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Marburger Zeitung. Nr. 53, Marburg, 15.05.1900.

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Marburger Zeitung.



[Spaltenumbruch]

Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zustellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Postversendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.


[Spaltenumbruch]

Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr vormittags Postgasse 4.

Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon-Nr. 24.)


[Spaltenumbruch]

Einschaltungen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen.
Inseratenpreis: Für die 5mal gespaltene Zeile 12 h, bei
Wiederholung bedeutender Nachlass. -- Schluss für Ein-
schaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags.

Die Einzelnummer kostet 10 h.




Nr. 53 Dienstag, 15. Mai 1900 39. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Amerika und die Buren.

In den nächsten Tagen landet die außer-
ordentliche Gesandtschaft der Burenrepubliken in
Newyork, um zu versuchen, wenigstens die Regierung
und die Diplomatie der mächtigen nordamerikanischen
Union für die Sache der Buren in deren Ver-
zweiflungskampfe mit dem britischen Weltreiche zu
gewinnen. Bei den maßgebenden Regierungen und
Cabineten des europäischen Continents sind die Ab-
gesandten der Burenstaaten mit dieser ihrer Mission
gescheitert, d. h. es wurde ihnen von allen Seiten
"abgewinkt", ihre beabsichtigte Rundreise an den
Residenzstädten der Großmächte anzutreten, und so
sind denn sie schließlich, den Staub Europas von
ihren Füßen schüttelnd, über den atlantischen Ocean
gezogen. Ganz sicherlich harrt den Vertretern des
Burenthums bei ihrem Erscheinen auf dem fretheit-
heitlichen Boden Amerikas eine glänzende und
sympathische Aufnahme, wie dies schon aus den
Empfangsvorbereitungen in Newyork, Washington
und anderen Städten erhellt. Der heldenmüthige
Kampf des kleines Burenhäufleins gegen das über-
mächtige England hat eben bewirkt, dass die Gleich-
giltigkeit, mit welcher die große Masse des ameri-
kanischen Volkes anfangs solch ungleichem Ringen
zusah, sich allmälich in lebhafte Sympathie für die
Buren umwandelte, namentlich, da sich hervorragende
unabhängige Persönlichkeiten der ja so gerechten
Sache der südafrikanischen Republikaner in Wort
und Schrift kräftig annahmen. In zahlreichen
Massenversammlungen, die in den verschiedensten
Städten der Union stattgefunden haben, sind denn
auch schon anerkannte Kundgebungen für die Buren
öffentlich ins Werk gesetzt worden; und selbst in den
officiellen Kreisen hat es nicht an Sympathie-
demonstrationen zu Gunsten der tapferen süd-
afrikanischen Unabhängigkeitsstreiter gefehlt. Aus
der Mitte des Congresses zu Washington sind der-
[Spaltenumbruch] artige burenfreundliche Kundgebungen wiederholt
erfolgt, und letztere wiegen jedenfalls um so schwerer,
als bekanntermaßen die Unionsregierung bislang in
ihrer auswärtigen Politik auf die Erhaltung freund-
schaftlichster Beziehungen zu England Bedacht ge-
nommen hat.

