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Reichspost. Nr. 168, Wien, 26.07.1900.

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VIII., Strozzigasse 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 15.
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Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen; Manuscripte werden
nicht zurückgestellt. Unverschlossene
Reclamationen sind portofrei.




Inserate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigasse
41, sowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erscheint täglich, 6 Uhr Nach-
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Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

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Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig ..... 28 K
halbjährig ...... 14 K
vierteljährig ...... 7 K
monatlich .... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Post
10 h

Bei Abholung in unserer Administra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für: Oesterreich-Ungarn:
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halbjährig ...... 16 K
vierteljährig ...... 8 K
monatlich .... 2 K 75 h

Für Deutschland:
vierteljährig .... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpostverein[es]
viertelj. 12 K oder 10 Mark.




Telephon 1828.




VII. Jahrgang. Wien, Donnerstag den 26. Juli 1900. Nr. 168.


[Spaltenumbruch]
Die gelbe Katze.

In Peking spielt man mit den Gesandten
immer noch Verstecken. So häßlich ist Europa
in der Kriegsgeschichte noch niemals genarrt
worden. Kein Sterbenslaut dringt seit Wochen
von den Eingeschlossenen, die sich der unverletz-
lichen Gesandtenfreiheit erfreuen sollen, über die
düsteren Ringmauern der chinesischen Hauptstadt
hinüber nach Tientsin, wo die bewaffneten Boten
aller Weltmächte mit der Klinge in der Hand
Auskunft über das Schicksal der Eingeschlossenen
fordern. Lebt dort drinnen noch Jemand? Ein-
mal hat sich die Depesche eines Gesandten
herausverirrt, es wollte ihr jedoch Niemand
glauben, da sie kein Datum trug und vielleicht
schon vor längerer Zeit aufgegeben sein konnte.
Man hat sich daran gewöhnt, das Schreckliche
fester zu glauben als das menschlich Natürliche,
und Jedermann war bei den immer neuerlichen
ungewissen Nachrichten von einer Rettung der
Gesandten nur erbittert über die Frivolität, mit
der die Wahrheit über das Pekinger Blutbad zu
bemänteln gesucht wurde. Warum sollten denn auch
die Gesandten mit ihren geringen Schutzmann-
schaften geschont worden sein, indessen allerorts
der Fanatismus der heidnischen Massen hunderte
und tausende von Christen hinschlachtete, indessen
Missionäre gefoltert und ans Kreuz geschlagen
wurden und brennende Kirchen und Niederlassungen
an allen Ecken und Enden als Riesenfanale ver-
kündeten, daß es sich um einen wohlvorbereiteten
und organisirten Streich gegen die christliche
Cultur handle. Man wußte, daß vor vier Wochen
von allen Gesandtschaften nur mehr drei standen,
und daß die übrigen mit schwerem Geschütz von
regulären chinesischen Truppen und einer nach
vielen Tausenden zählenden Menschenmassen ange-
griffen worden waren; es hätte geheißen, an ein
halbes Wunder zu glauben, wenn man da noch
an die Rettung der Gesandten gedacht hätte.

Die chinesische gelbe Katze hat die Maus, mit
der sie so lang ein blutiges Spiel trieb, zwischen
ihren Pranken aber doch noch nicht zerrissen. Heute
liegen nicht nur sehr bestimmt abgefaßte und
ehrenwörtlich unterstützte Depeschen vor, die be-
[Spaltenumbruch] richten, daß sich die Gesandten auf dem Wege
nach Tientsin
befinden, sondern auch der
Wortlaut eines Bittgesuches des chinesischen
Kaisers an Kaiser Wilhelm um Friedensver-
mittlung, ein Doeument, das geradezu eine
Narrheit bedeuten würde, wenn der Pöbel sich
außer an Ketteler auch an den übrigen Gesandten
vergriffen hätte. -- Warum der Blutdurst der
fremdenfeindlichen Fanatiker sich nicht in der Ab-
schlachtung der zusammengeschmolzenen kleinen
Fremdencolonie gefättigt hat, während er außer-
halb Peking ungestört seine brüllenden Orgien
weiterfeiert, ist für Europa heute noch ein
Räthsel. Es mag uns vorderhand genug
sein, heute endlich einmal etwas von der freund-
lichen Hoffnung zu empfinden, Jemand gerettet
zu sehen, dem man sein tiefstes Mitleid für sein
grausiges Los geschenkt hatte. Die letzte Un-
gewißheit über das Schicksal der Gesandten muß
sich in den allernächsten Tagen heben und heute
haben wir endlich Grund zur Freude, daß uns
vielleicht doch nur ein räthselhaftes Lügengewebe
mit seinen Todesphantasien bisher genarrt hat.

Doch damit ändert sich die Weltlage nicht.
Es mag, wenn die Gesandten leben, einer der
Gründe für die empörte Entrüstung über die
chinesischen Barbareien der letzten Wochen eliminirt
sein, aber über die Thatsache darf man sich doch
nicht hinwegtäuschen, daß trotzdem China im wil-
desten Aufstand gegen Alles, wodurch es bisher
mit Europa verbunden war, begriffen ist. -- Die
blühenden Missionen sind in Asche gelegt, die
Handelsverbindungen sind zerstört und gewaltige
Truppenkörper stehen in offener Feldschlacht gegen die
Europäer. Da gibt es keine Friedensangebote. Ent-
weder ist Kaiser Kwangsu ein Ohnmächtiger vor Re-
bellen oder ein willfähriges Werkzeug in den Händen
verschlagener Heuchler. Die Großmächte haben sich
mit den Thatsachen abzufinden, daß China sich
in factischem Kriegszustande gegen
sie befindet.

