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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] und Einzelnen hin die Unterschiede zwischen dem Vege-
tabilischen und Animalischen, dem Thierischen und
Menschlichen, dem Kaukasischen und Nichtkaukasischen
u. s. w., und nach dem Allgemeinen, Universellen hin
die Gegensätze von Elementarischem und Jndividuali-
sirtem, von Kraft und Stoff, von Geist und Natur
u. s. w. Um also die zu einander im Gegensatz ste-
henden Erscheinungen in ihrem Grundwesen zu begrei-
fen, um das zwischen ihnen bestehende Verhältniß richtig
zu erfassen, muß man sie durchaus und nothwendig aus
einem Höheren, Allgemeineren ableiten, d. h. sich zum
Bewußtseyn bringen, daß sie nicht etwas radikal Ver-
schiedenes, sondern gleichsam nur die divergirenden
Zweige eines und desselben Stammes, nur die explicite
sich darstellenden Bestandtheile oder Produkte eines
dieselben implicite in sich vereinigenden Ganzen oder
Producirenden sind. Erweist sich aber dieses Ganze
wiederum als der Gegensatz irgend eines ihm gegen-
überstehenden Andern, so müssen wir auch diesen Ge-
gensatz zu überwinden suchen, also zu einem noch Hö-
heren und Allgemeineren aufsteigen, und so fort, bis
wir endlich zu dem unbedingt Höchsten und Allgemein-
sten, zu dem Alles in sich Zusammenfassenden, Alles
in sich Vereinigenden gelangen, welches als solches zu-
gleich das absolut Eine und Alleinige, und nicht min-
der der Urquell aller in der Erscheinungswelt sich offen-
barenden Unterschiede und Gegensätze ist.

Fragen wir nun: was ist dieses Höchste und All-
gemeinste? so müssen wir vom nüchtern wissenschaftlichen
Standpunkte darauf antworten: das Seyn selbst;
denn Alles was uns überhaupt jemals zum Bewußt-
seyn gekommen ist, es mag seyn was und von welcher
Art es will, es mag äußerlich wahrnehmbar oder bloß
innerlich erfaßbar, es mag ein Anderes, oder wir selbst
seyn, ist uns darin gleich, daß wir es als ein Seyen-
des
fassen, daß wir ihm eine Theilnahme an dem
Seyn zuschreiben, daß wir von ihm sagen: es ist.
Wovon wir aber dieß nicht zu sagen vermögen, das
denken wir uns schlechthin als Nichts. Wir fassen
mithin das Seyn als das Allumfassende, Alles in sich
Vereinigende, nichts als das Nichts von sich Aus-
schließende. Wir sind also vollkommen berechtigt, den
Begriff des Seyns als den höchsten und allgemeinsten
aller Begriffe zu fassen und von ihm aus eine einheit-
liche Erklärung der in der Welt sich offenbarenden Un-
terschiede und Gegensätze zu versuchen. Das Seyn aus
einem noch höheren Begriffe ableiten und erklären wol-
len, ist schlechterdings unmöglich; denn die Fragen:
ist das Seyn? was ist das Seyn? setzen den Begriff
des Seyns schon wieder voraus, und auch die Antwort
kann desselben Begriffes nicht entbehren. Das Seyn
[Spaltenumbruch] läßt sich daher einzig und allein aus und durch sich
selbst erklären; es ist mithin das an sich selbst Klare
und keiner weiteren Erklärung Bedürftige, nicht das
durch ein Anderes Erklärbare, sondern das allem in
ihm Wurzelnden und in ihm Existirenden zur Erklärung
dienende. Unser Erkenntnißtrieb ist daher stets befrie-
digt, wenn wir wissen, was ein Ding, eine Erschei-
nung ist, d. h. welche Stellung und Beziehung irgend
ein besonderes Seyendes, d. h. irgendwie am allgemei-
nen Seyn Theilhabendes zu diesem allgemeinen Seyn
einnimmt. Der Begriff des Seyns ist daher der un-
mittelbar verständlichste, populärste aller Begriffe, den
wir bei jedem Gedanken, er mag so hoch oder so niedrig
seyn als er will, nothwendig mitdenken müssen, der
den Kern, den innern Kitt eines jeden Satzes bildet,
von dem ein Theil in jedem Worte enthalten ist, und
den wir daher bei Allem, was wir aussprechen, stets
und nothwendig im Munde führen. Er wird aber
eigentlich nicht von uns gedacht, er wird nicht von
uns gesprochen, sondern er ist eigentlich selbst das
Denkende, das Sprechende, d. h. das die Einzelbegriffe
Verknüpfende in uns; und nicht bloß in uns, sondern
auch außer uns; denn die Verknüpfung eines Sub-
jekts und Prädikats in uns durch den Begriff des
Seyns ist durchaus nichts Anderes als die reflektirte
Verknüpfung einer Substanz mit einer Qualität durch
das Seyn selbst außer uns.

