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Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 11.08.1908.

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Marburger Zeitung. Nr. 96, 11. August 1908.

[Spaltenumbruch]
Marburger Nachrichten.
Handwerkerversammlung.

Gestern abends fand in der Gambrinushalle
eine vom Deutschen Handwerkerverein
für Marburg und Umgebung einberufene, zahlreich
besuchte Versammlung statt. Obmann Gemeinderat
Kral eröffnete dieselbe, begrüßte die Erschienenen,
insbesondere die Gemeinderäte Neger und Obmann
des Gewerbevereines Futter und verliest die ein-
gelaufenen Entschuldigungsschreiben der Abgeord-
neten Wastian (Heilrufe) und Einspinner,
welch letzterer sein Nichterscheinen mit Mangel an
Zeit entschuldigt. (Rufe: Er traut sich nicht!)
Nachdem Herr Neger zum Vorsitzenden gewählt
worden war, erstattet Obmann Kral seinen Bericht
über den Reichshandwerkertag in Wien, dem er
als Vertrauensmann für Marburg beigewohnt
hatte. Er bespricht nun die Begründung und das
Wesen dieser Organisation tadelt die Absentierung
der Christlichsozialen, die, obwohl sie das nämliche
wirtschaftliche Programm vertreten, einen "deutschen"
Gewerbebund gründeten. Weiters berichtet Herr
Kral über die Handwerkerzeitung, die in eine Reichs-
handwerkerzeitung umgewandelt werden soll und über
den Stand der Genossenschaftskassa. Das Gesetz für
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften soll auf
Grundlage des neuen Gewerbegesetzes umgestaltet
werden; er bespricht dann die Forderung der Einbe-
ziehung der Handwerker in das Alters- und Inva-
lidengesetz, sowie die Versicherung von Bauforderungen,
das Gesetz vom unlauteren Wettbewerb und die
Ernennung von gewerblichen Beiräten, endlich das
Reservistengesetz und die Regelung der Schulzeit an
den gewerblichen Fortbildungsschulen. Der Redner
schließt unter lebhaftem Beifall, worauf ihm der
Vorsitzende für seine lichtvollen Ausführungen dankt.

Bei Punkt 2 der Tagesordnung: Stellung-
nahme zum dritten Handwerkertag in Graz, beschließt
die Versammlung einstimmig, im Prinzip den
Handwerkertag zu beschicken. Nun ergreift abermals
Gemeinderat Kral das Wort, um das Wesen der
Handwerkerkasse zu erörtern. Sie ist nur für den
Handwerkerstand geschaffen worden und hat den
Zweck, ihn zu unterstützen. Redner führt die großen
Vorteile aus, die den Mitgliedern der Kasse
erwachsen und fordert zu zahlreichem Beitritt auf.

Unter Allfälligem ergreift Gemeinderat Neger
das Wort und führt u. a. aus, daß es in Mar-
burg nicht an leistungsfähigen Handwerkern fehle,
wohl aber an entsprechendem Zuzug, so daß es
nicht möglich sei, den notwendigen Absatz zu finden.
Schuld sei die unglückliche Eisenbahnanlage, man
denke nur an Pragerhof und Spielfeld. Aber nicht
genug an dem, nun sollen abermals zwei Bahn-
linien errichtet werden, die den Zuzug von Mar-
burg ablenken sollen, nämlich die Linien Fehring-
Luttenberg-Friedau und Wies-Radlberg-Salden-
hofen. Die Abgeordneten kamen zwar aus Graz
und versprachen uns alles Mögliche, getan haben
sie aber nichts, im Gegenteil, sie haben sogar gegen
uns gearbeitet, die Wieser Bahn totgeschwiegen.
(Rufe: Einspinner!) Alle anderen Bahnprojekte
werden früher ausgeführt, nur für uns hat der
Landtag kein Geld. Der Abg. Einspinner
wurde gebeten, für Marburg in gewerblichen Fragen
einzutreten, auch für die Wieser Bahn, was er
auch stets versprochen. Getan hat er aber gar nichts
und sein Schreiben zeigt uns, daß er für uns keine
Zeit hat oder besser, daß er es nicht wagt, nach
Marburg zu kommen, weil er sein Versprechen nicht
gehalten hat. Wir können seinen Worten keinen
Glauben mehr schenken und kein Vertrauen mehr
zu ihm haben. Unser "Abgeordneter" hat den Bahn-
bau noch immer nicht studiert, deshalb sehen wir
uns genötigt, Herrn Abg. Malik, der sich gerne bereit
erklärt hat, unserem Wunsche zu entsprechen, zu
ersuchen, unsere Vertretung zu übernehmen. Redner
beantragt folgende Entschließung, die einstimmig
angenommen wurde:

Die am heutigen Tage vom Handwerkervereine
einberufene Versammlung in der Gambrinus-
halle in Marburg hat ein großes Interesse
an dem Zustandekommen der Marburg-
Wieser-Bahn
und stellt sonach an den Reichs-
ratsabgeordneten Herrn Vinzenz Malik die höfliche
Bitte, der Herr Reichsratsabgeordnete Malik wolle
die Güte haben, sobald als möglich bei Sr. Exzellenz
Eisenbahnminister Dr. v. Derschatta vorzusprechen
und unumwunden, klar und deutlich die
endliche Bewilligung des Baues der Marburg-
Wieser-Bahn und die staatliche Unterstützung zu
[Spaltenumbruch] verlangen und gleichfalls auch bei Sr. Exzellenz
dem Statthalter und Landeshauptmann
dieselbe Forderung zu stellen.

Eine zweite Entschließung an den Gemeinderat,
er möge ebenfalls Herrn Abg. Malik um Über-
nahme der Vertretung in der Angelegenheit der
Marburg-Wieser-Bahn ersuchen, wird gleichfalls
unter lebhaftem Beifall einstimmig an-
genommen.