Aber gerade diese bisherige Hinneigung des
Präsidenten Mac Kinley und seines Ministeriums
zu England lässt es einstweilen als unsicher er-
scheinen, ob die Burengesandtschaft in Amerika auf
ihre politische Rechnung kommen wird, mag sich
gleich ihr ganzer Empfang im Lande des Sternen-
banners noch so herzlich und noch so großartig ge-
stalten. Auch Mac Kinley und seine Berather sind
gleich wie die europäischen Regierungen, soweit
letztere überhaupt befähigt wären, sich in den süd-
afrikanischen Streit einzumischen, genöthigt, den
realen Verhältnissen in der Politik Rechnung zu
tragen. Es mag sein, dass man in London eine
kräftige diplomatische Initiative der Vereinigten
Staaten von Nordamerika zur Beilegung des Buren-
krieges weniger unangenehm empfinden würde, als
ein gleiches Vorgehen von irgend einer europäischen
Großmacht. Falls jedoch England auch dem "be-
freundeten" und "stammverwandten" Amerika gegen-
über eine Fürsprache zu Gunsten wenigstens der
bedingten ferneren Unabhängigkeit der Buren-
republiken entschieden zurückweisen sollte, so könnte
dies unter Umständen leicht zu einem Conflict zwischen
den beiden angelsächsischen Mächten führen, den aber
Nordamerika in Hinblick auf seine der Seekraft
Englands noch immer ganz erheblich unterlegene
Marine wohl mehr zu scheuen hätte, als Groß-
britannien. Mac Kinley und seine Minister werden
daher zweifellos versuchen, die Sendboten der Buren
in aller Höflichkeit mit leeren Redensarten abzu-
speisen und sich zu nichts in der Sache des Buren-
volkes zu verpflichten. Es ist nur fraglich, wie
weit die Regierung Mac Kinleys mit einer solchen
[Spaltenumbruch] diplomatischen Taktik bei der eigenen Nation an-
gesichts des wachsenden Enthusiasmus der Amerikaner
für die Buren durchdringen wird, zumal ja in den
Vereinigten Staaten die öffentliche Meinung den
Gang der Staatspolitik weit entschiedener zu be-
einflußen pflegt, als dies bei uns in Europa der
Fall ist. Außerdem lässt sich nicht leugnen, dass
die Burendeputation in dem Manifest, das sie bei
ihrer Abreise von Rotterdam an die Amerikaner
erließ, eine helltönende Saite im politischen Gemüth
der Yankees geschickt anzuschlagen wusste. Denn
in der bewegten Kundgebung wird darauf hinge-
wiesen, dass ja auch die Union, gleich den Buren-
staaten, eine Republik sei, und es wird ferner daran
erinnert, dass die Amerikaner sich ihre staatliche
Unabhängigkeit gegenüber demselben England er-
kämpft hätten, welches heute die staatliche Freiheit
der Buren bedrohe. Es ist gar nicht so unmöglich,
dass dieser Hinweis die Strömung im amerikanischen
Volke, den bedrängten Buren irgend welche that-
kräftige Hilfe zu bringen, derartig verstärkt, dass
sich die Kinley'sche Regierung einem solchen ein-
müthigen Willen des Volkes nicht länger zu wider-
setzen vermag. Dann würde es an dem Cabinet
von Washington sein, geschickt die richtige Linie in
seiner Politik aufzufinden, auf welcher es den Buren
seine Unterstützung zu leihen vermag, ohne doch
zugleich in ein verhängnisvolles Zerwürfnis mit
dem Londoner Cabinet zu gerathen.




Politische Amschau.
Inland.

-- Nach einer Meldung tschechischer Blätter
sollte beim Bezirksgerichte Kojetein der Gendarm
Skulinek deponieren. Obwohl die Verhandlung
ausschließlich tschechisch durchgeführt wurde, erklärte
er, dass es ihm nicht möglich sei, seine Zeugen-
aussage in tschechischer Sprache abzulegen, weil von




[Spaltenumbruch]
Der Transport der Verbannten.

(Aus Graf Leo Tolstois Roman "Auferstehung".)

(Fortsetzung.)

Dann kamen mit den Reisesäcken und den
Schwachen beladene Lastwagen, auf deren einem
hoch oben ein verhülltes Weib saß, das unaufhör-
lich winselte und schluchzte.

Der Zug war so lang, dass, als die Vordersten
schon dem Gesichte entschwunden waren, sich erst die
Wagen mit den Säcken und den Schwachen in Be-
wegung setzten. Als die Wagen sich in Bewegung
setzten, stieg Nechljudow in sein Fuhrwerk, das auf
ihn wartete, und befahl dem Kutscher, die Abtheilung
zu überholen, um auszuschauen, ob nicht bekannte
Sträflinge unter den Männern wären, und dann
die Moslawa, wenn er sie unter den Weibern ge-
funden, zu fragen, ob sie die ihr gesandten Sachen
erhalten hätte. Es war sehr heiß. Wind wehte nicht,
und der von tausend Füßen aufgewirbelte Staub
stand die ganze Zeit hindurch über den Sträflingen,
die sich in der Mitte der Straße vorwärts bewegten.
Die Sträflinge giengen schnell, und das nicht sehr
schnell trabende Droschkenpferd, mit dem Nechljudow
fuhr, überholte sie nur langsam. Reihe auf Reihe
zogen die unbekannten Wesen mit dem sonderbaren
und schrecklichen Aussehen dahin, und bewegten sich
tausend gleichmäßig beschuhte und bekleidete Füße
vorwärts, und wurden, gleichsam als Ermuthigung,
die freien Hände geschwenkt. Ihrer waren so viele,
sie waren so gleichmäßig gestaltet, und sie befanden
sich in so besonderen, seltsamen Umständen, dass es
[Spaltenumbruch] Nechljudow schien, als wären das nicht Menschen,
sondern eine Art besonderer schrecklicher Wesen.

