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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Rebe mit ihren Ranken, die von den Ulmen, Pappeln
und Maßholderbäumen herabfallen, und ihren von Baum
zu Baum geschlungenen Festons auf den landschaftlichen
Charakter, zumal der Thäler und Cbenen Jtaliens übt,
der wird uns beistimmen, wenn wir sagen, daß seit
dem Ueberhandnehmen der Traubenkrankheit die Phy-
siognomie der italienischen Landschaften von ihrer Schön-
heit eingebüßt hat. Welcken Einfluß aber der immer
zunehmende Mangel des unentbehrlichen Lieblingsgetränks
auf das geistige und leibliche Leben der Nation äußern
wird, läßt sich noch nicht ermessen, jedenfalls muß er
ein bedeutender seyn. Jm Sommer 1853 durchreiste
ich das Land von Syrakus bis zu den Alpen; aber
von den Ufern des Anapus bis zu denen der Eisack
fand ich kaum Einen gesunden Rebstock. Der Ertrag
ist durchschnittlich auf 1 / 10 reducirt und der Preis auf
das Fünffache gestiegen ( der Fiasco vorjährigen Weins,
etwa2 1 / 2 Litre enthaltend, von durchschnittlich 3 auf
15 Sgr. ) . Der im übrigen Toscana trotz seiner Lä-
cherlichkeit sehr verbreitete Aberglaube, daß der Kohlen-
dampf der Lokomotive schuld an der Traubenkrankheit
sey, war natürlich zu den weit von der Eisenbahn ent-
fernten Casolesen noch nicht hingedrungen. Ein neu
in Florenz dagegen aufgefundenes Mittel, das wir ih-
nen mittheilten, erregte große Freude und sollte sofort
im Großen angewendet werden. Ob es Erfolg gehabt,
habe ich nicht erfahren.

Jenseits Casoli verändert sich der Charakter der
Landschaft von neuem. Wir treten aus dem Kalkge-
birge; der wieder vorherrschende Sandstein bildet rund-
lichere Kuppen, mit sanfteren Abhängen und dichterer
Bewaldung vom Fuß zum Gipfel. Drei Miglien vor
den Bädern erreichten wir die neue Fahrstraße und ver-
speisten bei den ersten Häusern, vom Durste gepeinigt,
zum nicht geringen Erstaunen der Bewohner, einen
mindestens zehn Pfund schweren Cocomero ( Wasser-
melone ) . Als wir den jenseits des Flüßchens freund-
lich am Berge lagernden Häusern und Anlagen der
Villa gegenüber anlangten, entluden sich die lange dro-
henden Wolken in einem strömenden Gewitterregen.
Von allen Seiten zuckten die Blitze, furchtbar und un-
aufhörlich rollte der Donner zwischen den hohen Berg-
wänden des engen Thales. Vergebens harrten wir
unter einem halboffenen Schuppen, wo mir mein Freund
mit gewaltigem Pathos von einem umgestürzten Karren
herab einige von Delavigne's Messeniennes vortrug;
schon dämmerte der Abend, wir mußten durch Sturm
und Regen weiter. Da wir aber kein Zeug außer dem,
was wir auf dem Leibe hatten, bei uns führten, dran-
gen wir kühn in eine nahe Villa und setzten es durch
höfliche Beharrlichkeit nebst etwas Unverschämtheit durch,
[Spaltenumbruch] daß die halb erschreckte englische Dame, die sie be-
wohnte, uns einen gewaltigen Regenschirm lieh, unter
dessen schützendem Dach wir glücklich mit der sinkenden
Nacht den Ponte di Serraglio, das Centrum der Bagni
di Lucca, erreichten.

Die Bäder von Lucca.