Es ergreift nun Herr Buchdruckereibesitzer
Kralik das Wort zu folgenden Ausführungen:

"Sehr geehrte Herren! Seit 10. Mai l. J. er-
halten die Orte Ober- und Unter-Rothwein, Pobersch,
Kartschowin, Leitersberg, St. Peter, Mellingberg,
Koschak, Potschgau, Vordernberg, Gams, Roßbach,
Tresternitz und Lendorf, also die nächste Umgebung
von Marburg an Sonn- und Feiertagen keine
Post zugestellt. Der Ausschuß des Handwerker-
vereines hat sich unverzüglich an die hiesige Post-
verwaltung gewendet und nachstehende Antwort er-
halten: ,Auf Ihre Anfrage diene Ihnen zur Kennt-
nis, daß der Landbriefträgerdienst dieses Postbezirkes
an Sonn- und Feiertagen ab 10. Mai aufgelassen
wurde.' Jedenfalls über Verfügung der Postdirektion
in Graz. Wie schädigend diese Verfügung für die
Marburger Kaufleute, Handwerker und Gewerbe-
treibenden wirkt, wird sich aber schon in kürzester
Zeit zeigen, daher wir mit aller Kraft trachten
müssen, diesem Übelstande abzuhelfen. Der gegen-
wärtige Zustand wirft überhaupt ein trauriges Licht
auf unsere Marburger postalischen Verhältnisse. So
erhielt ein Gastwirt in Leitersberg in der Vor-
woche seine Briefe und Zeitungen und sonstige Post-
sachen statt Sonntag erst Mittwoch vormittags.
Samstag vor acht Tagen wurden zwei Postkarten
geschrieben, die eine nach Venedig, die zweite einem
Bekannten in Leitersberg, und beide Karten wurden
bei Herrn Havlicek in den Briefkasten geworfen; die
eine, meine Herren, nach Venedig, kam dort schon
Montags an, die zweite erhielt der Adressat in
Leitersberg erst Dienstag. Weg vom Briefkasten bis
zum Adressaten kaum 1000 Schritte! Sie sehen
daraus, daß solche Zustände rein lächerlich sind
und es ist gerade das Postärar, welches Millionen
Kronen dem Staate abwirft, nicht so schlecht daran,
daß es nicht mehr ohnehin elend bezahlte Land-
biefträger anstellen könnte. Dies scheint aber nach
einer Zuschrift vom 7. August des Postamtes Mar-
burg nicht der Fall zu sein, denn, anstatt daß für
den Postbestellbezirk Marburg ein geregelter Post-
dienst eingeführt wird und die Landbriefträger ver-
mehrt werden, so daß auch an Sonn- und Feier-
tagen die Brief- und Paketzustellung in Ordnung
erfolgen würde, erhalten mehrere Leitersberger Herren,
die sich jedenfalls über die mangelhafte Zustellung
beschwert haben, von nun an ihre Postsachen von
Pößnitzhofen aus zugestellt. Warum soll denn
gerade wieder die Stadt Marburg das Versuchs-
kaninchen
abgeben, ob sich der Landbriefträger-
dienst an Sonn- und Feiertagen abstellen läßt.
Wir dürfen uns dies nicht gefallen lassen. Die Post-
gebühren wurden erhöht, nicht verringert, die Post
soll dem Handel und Verkehr dienen, dazu wurde
sie ins Leben gerufen und nicht ein Sparinstitut
für den Staat
bilden. Durch die Einstellung
der Post an Sonn- und Feiertagen sind die Be-
wohner dieser stiefmütterlich behandelten Orte ge-
zwungen, in nächster Nähe ihre Bedürfnisse, da von
der Stadt keine Pakete zugestellt werden, zu decken,
mithin erleiden die Kaufleute, Handwerker und Ge-
werbetreibenden einen gewiß nicht unbedeutenden
Schaden und deshalb empfehle ich Ihnen nachstehende
Entschließung zur Annahme:

"Die heutige Handwerkertagung ersucht den
löblichen Gemeinderat, da durch die Einstellung
des Landbriefträgerdienstes im Post-
bezirke Marburg
an Sonn- und Feier-
tagen
die Kaufleute, Handel- und Gewerbe-
treibenden nicht unbeträchtlichen Schaden
erleiden,
mit aller Entschiedenheit bei der k. k.
Postdirektion in Graz, eventuell beim k. k. Handels-
ministerium dafür einzutreten, daß die Verfügung
vom 10. Mai l. J. zurückgezogen wird, und daß
die Zahl der Landbriefträger in diesem Postbezirke
nicht verringert, sondern vermehrt werde, damit die
Zustellung der Briefe und Pakete doch teilweise
den Anforderungen der heutigen Handelsverhältnisse
entspricht. Die heutige Handwerkertagung verwahrt
sich dagegen, daß gerade die Stadt Marburg als
Versuchskaninchen dienen soll, ob sich der Sonn-
und Feiertags Landbriefträgerdienst einstellen ließe,
und erblickt darin eine verkehrte Auffassung des
Postwesens, welches ja gerade den Verkehr
[Spaltenumbruch] fördernd,
aber nicht verschleppend sich aus-
bilden soll."

Der vom Redner beantragten Entschließung
wird einhellig zugestimmt.

Herr Kral bespricht nochmals das eigentüm-
liche Verhalten des Herrn Einspinner, der es nicht
der Mühe wert findet, Einladungen Folge zu leisten
und das Vertrauen, das man in ihn gesetzt, auf
das bitterste enttäuscht hat. Redner teilt noch mit,
daß auch Abg. Huemer in Salzburg bereit ist, für
unsere Interessen einzutreten. Zum Gegenstande
sprechen noch die Herren Hafnermeister Schiller,
Bildhauer Hois und Tischlermeister Gottlich,
worauf der Vorsitzende mit Dankesworten die an-
regend verlaufene Versammlung schloß.

Die beiden in der Versammlung gefaßten Ent-
schließungen, betreffend die Marburg-Wieser-Bahn,
wurden auch in der Ausschußsitzung des Mar-
burger Gewerbevereines einstimmig

angenommen.

Vermählung.

Gestern fand in der Haus-
kapelle der Karmeliterinnen die Vermählung des
Sparkassesekretärs Herrn Julius Peyer mit Fräulein
Luise Stauder statt.

Todesfall.

Gestern um halb 11 Uhr vor-
mittags verschied auf Gut Annahof nach langem,
schweren Leiden Frau Therese Thurn, verw. Laßner,
geb. Scheiner. Das Leichenbegängnis findet morgen
um 9 Uhr vormittags am Ortsfriedhofe zu St.
Georgen a. d. Pößnitz statt.

Heimische Kunst in der Fremde.

