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Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899.

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Wien, Dienstag Reichspost 26. September 1899 219

[Spaltenumbruch]

besitzen, über nationale und staatsrechtliche, über
unösterreichische und umstürzlerische Intransigenten
zur Tagesordnung übergehen zu können, es wird
die Völker auf seiner Seite finden, die die
Parteien schon willig machen werden, soweit sie
es nicht sind. Ob dieser Premier sich finden wird,
ob man ihn finden will, das werden die
nächsten Tage, vielleicht schon die nächsten Stunden
lehren.




Politische Rundschau.


Oesterreich-Ungarn.
Der Cabinetswechsel.

Das Ministerium
Thun-Kaizl-Dipauli führt nach seiner Demission,
deren Annahme der Kaiser sich vorbehalten hat,
die aber für sicher gilt, die Regierungsgeschäfte
provisorisch bis zur Ernennung eines neuen
Ministeriums weiter. Die Entscheidung der
Krone wird in Bälde erwartet. Graf Thun
rüstet sich zur Heimkehr nach Tetschen; Doctor
Kaizl will, was wir nicht recht glauben, wieder
einfaches Mitglied des Jungczechenclubs werden,
statt ein gut dotirtes Staatsamt anzustreben;
Baron Dipauli hält sich für eine neue Minister-
combination bereit, ohne jedoch viel Aussicht auf
Erfolg zu haben, da wohl alle mit der Ver-
antwortung für die § 14-Arbeit belasteten Ex-
cellenzen der neuen Entwicklung am besten ganz
aus dem Wege gehen.

Der letzte Anstoß zum Minister-
wechsel
wird, wie wir vorige Woche wiederholt
anführten, thatsächlich dem Leiter unseres
äußeren Amtes, dem Grafen Goluchowski, zu-
geschrieben. Derselbe hatte ja seit neuester Zeit alle
Ursache, die gefährlich wachsende Verwirrung der
inneren Lage als für das äußere Ansehen unserer
Monarchie und seine Bündnißfähigkeit be-
denklich anzusehen. Um der engherzigen Jung-
czechenpolitik willen, welcher sich auf Drängen des
Dr. Kaizl das Cabinet Thun seit anderthalb
Jahren leider viel zu sehr zur Verfügung gestellt
hat, kann doch unmöglich das Staatsgefüge in
Frage gestellt werden. Graf Goluchowski sowohl
wie der Reichskriegsminister Baron Krieghammer
wollten nur vor verfassungmäßig,
also im Parlament herkömmlich gewählten
Delegationen, ihre Ressort-Angelegenheiten ver-
treten.

Vor Rücksichtnahme auf die gerechten For-
derungen der deutschen Gesammt-Opposition
bestand aber für legale, parlamentarische
Delegationswahlen absolut keine Aussicht. Der
jungezechische Finanzminister Dr. Kaizl rieth
darum im Cabinetsrathe eine willkürliche
Umgehung
dahin an, daß bei obstructioneller
Verhinderung einfach auf die vorjährigen
Delegirten zurückgegriffen werden möge. Das
Cabinet Thun fand thatsächlich keinen anderen
Ausweg oder wollte ihn nicht finden. Die Auf-




und Uebermuth unsere Wünsche mißachtest." In
der Nacht war der Sohn verschwunden und blieb
verschollen.

Der Mutter Haare waren inzwischen weiß
geworden und des Vaters Rücken hatte sich unter
der Last der Sorgen und Arbeiten gekrümmt.
Bleich und hohl lag im Angesichte das tiefe Weh
ihrer Seele: es durchfurchte die einst so frischen,
gesunden Wangen, die Wurzeln reckten sich und
streckten sich im ganzen Leibe und zehrten am
Lebensmarke. "Er kann kein Glück haben auf der
Welt, weil er so von uns gegangen ist. Des
Vaters Segen baut den Kindern Häuser auf, und
er ist fort ohne unsern Segen." So redete die
Mutter zum Vater eines Sonntags Nachmittag,
als sie allein saßen in der weiten Stube. "Gott
wird ihn noch zwingen, sich den Segen zu holen,
Mutter, wenn er noch am Leben ist, der Franz",
erwiderte traurig der Vater. -- "Ich glaube halt
immer, daß er schon gestorben ist, weil's jetzt schon
bald 10 Jahre sind. -- Ehre Vater und Mutter,
auf daß du lange lebest, und es dir wohl ergehe
auf Erden!" sprach sie leise wie zu sich selber. --
Eine Thräne rollte um die andere herab auf die
knochendürren Hände, die im Schoße lagen. "Er
wird noch einmal zu uns kommen, Mutter, ich
glaube nicht, daß er todt ist, es hätte doch irgend-
woher die Todtennachricht kommen müßen", meinte
der Vater und griff nach der Holzpfeife, um sie
in Brand zu stecken und sich damit die schweren
Sorgen und das tiefe Leid zu verscheuchen.

(Schluß folgt.)