Das Seyn ist Alles. Es gibt nichts außer ihm,
es ist nichts außer ihm denkbar. Es ist insofern das
Eine, Einzige, in sich selbst Gleiche und Unterschieds-
lose. Aber gerade weil es Alles ist, ist es auch das
Viele und das Verschiedene, was in ihm seine Einheit
hat, sich in ihm zur Einheit zusammenfaßt.

Das Seyn steht also zu sich selbst in einer dop-
pelten Beziehung: einerseits ist es sich selbst gleich,
andererseits ist es von sich selbst verschieden; es
ist zugleich das sich selbst Zusammenfassende und
das sich von sich selbst Unterscheidende. Darum
daß es dieses Beides ist, hört es aber nicht auf, das
Eine zu seyn: denn was es von sich unterscheidet, sind
nur die einzelnen Momente seiner selbst im Gegensatz
zu seiner Allgemeinheit, die aber in ihrer Gesammtheit
wieder das Allgemeine ausmachen. Das Unterscheiden
besteht also nur in einer Auseinanderlegung des Allge-
meinen in das Besondere, oder in einer Entfaltung des
Besondern aus dem Allgemeinen. Diese Unterscheidung
kann aber stets nur mit Rückbeziehung auf die zum
Grunde liegende und inmitten der Differenzirung unan-
getastet fortbestehende Einheit geschehen, d. h. sie kann
stets nur die Setzung des Besonderen innerhalb des
Allgemeinen seyn. Die Entfaltung des Besondern aus
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] und Einzelnen hin die Unterschiede zwischen dem Vege-
tabilischen und Animalischen, dem Thierischen und
Menschlichen, dem Kaukasischen und Nichtkaukasischen
u. s. w., und nach dem Allgemeinen, Universellen hin
die Gegensätze von Elementarischem und Jndividuali-
sirtem, von Kraft und Stoff, von Geist und Natur
u. s. w. Um also die zu einander im Gegensatz ste-
henden Erscheinungen in ihrem Grundwesen zu begrei-
fen, um das zwischen ihnen bestehende Verhältniß richtig
zu erfassen, muß man sie durchaus und nothwendig aus
einem Höheren, Allgemeineren ableiten, d. h. sich zum
Bewußtseyn bringen, daß sie nicht etwas radikal Ver-
schiedenes, sondern gleichsam nur die divergirenden
Zweige eines und desselben Stammes, nur die explicite
sich darstellenden Bestandtheile oder Produkte eines
dieselben implicite in sich vereinigenden Ganzen oder
Producirenden sind. Erweist sich aber dieses Ganze
wiederum als der Gegensatz irgend eines ihm gegen-
überstehenden Andern, so müssen wir auch diesen Ge-
gensatz zu überwinden suchen, also zu einem noch Hö-
heren und Allgemeineren aufsteigen, und so fort, bis
wir endlich zu dem unbedingt Höchsten und Allgemein-
sten, zu dem Alles in sich Zusammenfassenden, Alles
in sich Vereinigenden gelangen, welches als solches zu-
gleich das absolut Eine und Alleinige, und nicht min-
der der Urquell aller in der Erscheinungswelt sich offen-
barenden Unterschiede und Gegensätze ist.

Fragen wir nun: was ist dieses Höchste und All-
gemeinste? so müssen wir vom nüchtern wissenschaftlichen
Standpunkte darauf antworten: das Seyn selbst;
denn Alles was uns überhaupt jemals zum Bewußt-
seyn gekommen ist, es mag seyn was und von welcher
Art es will, es mag äußerlich wahrnehmbar oder bloß
innerlich erfaßbar, es mag ein Anderes, oder wir selbst
seyn, ist uns darin gleich, daß wir es als ein Seyen-
des
fassen, daß wir ihm eine Theilnahme an dem
Seyn zuschreiben, daß wir von ihm sagen: es ist.
Wovon wir aber dieß nicht zu sagen vermögen, das
denken wir uns schlechthin als Nichts. Wir fassen
mithin das Seyn als das Allumfassende, Alles in sich
Vereinigende, nichts als das Nichts von sich Aus-
schließende. Wir sind also vollkommen berechtigt, den
Begriff des Seyns als den höchsten und allgemeinsten
aller Begriffe zu fassen und von ihm aus eine einheit-
liche Erklärung der in der Welt sich offenbarenden Un-
terschiede und Gegensätze zu versuchen. Das Seyn aus
einem noch höheren Begriffe ableiten und erklären wol-
len, ist schlechterdings unmöglich; denn die Fragen:
ist das Seyn? was ist das Seyn? setzen den Begriff
des Seyns schon wieder voraus, und auch die Antwort
kann desselben Begriffes nicht entbehren. Das Seyn
[Spaltenumbruch] läßt sich daher einzig und allein aus und durch sich
selbst erklären; es ist mithin das an sich selbst Klare
und keiner weiteren Erklärung Bedürftige, nicht das
durch ein Anderes Erklärbare, sondern das allem in
ihm Wurzelnden und in ihm Existirenden zur Erklärung
dienende. Unser Erkenntnißtrieb ist daher stets befrie-
digt, wenn wir wissen, was ein Ding, eine Erschei-
nung ist, d. h. welche Stellung und Beziehung irgend
ein besonderes Seyendes, d. h. irgendwie am allgemei-
nen Seyn Theilhabendes zu diesem allgemeinen Seyn
einnimmt. Der Begriff des Seyns ist daher der un-
mittelbar verständlichste, populärste aller Begriffe, den
wir bei jedem Gedanken, er mag so hoch oder so niedrig
seyn als er will, nothwendig mitdenken müssen, der
den Kern, den innern Kitt eines jeden Satzes bildet,
von dem ein Theil in jedem Worte enthalten ist, und
den wir daher bei Allem, was wir aussprechen, stets
und nothwendig im Munde führen. Er wird aber
eigentlich nicht von uns gedacht, er wird nicht von
uns gesprochen, sondern er ist eigentlich selbst das
Denkende, das Sprechende, d. h. das die Einzelbegriffe
Verknüpfende in uns; und nicht bloß in uns, sondern
auch außer uns; denn die Verknüpfung eines Sub-
jekts und Prädikats in uns durch den Begriff des
Seyns ist durchaus nichts Anderes als die reflektirte
Verknüpfung einer Substanz mit einer Qualität durch
das Seyn selbst außer uns.