Unter
den Ausstellern in der diesjährigen Klagenfurter
Kunstausstellung befindet sich auch Fräulein Emilie
Becker aus Marburg, deren Leistungen in einem
Kunstreferat des "Gr. Tagbl." wie folgt gewürdigt
werden: Volle Beachtung verdient Emilie Becker
(Marburg) mit dem Kinderköpfchen und einem feinen
Damenporträt, zu bescheiden als Skizze bezeichnet.

Südmärkische Volksbücherei.

Wegen
Reinigung wird die Bücherei vom 15. August bis
1. September geschlossen bleiben.

Parkmusik.

Wir werden ersucht, bekannt-
zugeben, daß heuer keine Parkmusik mehr
stattfindet.

Sommerfest des Reichsbundes deutscher
Eisenbahner.

Wie schon erwähnt, wird bei diesem
Feste, welches am 15. August, das ist am Feiertag
im Gasthaus "Zur Linde" in Rothwein ab-
gehalten wird, die beliebte Pettauer Knaben-
kapelle,
welche am genannten Tage per Achse
angerückt kommt, für Konzertstücke sorgen. Ferner
hat die stramme Südbahnliedertafel ihre
Mitwirkung zugesagt, um ein wenig Abwechslung
in das Programm hineinzubringen.

Jubiläums-Korrespondenzkarten.

Die
österreichische Postverwaltung hat für den 18. d.
die Ausgabe von eigenen Jubiläums-Korrespondenz-
karten vorbereitet als Erinnerungszeichen an die
Feier des 60jährigen Regierungsjubiläums, die ein
gelungenes Porträt des Kaisers aus dem Jubiläums-
jahre in künstlerischer Ausführung tragen.

Grand Elektro-Bioskop.

Äußerst schöne
Bilder in jeder Beziehung enthält das Riesen-
programm dieser Woche. Kein Freund kinemato-
graphischer Vorführungen sollte sich die herrliche
Augenweide entgehen lassen, wodurch auch der
Bioskopdirektion die wohlverdiente Anerkennung
gezollt würde. Aus der Bilderfülle nennen wir:
"Das Sammeln der Seevögeleier in England",
das zu den hochinteressantesten Bildern aus der
Natur zu zählen ist. Nicht minder interessant sind
die "Tiroler Tänze". Ein wirkungsvolles Drama
aus dem Leben in ßenenreichen Bildern ist die
"Kameliendame". Sehr zeitgemäß ist der "Moderne
Damenhut", der die Auswüchse der Mode in dra-
stischer Weise vor Augen führt. Überhaupt sind die
humoristischen Bilder: "Das Kind im Versatzamte",
"Billiges Reisen" und "Eine chirurgische Opera-
tion" Zugstücke ersten Ranges, die ihre Wirkung
auf die Lachmuskeln der Zuseher nicht verfehlen.
Das aus ungezählten farbenprächtigen Bilderferien
bestehende phantastische Schauspiel "Der Sohn des
Teufels" ist für sich schon ein Programm, das den
Besuch des Bioskops vollauf rechtfertigt. Nicht
zuletzt ist der kolorierte Schwarzkünstler zu nennen.
-- Am Donnerstag ist wieder große High-life-Vor-
stellung, bei der die Südbahnwerkstättenkapelle mit-
wirkt. -- Auch auf den "Schwarzen Abend", der
nur diese Woche noch täglich nach der programm-
mäßigen Vorstellung stattfindet, sei aufmerksam
gemacht. Freunde pikanter Bilder werden gewiß auf
ihre Rechnung kommen.


Marburger Zeitung. Nr. 96, 11. Auguſt 1908.

[Spaltenumbruch]
Marburger Nachrichten.
Handwerkerverſammlung.

Geſtern abends fand in der Gambrinushalle
eine vom Deutſchen Handwerkerverein
für Marburg und Umgebung einberufene, zahlreich
beſuchte Verſammlung ſtatt. Obmann Gemeinderat
Kral eröffnete dieſelbe, begrüßte die Erſchienenen,
insbeſondere die Gemeinderäte Neger und Obmann
des Gewerbevereines Futter und verlieſt die ein-
gelaufenen Entſchuldigungsſchreiben der Abgeord-
neten Waſtian (Heilrufe) und Einſpinner,
welch letzterer ſein Nichterſcheinen mit Mangel an
Zeit entſchuldigt. (Rufe: Er traut ſich nicht!)
Nachdem Herr Neger zum Vorſitzenden gewählt
worden war, erſtattet Obmann Kral ſeinen Bericht
über den Reichshandwerkertag in Wien, dem er
als Vertrauensmann für Marburg beigewohnt
hatte. Er beſpricht nun die Begründung und das
Weſen dieſer Organiſation tadelt die Abſentierung
der Chriſtlichſozialen, die, obwohl ſie das nämliche
wirtſchaftliche Programm vertreten, einen „deutſchen“
Gewerbebund gründeten. Weiters berichtet Herr
Kral über die Handwerkerzeitung, die in eine Reichs-
handwerkerzeitung umgewandelt werden ſoll und über
den Stand der Genoſſenſchaftskaſſa. Das Geſetz für
Erwerbs- und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften ſoll auf
Grundlage des neuen Gewerbegeſetzes umgeſtaltet
werden; er beſpricht dann die Forderung der Einbe-
ziehung der Handwerker in das Alters- und Inva-
lidengeſetz, ſowie die Verſicherung von Bauforderungen,
das Geſetz vom unlauteren Wettbewerb und die
Ernennung von gewerblichen Beiräten, endlich das
Reſerviſtengeſetz und die Regelung der Schulzeit an
den gewerblichen Fortbildungsſchulen. Der Redner
ſchließt unter lebhaftem Beifall, worauf ihm der
Vorſitzende für ſeine lichtvollen Ausführungen dankt.

Bei Punkt 2 der Tagesordnung: Stellung-
nahme zum dritten Handwerkertag in Graz, beſchließt
die Verſammlung einſtimmig, im Prinzip den
Handwerkertag zu beſchicken. Nun ergreift abermals
Gemeinderat Kral das Wort, um das Weſen der
Handwerkerkaſſe zu erörtern. Sie iſt nur für den
Handwerkerſtand geſchaffen worden und hat den
Zweck, ihn zu unterſtützen. Redner führt die großen
Vorteile aus, die den Mitgliedern der Kaſſe
erwachſen und fordert zu zahlreichem Beitritt auf.

