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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] befindet sich die Quarantaine, welche durch lange Rei-
hen von Schiffen bezeichnet wird, die noch des Besuchs
des Beamten harren. Weiter hinaus, nach Long Js-
land hin, liegen die, welche entweder von Plätzen kom-
men, wo das gelbe Fieber herrscht, oder selbst Kranke
an Bord hatten. Man ist in der letzten Zeit in dieser
Hinsicht sehr ängstlich geworden, da nicht nur in der
Quarantaine, sondern auch in Newyork und Brooklyn
zahlreiche Fälle von gelbem Fieber vorgekommen sind,
und erst am selben Morgen war der Commis eines
meiner Freunde nach einer unheimlich kurzen Krankheit
von anderthalb Tagen davon hingerafft worden. Die
Bewohner von Castleton auf Staten Jsland, des an
die Quarantaine angrenzenden Orts, die zunächst von
der Ansteckung bedroht sind, errichteten deßhalb, dem
Grundsatz des " help yourself " gemäß, Barrikaden um
die Anstalt herum, um den darin befindlichen Per-
sonen den Verkehr mit dem Ort abzuschneiden; allein
eben so rasch als aufgeführt wurden sie auf Geheiß
aller dort anwesenden Capitäne von deren Matrosen
wieder zerstört, wobei sie behaupteten, den Einwohnern
stehe kein Recht zu, sie von dem Ort abzusperren.
Solche Dinge werden hier übrigens, sobald kein wirk-
licher Haß zum Grunde liegt, von beiden Seiten so
ordnungs = und geschäftsmäßig ausgeführt, daß nicht
die mindeste Ruhestörung dabei stattfand. Von Er-
richtung wirklich hinreichender Absperrungsanstalten kann
hier indessen ein für allemal keine Rede seyn, da es
theils bei der großen Zahl der Landungsplätze unmög-
lich ist, eine scharfe Controle zu üben, und anderer-
seits die schon öfter erwähnte Sorglosigkeit der Ame-
rikaner, wenn es sich um Sicherstellung des Lebens
und der Gesundheit handelt, sie nicht zu energischen
Maßregeln greifen läßt. Trotz dem glaube ich nicht,
daß Newyork wirklich eine Epidemie zu fürchten hat,
für welche seine Lage und sein Klima zu nördlich zu
seyn scheinen; wenigstens fand das gelbe Fieber, so oft
es auch schon durch Schiffe und Waaren hieher ver-
schleppt wurde, noch niemals einen günstigen Boden.

Staten Jsland mit seinen bewaldeten Hügelreihen,
zwischen denen die reizendsten Villas gar einladend her-
vorsehen, liegt jetzt hinter uns, die Wellen rollen höher
und verkünden den atlantischen Ocean; doch bald er-
scheint auf der östlichen Seite, uns zur Linken, Sandy
Hook, eine schmale Sandbank, die von der Küste von
New=Jersey ausläuft und sich wohl zwanzig ( englische )
Meilen längs derselben in's Meer erstreckt. Der dortige
Leuchtthurm, der mit seinen feurigen Augen weit über
das Meer hinleuchtet, ist der erste Posten des Conti-
nents, der den herannahenden Schiffen das Ende ihrer
Reise verkündet.

[Spaltenumbruch]