Anders steht die Frage, wenn wir uns nach
den Aussichten der europäischen Militäraction
umsehen. Bereits werden von sehr ansehnlicher
Seite Stimmen laut, daß es mit Ausnahme
Deutschlands keine der führenden Mächte
[Spaltenumbruch] mit ihren Maßregeln in Tientsin ernst meine,
weder England und Rußland, und ein Kenner
sagt von Deutschland, es werde mit seinen Ver-
stärkungen für China zu stark, um eine zweite, zu
schwach sein, um eine erste Rolle zu spielen. --
Und wenn wir von den düsteren Geschehnissen
nach der Erstürmung von Tientsin hören und die
bisher unwidersprochene Constatirung vernehmen,
daß europäische Soldaten aller Nationen die er-
stürmte Stadt geplündert und die öffent-
lichen Schatzkammern ausgeraubt haben,
dann zweifeln wir, wie dieser Kampf gegen die
Barbarei enden wird. Die hyperfeine Civilisation
der Moderne scheint sich drüben am Stillen Ocean
ein gemüthliches Cafe chantant errichten zu wollen,
wo die Tugendsame hofft, von den Opfern
moderner Gesittung und Enthaltsamkeit sich un-
bemerkt erholen zu können. Das ist tieftraurig.
Sind auch die Gesandten gerettet, so haben wir
doch Anlaß, um das Ende dieses Kampfes sehr
besorgt zu sein.




Tarali--Erlanger.

Zur Ehre der Armee und des Offi-
ciersstandes
traten wir in der Affaire Tacoli
so entschieden gegen den Duellzwang auf. Wir
schätzen die Armee und unser Officierscorps viel zu
hoch und würdigen dessen Bedeutung viel zu sehr, als
daß wir nicht Front machten gegen Alles, was der
Ehre dieses Standes zuwiderlaufen und ihm das An-
sehen oder die Sympathien der Bevölkerung auch nur
verkürzen könnte. Und nicht zum Mindesten des-
halb
erheben wir Tag um Tag den Ruf: Fort mit
dem Duellzwang in der Armee! Es kann der Armee
und dem Officierscorps nicht zur Ehre und zum
Nutzen gereichen, wenn man den Officieren das zur Pflicht
macht, was durch das fünfte Gebot Gottes, durch das
allgemein giltige Staatsgesetz, durch das militärische
Strafgesetzbuch als Verbrechen verboten und unter
schwere Strafe gestellt ist, wenn man die Officiere
zwingt, die verletzte Ehre durch ein Verbrechen zu
repariren, durch eine Handlung, die nicht einmal an
sich
geeignet ist, die verletzte Ehre wieder gut zu




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Militärische Stimmen über das Duell
in der Armee

sind um so gewichtiger, als fast nur noch in der Armee,
nicht bei allen Officieren, sondern zumeist bei den
älteren, in den alten Traditionen und Vorurtheilen
aufgewachsenen Mitgliedern des Officierscorps, die
Stimmung für das Duell und gegen die durch die
neuesten Ereignisse als dringend nothwendig erwiesene
Aufhebung des Duellzwanges ist.

Aussprüche berühmter Philosophen, Rechtslehrer,
Geschichtsforscher, welche das Duell in jedem Falle ver-
dammen, machen auf Militärkreise keinen Eindruck;
der Civilist, so heißt es dann, erkennt eben nicht die
Besonderheit der Officiersehre. Was aber dann, wenn
selbst hervorragende Herrscher und
Feldherren
diese Zweikampfsunsitte verwerfen?

Von Gustav Adolph, dessen militärisches Be-
wußtsein wohl Niemand bezweifelt, erzählt sein Bio-
graph Garte: "Als in den Jahren 1626--1629 das
Duell in der schwedischen Armee sehr einriß, selbst
unter gemeinen Soldaten, erließ der König eine strenge
Ordre, welche jede Uebertretung mit der Todes-
strafe
bedrohte. Da entstand ein Zwist zwischen
zwei hohen Officieren. Sie gingen vor den König
selbst, um ihn zu bitten, ein Duell zwischen ihnen zu
gestatten. Der König ging endlich darauf ein. Am
bestimmten Tage traf er an dem verabredeten Platze
[Spaltenumbruch] ein, jedoch mit einer Abtheilung -- Infanterie! --
"Wohlan!", rief er, "nun fechtet, bis einer bleibt!"
Zugleich aber erging der Befehl an den Profoß, wenn
der eine gefallen sei, solle dem andern sofort vor seinen
Augen der Kopf abgeschlagen werden. Auf
dies hin standen die tapferen Degen ab von dem Duell
und baten den König um Verzeihung.

Kaiser Matthias sagte: "Durch Duell wird
das Ziel und Ende der ritterlichen und adeligen
Tugenden, auch alter deutscher Redlichkeit, welche in
diesen Excessen gar nicht, sondern in der Ehrbarkeit
und erlaubten Tapferkeit besteht, mit nichten erhalten".