Unter Allfälligem ergreift Gemeinderat Neger
das Wort und führt u. a. aus, daß es in Mar-
burg nicht an leiſtungsfähigen Handwerkern fehle,
wohl aber an entſprechendem Zuzug, ſo daß es
nicht möglich ſei, den notwendigen Abſatz zu finden.
Schuld ſei die unglückliche Eiſenbahnanlage, man
denke nur an Pragerhof und Spielfeld. Aber nicht
genug an dem, nun ſollen abermals zwei Bahn-
linien errichtet werden, die den Zuzug von Mar-
burg ablenken ſollen, nämlich die Linien Fehring-
Luttenberg-Friedau und Wies-Radlberg-Salden-
hofen. Die Abgeordneten kamen zwar aus Graz
und verſprachen uns alles Mögliche, getan haben
ſie aber nichts, im Gegenteil, ſie haben ſogar gegen
uns gearbeitet, die Wieſer Bahn totgeſchwiegen.
(Rufe: Einſpinner!) Alle anderen Bahnprojekte
werden früher ausgeführt, nur für uns hat der
Landtag kein Geld. Der Abg. Einſpinner
wurde gebeten, für Marburg in gewerblichen Fragen
einzutreten, auch für die Wieſer Bahn, was er
auch ſtets verſprochen. Getan hat er aber gar nichts
und ſein Schreiben zeigt uns, daß er für uns keine
Zeit hat oder beſſer, daß er es nicht wagt, nach
Marburg zu kommen, weil er ſein Verſprechen nicht
gehalten hat. Wir können ſeinen Worten keinen
Glauben mehr ſchenken und kein Vertrauen mehr
zu ihm haben. Unſer „Abgeordneter“ hat den Bahn-
bau noch immer nicht ſtudiert, deshalb ſehen wir
uns genötigt, Herrn Abg. Malik, der ſich gerne bereit
erklärt hat, unſerem Wunſche zu entſprechen, zu
erſuchen, unſere Vertretung zu übernehmen. Redner
beantragt folgende Entſchließung, die einſtimmig
angenommen wurde:

Die am heutigen Tage vom Handwerkervereine
einberufene Verſammlung in der Gambrinus-
halle in Marburg hat ein großes Intereſſe
an dem Zuſtandekommen der Marburg-
Wieſer-Bahn
und ſtellt ſonach an den Reichs-
ratsabgeordneten Herrn Vinzenz Malik die höfliche
Bitte, der Herr Reichsratsabgeordnete Malik wolle
die Güte haben, ſobald als möglich bei Sr. Exzellenz
Eiſenbahnminiſter Dr. v. Derſchatta vorzuſprechen
und unumwunden, klar und deutlich die
endliche Bewilligung des Baues der Marburg-
Wieſer-Bahn und die ſtaatliche Unterſtützung zu
[Spaltenumbruch] verlangen und gleichfalls auch bei Sr. Exzellenz
dem Statthalter und Landeshauptmann
dieſelbe Forderung zu ſtellen.

Eine zweite Entſchließung an den Gemeinderat,
er möge ebenfalls Herrn Abg. Malik um Über-
nahme der Vertretung in der Angelegenheit der
Marburg-Wieſer-Bahn erſuchen, wird gleichfalls
unter lebhaftem Beifall einſtimmig an-
genommen.

Es ergreift nun Herr Buchdruckereibeſitzer
Kralik das Wort zu folgenden Ausführungen:

„Sehr geehrte Herren! Seit 10. Mai l. J. er-
halten die Orte Ober- und Unter-Rothwein, Poberſch,
Kartſchowin, Leitersberg, St. Peter, Mellingberg,
Koſchak, Potſchgau, Vordernberg, Gams, Roßbach,
Treſternitz und Lendorf, alſo die nächſte Umgebung
von Marburg an Sonn- und Feiertagen keine
Poſt zugeſtellt. Der Ausſchuß des Handwerker-
vereines hat ſich unverzüglich an die hieſige Poſt-
verwaltung gewendet und nachſtehende Antwort er-
halten: ‚Auf Ihre Anfrage diene Ihnen zur Kennt-
nis, daß der Landbriefträgerdienſt dieſes Poſtbezirkes
an Sonn- und Feiertagen ab 10. Mai aufgelaſſen
wurde.‘ Jedenfalls über Verfügung der Poſtdirektion
in Graz. Wie ſchädigend dieſe Verfügung für die
Marburger Kaufleute, Handwerker und Gewerbe-
treibenden wirkt, wird ſich aber ſchon in kürzeſter
Zeit zeigen, daher wir mit aller Kraft trachten
müſſen, dieſem Übelſtande abzuhelfen. Der gegen-
wärtige Zuſtand wirft überhaupt ein trauriges Licht
auf unſere Marburger poſtaliſchen Verhältniſſe. So
erhielt ein Gaſtwirt in Leitersberg in der Vor-
woche ſeine Briefe und Zeitungen und ſonſtige Poſt-
ſachen ſtatt Sonntag erſt Mittwoch vormittags.
Samstag vor acht Tagen wurden zwei Poſtkarten
geſchrieben, die eine nach Venedig, die zweite einem
Bekannten in Leitersberg, und beide Karten wurden
bei Herrn Havliček in den Briefkaſten geworfen; die
eine, meine Herren, nach Venedig, kam dort ſchon
Montags an, die zweite erhielt der Adreſſat in
Leitersberg erſt Dienstag. Weg vom Briefkaſten bis
zum Adreſſaten kaum 1000 Schritte! Sie ſehen
daraus, daß ſolche Zuſtände rein lächerlich ſind
und es iſt gerade das Poſtärar, welches Millionen
Kronen dem Staate abwirft, nicht ſo ſchlecht daran,
daß es nicht mehr ohnehin elend bezahlte Land-
biefträger anſtellen könnte. Dies ſcheint aber nach
einer Zuſchrift vom 7. Auguſt des Poſtamtes Mar-
burg nicht der Fall zu ſein, denn, anſtatt daß für
den Poſtbeſtellbezirk Marburg ein geregelter Poſt-
dienſt eingeführt wird und die Landbriefträger ver-
mehrt werden, ſo daß auch an Sonn- und Feier-
tagen die Brief- und Paketzuſtellung in Ordnung
erfolgen würde, erhalten mehrere Leitersberger Herren,
die ſich jedenfalls über die mangelhafte Zuſtellung
beſchwert haben, von nun an ihre Poſtſachen von
Pößnitzhofen aus zugeſtellt. Warum ſoll denn
gerade wieder die Stadt Marburg das Verſuchs-
kaninchen
abgeben, ob ſich der Landbriefträger-
dienſt an Sonn- und Feiertagen abſtellen läßt.
Wir dürfen uns dies nicht gefallen laſſen. Die Poſt-
gebühren wurden erhöht, nicht verringert, die Poſt
ſoll dem Handel und Verkehr dienen, dazu wurde
ſie ins Leben gerufen und nicht ein Sparinſtitut
für den Staat
bilden. Durch die Einſtellung
der Poſt an Sonn- und Feiertagen ſind die Be-
wohner dieſer ſtiefmütterlich behandelten Orte ge-
zwungen, in nächſter Nähe ihre Bedürfniſſe, da von
der Stadt keine Pakete zugeſtellt werden, zu decken,
mithin erleiden die Kaufleute, Handwerker und Ge-
werbetreibenden einen gewiß nicht unbedeutenden
Schaden und deshalb empfehle ich Ihnen nachſtehende
Entſchließung zur Annahme:

„Die heutige Handwerkertagung erſucht den
löblichen Gemeinderat, da durch die Einſtellung
des Landbriefträgerdienſtes im Poſt-
bezirke Marburg
an Sonn- und Feier-
tagen
die Kaufleute, Handel- und Gewerbe-
treibenden nicht unbeträchtlichen Schaden
erleiden,
mit aller Entſchiedenheit bei der k. k.
Poſtdirektion in Graz, eventuell beim k. k. Handels-
miniſterium dafür einzutreten, daß die Verfügung
vom 10. Mai l. J. zurückgezogen wird, und daß
die Zahl der Landbriefträger in dieſem Poſtbezirke
nicht verringert, ſondern vermehrt werde, damit die
Zuſtellung der Briefe und Pakete doch teilweiſe
den Anforderungen der heutigen Handelsverhältniſſe
entſpricht. Die heutige Handwerkertagung verwahrt
ſich dagegen, daß gerade die Stadt Marburg als
Verſuchskaninchen dienen ſoll, ob ſich der Sonn-
und Feiertags Landbriefträgerdienſt einſtellen ließe,
und erblickt darin eine verkehrte Auffaſſung des
Poſtweſens, welches ja gerade den Verkehr
[Spaltenumbruch] fördernd,
aber nicht verſchleppend ſich aus-
bilden ſoll.“

Der vom Redner beantragten Entſchließung
wird einhellig zugeſtimmt.

Herr Kral beſpricht nochmals das eigentüm-
liche Verhalten des Herrn Einſpinner, der es nicht
der Mühe wert findet, Einladungen Folge zu leiſten
und das Vertrauen, das man in ihn geſetzt, auf
das bitterſte enttäuſcht hat. Redner teilt noch mit,
daß auch Abg. Huemer in Salzburg bereit iſt, für
unſere Intereſſen einzutreten. Zum Gegenſtande
ſprechen noch die Herren Hafnermeiſter Schiller,
Bildhauer Hois und Tiſchlermeiſter Gottlich,
worauf der Vorſitzende mit Dankesworten die an-
regend verlaufene Verſammlung ſchloß.

Die beiden in der Verſammlung gefaßten Ent-
ſchließungen, betreffend die Marburg-Wieſer-Bahn,
wurden auch in der Ausſchußſitzung des Mar-
burger Gewerbevereines einſtimmig

angenommen.

Vermählung.

Geſtern fand in der Haus-
kapelle der Karmeliterinnen die Vermählung des
Sparkaſſeſekretärs Herrn Julius Peyer mit Fräulein
Luiſe Stauder ſtatt.

Todesfall.

Geſtern um halb 11 Uhr vor-
mittags verſchied auf Gut Annahof nach langem,
ſchweren Leiden Frau Thereſe Thurn, verw. Laßner,
geb. Scheiner. Das Leichenbegängnis findet morgen
um 9 Uhr vormittags am Ortsfriedhofe zu St.
Georgen a. d. Pößnitz ſtatt.

Heimiſche Kunſt in der Fremde.

Unter
den Ausſtellern in der diesjährigen Klagenfurter
Kunſtausſtellung befindet ſich auch Fräulein Emilie
Becker aus Marburg, deren Leiſtungen in einem
Kunſtreferat des „Gr. Tagbl.“ wie folgt gewürdigt
werden: Volle Beachtung verdient Emilie Becker
(Marburg) mit dem Kinderköpfchen und einem feinen
Damenporträt, zu beſcheiden als Skizze bezeichnet.

Südmärkiſche Volksbücherei.

Wegen
Reinigung wird die Bücherei vom 15. Auguſt bis
1. September geſchloſſen bleiben.

Parkmuſik.

Wir werden erſucht, bekannt-
zugeben, daß heuer keine Parkmuſik mehr
ſtattfindet.

Sommerfeſt des Reichsbundes deutſcher
Eiſenbahner.

Wie ſchon erwähnt, wird bei dieſem
Feſte, welches am 15. Auguſt, das iſt am Feiertag
im Gaſthaus „Zur Linde“ in Rothwein ab-
gehalten wird, die beliebte Pettauer Knaben-
kapelle,
welche am genannten Tage per Achſe
angerückt kommt, für Konzertſtücke ſorgen. Ferner
hat die ſtramme Südbahnliedertafel ihre
Mitwirkung zugeſagt, um ein wenig Abwechslung
in das Programm hineinzubringen.

Jubiläums-Korreſpondenzkarten.

Die
öſterreichiſche Poſtverwaltung hat für den 18. d.
die Ausgabe von eigenen Jubiläums-Korreſpondenz-
karten vorbereitet als Erinnerungszeichen an die
Feier des 60jährigen Regierungsjubiläums, die ein
gelungenes Porträt des Kaiſers aus dem Jubiläums-
jahre in künſtleriſcher Ausführung tragen.

Grand Elektro-Bioſkop.