Die Bagni di Lucca, im Thale der Lima etwa
eine Stunde oberhalb ihrer Mündung in den Serchio
gelegen, sind der einzige Badeort Mittelitaliens, der
einigermaßen an unsere vielbesuchten deutschen Bäder
erinnert. Während in San Casciano, Chianciano, la
Porretta und selbst in dem fashionabeln Monte Catini
der Badegast nur für schweres Geld die nothdürftigsten
Bequemlichkeiten findet und jedem Genuß des Bade-
lebens, so weit ihn nicht etwa die schöne Natur der
Umgegend bietet, entsagen muß, verrathen die Bäder
von Lucca schon durch ihr elegantes Aeußere, die großen
modernen Gast= und Speisehäuser, die wohlgepflegten
Anlagen, das lebendige Treiben geputzter Leute in den
Straßen und Umgebungen, daß wir uns hier nicht wie
dort in einem großen Hospital, sondern vielmehr in
einer Sommerresidenz von Gesunden befinden. Jn der
That habe ich nie in Erfahrung bringen können, daß
die Heilkraft der Mineralbäder ( getrunken wird das
Wasser nicht ) je irgend einem Kranken die Gesundheit
wieder gegeben habe. Die Bagni verdanken ihren Glanz
dem letzten Herzog von Lucca, dem Jnfanten Karl von
Bourbon, einem Freunde der Pracht, des Spiels und
der Fremden, welcher durch seine verschwenderische Gast-
freiheit, den Glanz seiner Feste und den Reiz des
grünen Tisches eine zahlreiche und sehr fashionable, wenn
auch vielleicht nicht "unexceptionable" Gesellschaft, meist
aus Söhnen und Töchtern Albions bestehend, dahin zu
locken gewußt hatte. Liebhaber der chronique scanda-
leuse
werden ihren Geschmack in hohem Grade befrie-
digt finden, wenn sie der Geschichte jener hohen Bade-
gesellschaft nachspüren wollen, an deren Spitze der Herzog
selbst stand, nebst seinem früheren Reitknecht und spä-
teren Minister Ward und einigen ähnlichen Günstlingen,
worunter auch der zum Oberceremonienmeister beför-
derte Modehändler D.

Diese glänzenden Tage waren nun freilich vor-
über; die Bäder waren mit dem ganzen Herzogthum
unter toscanische Herrschaft gefallen, das Spiel hatte
aufgehört, nur selten hallten die glänzenden Räume des
"Conversationshauses" von den Klängen der Tanzmusik
wieder. Aber die herrliche Lage in dem kühlen, fri-
schen Thalgrunde, von hohen, schöngeformten und reich
bewaldeten Bergen umgeben, aus deren Schluchten
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Rebe mit ihren Ranken, die von den Ulmen, Pappeln
und Maßholderbäumen herabfallen, und ihren von Baum
zu Baum geschlungenen Festons auf den landschaftlichen
Charakter, zumal der Thäler und Cbenen Jtaliens übt,
der wird uns beistimmen, wenn wir sagen, daß seit
dem Ueberhandnehmen der Traubenkrankheit die Phy-
siognomie der italienischen Landschaften von ihrer Schön-
heit eingebüßt hat. Welcken Einfluß aber der immer
zunehmende Mangel des unentbehrlichen Lieblingsgetränks
auf das geistige und leibliche Leben der Nation äußern
wird, läßt sich noch nicht ermessen, jedenfalls muß er
ein bedeutender seyn. Jm Sommer 1853 durchreiste
ich das Land von Syrakus bis zu den Alpen; aber
von den Ufern des Anapus bis zu denen der Eisack
fand ich kaum Einen gesunden Rebstock. Der Ertrag
ist durchschnittlich auf 1 / 10 reducirt und der Preis auf
das Fünffache gestiegen ( der Fiasco vorjährigen Weins,
etwa2 1 / 2 Litre enthaltend, von durchschnittlich 3 auf
15 Sgr. ) . Der im übrigen Toscana trotz seiner Lä-
cherlichkeit sehr verbreitete Aberglaube, daß der Kohlen-
dampf der Lokomotive schuld an der Traubenkrankheit
sey, war natürlich zu den weit von der Eisenbahn ent-
fernten Casolesen noch nicht hingedrungen. Ein neu
in Florenz dagegen aufgefundenes Mittel, das wir ih-
nen mittheilten, erregte große Freude und sollte sofort
im Großen angewendet werden. Ob es Erfolg gehabt,
habe ich nicht erfahren.

Jenseits Casoli verändert sich der Charakter der
Landschaft von neuem. Wir treten aus dem Kalkge-
birge; der wieder vorherrschende Sandstein bildet rund-
lichere Kuppen, mit sanfteren Abhängen und dichterer
Bewaldung vom Fuß zum Gipfel. Drei Miglien vor
den Bädern erreichten wir die neue Fahrstraße und ver-
speisten bei den ersten Häusern, vom Durste gepeinigt,
zum nicht geringen Erstaunen der Bewohner, einen
mindestens zehn Pfund schweren Cocomero ( Wasser-
melone ) . Als wir den jenseits des Flüßchens freund-
lich am Berge lagernden Häusern und Anlagen der
Villa gegenüber anlangten, entluden sich die lange dro-
henden Wolken in einem strömenden Gewitterregen.
Von allen Seiten zuckten die Blitze, furchtbar und un-
aufhörlich rollte der Donner zwischen den hohen Berg-
wänden des engen Thales. Vergebens harrten wir
unter einem halboffenen Schuppen, wo mir mein Freund
mit gewaltigem Pathos von einem umgestürzten Karren
herab einige von Delavigne's Messéniennes vortrug;
schon dämmerte der Abend, wir mußten durch Sturm
und Regen weiter. Da wir aber kein Zeug außer dem,
was wir auf dem Leibe hatten, bei uns führten, dran-
gen wir kühn in eine nahe Villa und setzten es durch
höfliche Beharrlichkeit nebst etwas Unverschämtheit durch,
[Spaltenumbruch] daß die halb erschreckte englische Dame, die sie be-
wohnte, uns einen gewaltigen Regenschirm lieh, unter
dessen schützendem Dach wir glücklich mit der sinkenden
Nacht den Ponte di Serraglio, das Centrum der Bagni
di Lucca, erreichten.