Kaifer Josef II. schreibt an den Staatsminister
von Lascy: "Ich will und leide keinen
Zweikampf
in meinem Heere, verachte die
Grundsätze derjenigen, welche ihn vertheidigen, zu recht-
fertigen suchen und sich mit kaltem Blute durchbohren.
Ich halte einen solchen Menschen für nichts besser, als
einen römischen Gladiator. Eine solche
barbarische Gewohnheit, die dem Jahrhundert der
Tamerlans und Bajazets angemessen ist, und die so
oft traurige Wirkungen auf einzelne Familien gehabt,
will ich unterdrückt und bestraft wissen, und sollte es
die Hälfte meiner Offiziere mir rauben ...."

Napoleon I. sagt einmal: "Latour-d'Auvergne,
der Tapferste der Tapfern, hat sich nie duellirt."

Friedrich II., der Abgott der Offiziere, entließ
einen Offizier mit den Worten: "Ich liebe tapfere
Offiziere, aber Scharfrichter kann ich in meiner Armee
nicht brauchen."

Blücher und Gneisenau erließen 1818 eine Er-
klärung, in welcher sie das Duell als durchaus uner-
[Spaltenumbruch] laubt und unehrenhaft brandmarkten und für ihre
untergebenen Offiziere in scharfen Worten verboten.

Friedrich Wilhelm III. von Preußen bemerkt
einmal: "Das Leben der Offiziere ist der Vertheidigung
des Thrones und des Vaterlandes geweiht,
und wer dasselbe um einen kleinlichen Zwist einsetzt,
beweist, daß er sich seiner ernsten Bestimmung nicht
bewußt ist und nicht die sittliche Haltung zu behaupten
weiß, welche auf Sittlichkeit und wahrem Ehr-
gefühl beruht."

König Johann von Sachsen, der berühmte
Dante-Uebersetzer, nimmt in seiner Novelle "Der
Entehrte" entschieden Stellung gegen die Officiers-
duelle

Prinz Albert von England, der Gemahl
Victoria's, schaffte das Duell in der englischen Armee
ab, "als eines Gentleman unwürdig."
1844 erfuhren die Kriegsartikel folgende Aenderung,
daß es "dem Charakter von Ehrenmännern für an-
gemessen erklärt wurde, für verübtes Unrecht oder Be-
leidigungen sich zu entschuldigen und sich bereit zu er-
klären, das begangene Unrecht wieder gut zu machen
und ebenso für den gekränkten Theil, für das ihm
widerfahrene Unrecht offen und herzlich eine Er-
klärung und Entschuldigung anzunehmen."

"Hier wäre" so schreibt das "Bayr. Vaterland"
für den deutschen Kaiser ein Feld, mit einem Federstrich
eine Unsitte zu beseitigen, die die Religion,
die Moral, das Recht und die Geschichte
mit Rechtverdammt." Und wir haben schon
wiederholt erklärt, daß wir den Ruhm, den Duellzwang
zuerst beseitigt zu haben, als glorreiche That unserem
katholischen österreichischen Kaiser wünschen.


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 12 Seiten stark. [Abbildung]
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Preis 8 h



Redaction, Adminiſtration,
Expedition
und Druckerei:
VIII., Strozzigaſſe 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 15.
Zeitungsbureau Weis.




Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen; Manuſcripte werden
nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene
Reclamationen ſind portofrei.




Inſerate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigaſſe
41, ſowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonne
und Feiertage


[Spaltenumbruch]
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspeiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig ..... 28 K
halbjährig ...... 14 K
vierteljährig ...... 7 K
monatlich .... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Poſt
10 h

Bei Abholung in unſerer Adminiſtra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für: Oeſterreich-Ungarn:
ganzjährig ...... 32 K
halbjährig ...... 16 K
vierteljährig ...... 8 K
monatlich .... 2 K 75 h

Für Deutſchland:
vierteljährig .... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpoſtverein[eſ]
viertelj. 12 K oder 10 Mark.




Telephon 1828.




VII. Jahrgang. Wien, Donnerſtag den 26. Juli 1900. Nr. 168.


[Spaltenumbruch]
Die gelbe Katze.

In Peking ſpielt man mit den Geſandten
immer noch Verſtecken. So häßlich iſt Europa
in der Kriegsgeſchichte noch niemals genarrt
worden. Kein Sterbenslaut dringt ſeit Wochen
von den Eingeſchloſſenen, die ſich der unverletz-
lichen Geſandtenfreiheit erfreuen ſollen, über die
düſteren Ringmauern der chineſiſchen Hauptſtadt
hinüber nach Tientſin, wo die bewaffneten Boten
aller Weltmächte mit der Klinge in der Hand
Auskunft über das Schickſal der Eingeſchloſſenen
fordern. Lebt dort drinnen noch Jemand? Ein-
mal hat ſich die Depeſche eines Geſandten
herausverirrt, es wollte ihr jedoch Niemand
glauben, da ſie kein Datum trug und vielleicht
ſchon vor längerer Zeit aufgegeben ſein konnte.
Man hat ſich daran gewöhnt, das Schreckliche
feſter zu glauben als das menſchlich Natürliche,
und Jedermann war bei den immer neuerlichen
ungewiſſen Nachrichten von einer Rettung der
Geſandten nur erbittert über die Frivolität, mit
der die Wahrheit über das Pekinger Blutbad zu
bemänteln geſucht wurde. Warum ſollten denn auch
die Geſandten mit ihren geringen Schutzmann-
ſchaften geſchont worden ſein, indeſſen allerorts
der Fanatismus der heidniſchen Maſſen hunderte
und tauſende von Chriſten hinſchlachtete, indeſſen
Miſſionäre gefoltert und ans Kreuz geſchlagen
wurden und brennende Kirchen und Niederlaſſungen
an allen Ecken und Enden als Rieſenfanale ver-
kündeten, daß es ſich um einen wohlvorbereiteten
und organiſirten Streich gegen die chriſtliche
Cultur handle. Man wußte, daß vor vier Wochen
von allen Geſandtſchaften nur mehr drei ſtanden,
und daß die übrigen mit ſchwerem Geſchütz von
regulären chineſiſchen Truppen und einer nach
vielen Tauſenden zählenden Menſchenmaſſen ange-
griffen worden waren; es hätte geheißen, an ein
halbes Wunder zu glauben, wenn man da noch
an die Rettung der Geſandten gedacht hätte.