Die Fahrt geht jetzt zwischen der Sandbank und
der Küste von New=Jersey hin, auf der sich bewaldete,
zum Theil felsige Hügelreihen erheben. Es ist eines
der schönsten Meeresufer, da die frischeste Vegetation
sich fast hart an's Wasser erstreckt. Endlich, nach zwei-
stündiger Fahrt ist das Ziel erreicht, vor den Bergen
steigen auf einer hohen Terrasse die Atlantic Pavillions
empor, ein großes Hotel, das wohl zweihundert Per-
sonen fassen mag. Der Platz ist reizend; die Berge
bieten die anmuthigsten Spaziergänge, und außerdem
grenzt ein Wäldchen an den Garten des Hotels, wel-
ches Plätze zum Ausruhen im Schatten, so wie Raum
zum Spazierengehen und die Aussicht auf die See bie-
tet, weßhalb es auch das beständige Rendezvous der
Gäste ist. Das Ufer ist zum Baden nicht günstig, da
die Sandbank den Wellenschlag abhält, und man fährt
deßhalb, wie auf Helgoland, auf diese, an welcher die
schönste Brandung ist, hinüber. Man badet nicht etwa,
wie in den deutschen Seebädern, in Karren, sondern
man geht frei in die offene See hinein. Am Strande
sind kleine Holzhütten errichtet, in denen man sich in's
Badecostüm wirft, das für die Männer gewöhnlich in
einem leinenen Anzug, für die Damen in wollenen
Pantalons und einer kurzen Blouse besteht, die vorne
zugeknöpft wird. Gegen die Strahlen der Sonne, die
heiß genug auf den kahlen Sand herunterbrennt, schützt
ein runder Hut, und so geht man lustig über den war-
men Sand truppweise, die Damen gewöhnlich am Arm
der Männer, in's Wasser hinein, wobei Neulinge sich
oft seltsam genug geberden, und genießt von den langen
Wellen, die dem atlantischen Meer eigen sind, getragen,
gehoben und auf und nieder geschleudert, wahre Wonne
des Daseyns.

Bis man wieder angezogen und an's Land zurück-
gekehrt ist, wird es Zeit zum Mittagessen, zu dem der
schreckliche Lärm eines chinesischen Gong das Zeichen
gibt. Nachher versammelt man sich im Wäldchen oder
ergeht sich in den Bergen. Luft, Gegend und Wasser
könnte man sich nicht besser wünschen, und die High-
lands of Neversink wären für Kranke und Gesunde, für
Blasirte und Vergnüglinge ein reizend schöner Aufent-
halt, läge nicht auch auf ihnen der schreckliche Fluch,
welcher überall zu lasten scheint, wo amerikanische Ge-
sellschaft sich versammelt, die Langweiligkeit, und
zwar die Langweiligkeit in unabwendbarer, unvermeid-
licher Gestalt. Da der Badeplatz nur aus dem einen
großen Hotel besteht, in dem die ganze Gesellschaft
vereinigt ist, kann man ihr nicht einmal durch Abson-
derung entgehen.

Wer nur das heitere, ungenirte Leben, das be-
behagliche laisser aller in unsern deutschen Badeörtern
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] befindet sich die Quarantaine, welche durch lange Rei-
hen von Schiffen bezeichnet wird, die noch des Besuchs
des Beamten harren. Weiter hinaus, nach Long Js-
land hin, liegen die, welche entweder von Plätzen kom-
men, wo das gelbe Fieber herrscht, oder selbst Kranke
an Bord hatten. Man ist in der letzten Zeit in dieser
Hinsicht sehr ängstlich geworden, da nicht nur in der
Quarantaine, sondern auch in Newyork und Brooklyn
zahlreiche Fälle von gelbem Fieber vorgekommen sind,
und erst am selben Morgen war der Commis eines
meiner Freunde nach einer unheimlich kurzen Krankheit
von anderthalb Tagen davon hingerafft worden. Die
Bewohner von Castleton auf Staten Jsland, des an
die Quarantaine angrenzenden Orts, die zunächst von
der Ansteckung bedroht sind, errichteten deßhalb, dem
Grundsatz des » help yourself « gemäß, Barrikaden um
die Anstalt herum, um den darin befindlichen Per-
sonen den Verkehr mit dem Ort abzuschneiden; allein
eben so rasch als aufgeführt wurden sie auf Geheiß
aller dort anwesenden Capitäne von deren Matrosen
wieder zerstört, wobei sie behaupteten, den Einwohnern
stehe kein Recht zu, sie von dem Ort abzusperren.
Solche Dinge werden hier übrigens, sobald kein wirk-
licher Haß zum Grunde liegt, von beiden Seiten so
ordnungs = und geschäftsmäßig ausgeführt, daß nicht
die mindeste Ruhestörung dabei stattfand. Von Er-
richtung wirklich hinreichender Absperrungsanstalten kann
hier indessen ein für allemal keine Rede seyn, da es
theils bei der großen Zahl der Landungsplätze unmög-
lich ist, eine scharfe Controle zu üben, und anderer-
seits die schon öfter erwähnte Sorglosigkeit der Ame-
rikaner, wenn es sich um Sicherstellung des Lebens
und der Gesundheit handelt, sie nicht zu energischen
Maßregeln greifen läßt. Trotz dem glaube ich nicht,
daß Newyork wirklich eine Epidemie zu fürchten hat,
für welche seine Lage und sein Klima zu nördlich zu
seyn scheinen; wenigstens fand das gelbe Fieber, so oft
es auch schon durch Schiffe und Waaren hieher ver-
schleppt wurde, noch niemals einen günstigen Boden.