Wo immer der Zug vorüberkam, er lenkte überall
mit Mitleid und Schrecken gemischte Aufmerksamkeit
auf sich. Die Vorüberfahrenden lehnten sich aus
ihren Equipagen und begleiteten die Gefangenen, so
lange sie sie sehen konnten, mit den Augen. Die
Fußgänger blieben stehen und schauten erstaunt und
bange auf das schreckliche Schauspiel. Einige traten
herzu und überreichten eine milde Gabe. Die milde
Gabe wurde von den Escortesoldaten in Empfang
genommen. Einige giengen wie hypnotisiert hinter
dem Zuge her, blieben dann aber stehen und ver-
folgten den Zug kopfschüttelnd nur mit den Augen.
Aus Gängen und Thorwegen liefen die Leute unter
gegenseitigen Zurufen heraus, lehnten sich aus den
Fenstern und schauten unbeweglich und schweigend
auf den schrecklichen Zug.

Die Hitze hatte noch zugenommen. Mauern und
Steine athmeten gleichsam heiße Luft aus. Die Füße
schienen auf dem glühenden Pflaster zu verbrennen,
und Nechljudow fühlte etwas wie eine Brandwunde,
als er mit der bloßen Hand das lackierte Dach der
Droschke berührte.

Das Pferd klapperte in trägem Trabe gleich-
mäßig mit den Hufen auf dem staubigen und un-
ebenen Pflaster und schleppte sich die Straßen ent-
lang; der Kutscher duselte ununterbrochen; Nech-
ljudow aber saß, ohne an etwas zu denken, und
schaute gleichgiltig vor sich hin. An einer Straßen-
ecke, gegenüber der Einfahrt eines großen Hauses,
stand ein Volkshaufe und ein Escortesoldat mit
Gewehr. Nechljudow ließ den Kutscher halten.


[Spaltenumbruch]

"Was gibt es da?" fragte er einen Hausknecht.

"Ein Sträfling."

Nechljudow stieg aus der Droschke und trat
zu dem Menschenhaufen. Auf den unebenen Steinen
des am Trottoir schrägen Pflasters lag mit dem
Kopf tiefer als mit den Füßen ein breiter, nicht
mehr junger Sträfling mit röthlichem Bart, rothem
Gesicht und plattgedrückter Nase, im grauen Ge-
fängnisrock mit ebensolchen Hosen. Er lag auf dem
Rücken, hatte die Sommersprossenbedeckten Hände mit
den Handflächen nach unten geöffnet und schluchzte,
indem er die hohe und mächtige Brust in langen
Zwischenräumen einzog, und sah den Himmel mit
stehen gebliebenen blutunterlaufenen Augen an. Um
ihn herum standen ein finsterer Polizist, ein Brief-
träger, ein Ladendiener, ein altes Weib mit einem
Sonnenschirm und ein kurzgeschorener Knabe mit
einem leeren Korbe.

"Sind schwach geworden im Gefängnis, haben
die Kraft verloren, und da führt man sie nun in
diese Höllenhitze", erhob der Ladendiener gegen
jemand Vorwürfe, indem er sich an den hinzutre-
tenden Nechljudow wandte.

"Der muss gewiss sterben", sagte das Weib
mit dem Sonnenschirm mit fast weinerlicher Stimme.

"Man muss ihm das Hemd aufbinden", sagte
der Briefträger.

Der Polizist begann mit zitternden dicken
Fingern ungeschickt die Zwirnbänder an dem mus-
kulösen rothen Halse loszulösen. Er war sichtlich
erregt und bestürzt, hielt es aber dennoch für nöthig,
sich an die Menge zu wenden.


Marburger Zeitung.



[Spaltenumbruch]

Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.


[Spaltenumbruch]

Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vormittags Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


[Spaltenumbruch]

Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen.
Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, bei
Wiederholung bedeutender Nachlaſs. — Schluſs für Ein-
ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 h.




Nr. 53 Dienstag, 15. Mai 1900 39. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Amerika und die Buren.