Die chineſiſche gelbe Katze hat die Maus, mit
der ſie ſo lang ein blutiges Spiel trieb, zwiſchen
ihren Pranken aber doch noch nicht zerriſſen. Heute
liegen nicht nur ſehr beſtimmt abgefaßte und
ehrenwörtlich unterſtützte Depeſchen vor, die be-
[Spaltenumbruch] richten, daß ſich die Geſandten auf dem Wege
nach Tientſin
befinden, ſondern auch der
Wortlaut eines Bittgeſuches des chineſiſchen
Kaiſers an Kaiſer Wilhelm um Friedensver-
mittlung, ein Doeument, das geradezu eine
Narrheit bedeuten würde, wenn der Pöbel ſich
außer an Ketteler auch an den übrigen Geſandten
vergriffen hätte. — Warum der Blutdurſt der
fremdenfeindlichen Fanatiker ſich nicht in der Ab-
ſchlachtung der zuſammengeſchmolzenen kleinen
Fremdencolonie gefättigt hat, während er außer-
halb Peking ungeſtört ſeine brüllenden Orgien
weiterfeiert, iſt für Europa heute noch ein
Räthſel. Es mag uns vorderhand genug
ſein, heute endlich einmal etwas von der freund-
lichen Hoffnung zu empfinden, Jemand gerettet
zu ſehen, dem man ſein tiefſtes Mitleid für ſein
grauſiges Los geſchenkt hatte. Die letzte Un-
gewißheit über das Schickſal der Geſandten muß
ſich in den allernächſten Tagen heben und heute
haben wir endlich Grund zur Freude, daß uns
vielleicht doch nur ein räthſelhaftes Lügengewebe
mit ſeinen Todesphantaſien bisher genarrt hat.

Doch damit ändert ſich die Weltlage nicht.
Es mag, wenn die Geſandten leben, einer der
Gründe für die empörte Entrüſtung über die
chineſiſchen Barbareien der letzten Wochen eliminirt
ſein, aber über die Thatſache darf man ſich doch
nicht hinwegtäuſchen, daß trotzdem China im wil-
deſten Aufſtand gegen Alles, wodurch es bisher
mit Europa verbunden war, begriffen iſt. — Die
blühenden Miſſionen ſind in Aſche gelegt, die
Handelsverbindungen ſind zerſtört und gewaltige
Truppenkörper ſtehen in offener Feldſchlacht gegen die
Europäer. Da gibt es keine Friedensangebote. Ent-
weder iſt Kaiſer Kwangſu ein Ohnmächtiger vor Re-
bellen oder ein willfähriges Werkzeug in den Händen
verſchlagener Heuchler. Die Großmächte haben ſich
mit den Thatſachen abzufinden, daß China ſich
in factiſchem Kriegszuſtande gegen
ſie befindet.

Anders ſteht die Frage, wenn wir uns nach
den Ausſichten der europäiſchen Militäraction
umſehen. Bereits werden von ſehr anſehnlicher
Seite Stimmen laut, daß es mit Ausnahme
Deutſchlands keine der führenden Mächte
[Spaltenumbruch] mit ihren Maßregeln in Tientſin ernſt meine,
weder England und Rußland, und ein Kenner
ſagt von Deutſchland, es werde mit ſeinen Ver-
ſtärkungen für China zu ſtark, um eine zweite, zu
ſchwach ſein, um eine erſte Rolle zu ſpielen. —
Und wenn wir von den düſteren Geſchehniſſen
nach der Erſtürmung von Tientſin hören und die
bisher unwiderſprochene Conſtatirung vernehmen,
daß europäiſche Soldaten aller Nationen die er-
ſtürmte Stadt geplündert und die öffent-
lichen Schatzkammern ausgeraubt haben,
dann zweifeln wir, wie dieſer Kampf gegen die
Barbarei enden wird. Die hyperfeine Civiliſation
der Moderne ſcheint ſich drüben am Stillen Ocean
ein gemüthliches Café chantant errichten zu wollen,
wo die Tugendſame hofft, von den Opfern
moderner Geſittung und Enthaltſamkeit ſich un-
bemerkt erholen zu können. Das iſt tieftraurig.
Sind auch die Geſandten gerettet, ſo haben wir
doch Anlaß, um das Ende dieſes Kampfes ſehr
beſorgt zu ſein.