Staten Jsland mit seinen bewaldeten Hügelreihen,
zwischen denen die reizendsten Villas gar einladend her-
vorsehen, liegt jetzt hinter uns, die Wellen rollen höher
und verkünden den atlantischen Ocean; doch bald er-
scheint auf der östlichen Seite, uns zur Linken, Sandy
Hook, eine schmale Sandbank, die von der Küste von
New=Jersey ausläuft und sich wohl zwanzig ( englische )
Meilen längs derselben in's Meer erstreckt. Der dortige
Leuchtthurm, der mit seinen feurigen Augen weit über
das Meer hinleuchtet, ist der erste Posten des Conti-
nents, der den herannahenden Schiffen das Ende ihrer
Reise verkündet.

[Spaltenumbruch]

Die Fahrt geht jetzt zwischen der Sandbank und
der Küste von New=Jersey hin, auf der sich bewaldete,
zum Theil felsige Hügelreihen erheben. Es ist eines
der schönsten Meeresufer, da die frischeste Vegetation
sich fast hart an's Wasser erstreckt. Endlich, nach zwei-
stündiger Fahrt ist das Ziel erreicht, vor den Bergen
steigen auf einer hohen Terrasse die Atlantic Pavillions
empor, ein großes Hotel, das wohl zweihundert Per-
sonen fassen mag. Der Platz ist reizend; die Berge
bieten die anmuthigsten Spaziergänge, und außerdem
grenzt ein Wäldchen an den Garten des Hotels, wel-
ches Plätze zum Ausruhen im Schatten, so wie Raum
zum Spazierengehen und die Aussicht auf die See bie-
tet, weßhalb es auch das beständige Rendezvous der
Gäste ist. Das Ufer ist zum Baden nicht günstig, da
die Sandbank den Wellenschlag abhält, und man fährt
deßhalb, wie auf Helgoland, auf diese, an welcher die
schönste Brandung ist, hinüber. Man badet nicht etwa,
wie in den deutschen Seebädern, in Karren, sondern
man geht frei in die offene See hinein. Am Strande
sind kleine Holzhütten errichtet, in denen man sich in's
Badecostüm wirft, das für die Männer gewöhnlich in
einem leinenen Anzug, für die Damen in wollenen
Pantalons und einer kurzen Blouse besteht, die vorne
zugeknöpft wird. Gegen die Strahlen der Sonne, die
heiß genug auf den kahlen Sand herunterbrennt, schützt
ein runder Hut, und so geht man lustig über den war-
men Sand truppweise, die Damen gewöhnlich am Arm
der Männer, in's Wasser hinein, wobei Neulinge sich
oft seltsam genug geberden, und genießt von den langen
Wellen, die dem atlantischen Meer eigen sind, getragen,
gehoben und auf und nieder geschleudert, wahre Wonne
des Daseyns.

Bis man wieder angezogen und an's Land zurück-
gekehrt ist, wird es Zeit zum Mittagessen, zu dem der
schreckliche Lärm eines chinesischen Gong das Zeichen
gibt. Nachher versammelt man sich im Wäldchen oder
ergeht sich in den Bergen. Luft, Gegend und Wasser
könnte man sich nicht besser wünschen, und die High-
lands of Neversink wären für Kranke und Gesunde, für
Blasirte und Vergnüglinge ein reizend schöner Aufent-
halt, läge nicht auch auf ihnen der schreckliche Fluch,
welcher überall zu lasten scheint, wo amerikanische Ge-
sellschaft sich versammelt, die Langweiligkeit, und
zwar die Langweiligkeit in unabwendbarer, unvermeid-
licher Gestalt. Da der Badeplatz nur aus dem einen
großen Hotel besteht, in dem die ganze Gesellschaft
vereinigt ist, kann man ihr nicht einmal durch Abson-
derung entgehen.