Die Bäder von Lucca.

Die Bagni di Lucca, im Thale der Lima etwa
eine Stunde oberhalb ihrer Mündung in den Serchio
gelegen, sind der einzige Badeort Mittelitaliens, der
einigermaßen an unsere vielbesuchten deutschen Bäder
erinnert. Während in San Casciano, Chianciano, la
Porretta und selbst in dem fashionabeln Monte Catini
der Badegast nur für schweres Geld die nothdürftigsten
Bequemlichkeiten findet und jedem Genuß des Bade-
lebens, so weit ihn nicht etwa die schöne Natur der
Umgegend bietet, entsagen muß, verrathen die Bäder
von Lucca schon durch ihr elegantes Aeußere, die großen
modernen Gast= und Speisehäuser, die wohlgepflegten
Anlagen, das lebendige Treiben geputzter Leute in den
Straßen und Umgebungen, daß wir uns hier nicht wie
dort in einem großen Hospital, sondern vielmehr in
einer Sommerresidenz von Gesunden befinden. Jn der
That habe ich nie in Erfahrung bringen können, daß
die Heilkraft der Mineralbäder ( getrunken wird das
Wasser nicht ) je irgend einem Kranken die Gesundheit
wieder gegeben habe. Die Bagni verdanken ihren Glanz
dem letzten Herzog von Lucca, dem Jnfanten Karl von
Bourbon, einem Freunde der Pracht, des Spiels und
der Fremden, welcher durch seine verschwenderische Gast-
freiheit, den Glanz seiner Feste und den Reiz des
grünen Tisches eine zahlreiche und sehr fashionable, wenn
auch vielleicht nicht „unexceptionable“ Gesellschaft, meist
aus Söhnen und Töchtern Albions bestehend, dahin zu
locken gewußt hatte. Liebhaber der chronique scanda-
leuse
werden ihren Geschmack in hohem Grade befrie-
digt finden, wenn sie der Geschichte jener hohen Bade-
gesellschaft nachspüren wollen, an deren Spitze der Herzog
selbst stand, nebst seinem früheren Reitknecht und spä-
teren Minister Ward und einigen ähnlichen Günstlingen,
worunter auch der zum Oberceremonienmeister beför-
derte Modehändler D.

Diese glänzenden Tage waren nun freilich vor-
über; die Bäder waren mit dem ganzen Herzogthum
unter toscanische Herrschaft gefallen, das Spiel hatte
aufgehört, nur selten hallten die glänzenden Räume des
„Conversationshauses“ von den Klängen der Tanzmusik
wieder. Aber die herrliche Lage in dem kühlen, fri-
schen Thalgrunde, von hohen, schöngeformten und reich
bewaldeten Bergen umgeben, aus deren Schluchten
[Ende Spaltensatz]