Tarali—Erlanger.

Zur Ehre der Armee und des Offi-
ciersſtandes
traten wir in der Affaire Tacoli
ſo entſchieden gegen den Duellzwang auf. Wir
ſchätzen die Armee und unſer Officierscorps viel zu
hoch und würdigen deſſen Bedeutung viel zu ſehr, als
daß wir nicht Front machten gegen Alles, was der
Ehre dieſes Standes zuwiderlaufen und ihm das An-
ſehen oder die Sympathien der Bevölkerung auch nur
verkürzen könnte. Und nicht zum Mindeſten des-
halb
erheben wir Tag um Tag den Ruf: Fort mit
dem Duellzwang in der Armee! Es kann der Armee
und dem Officierscorps nicht zur Ehre und zum
Nutzen gereichen, wenn man den Officieren das zur Pflicht
macht, was durch das fünfte Gebot Gottes, durch das
allgemein giltige Staatsgeſetz, durch das militäriſche
Strafgeſetzbuch als Verbrechen verboten und unter
ſchwere Strafe geſtellt iſt, wenn man die Officiere
zwingt, die verletzte Ehre durch ein Verbrechen zu
repariren, durch eine Handlung, die nicht einmal an
ſich
geeignet iſt, die verletzte Ehre wieder gut zu




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Militäriſche Stimmen über das Duell
in der Armee

ſind um ſo gewichtiger, als faſt nur noch in der Armee,
nicht bei allen Officieren, ſondern zumeiſt bei den
älteren, in den alten Traditionen und Vorurtheilen
aufgewachſenen Mitgliedern des Officierscorps, die
Stimmung für das Duell und gegen die durch die
neueſten Ereigniſſe als dringend nothwendig erwieſene
Aufhebung des Duellzwanges iſt.

Ausſprüche berühmter Philoſophen, Rechtslehrer,
Geſchichtsforſcher, welche das Duell in jedem Falle ver-
dammen, machen auf Militärkreiſe keinen Eindruck;
der Civiliſt, ſo heißt es dann, erkennt eben nicht die
Beſonderheit der Officiersehre. Was aber dann, wenn
ſelbſt hervorragende Herrſcher und
Feldherren
dieſe Zweikampfsunſitte verwerfen?

Von Guſtav Adolph, deſſen militäriſches Be-
wußtſein wohl Niemand bezweifelt, erzählt ſein Bio-
graph Garte: „Als in den Jahren 1626—1629 das
Duell in der ſchwediſchen Armee ſehr einriß, ſelbſt
unter gemeinen Soldaten, erließ der König eine ſtrenge
Ordre, welche jede Uebertretung mit der Todes-
ſtrafe
bedrohte. Da entſtand ein Zwiſt zwiſchen
zwei hohen Officieren. Sie gingen vor den König
ſelbſt, um ihn zu bitten, ein Duell zwiſchen ihnen zu
geſtatten. Der König ging endlich darauf ein. Am
beſtimmten Tage traf er an dem verabredeten Platze
[Spaltenumbruch] ein, jedoch mit einer Abtheilung — Infanterie! —
„Wohlan!“, rief er, „nun fechtet, bis einer bleibt!“
Zugleich aber erging der Befehl an den Profoß, wenn
der eine gefallen ſei, ſolle dem andern ſofort vor ſeinen
Augen der Kopf abgeſchlagen werden. Auf
dies hin ſtanden die tapferen Degen ab von dem Duell
und baten den König um Verzeihung.

Kaiſer Matthias ſagte: „Durch Duell wird
das Ziel und Ende der ritterlichen und adeligen
Tugenden, auch alter deutſcher Redlichkeit, welche in
dieſen Exceſſen gar nicht, ſondern in der Ehrbarkeit
und erlaubten Tapferkeit beſteht, mit nichten erhalten“.

Kaifer Joſef II. ſchreibt an den Staatsminiſter
von Lascy: „Ich will und leide keinen
Zweikampf
in meinem Heere, verachte die
Grundſätze derjenigen, welche ihn vertheidigen, zu recht-
fertigen ſuchen und ſich mit kaltem Blute durchbohren.
Ich halte einen ſolchen Menſchen für nichts beſſer, als
einen römiſchen Gladiator. Eine ſolche
barbariſche Gewohnheit, die dem Jahrhundert der
Tamerlans und Bajazets angemeſſen iſt, und die ſo
oft traurige Wirkungen auf einzelne Familien gehabt,
will ich unterdrückt und beſtraft wiſſen, und ſollte es
die Hälfte meiner Offiziere mir rauben ....“

Napoleon I. ſagt einmal: „Latour-d’Auvergne,
der Tapferſte der Tapfern, hat ſich nie duellirt.“

Friedrich II., der Abgott der Offiziere, entließ
einen Offizier mit den Worten: „Ich liebe tapfere
Offiziere, aber Scharfrichter kann ich in meiner Armee
nicht brauchen.“

Blücher und Gneiſenau erließen 1818 eine Er-
klärung, in welcher ſie das Duell als durchaus uner-
[Spaltenumbruch] laubt und unehrenhaft brandmarkten und für ihre
untergebenen Offiziere in ſcharfen Worten verboten.

