegen Jene, welche seit langer Zeit sich an dem Staate und der Armee so schwer versündigt haben; indeß selbst für den Fall, unsere Jugend, unterstützt von ihren Freunden und Brüdern Arbeitern, es auf eine, wenn auch noch so kurze Vertheidigung ankommen lassen sollte, und dadurch die gerechte Wuth der Armee, in welcher der feste Entschluß besteht, den schändlichen Mord ihres Ministers und den Schandfleck, welchen man ihr durch Verführung Einzelner beigebracht hat, zu rächen, noch steigern würde, wollen die wenigen durch ihre Verhältnisse hier Zurück- gehaltenen sich sogar nach dem Einrücken der Truppen sehnen, denn dann erst dürfte die Gefahr des Proletariats in der Stadt als beseitigt und die seit dem März wohl ausgesprochene und an- gerühmte, von den Wienern aber bisher noch nicht genossene Frei- heit in Wien wirklich zu finden seyn. Deutschland. Wien. Die Wiener Blätter treffen fortwährend nur in frag- mentarischer Form ein. Die Presse fehlt von Zeit zu Zeit, so heute; die Geißel, ein anderes conservatives Blatt, scheint ganz aufgehört zu haben. Ueber die Wendung, welche die Dinge nehmen werden, läßt sich kaum etwas voraussagen. Die Unge-

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 115. Mainz, 18. Oktober 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal115_1848/5>, abgerufen am 28.04.2024.