In den nächſten Tagen landet die außer-
ordentliche Geſandtſchaft der Burenrepubliken in
Newyork, um zu verſuchen, wenigſtens die Regierung
und die Diplomatie der mächtigen nordamerikaniſchen
Union für die Sache der Buren in deren Ver-
zweiflungskampfe mit dem britiſchen Weltreiche zu
gewinnen. Bei den maßgebenden Regierungen und
Cabineten des europäiſchen Continents ſind die Ab-
geſandten der Burenſtaaten mit dieſer ihrer Miſſion
geſcheitert, d. h. es wurde ihnen von allen Seiten
„abgewinkt“, ihre beabſichtigte Rundreiſe an den
Reſidenzſtädten der Großmächte anzutreten, und ſo
ſind denn ſie ſchließlich, den Staub Europas von
ihren Füßen ſchüttelnd, über den atlantiſchen Ocean
gezogen. Ganz ſicherlich harrt den Vertretern des
Burenthums bei ihrem Erſcheinen auf dem fretheit-
heitlichen Boden Amerikas eine glänzende und
ſympathiſche Aufnahme, wie dies ſchon aus den
Empfangsvorbereitungen in Newyork, Waſhington
und anderen Städten erhellt. Der heldenmüthige
Kampf des kleines Burenhäufleins gegen das über-
mächtige England hat eben bewirkt, daſs die Gleich-
giltigkeit, mit welcher die große Maſſe des ameri-
kaniſchen Volkes anfangs ſolch ungleichem Ringen
zuſah, ſich allmälich in lebhafte Sympathie für die
Buren umwandelte, namentlich, da ſich hervorragende
unabhängige Perſönlichkeiten der ja ſo gerechten
Sache der ſüdafrikaniſchen Republikaner in Wort
und Schrift kräftig annahmen. In zahlreichen
Maſſenverſammlungen, die in den verſchiedenſten
Städten der Union ſtattgefunden haben, ſind denn
auch ſchon anerkannte Kundgebungen für die Buren
öffentlich ins Werk geſetzt worden; und ſelbſt in den
officiellen Kreiſen hat es nicht an Sympathie-
demonſtrationen zu Gunſten der tapferen ſüd-
afrikaniſchen Unabhängigkeitsſtreiter gefehlt. Aus
der Mitte des Congreſſes zu Waſhington ſind der-
[Spaltenumbruch] artige burenfreundliche Kundgebungen wiederholt
erfolgt, und letztere wiegen jedenfalls um ſo ſchwerer,
als bekanntermaßen die Unionsregierung bislang in
ihrer auswärtigen Politik auf die Erhaltung freund-
ſchaftlichſter Beziehungen zu England Bedacht ge-
nommen hat.

Aber gerade dieſe bisherige Hinneigung des
Präſidenten Mac Kinley und ſeines Miniſteriums
zu England läſst es einſtweilen als unſicher er-
ſcheinen, ob die Burengeſandtſchaft in Amerika auf
ihre politiſche Rechnung kommen wird, mag ſich
gleich ihr ganzer Empfang im Lande des Sternen-
banners noch ſo herzlich und noch ſo großartig ge-
ſtalten. Auch Mac Kinley und ſeine Berather ſind
gleich wie die europäiſchen Regierungen, ſoweit
letztere überhaupt befähigt wären, ſich in den ſüd-
afrikaniſchen Streit einzumiſchen, genöthigt, den
realen Verhältniſſen in der Politik Rechnung zu
tragen. Es mag ſein, daſs man in London eine
kräftige diplomatiſche Initiative der Vereinigten
Staaten von Nordamerika zur Beilegung des Buren-
krieges weniger unangenehm empfinden würde, als
ein gleiches Vorgehen von irgend einer europäiſchen
Großmacht. Falls jedoch England auch dem „be-
freundeten“ und „ſtammverwandten“ Amerika gegen-
über eine Fürſprache zu Gunſten wenigſtens der
bedingten ferneren Unabhängigkeit der Buren-
republiken entſchieden zurückweiſen ſollte, ſo könnte
dies unter Umſtänden leicht zu einem Conflict zwiſchen
den beiden angelſächſiſchen Mächten führen, den aber
Nordamerika in Hinblick auf ſeine der Seekraft
Englands noch immer ganz erheblich unterlegene
Marine wohl mehr zu ſcheuen hätte, als Groß-
britannien. Mac Kinley und ſeine Miniſter werden
daher zweifellos verſuchen, die Sendboten der Buren
in aller Höflichkeit mit leeren Redensarten abzu-
ſpeiſen und ſich zu nichts in der Sache des Buren-
volkes zu verpflichten. Es iſt nur fraglich, wie
weit die Regierung Mac Kinleys mit einer ſolchen
[Spaltenumbruch] diplomatiſchen Taktik bei der eigenen Nation an-
geſichts des wachſenden Enthuſiasmus der Amerikaner
für die Buren durchdringen wird, zumal ja in den
Vereinigten Staaten die öffentliche Meinung den
Gang der Staatspolitik weit entſchiedener zu be-
einflußen pflegt, als dies bei uns in Europa der
Fall iſt. Außerdem läſst ſich nicht leugnen, daſs
die Burendeputation in dem Manifeſt, das ſie bei
ihrer Abreiſe von Rotterdam an die Amerikaner
erließ, eine helltönende Saite im politiſchen Gemüth
der Yankees geſchickt anzuſchlagen wuſste. Denn
in der bewegten Kundgebung wird darauf hinge-
wieſen, daſs ja auch die Union, gleich den Buren-
ſtaaten, eine Republik ſei, und es wird ferner daran
erinnert, daſs die Amerikaner ſich ihre ſtaatliche
Unabhängigkeit gegenüber demſelben England er-
kämpft hätten, welches heute die ſtaatliche Freiheit
der Buren bedrohe. Es iſt gar nicht ſo unmöglich,
daſs dieſer Hinweis die Strömung im amerikaniſchen
Volke, den bedrängten Buren irgend welche that-
kräftige Hilfe zu bringen, derartig verſtärkt, daſs
ſich die Kinley’ſche Regierung einem ſolchen ein-
müthigen Willen des Volkes nicht länger zu wider-
ſetzen vermag. Dann würde es an dem Cabinet
von Waſhington ſein, geſchickt die richtige Linie in
ſeiner Politik aufzufinden, auf welcher es den Buren
ſeine Unterſtützung zu leihen vermag, ohne doch
zugleich in ein verhängnisvolles Zerwürfnis mit
dem Londoner Cabinet zu gerathen.