Friedrich Wilhelm III. von Preußen bemerkt
einmal: „Das Leben der Offiziere iſt der Vertheidigung
des Thrones und des Vaterlandes geweiht,
und wer dasſelbe um einen kleinlichen Zwiſt einſetzt,
beweiſt, daß er ſich ſeiner ernſten Beſtimmung nicht
bewußt iſt und nicht die ſittliche Haltung zu behaupten
weiß, welche auf Sittlichkeit und wahrem Ehr-
gefühl beruht.“

König Johann von Sachſen, der berühmte
Dante-Ueberſetzer, nimmt in ſeiner Novelle „Der
Entehrte“ entſchieden Stellung gegen die Officiers-
duelle

Prinz Albert von England, der Gemahl
Victoria’s, ſchaffte das Duell in der engliſchen Armee
ab, „als eines Gentleman unwürdig.
1844 erfuhren die Kriegsartikel folgende Aenderung,
daß es „dem Charakter von Ehrenmännern für an-
gemeſſen erklärt wurde, für verübtes Unrecht oder Be-
leidigungen ſich zu entſchuldigen und ſich bereit zu er-
klären, das begangene Unrecht wieder gut zu machen
und ebenſo für den gekränkten Theil, für das ihm
widerfahrene Unrecht offen und herzlich eine Er-
klärung und Entſchuldigung anzunehmen.“

„Hier wäre“ ſo ſchreibt das „Bayr. Vaterland“
für den deutſchen Kaiſer ein Feld, mit einem Federſtrich
eine Unſitte zu beſeitigen, die die Religion,
die Moral, das Recht und die Geſchichte
mit Rechtverdammt.“ Und wir haben ſchon
wiederholt erklärt, daß wir den Ruhm, den Duellzwang
zuerſt beſeitigt zu haben, als glorreiche That unſerem
katholiſchen öſterreichiſchen Kaiſer wünſchen.