Äußerſt ſchöne
Bilder in jeder Beziehung enthält das Rieſen-
programm dieſer Woche. Kein Freund kinemato-
graphiſcher Vorführungen ſollte ſich die herrliche
Augenweide entgehen laſſen, wodurch auch der
Bioſkopdirektion die wohlverdiente Anerkennung
gezollt würde. Aus der Bilderfülle nennen wir:
„Das Sammeln der Seevögeleier in England“,
das zu den hochintereſſanteſten Bildern aus der
Natur zu zählen iſt. Nicht minder intereſſant ſind
die „Tiroler Tänze“. Ein wirkungsvolles Drama
aus dem Leben in ſzenenreichen Bildern iſt die
„Kameliendame“. Sehr zeitgemäß iſt der „Moderne
Damenhut“, der die Auswüchſe der Mode in dra-
ſtiſcher Weiſe vor Augen führt. Überhaupt ſind die
humoriſtiſchen Bilder: „Das Kind im Verſatzamte“,
„Billiges Reiſen“ und „Eine chirurgiſche Opera-
tion“ Zugſtücke erſten Ranges, die ihre Wirkung
auf die Lachmuskeln der Zuſeher nicht verfehlen.
Das aus ungezählten farbenprächtigen Bilderferien
beſtehende phantaſtiſche Schauſpiel „Der Sohn des
Teufels“ iſt für ſich ſchon ein Programm, das den
Beſuch des Bioſkops vollauf rechtfertigt. Nicht
zuletzt iſt der kolorierte Schwarzkünſtler zu nennen.
— Am Donnerstag iſt wieder große High-life-Vor-
ſtellung, bei der die Südbahnwerkſtättenkapelle mit-
wirkt. — Auch auf den „Schwarzen Abend“, der
nur dieſe Woche noch täglich nach der programm-
mäßigen Vorſtellung ſtattfindet, ſei aufmerkſam
gemacht. Freunde pikanter Bilder werden gewiß auf
ihre Rechnung kommen.