Politiſche Amſchau.
Inland.

— Nach einer Meldung tſchechiſcher Blätter
ſollte beim Bezirksgerichte Kojetein der Gendarm
Skulinek deponieren. Obwohl die Verhandlung
ausſchließlich tſchechiſch durchgeführt wurde, erklärte
er, daſs es ihm nicht möglich ſei, ſeine Zeugen-
ausſage in tſchechiſcher Sprache abzulegen, weil von




[Spaltenumbruch]
Der Transport der Verbannten.

(Aus Graf Leo Tolſtois Roman „Auferſtehung“.)

(Fortſetzung.)

Dann kamen mit den Reiſeſäcken und den
Schwachen beladene Laſtwagen, auf deren einem
hoch oben ein verhülltes Weib ſaß, das unaufhör-
lich winſelte und ſchluchzte.

Der Zug war ſo lang, daſs, als die Vorderſten
ſchon dem Geſichte entſchwunden waren, ſich erſt die
Wagen mit den Säcken und den Schwachen in Be-
wegung ſetzten. Als die Wagen ſich in Bewegung
ſetzten, ſtieg Nechljudow in ſein Fuhrwerk, das auf
ihn wartete, und befahl dem Kutſcher, die Abtheilung
zu überholen, um auszuſchauen, ob nicht bekannte
Sträflinge unter den Männern wären, und dann
die Moslawa, wenn er ſie unter den Weibern ge-
funden, zu fragen, ob ſie die ihr geſandten Sachen
erhalten hätte. Es war ſehr heiß. Wind wehte nicht,
und der von tauſend Füßen aufgewirbelte Staub
ſtand die ganze Zeit hindurch über den Sträflingen,
die ſich in der Mitte der Straße vorwärts bewegten.
Die Sträflinge giengen ſchnell, und das nicht ſehr
ſchnell trabende Droſchkenpferd, mit dem Nechljudow
fuhr, überholte ſie nur langſam. Reihe auf Reihe
zogen die unbekannten Weſen mit dem ſonderbaren
und ſchrecklichen Ausſehen dahin, und bewegten ſich
tauſend gleichmäßig beſchuhte und bekleidete Füße
vorwärts, und wurden, gleichſam als Ermuthigung,
die freien Hände geſchwenkt. Ihrer waren ſo viele,
ſie waren ſo gleichmäßig geſtaltet, und ſie befanden
ſich in ſo beſonderen, ſeltſamen Umſtänden, daſs es
[Spaltenumbruch] Nechljudow ſchien, als wären das nicht Menſchen,
ſondern eine Art beſonderer ſchrecklicher Weſen.

Wo immer der Zug vorüberkam, er lenkte überall
mit Mitleid und Schrecken gemiſchte Aufmerkſamkeit
auf ſich. Die Vorüberfahrenden lehnten ſich aus
ihren Equipagen und begleiteten die Gefangenen, ſo
lange ſie ſie ſehen konnten, mit den Augen. Die
Fußgänger blieben ſtehen und ſchauten erſtaunt und
bange auf das ſchreckliche Schauſpiel. Einige traten
herzu und überreichten eine milde Gabe. Die milde
Gabe wurde von den Escorteſoldaten in Empfang
genommen. Einige giengen wie hypnotiſiert hinter
dem Zuge her, blieben dann aber ſtehen und ver-
folgten den Zug kopfſchüttelnd nur mit den Augen.
Aus Gängen und Thorwegen liefen die Leute unter
gegenſeitigen Zurufen heraus, lehnten ſich aus den
Fenſtern und ſchauten unbeweglich und ſchweigend
auf den ſchrecklichen Zug.

Die Hitze hatte noch zugenommen. Mauern und
Steine athmeten gleichſam heiße Luft aus. Die Füße
ſchienen auf dem glühenden Pflaſter zu verbrennen,
und Nechljudow fühlte etwas wie eine Brandwunde,
als er mit der bloßen Hand das lackierte Dach der
Droſchke berührte.