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[[1]/0001] Preis 8 h Redaction, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadtexpedition I., Wollzeile 15. Zeitungsbureau Weis. Unfrankirte Briefe werden nicht an- genommen; Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Reclamationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach- mittags, mit Ausnahme der Sonne und Feiertage Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Preis 8 h Bezugspeiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ..... 28 K halbjährig ...... 14 K vierteljährig ...... 7 K monatlich .... 2 K 35 h Einzelne Nummern 8 h, per Poſt 10 h Bei Abholung in unſerer Adminiſtra- tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K Für: Oeſterreich-Ungarn: ganzjährig ...... 32 K halbjährig ...... 16 K vierteljährig ...... 8 K monatlich .... 2 K 75 h Für Deutſchland: vierteljährig .... 9 K 50 h oder 8 Mark. Länder des Weltpoſtvereineſ viertelj. 12 K oder 10 Mark. Telephon 1828. VII. Jahrgang. Wien, Donnerſtag den 26. Juli 1900. Nr. 168. Die gelbe Katze. In Peking ſpielt man mit den Geſandten immer noch Verſtecken. So häßlich iſt Europa in der Kriegsgeſchichte noch niemals genarrt worden. Kein Sterbenslaut dringt ſeit Wochen von den Eingeſchloſſenen, die ſich der unverletz- lichen Geſandtenfreiheit erfreuen ſollen, über die düſteren Ringmauern der chineſiſchen Hauptſtadt hinüber nach Tientſin, wo die bewaffneten Boten aller Weltmächte mit der Klinge in der Hand Auskunft über das Schickſal der Eingeſchloſſenen fordern. Lebt dort drinnen noch Jemand? Ein- mal hat ſich die Depeſche eines Geſandten herausverirrt, es wollte ihr jedoch Niemand glauben, da ſie kein Datum trug und vielleicht ſchon vor längerer Zeit aufgegeben ſein konnte. Man hat ſich daran gewöhnt, das Schreckliche feſter zu glauben als das menſchlich Natürliche, und Jedermann war bei den immer neuerlichen ungewiſſen Nachrichten von einer Rettung der Geſandten nur erbittert über die Frivolität, mit der die Wahrheit über das Pekinger Blutbad zu bemänteln geſucht wurde. Warum ſollten denn auch die Geſandten mit ihren geringen Schutzmann- ſchaften geſchont worden ſein, indeſſen allerorts der Fanatismus der heidniſchen Maſſen hunderte und tauſende von Chriſten hinſchlachtete, indeſſen Miſſionäre gefoltert und ans Kreuz geſchlagen wurden und brennende Kirchen und Niederlaſſungen an allen Ecken und Enden als Rieſenfanale ver- kündeten, daß es ſich um einen wohlvorbereiteten und organiſirten Streich gegen die chriſtliche Cultur handle. Man wußte, daß vor vier Wochen von allen Geſandtſchaften nur mehr drei ſtanden, und daß die übrigen mit ſchwerem Geſchütz von regulären chineſiſchen Truppen und einer nach vielen Tauſenden zählenden Menſchenmaſſen ange- griffen worden waren; es hätte geheißen, an ein halbes Wunder zu glauben, wenn man da noch an die Rettung der Geſandten gedacht hätte. Die chineſiſche gelbe Katze hat die Maus, mit der ſie ſo lang ein blutiges Spiel trieb, zwiſchen ihren Pranken aber doch noch nicht zerriſſen. Heute liegen nicht nur ſehr beſtimmt abgefaßte und ehrenwörtlich unterſtützte Depeſchen vor, die be- richten, daß ſich die Geſandten auf dem Wege nach Tientſin befinden, ſondern auch der Wortlaut eines Bittgeſuches des chineſiſchen Kaiſers an Kaiſer Wilhelm um Friedensver- mittlung, ein Doeument, das geradezu eine Narrheit bedeuten würde, wenn der Pöbel ſich außer an Ketteler auch an den übrigen Geſandten vergriffen hätte. — Warum der Blutdurſt der fremdenfeindlichen Fanatiker ſich nicht in der Ab- ſchlachtung der zuſammengeſchmolzenen kleinen Fremdencolonie gefättigt hat, während er außer- halb Peking ungeſtört ſeine brüllenden Orgien weiterfeiert, iſt für Europa heute noch ein Räthſel. Es mag uns vorderhand genug ſein, heute endlich einmal etwas von der freund- lichen Hoffnung zu empfinden, Jemand gerettet zu ſehen, dem man ſein tiefſtes Mitleid für ſein grauſiges Los geſchenkt hatte. Die letzte Un- gewißheit über das Schickſal der Geſandten muß ſich in den allernächſten Tagen heben und heute haben wir endlich Grund zur Freude, daß uns vielleicht doch nur ein räthſelhaftes Lügengewebe mit ſeinen Todesphantaſien bisher genarrt hat. Doch damit ändert ſich die Weltlage nicht. Es mag, wenn die Geſandten leben, einer der Gründe für die empörte Entrüſtung über die chineſiſchen Barbareien der letzten Wochen eliminirt ſein, aber über die Thatſache darf man ſich doch nicht hinwegtäuſchen, daß trotzdem China im wil- deſten Aufſtand gegen Alles, wodurch es bisher mit Europa verbunden war, begriffen iſt. — Die blühenden Miſſionen ſind in Aſche gelegt, die Handelsverbindungen ſind zerſtört und gewaltige Truppenkörper ſtehen in offener Feldſchlacht gegen die Europäer. Da gibt es keine Friedensangebote. Ent- weder iſt Kaiſer Kwangſu ein Ohnmächtiger vor Re- bellen oder ein willfähriges Werkzeug in den Händen verſchlagener Heuchler. Die Großmächte haben ſich mit den Thatſachen abzufinden, daß China ſich in factiſchem Kriegszuſtande gegen ſie befindet. Anders ſteht die Frage, wenn wir uns nach den Ausſichten der europäiſchen Militäraction umſehen. Bereits werden von ſehr anſehnlicher Seite Stimmen laut, daß es mit Ausnahme Deutſchlands keine der führenden Mächte mit ihren Maßregeln in Tientſin ernſt meine, weder England und Rußland, und ein Kenner ſagt von Deutſchland, es werde mit ſeinen Ver- ſtärkungen für China zu ſtark, um eine zweite, zu ſchwach ſein, um eine erſte Rolle zu ſpielen. — Und wenn wir von den düſteren Geſchehniſſen nach der Erſtürmung von Tientſin hören und die bisher unwiderſprochene Conſtatirung vernehmen, daß europäiſche Soldaten aller Nationen die er- ſtürmte Stadt geplündert und die öffent- lichen Schatzkammern ausgeraubt haben, dann zweifeln wir, wie dieſer Kampf gegen die Barbarei enden wird. Die hyperfeine Civiliſation der Moderne ſcheint ſich drüben am Stillen Ocean ein gemüthliches Café chantant errichten