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We&#x017F;en die&#x017F;er Organi&#x017F;ation tadelt die Ab&#x017F;entierung<lb/>
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Handwerkertag zu be&#x017F;chicken. Nun ergreift abermals<lb/>
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(Rufe: Ein&#x017F;pinner!) Alle anderen Bahnprojekte<lb/>
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Marburg zu kommen, weil er &#x017F;ein Ver&#x017F;prechen nicht<lb/>
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Glauben mehr &#x017F;chenken und kein Vertrauen mehr<lb/>
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[4/0004] Marburger Zeitung. Nr. 96, 11. Auguſt 1908. Marburger Nachrichten. Handwerkerverſammlung. Geſtern abends fand in der Gambrinushalle eine vom Deutſchen Handwerkerverein für Marburg und Umgebung einberufene, zahlreich beſuchte Verſammlung ſtatt. Obmann Gemeinderat Kral eröffnete dieſelbe, begrüßte die Erſchienenen, insbeſondere die Gemeinderäte Neger und Obmann des Gewerbevereines Futter und verlieſt die ein- gelaufenen Entſchuldigungsſchreiben der Abgeord- neten Waſtian (Heilrufe) und Einſpinner, welch letzterer ſein Nichterſcheinen mit Mangel an Zeit entſchuldigt. (Rufe: Er traut ſich nicht!) Nachdem Herr Neger zum Vorſitzenden gewählt worden war, erſtattet Obmann Kral ſeinen Bericht über den Reichshandwerkertag in Wien, dem er als Vertrauensmann für Marburg beigewohnt hatte. Er beſpricht nun die Begründung und das Weſen dieſer Organiſation tadelt die Abſentierung der Chriſtlichſozialen, die, obwohl ſie das nämliche wirtſchaftliche Programm vertreten, einen „deutſchen“ Gewerbebund gründeten. Weiters berichtet Herr Kral über die Handwerkerzeitung, die in eine Reichs- handwerkerzeitung umgewandelt werden ſoll und über den Stand der Genoſſenſchaftskaſſa. Das Geſetz für Erwerbs- und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften ſoll auf Grundlage des neuen Gewerbegeſetzes umgeſtaltet werden; er beſpricht dann die Forderung der Einbe- ziehung der Handwerker in das Alters- und Inva- lidengeſetz, ſowie die Verſicherung von Bauforderungen, das Geſetz vom unlauteren Wettbewerb und die Ernennung von gewerblichen Beiräten, endlich das Reſerviſtengeſetz und die Regelung der Schulzeit an den gewerblichen Fortbildungsſchulen. Der Redner ſchließt unter lebhaftem Beifall, worauf ihm der Vorſitzende für ſeine lichtvollen Ausführungen dankt. Bei Punkt 2 der Tagesordnung: Stellung- nahme zum dritten Handwerkertag in Graz, beſchließt die Verſammlung einſtimmig, im Prinzip den Handwerkertag zu beſchicken. Nun ergreift abermals Gemeinderat Kral das Wort, um das Weſen der Handwerkerkaſſe zu erörtern. Sie iſt nur für den Handwerkerſtand geſchaffen worden und hat den Zweck, ihn zu unterſtützen. Redner führt die großen Vorteile aus, die den Mitgliedern der Kaſſe erwachſen und fordert zu zahlreichem Beitritt auf. Unter Allfälligem ergreift Gemeinderat Neger das Wort und führt u. a. aus, daß es in Mar- burg nicht an leiſtungsfähigen Handwerkern fehle, wohl aber an entſprechendem Zuzug, ſo daß es nicht möglich ſei, den notwendigen Abſatz zu finden. Schuld ſei die unglückliche Eiſenbahnanlage, man denke nur an Pragerhof und Spielfeld. Aber nicht genug an dem, nun ſollen abermals zwei Bahn- linien errichtet werden, die den Zuzug von Mar- burg ablenken ſollen, nämlich die Linien Fehring- Luttenberg-Friedau und Wies-Radlberg-Salden- hofen. Die Abgeordneten kamen zwar aus Graz und verſprachen uns alles Mögliche, getan haben ſie aber nichts, im Gegenteil, ſie haben ſogar gegen uns gearbeitet, die Wieſer Bahn totgeſchwiegen. (Rufe: Einſpinner!) Alle anderen Bahnprojekte werden früher ausgeführt, nur für uns hat der Landtag kein Geld. Der Abg. Einſpinner wurde gebeten, für Marburg in gewerblichen Fragen einzutreten, auch für die Wieſer Bahn, was er auch ſtets verſprochen. Getan hat er aber gar nichts und ſein Schreiben zeigt uns, daß er für uns keine Zeit hat oder beſſer, daß er es nicht wagt, nach Marburg zu kommen, weil er ſein Verſprechen nicht gehalten hat. Wir können ſeinen Worten keinen Glauben mehr ſchenken und kein Vertrauen mehr zu ihm haben. Unſer „Abgeordneter“ hat den Bahn- bau noch immer nicht ſtudiert, deshalb ſehen wir uns genötigt, Herrn Abg. Malik, der ſich gerne bereit erklärt hat, unſerem Wunſche zu entſprechen, zu erſuchen, unſere Vertretung zu übernehmen. Redner beantragt folgende Entſchließung, die einſtimmig angenommen wurde: Die am heutigen Tage vom Handwerkervereine einberufene Verſammlung in der Gambrinus- halle in Marburg hat ein großes Intereſſe an dem Zuſtandekommen der Marburg- Wieſer-Bahn und ſtellt ſonach an den Reichs- ratsabgeordneten Herrn Vinzenz Malik die höfliche Bitte, der Herr Reichsratsabgeordnete Malik wolle die Güte haben, ſobald als möglich bei Sr. Exzellenz Eiſenbahnminiſter Dr. v. Derſchatta vorzuſprechen und unumwunden, klar und deutlich die endliche Bewilligung des Baues der Marburg- Wieſer-Bahn und die ſtaatliche Unterſtützung zu verlangen und gleichfalls auch bei Sr. Exzellenz dem Statthalter und Landeshauptmann dieſelbe Forderung zu ſtellen. Eine zweite Entſchließung an den Gemeinderat, er möge ebenfalls Herrn Abg. Malik um Über- nahme der Vertretung in der Angelegenheit der Marburg-Wieſer-Bahn erſuchen, wird gleichfalls unter lebhaftem Beifall einſtimmig an- genommen. Es ergreift nun Herr Buchdruckereibeſitzer Kralik das Wort zu folgenden Ausführungen: „Sehr geehrte Herren! Seit 10. Mai l. J. er- halten die Orte Ober- und Unter-Rothwein, Poberſch, Kartſchowin, Leitersberg, St. Peter, Mellingberg, Koſchak, Potſchgau, Vordernberg, Gams, Roßbach, Treſternitz und Lendorf, alſo die nächſte Umgebung von Marburg an Sonn- und Feiertagen keine Poſt zugeſtellt. Der Ausſchuß des Handwerker- vereines hat ſich unverzüglich an die hieſige Poſt- verwaltung gewendet und nachſtehende Antwort er- halten: ‚Auf Ihre Anfrage diene Ihnen zur Kennt- nis, daß der Landbriefträgerdienſt dieſes Poſtbezirkes an Sonn- und Feiertagen ab 10. Mai aufgelaſſen wurde.