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[732/0012] 732 Rebe mit ihren Ranken, die von den Ulmen, Pappeln und Maßholderbäumen herabfallen, und ihren von Baum zu Baum geschlungenen Festons auf den landschaftlichen Charakter, zumal der Thäler und Cbenen Jtaliens übt, der wird uns beistimmen, wenn wir sagen, daß seit dem Ueberhandnehmen der Traubenkrankheit die Phy- siognomie der italienischen Landschaften von ihrer Schön- heit eingebüßt hat. Welcken Einfluß aber der immer zunehmende Mangel des unentbehrlichen Lieblingsgetränks auf das geistige und leibliche Leben der Nation äußern wird, läßt sich noch nicht ermessen, jedenfalls muß er ein bedeutender seyn. Jm Sommer 1853 durchreiste ich das Land von Syrakus bis zu den Alpen; aber von den Ufern des Anapus bis zu denen der Eisack fand ich kaum Einen gesunden Rebstock. Der Ertrag ist durchschnittlich auf 1 / 10 reducirt und der Preis auf das Fünffache gestiegen ( der Fiasco vorjährigen Weins, etwa2 1 / 2 Litre enthaltend, von durchschnittlich 3 auf 15 Sgr. ) . Der im übrigen Toscana trotz seiner Lä- cherlichkeit sehr verbreitete Aberglaube, daß der Kohlen- dampf der Lokomotive schuld an der Traubenkrankheit sey, war natürlich zu den weit von der Eisenbahn ent- fernten Casolesen noch nicht hingedrungen. Ein neu in Florenz dagegen aufgefundenes Mittel, das wir ih- nen mittheilten, erregte große Freude und sollte sofort im Großen angewendet werden. Ob es Erfolg gehabt, habe ich nicht erfahren. Jenseits Casoli verändert sich der Charakter der Landschaft von neuem. Wir treten aus dem Kalkge- birge; der wieder vorherrschende Sandstein bildet rund- lichere Kuppen, mit sanfteren Abhängen und dichterer Bewaldung vom Fuß zum Gipfel. Drei Miglien vor den Bädern erreichten wir die neue Fahrstraße und ver- speisten bei den ersten Häusern, vom Durste gepeinigt, zum nicht geringen Erstaunen der Bewohner, einen mindestens zehn Pfund schweren Cocomero ( Wasser- melone ) . Als wir den jenseits des Flüßchens freund- lich am Berge lagernden Häusern und Anlagen der Villa gegenüber anlangten, entluden sich die lange dro- henden Wolken in einem strömenden Gewitterregen. Von allen Seiten zuckten die Blitze, furchtbar und un- aufhörlich rollte der Donner zwischen den hohen Berg- wänden des engen Thales. Vergebens harrten wir unter einem halboffenen Schuppen, wo mir mein Freund mit gewaltigem Pathos von einem umgestürzten Karren herab einige von Delavigne's Messéniennes vortrug; schon dämmerte der Abend, wir mußten durch Sturm und Regen weiter. Da wir aber kein Zeug außer dem, was wir auf dem Leibe hatten, bei uns führten, dran- gen wir kühn in eine nahe Villa und setzten es durch höfliche Beharrlichkeit nebst etwas Unverschämtheit durch, daß die halb erschreckte englische Dame, die sie be- wohnte, uns einen gewaltigen Regenschirm lieh, unter dessen schützendem Dach wir glücklich mit der sinkenden Nacht den Ponte di Serraglio, das Centrum der Bagni di Lucca, erreichten. Die Bäder von Lucca. Die Bagni di Lucca, im Thale der Lima etwa eine Stunde oberhalb ihrer Mündung in den Serchio gelegen, sind der einzige Badeort Mittelitaliens, der einigermaßen an unsere vielbesuchten deutschen Bäder erinnert. Während in San Casciano, Chianciano, la Porretta und selbst in dem fashionabeln Monte Catini der Badegast nur für schweres Geld die nothdürftigsten Bequemlichkeiten findet und jedem Genuß des Bade- lebens, so weit ihn nicht etwa die schöne Natur der Umgegend bietet, entsagen muß, verrathen die Bäder von Lucca schon durch ihr elegantes Aeußere, die großen modernen Gast= und Speisehäuser, die wohlgepflegten Anlagen, das lebendige Treiben geputzter Leute in den Straßen und Umgebungen, daß wir uns hier nicht wie dort in einem großen Hospital, sondern vielmehr in einer Sommerresidenz von Gesunden befinden. Jn der That habe ich nie in Erfahrung bringen können, daß die Heilkraft der Mineralbäder ( getrunken wird das Wasser nicht ) je irgend einem Kranken die Gesundheit wieder gegeben habe. Die Bagni verdanken ihren Glanz dem letzten Herzog von Lucca, dem Jnfanten Karl von Bourbon, einem Freunde der Pracht, des Spiels und der Fremden, welcher durch seine verschwenderische Gast- freiheit, den Glanz seiner Feste und den Reiz des grünen Tisches eine zahlreiche und sehr fashionable, wenn auch vielleicht nicht „unexceptionable“ Gesellschaft, meist aus Söhnen und Töchtern Albions bestehend, dahin zu locken gewußt hatte. Liebhaber der chronique scanda- leuse werden ihren Geschmack in hohem Grade befrie- digt finden, wenn sie der Geschichte jener hohen Bade- gesellschaft nachspüren wollen, an deren Spitze der Herzog selbst stand, nebst seinem früheren Reitknecht und spä- teren Minister Ward und einigen ähnlichen Günstlingen, worunter auch der zum Oberceremonienmeister beför- derte Modehändler D. Diese glänzenden Tage waren nun freilich vor- über; die Bäder waren mit dem ganzen Herzogthum unter toscanische Herrschaft gefallen, das Spiel hatte aufgehört, nur selten hallten die glänzenden Räume des „Conversationshauses“ von den Klängen der Tanzmusik wieder. Aber die herrliche Lage in dem kühlen, fri- schen Thalgrunde, von hohen, schöngeformten und reich bewaldeten Bergen umgeben, aus deren Schluchten

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 732. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/12>, abgerufen am 06.06.2024.