Das Pferd klapperte in trägem Trabe gleich-
mäßig mit den Hufen auf dem ſtaubigen und un-
ebenen Pflaſter und ſchleppte ſich die Straßen ent-
lang; der Kutſcher duſelte ununterbrochen; Nech-
ljudow aber ſaß, ohne an etwas zu denken, und
ſchaute gleichgiltig vor ſich hin. An einer Straßen-
ecke, gegenüber der Einfahrt eines großen Hauſes,
ſtand ein Volkshaufe und ein Escorteſoldat mit
Gewehr. Nechljudow ließ den Kutſcher halten.


[Spaltenumbruch]

„Was gibt es da?“ fragte er einen Hausknecht.

„Ein Sträfling.“

Nechljudow ſtieg aus der Droſchke und trat
zu dem Menſchenhaufen. Auf den unebenen Steinen
des am Trottoir ſchrägen Pflaſters lag mit dem
Kopf tiefer als mit den Füßen ein breiter, nicht
mehr junger Sträfling mit röthlichem Bart, rothem
Geſicht und plattgedrückter Naſe, im grauen Ge-
fängnisrock mit ebenſolchen Hoſen. Er lag auf dem
Rücken, hatte die Sommerſproſſenbedeckten Hände mit
den Handflächen nach unten geöffnet und ſchluchzte,
indem er die hohe und mächtige Bruſt in langen
Zwiſchenräumen einzog, und ſah den Himmel mit
ſtehen gebliebenen blutunterlaufenen Augen an. Um
ihn herum ſtanden ein finſterer Poliziſt, ein Brief-
träger, ein Ladendiener, ein altes Weib mit einem
Sonnenſchirm und ein kurzgeſchorener Knabe mit
einem leeren Korbe.

„Sind ſchwach geworden im Gefängnis, haben
die Kraft verloren, und da führt man ſie nun in
dieſe Höllenhitze“, erhob der Ladendiener gegen
jemand Vorwürfe, indem er ſich an den hinzutre-
tenden Nechljudow wandte.

„Der muſs gewiſs ſterben“, ſagte das Weib
mit dem Sonnenſchirm mit faſt weinerlicher Stimme.

„Man muſs ihm das Hemd aufbinden“, ſagte
der Briefträger.

Der Poliziſt begann mit zitternden dicken
Fingern ungeſchickt die Zwirnbänder an dem mus-
kulöſen rothen Halſe loszulöſen. Er war ſichtlich
erregt und beſtürzt, hielt es aber dennoch für nöthig,
ſich an die Menge zu wenden.