‘ Jedenfalls über Verfügung der Poſtdirektion in Graz. Wie ſchädigend dieſe Verfügung für die Marburger Kaufleute, Handwerker und Gewerbe- treibenden wirkt, wird ſich aber ſchon in kürzeſter Zeit zeigen, daher wir mit aller Kraft trachten müſſen, dieſem Übelſtande abzuhelfen. Der gegen- wärtige Zuſtand wirft überhaupt ein trauriges Licht auf unſere Marburger poſtaliſchen Verhältniſſe. So erhielt ein Gaſtwirt in Leitersberg in der Vor- woche ſeine Briefe und Zeitungen und ſonſtige Poſt- ſachen ſtatt Sonntag erſt Mittwoch vormittags. Samstag vor acht Tagen wurden zwei Poſtkarten geſchrieben, die eine nach Venedig, die zweite einem Bekannten in Leitersberg, und beide Karten wurden bei Herrn Havliček in den Briefkaſten geworfen; die eine, meine Herren, nach Venedig, kam dort ſchon Montags an, die zweite erhielt der Adreſſat in Leitersberg erſt Dienstag. Weg vom Briefkaſten bis zum Adreſſaten kaum 1000 Schritte! Sie ſehen daraus, daß ſolche Zuſtände rein lächerlich ſind und es iſt gerade das Poſtärar, welches Millionen Kronen dem Staate abwirft, nicht ſo ſchlecht daran, daß es nicht mehr ohnehin elend bezahlte Land- biefträger anſtellen könnte. Dies ſcheint aber nach einer Zuſchrift vom 7. Auguſt des Poſtamtes Mar- burg nicht der Fall zu ſein, denn, anſtatt daß für den Poſtbeſtellbezirk Marburg ein geregelter Poſt- dienſt eingeführt wird und die Landbriefträger ver- mehrt werden, ſo daß auch an Sonn- und Feier- tagen die Brief- und Paketzuſtellung in Ordnung erfolgen würde, erhalten mehrere Leitersberger Herren, die ſich jedenfalls über die mangelhafte Zuſtellung beſchwert haben, von nun an ihre Poſtſachen von Pößnitzhofen aus zugeſtellt. Warum ſoll denn gerade wieder die Stadt Marburg das Verſuchs- kaninchen abgeben, ob ſich der Landbriefträger- dienſt an Sonn- und Feiertagen abſtellen läßt. Wir dürfen uns dies nicht gefallen laſſen. Die Poſt- gebühren wurden erhöht, nicht verringert, die Poſt ſoll dem Handel und Verkehr dienen, dazu wurde ſie ins Leben gerufen und nicht ein Sparinſtitut für den Staat bilden. Durch die Einſtellung der Poſt an Sonn- und Feiertagen ſind die Be- wohner dieſer ſtiefmütterlich behandelten Orte ge- zwungen, in nächſter Nähe ihre Bedürfniſſe, da von der Stadt keine Pakete zugeſtellt werden, zu decken, mithin erleiden die Kaufleute, Handwerker und Ge- werbetreibenden einen gewiß nicht unbedeutenden Schaden und deshalb empfehle ich Ihnen nachſtehende Entſchließung zur Annahme: „Die heutige Handwerkertagung erſucht den löblichen Gemeinderat, da durch die Einſtellung des Landbriefträgerdienſtes im Poſt- bezirke Marburg an Sonn- und Feier- tagen die Kaufleute, Handel- und Gewerbe- treibenden nicht unbeträchtlichen Schaden erleiden, mit aller Entſchiedenheit bei der k. k. Poſtdirektion in Graz, eventuell beim k. k. Handels- miniſterium dafür einzutreten, daß die Verfügung vom 10. Mai l. J. zurückgezogen wird, und daß die Zahl der Landbriefträger in dieſem Poſtbezirke nicht verringert, ſondern vermehrt werde, damit die Zuſtellung der Briefe und Pakete doch teilweiſe den Anforderungen der heutigen Handelsverhältniſſe entſpricht. Die heutige Handwerkertagung verwahrt ſich dagegen, daß gerade die Stadt Marburg als Verſuchskaninchen dienen ſoll, ob ſich der Sonn- und Feiertags Landbriefträgerdienſt einſtellen ließe, und erblickt darin eine verkehrte Auffaſſung des Poſtweſens, welches ja gerade den Verkehr fördernd, aber nicht verſchleppend ſich aus- bilden ſoll.“ Der vom Redner beantragten Entſchließung wird einhellig zugeſtimmt. Herr Kral beſpricht nochmals das eigentüm- liche Verhalten des Herrn Einſpinner, der es nicht der Mühe wert findet, Einladungen Folge zu leiſten und das Vertrauen, das man in ihn geſetzt, auf das bitterſte enttäuſcht hat. Redner teilt noch mit, daß auch Abg. Huemer in Salzburg bereit iſt, für unſere Intereſſen einzutreten. Zum Gegenſtande ſprechen noch die Herren Hafnermeiſter Schiller, Bildhauer Hois und Tiſchlermeiſter Gottlich, worauf der Vorſitzende mit Dankesworten die an- regend verlaufene Verſammlung ſchloß. Die beiden in der Verſammlung gefaßten Ent- ſchließungen, betreffend die Marburg-Wieſer-Bahn, wurden auch in der Ausſchußſitzung des Mar- burger Gewerbevereines einſtimmig angenommen. Vermählung. Geſtern fand in der Haus- kapelle der Karmeliterinnen die Vermählung des Sparkaſſeſekretärs Herrn Julius Peyer mit Fräulein Luiſe Stauder ſtatt. Todesfall. Geſtern um halb 11 Uhr vor- mittags verſchied auf Gut Annahof nach langem, ſchweren Leiden Frau Thereſe Thurn, verw. Laßner, geb. Scheiner. Das Leichenbegängnis findet morgen um 9 Uhr vormittags am Ortsfriedhofe zu St. Georgen a. d. Pößnitz ſtatt. Heimiſche Kunſt in der Fremde. Unter den Ausſtellern in der diesjährigen Klagenfurter Kunſtausſtellung befindet ſich auch Fräulein Emilie Becker aus Marburg, deren Leiſtungen in einem Kunſtreferat des „Gr. Tagbl.“ wie folgt gewürdigt werden: Volle Beachtung verdient Emilie Becker (Marburg) mit dem Kinderköpfchen und einem feinen Damenporträt, zu beſcheiden als Skizze bezeichnet. Südmärkiſche Volksbücherei. Wegen Reinigung wird die Bücherei vom 15. Auguſt bis 1. September geſchloſſen bleiben. Parkmuſik. Wir werden erſucht, bekannt- zugeben, daß heuer keine Parkmuſik mehr ſtattfindet. Sommerfeſt des Reichsbundes deutſcher Eiſenbahner. Wie ſchon erwähnt, wird bei dieſem Feſte, welches am 15. Auguſt, das iſt am Feiertag im Gaſthaus „Zur Linde“ in Rothwein ab- gehalten wird, die beliebte Pettauer Knaben- kapelle, welche am genannten Tage per Achſe angerückt kommt, für Konzertſtücke ſorgen. Ferner hat die ſtramme Südbahnliedertafel ihre Mitwirkung zugeſagt, um ein wenig Abwechslung in das Programm hineinzubringen. Jubiläums-Korreſpondenzkarten. Die öſterreichiſche Poſtverwaltung hat für den 18. d. die Ausgabe von eigenen Jubiläums-Korreſpondenz- karten vorbereitet als Erinnerungszeichen an die Feier des 60jährigen Regierungsjubiläums, die ein gelungenes Porträt des Kaiſers aus dem Jubiläums- jahre in künſtleriſcher Ausführung tragen. Grand Elektro-Bioſkop. Äußerſt ſchöne Bilder in jeder Beziehung enthält das Rieſen- programm dieſer Woche. Kein Freund kinemato- graphiſcher Vorführungen ſollte ſich die herrliche Augenweide entgehen laſſen, wodurch auch der Bioſkopdirektion die wohlverdiente Anerkennung gezollt würde. Aus der Bilderfülle nennen wir: „Das Sammeln der Seevögeleier in England“, das zu den hochintereſſanteſten Bildern aus der Natur zu zählen iſt. Nicht minder intereſſant ſind die „Tiroler Tänze“. Ein wirkungsvolles Drama aus dem Leben in ſzenenreichen Bildern iſt die „Kameliendame“. Sehr zeitgemäß iſt der „Moderne Damenhut“, der die Auswüchſe der Mode in dra- ſtiſcher Weiſe vor Augen führt. Überhaupt ſind die humoriſtiſchen Bilder: „Das Kind im Verſatzamte“, „Billiges Reiſen“ und „Eine chirurgiſche Opera- tion“ Zugſtücke erſten Ranges, die ihre Wirkung auf die Lachmuskeln der Zuſeher nicht verfehlen. Das aus ungezählten farbenprächtigen Bilderferien beſtehende phantaſtiſche Schauſpiel „Der Sohn des Teufels“ iſt für ſich ſchon ein Programm, das den Beſuch des Bioſkops vollauf rechtfertigt. Nicht zuletzt iſt der kolorierte Schwarzkünſtler zu nennen. — Am Donnerstag iſt wieder große High-life-Vor- ſtellung, bei der die Südbahnwerkſtättenkapelle mit- wirkt. — Auch auf den „Schwarzen Abend“, der nur dieſe Woche noch täglich nach der programm- mäßigen Vorſtellung ſtattfindet, ſei aufmerkſam gemacht. Freunde pikanter Bilder werden gewiß auf ihre Rechnung kommen.

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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 11.08.1908, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger96_1908/4>, abgerufen am 07.10.2024.