Wer nur das heitere, ungenirte Leben, das be-
behagliche laisser aller in unsern deutschen Badeörtern
[Ende Spaltensatz]

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[1095/0015] 1095 befindet sich die Quarantaine, welche durch lange Rei- hen von Schiffen bezeichnet wird, die noch des Besuchs des Beamten harren. Weiter hinaus, nach Long Js- land hin, liegen die, welche entweder von Plätzen kom- men, wo das gelbe Fieber herrscht, oder selbst Kranke an Bord hatten. Man ist in der letzten Zeit in dieser Hinsicht sehr ängstlich geworden, da nicht nur in der Quarantaine, sondern auch in Newyork und Brooklyn zahlreiche Fälle von gelbem Fieber vorgekommen sind, und erst am selben Morgen war der Commis eines meiner Freunde nach einer unheimlich kurzen Krankheit von anderthalb Tagen davon hingerafft worden. Die Bewohner von Castleton auf Staten Jsland, des an die Quarantaine angrenzenden Orts, die zunächst von der Ansteckung bedroht sind, errichteten deßhalb, dem Grundsatz des » help yourself « gemäß, Barrikaden um die Anstalt herum, um den darin befindlichen Per- sonen den Verkehr mit dem Ort abzuschneiden; allein eben so rasch als aufgeführt wurden sie auf Geheiß aller dort anwesenden Capitäne von deren Matrosen wieder zerstört, wobei sie behaupteten, den Einwohnern stehe kein Recht zu, sie von dem Ort abzusperren. Solche Dinge werden hier übrigens, sobald kein wirk- licher Haß zum Grunde liegt, von beiden Seiten so ordnungs = und geschäftsmäßig ausgeführt, daß nicht die mindeste Ruhestörung dabei stattfand. Von Er- richtung wirklich hinreichender Absperrungsanstalten kann hier indessen ein für allemal keine Rede seyn, da es theils bei der großen Zahl der Landungsplätze unmög- lich ist, eine scharfe Controle zu üben, und anderer- seits die schon öfter erwähnte Sorglosigkeit der Ame- rikaner, wenn es sich um Sicherstellung des Lebens und der Gesundheit handelt, sie nicht zu energischen Maßregeln greifen läßt. Trotz dem glaube ich nicht, daß Newyork wirklich eine Epidemie zu fürchten hat, für welche seine Lage und sein Klima zu nördlich zu seyn scheinen; wenigstens fand das gelbe Fieber, so oft es auch schon durch Schiffe und Waaren hieher ver- schleppt wurde, noch niemals einen günstigen Boden. 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Endlich, nach zwei- stündiger Fahrt ist das Ziel erreicht, vor den Bergen steigen auf einer hohen Terrasse die Atlantic Pavillions empor, ein großes Hotel, das wohl zweihundert Per- sonen fassen mag. Der Platz ist reizend; die Berge bieten die anmuthigsten Spaziergänge, und außerdem grenzt ein Wäldchen an den Garten des Hotels, wel- ches Plätze zum Ausruhen im Schatten, so wie Raum zum Spazierengehen und die Aussicht auf die See bie- tet, weßhalb es auch das beständige Rendezvous der Gäste ist. Das Ufer ist zum Baden nicht günstig, da die Sandbank den Wellenschlag abhält, und man fährt deßhalb, wie auf Helgoland, auf diese, an welcher die schönste Brandung ist, hinüber. Man badet nicht etwa, wie in den deutschen Seebädern, in Karren, sondern man geht frei in die offene See hinein. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856, S. 1095. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt46_1856/15>, abgerufen am 23.05.2024.