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vormittags Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.) Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen. Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, bei Wiederholung bedeutender Nachlaſs. — Schluſs für Ein- ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags. Die Einzelnummer koſtet 10 h. Nr. 53 Dienstag, 15. Mai 1900 39. Jahrgang Amerika und die Buren. In den nächſten Tagen landet die außer- ordentliche Geſandtſchaft der Burenrepubliken in Newyork, um zu verſuchen, wenigſtens die Regierung und die Diplomatie der mächtigen nordamerikaniſchen Union für die Sache der Buren in deren Ver- zweiflungskampfe mit dem britiſchen Weltreiche zu gewinnen. Bei den maßgebenden Regierungen und Cabineten des europäiſchen Continents ſind die Ab- geſandten der Burenſtaaten mit dieſer ihrer Miſſion geſcheitert, d. h. es wurde ihnen von allen Seiten „abgewinkt“, ihre beabſichtigte Rundreiſe an den Reſidenzſtädten der Großmächte anzutreten, und ſo ſind denn ſie ſchließlich, den Staub Europas von ihren Füßen ſchüttelnd, über den atlantiſchen Ocean gezogen. Ganz ſicherlich harrt den Vertretern des Burenthums bei ihrem Erſcheinen auf dem fretheit- heitlichen Boden Amerikas eine glänzende und ſympathiſche Aufnahme, wie dies ſchon aus den Empfangsvorbereitungen in Newyork, Waſhington und anderen Städten erhellt. Der heldenmüthige Kampf des kleines Burenhäufleins gegen das über- mächtige England hat eben bewirkt, daſs die Gleich- giltigkeit, mit welcher die große Maſſe des ameri- kaniſchen Volkes anfangs ſolch ungleichem Ringen zuſah, ſich allmälich in lebhafte Sympathie für die Buren umwandelte, namentlich, da ſich hervorragende unabhängige Perſönlichkeiten der ja ſo gerechten Sache der ſüdafrikaniſchen Republikaner in Wort und Schrift kräftig annahmen. In zahlreichen Maſſenverſammlungen, die in den verſchiedenſten Städten der Union ſtattgefunden haben, ſind denn auch ſchon anerkannte Kundgebungen für die Buren öffentlich ins Werk geſetzt worden; und ſelbſt in den officiellen Kreiſen hat es nicht an Sympathie- demonſtrationen zu Gunſten der tapferen ſüd- afrikaniſchen Unabhängigkeitsſtreiter gefehlt. 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Es mag ſein, daſs man in London eine kräftige diplomatiſche Initiative der Vereinigten Staaten von Nordamerika zur Beilegung des Buren- krieges weniger unangenehm empfinden würde, als ein gleiches Vorgehen von irgend einer europäiſchen Großmacht. Falls jedoch England auch dem „be- freundeten“ und „ſtammverwandten“ Amerika gegen- über eine Fürſprache zu Gunſten wenigſtens der bedingten ferneren Unabhängigkeit der Buren- republiken entſchieden zurückweiſen ſollte, ſo könnte dies unter Umſtänden leicht zu einem Conflict zwiſchen den beiden angelſächſiſchen Mächten führen, den aber Nordamerika in Hinblick auf ſeine der Seekraft Englands noch immer ganz erheblich unterlegene Marine wohl mehr zu ſcheuen hätte, als Groß- britannien. Mac Kinley und ſeine Miniſter werden daher zweifellos verſuchen, die Sendboten der Buren in aller Höflichkeit mit leeren Redensarten abzu- ſpeiſen und ſich zu nichts in der Sache des Buren- volkes zu verpflichten. Es iſt nur fraglich, wie weit die Regierung Mac Kinleys mit einer ſolchen diplomatiſchen Taktik bei der eigenen Nation an- geſichts des wachſenden Enthuſiasmus der Amerikaner für die Buren durchdringen wird, zumal ja in den Vereinigten Staaten die öffentliche Meinung den Gang der Staatspolitik weit entſchiedener zu be- einflußen pflegt, als dies bei uns in Europa der Fall iſt. Außerdem läſst ſich nicht leugnen, daſs die Burendeputation in dem Manifeſt, das ſie bei ihrer Abreiſe von Rotterdam an die Amerikaner erließ, eine helltönende Saite im politiſchen Gemüth der Yankees geſchickt anzuſchlagen wuſste. Denn in der bewegten Kundgebung wird darauf hinge- wieſen, daſs ja auch die Union, gleich den Buren- ſtaaten, eine Republik ſei, und es wird ferner daran erinnert, daſs die Amerikaner ſich ihre ſtaatliche Unabhängigkeit gegenüber demſelben England er- kämpft hätten, welches heute die ſtaatliche Freiheit der Buren bedrohe. Es iſt gar nicht ſo unmöglich, daſs dieſer Hinweis die Strömung im amerikaniſchen Volke, den bedrängten Buren irgend welche that- kräftige Hilfe zu bringen, derartig verſtärkt, daſs ſich die Kinley’ſche Regierung einem ſolchen ein- müthigen Willen des Volkes nicht länger zu wider- ſetzen vermag. Dann würde es an dem Cabinet von Waſhington ſein, geſchickt die richtige Linie in ſeiner Politik aufzufinden, auf welcher es den Buren ſeine Unterſtützung zu leihen vermag, ohne doch zugleich in ein verhängnisvolles Zerwürfnis mit dem Londoner Cabinet zu gerathen. Politiſche Amſchau. Inland. — Nach einer Meldung tſchechiſcher Blätter ſollte beim Bezirksgerichte Kojetein