Das Seyn ist Alles. Es gibt nichts außer ihm,
es ist nichts außer ihm denkbar. Es ist insofern das
Eine, Einzige, in sich selbst Gleiche und Unterschieds-
lose. Aber gerade weil es Alles ist, ist es auch das
Viele und das Verschiedene, was in ihm seine Einheit
hat, sich in ihm zur Einheit zusammenfaßt.

Das Seyn steht also zu sich selbst in einer dop-
pelten Beziehung: einerseits ist es sich selbst gleich,
andererseits ist es von sich selbst verschieden; es
ist zugleich das sich selbst Zusammenfassende und
das sich von sich selbst Unterscheidende. Darum
daß es dieses Beides ist, hört es aber nicht auf, das
Eine zu seyn: denn was es von sich unterscheidet, sind
nur die einzelnen Momente seiner selbst im Gegensatz
zu seiner Allgemeinheit, die aber in ihrer Gesammtheit
wieder das Allgemeine ausmachen. Das Unterscheiden
besteht also nur in einer Auseinanderlegung des Allge-
meinen in das Besondere, oder in einer Entfaltung des
Besondern aus dem Allgemeinen. Diese Unterscheidung
kann aber stets nur mit Rückbeziehung auf die zum
Grunde liegende und inmitten der Differenzirung unan-
getastet fortbestehende Einheit geschehen, d. h. sie kann
stets nur die Setzung des Besonderen innerhalb des
Allgemeinen seyn. Die Entfaltung des Besondern aus
[Ende Spaltensatz]

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Das Seyn aus einem noch höheren Begriffe ableiten und erklären wol- len, ist schlechterdings unmöglich; denn die Fragen: ist das Seyn? was ist das Seyn? setzen den Begriff des Seyns schon wieder voraus, und auch die Antwort kann desselben Begriffes nicht entbehren. Das Seyn läßt sich daher einzig und allein aus und durch sich selbst erklären; es ist mithin das an sich selbst Klare und keiner weiteren Erklärung Bedürftige, nicht das durch ein Anderes Erklärbare, sondern das allem in ihm Wurzelnden und in ihm Existirenden zur Erklärung dienende. Unser Erkenntnißtrieb ist daher stets befrie- digt, wenn wir wissen, was ein Ding, eine Erschei- nung ist, d. h. welche Stellung und Beziehung irgend ein besonderes Seyendes, d. h. irgendwie am allgemei- nen Seyn Theilhabendes zu diesem allgemeinen Seyn einnimmt. 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Es ist insofern das Eine, Einzige, in sich selbst Gleiche und Unterschieds- lose. Aber gerade weil es Alles ist, ist es auch das Viele und das Verschiedene, was in ihm seine Einheit hat, sich in ihm zur Einheit zusammenfaßt. Das Seyn steht also zu sich selbst in einer dop- pelten Beziehung: einerseits ist es sich selbst gleich, andererseits ist es von sich selbst verschieden; es ist zugleich das sich selbst Zusammenfassende und das sich von sich selbst Unterscheidende. Darum daß es dieses Beides ist, hört es aber nicht auf, das Eine zu seyn: denn was es von sich unterscheidet, sind nur die einzelnen Momente seiner selbst im Gegensatz zu seiner Allgemeinheit, die aber in ihrer Gesammtheit wieder das Allgemeine ausmachen. Das Unterscheiden besteht also nur in einer Auseinanderlegung des Allge- meinen in das Besondere, oder in einer Entfaltung des Besondern aus dem Allgemeinen. Diese Unterscheidung kann aber stets nur mit Rückbeziehung auf die zum Grunde liegende und inmitten der Differenzirung unan- getastet fortbestehende Einheit geschehen, d. h. sie kann stets nur die Setzung des Besonderen innerhalb des Allgemeinen seyn. Die Entfaltung des Besondern aus

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/5>, abgerufen am 07.06.2024.