zu wollen, wo die Tugendſame hofft, von den Opfern moderner Geſittung und Enthaltſamkeit ſich un- bemerkt erholen zu können. Das iſt tieftraurig. Sind auch die Geſandten gerettet, ſo haben wir doch Anlaß, um das Ende dieſes Kampfes ſehr beſorgt zu ſein. Tarali—Erlanger. Zur Ehre der Armee und des Offi- ciersſtandes traten wir in der Affaire Tacoli ſo entſchieden gegen den Duellzwang auf. Wir ſchätzen die Armee und unſer Officierscorps viel zu hoch und würdigen deſſen Bedeutung viel zu ſehr, als daß wir nicht Front machten gegen Alles, was der Ehre dieſes Standes zuwiderlaufen und ihm das An- ſehen oder die Sympathien der Bevölkerung auch nur verkürzen könnte. Und nicht zum Mindeſten des- halb erheben wir Tag um Tag den Ruf: Fort mit dem Duellzwang in der Armee! Es kann der Armee und dem Officierscorps nicht zur Ehre und zum Nutzen gereichen, wenn man den Officieren das zur Pflicht macht, was durch das fünfte Gebot Gottes, durch das allgemein giltige Staatsgeſetz, durch das militäriſche Strafgeſetzbuch als Verbrechen verboten und unter ſchwere Strafe geſtellt iſt, wenn man die Officiere zwingt, die verletzte Ehre durch ein Verbrechen zu repariren, durch eine Handlung, die nicht einmal an ſich geeignet iſt, die verletzte Ehre wieder gut zu Feuilleton. Militäriſche Stimmen über das Duell in der Armee ſind um ſo gewichtiger, als faſt nur noch in der Armee, nicht bei allen Officieren, ſondern zumeiſt bei den älteren, in den alten Traditionen und Vorurtheilen aufgewachſenen Mitgliedern des Officierscorps, die Stimmung für das Duell und gegen die durch die neueſten Ereigniſſe als dringend nothwendig erwieſene Aufhebung des Duellzwanges iſt. Ausſprüche berühmter Philoſophen, Rechtslehrer, Geſchichtsforſcher, welche das Duell in jedem Falle ver- dammen, machen auf Militärkreiſe keinen Eindruck; der Civiliſt, ſo heißt es dann, erkennt eben nicht die Beſonderheit der Officiersehre. Was aber dann, wenn ſelbſt hervorragende Herrſcher und Feldherren dieſe Zweikampfsunſitte verwerfen? Von Guſtav Adolph, deſſen militäriſches Be- wußtſein wohl Niemand bezweifelt, erzählt ſein Bio- graph Garte: „Als in den Jahren 1626—1629 das Duell in der ſchwediſchen Armee ſehr einriß, ſelbſt unter gemeinen Soldaten, erließ der König eine ſtrenge Ordre, welche jede Uebertretung mit der Todes- ſtrafe bedrohte. Da entſtand ein Zwiſt zwiſchen zwei hohen Officieren. Sie gingen vor den König ſelbſt, um ihn zu bitten, ein Duell zwiſchen ihnen zu geſtatten. Der König ging endlich darauf ein. Am beſtimmten Tage traf er an dem verabredeten Platze ein, jedoch mit einer Abtheilung — Infanterie! — „Wohlan!“, rief er, „nun fechtet, bis einer bleibt!“ Zugleich aber erging der Befehl an den Profoß, wenn der eine gefallen ſei, ſolle dem andern ſofort vor ſeinen Augen der Kopf abgeſchlagen werden. Auf dies hin ſtanden die tapferen Degen ab von dem Duell und baten den König um Verzeihung. Kaiſer Matthias ſagte: „Durch Duell wird das Ziel und Ende der ritterlichen und adeligen Tugenden, auch alter deutſcher Redlichkeit, welche in dieſen Exceſſen gar nicht, ſondern in der Ehrbarkeit und erlaubten Tapferkeit beſteht, mit nichten erhalten“. Kaifer Joſef II. ſchreibt an den Staatsminiſter von Lascy: „Ich will und leide keinen Zweikampf in meinem Heere, verachte die Grundſätze derjenigen, welche ihn vertheidigen, zu recht- fertigen ſuchen und ſich mit kaltem Blute durchbohren. Ich halte einen ſolchen Menſchen für nichts beſſer, als einen römiſchen Gladiator. Eine ſolche barbariſche Gewohnheit, die dem Jahrhundert der Tamerlans und Bajazets angemeſſen iſt, und die ſo oft traurige Wirkungen auf einzelne Familien gehabt, will ich unterdrückt und beſtraft wiſſen, und ſollte es die Hälfte meiner Offiziere mir rauben ....“ Napoleon I. ſagt einmal: „Latour-d’Auvergne, der Tapferſte der Tapfern, hat ſich nie duellirt.“ Friedrich II., der Abgott der Offiziere, entließ einen Offizier mit den Worten: „Ich liebe tapfere Offiziere, aber Scharfrichter kann ich in meiner Armee nicht brauchen.“ Blücher und Gneiſenau erließen 1818 eine Er- klärung, in welcher ſie das Duell als durchaus uner- laubt und unehrenhaft brandmarkten und für ihre untergebenen Offiziere in ſcharfen Worten verboten. Friedrich Wilhelm III. von Preußen bemerkt einmal: „Das Leben der Offiziere iſt der Vertheidigung des Thrones und des Vaterlandes geweiht, und wer dasſelbe um einen kleinlichen Zwiſt einſetzt, beweiſt, daß er ſich ſeiner ernſten Beſtimmung nicht bewußt iſt und nicht die ſittliche Haltung zu behaupten weiß, welche auf Sittlichkeit und wahrem Ehr- gefühl beruht.“ König Johann von Sachſen, der berühmte Dante-Ueberſetzer, nimmt in ſeiner Novelle „Der Entehrte“ entſchieden Stellung gegen die Officiers- duelle Prinz Albert von England, der Gemahl Victoria’s, ſchaffte das Duell in der engliſchen Armee ab, „als eines Gentleman unwürdig.“ 1844 erfuhren die Kriegsartikel folgende Aenderung, daß es „dem Charakter von Ehrenmännern für an- gemeſſen erklärt wurde, für verübtes Unrecht oder Be- leidigungen ſich zu entſchuldigen und ſich bereit zu er- klären, das begangene Unrecht wieder gut zu machen und ebenſo für den gekränkten Theil, für das ihm widerfahrene Unrecht offen und herzlich eine Er- klärung und Entſchuldigung anzunehmen.“ „Hier wäre“ ſo ſchreibt das „Bayr. Vaterland“ für den deutſchen Kaiſer ein Feld, mit einem Federſtrich eine Unſitte zu beſeitigen, die die Religion, die Moral, das Recht und die Geſchichte mit Rechtverdammt.“ Und wir haben ſchon wiederholt erklärt, daß wir den Ruhm, den Duellzwang zuerſt beſeitigt zu haben, als glorreiche That unſerem katholiſchen öſterreichiſchen Kaiſer wünſchen. [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]

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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 168, Wien, 26.07.1900, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost168_1900/1>, abgerufen am 12.11.2024.