der Gendarm Skulinek deponieren. Obwohl die Verhandlung ausſchließlich tſchechiſch durchgeführt wurde, erklärte er, daſs es ihm nicht möglich ſei, ſeine Zeugen- ausſage in tſchechiſcher Sprache abzulegen, weil von Der Transport der Verbannten. (Aus Graf Leo Tolſtois Roman „Auferſtehung“.) (Fortſetzung.) Dann kamen mit den Reiſeſäcken und den Schwachen beladene Laſtwagen, auf deren einem hoch oben ein verhülltes Weib ſaß, das unaufhör- lich winſelte und ſchluchzte. Der Zug war ſo lang, daſs, als die Vorderſten ſchon dem Geſichte entſchwunden waren, ſich erſt die Wagen mit den Säcken und den Schwachen in Be- wegung ſetzten. Als die Wagen ſich in Bewegung ſetzten, ſtieg Nechljudow in ſein Fuhrwerk, das auf ihn wartete, und befahl dem Kutſcher, die Abtheilung zu überholen, um auszuſchauen, ob nicht bekannte Sträflinge unter den Männern wären, und dann die Moslawa, wenn er ſie unter den Weibern ge- funden, zu fragen, ob ſie die ihr geſandten Sachen erhalten hätte. Es war ſehr heiß. Wind wehte nicht, und der von tauſend Füßen aufgewirbelte Staub ſtand die ganze Zeit hindurch über den Sträflingen, die ſich in der Mitte der Straße vorwärts bewegten. Die Sträflinge giengen ſchnell, und das nicht ſehr ſchnell trabende Droſchkenpferd, mit dem Nechljudow fuhr, überholte ſie nur langſam. Reihe auf Reihe zogen die unbekannten Weſen mit dem ſonderbaren und ſchrecklichen Ausſehen dahin, und bewegten ſich tauſend gleichmäßig beſchuhte und bekleidete Füße vorwärts, und wurden, gleichſam als Ermuthigung, die freien Hände geſchwenkt. Ihrer waren ſo viele, ſie waren ſo gleichmäßig geſtaltet, und ſie befanden ſich in ſo beſonderen, ſeltſamen Umſtänden, daſs es Nechljudow ſchien, als wären das nicht Menſchen, ſondern eine Art beſonderer ſchrecklicher Weſen. Wo immer der Zug vorüberkam, er lenkte überall mit Mitleid und Schrecken gemiſchte Aufmerkſamkeit auf ſich. Die Vorüberfahrenden lehnten ſich aus ihren Equipagen und begleiteten die Gefangenen, ſo lange ſie ſie ſehen konnten, mit den Augen. Die Fußgänger blieben ſtehen und ſchauten erſtaunt und bange auf das ſchreckliche Schauſpiel. Einige traten herzu und überreichten eine milde Gabe. Die milde Gabe wurde von den Escorteſoldaten in Empfang genommen. Einige giengen wie hypnotiſiert hinter dem Zuge her, blieben dann aber ſtehen und ver- folgten den Zug kopfſchüttelnd nur mit den Augen. Aus Gängen und Thorwegen liefen die Leute unter gegenſeitigen Zurufen heraus, lehnten ſich aus den Fenſtern und ſchauten unbeweglich und ſchweigend auf den ſchrecklichen Zug. Die Hitze hatte noch zugenommen. Mauern und Steine athmeten gleichſam heiße Luft aus. Die Füße ſchienen auf dem glühenden Pflaſter zu verbrennen, und Nechljudow fühlte etwas wie eine Brandwunde, als er mit der bloßen Hand das lackierte Dach der Droſchke berührte. Das Pferd klapperte in trägem Trabe gleich- mäßig mit den Hufen auf dem ſtaubigen und un- ebenen Pflaſter und ſchleppte ſich die Straßen ent- lang; der Kutſcher duſelte ununterbrochen; Nech- ljudow aber ſaß, ohne an etwas zu denken, und ſchaute gleichgiltig vor ſich hin. An einer Straßen- ecke, gegenüber der Einfahrt eines großen Hauſes, ſtand ein Volkshaufe und ein Escorteſoldat mit Gewehr. Nechljudow ließ den Kutſcher halten. „Was gibt es da?“ fragte er einen Hausknecht. „Ein Sträfling.“ Nechljudow ſtieg aus der Droſchke und trat zu dem Menſchenhaufen. Auf den unebenen Steinen des am Trottoir ſchrägen Pflaſters lag mit dem Kopf tiefer als mit den Füßen ein breiter, nicht mehr junger Sträfling mit röthlichem Bart, rothem Geſicht und plattgedrückter Naſe, im grauen Ge- fängnisrock mit ebenſolchen Hoſen. Er lag auf dem Rücken, hatte die Sommerſproſſenbedeckten Hände mit den Handflächen nach unten geöffnet und ſchluchzte, indem er die hohe und mächtige Bruſt in langen Zwiſchenräumen einzog, und ſah den Himmel mit ſtehen gebliebenen blutunterlaufenen Augen an. Um ihn herum ſtanden ein finſterer Poliziſt, ein Brief- träger, ein Ladendiener, ein altes Weib mit einem Sonnenſchirm und ein kurzgeſchorener Knabe mit einem leeren Korbe. „Sind ſchwach geworden im Gefängnis, haben die Kraft verloren, und da führt man ſie nun in dieſe Höllenhitze“, erhob der Ladendiener gegen jemand Vorwürfe, indem er ſich an den hinzutre- tenden Nechljudow wandte. „Der muſs gewiſs ſterben“, ſagte das Weib mit dem Sonnenſchirm mit faſt weinerlicher Stimme. „Man muſs ihm das Hemd aufbinden“, ſagte der Briefträger. Der Poliziſt begann mit zitternden dicken Fingern ungeſchickt die Zwirnbänder an dem mus- kulöſen rothen Halſe loszulöſen. Er war ſichtlich erregt und beſtürzt, hielt es aber dennoch für nöthig, ſich an die Menge zu wenden.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 53, Marburg, 15.05.1900, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger53_1900/1>, abgerufen am 28.03.2024.