[Spaltenumbruch]

fassung des Finanzministers Kaizl mußte aber
als verfassungswidrig beurtheilt werden. Darum
protestirte, wie man mittheilt, dagegen sowohl
der Minister des Aeußern, der in diesem
Sinne den Kaiser informirte, wie Ungarn's Mi-
nisterpräsident, der nur eine legal gewählte öster-
reichische Delegation anerkennen wollte. Möglicher-
weise haben die Conferenzen zwischen Chlumecky
und Baron Szell in Ratot die Entscheidung für
Ungarn's Stellung eingeleitet.

Damit war das Schicksal des Ministeriums
Kaizl, genannt Thun, entschieden und die nun un-
ausweichliche Demission zur Frage weniger Tage
gemacht. Das verrieth auch die Schwenkung des
"Fremdenblatt". Ein Nachgeben gegen Doctor
Kaizl's Rathschlag, welch Letzterer die Sprachen-
verordnungen und die czechischen Postulate um
jeden Preis retten wollte, hätte übrigens die
Bahn zu politisch-uferlosen Zuständen in
Oesterreich eröffnet. Darum erfolgte am 23. d. M.
die Abdankang des Cabinets, als auch über die
Einmüthigkeit der deutschen Opposition und deren
einstimmige Ablehnung der Doctor v.
Fuchs'schen Verständigungsconferenz kein Zweifel
mehr übrigblieb.

Das künftige Ministerium.

Seit Samstag
überstürzt sich die Sensationspresse, die jüdische aus
Berechnung für Israels Sonderinteressen, die nicht-
jüdische aus Neuigkeits-Hascherei, damit eine Masse der
buntscheckigsten Ministerlisten aufzustellen, als hätte
sich der Kaiser, in dessen Händen allein die Ent-
scheidung liegt, ihre Rathschläge erbeten. Sicher ist
bis jetzt nur, daß Fürst Alfred Liechtenstein, der die
Aufhebung der Sprachenverordnungen für unerläßlich
ansieht, vom Kaiser vorläufig damit betraut wurde,
ein neues Cabinet vorzuschlagen. Fürst Alfred
Liechtenstein plant angeblich ein Ministerium, das,
auf eine Mittelpartei sich stützend, den
Deutschen ihr Recht zurückgäbe, die Czechen aber von
wilder Obstruction zurückhielte. Diese Aufgabe ist überaus
schwierig, weil die Jungczechen mit dem Alleräußersten
drohen, wenn ihnen die Beute der Sprachenver-
ordnungen, die Badeni ihnen als Grundlage der
Nationalstaatsforderung gab, wieder entrissen würde,
und weil sofort auch die Quertreibereien der jüdischen
Großpresse begonnen haben, die jeder Neuordnung stets
opponirt und Verwirrung säet, wenn dabei nicht
Israels Macht gefördert wird.

Darum bezeichnete diese Presse schon gestern
die Mission des Fürsten Alfred Liechtenstein als ge-
scheitert,
ohne daß bis heute dafür eine Be-
stätigung vorliegt. Die Berathungen dauern im Gegen-
theil fort.

Die Jungczechen verharren auf ihrem
starren Standpunkte, und ihre Presse sucht durch
Drohungen nach allen Seiten hin einschüchternd zu
wirken. Eine Kundgebung der czechischen Abgeordneten
in Prag verkündete gestern, daß der Czechenclub ent-
schiedenst die Zumuthung zurückweise, als ob die
czechischen Ageordneten geneigt wären, einem Drucke
befreundeter Parteien der Rechten nachzugeben und
grundsätzliche Zugeständnisse in sprachlicher Hin-
sicht zu machen. Das czechische Volk dürfe nicht daran
zweifeln, daß seine Abgeordneten nicht von der Linie
abweichen werden, die sie sich mit ihrer Prager Reso-
lution vom 16. d. M. gezogen haben.

Die Prager "Politik" versichert: "Die Situa-
tion gestaltet sich gerade für die czechischen Vertreter
äußerst schwierig. Sie kann gerettet, aber auch durch ver-
fehlte Taktik auf unabsehbare Zeiten ruinirt werden."

"Narodni Listy" dagegen drohen: "Wir
wissen in diesem Augenblicke nicht, wie die Entscheidung
ausfällt; das aber wissen wir, daß nicht nur die
czechischen Abgeordneten, sondern auch
das ganze czechische Volk durch die Wendung,
die sich vorbereitet, ledig aller Rücksichten
gegenüber unseren nationalen Brüdern, für die Rechte
ihrer Sprache und ihrer Nation überall und
gegen Jedermann
den schärfsten
Kampfführen
werden, die sie antasten."

Vernünftiger urtheilen dagegen czechische Blätter
Mährens. Der Brünner "Hlas" warnt dringend vor
Obstruction und Abstinenz. Das Blatt schreibt: Obstruction
seitens der czechischen Abgeordneten würde nicht, wie
jene der Deutschen, die Wiener Gasse für sich, sondern
gegen sich haben. Deshalb sei es nichts mit der
Obstruction. Es bleibe nur die Frage der Absti-
nenz
offen, deren Aussichtslosigkeit aber
bekannt sei. Die czechischen Abgeordneten stehen also
vor der Frage, entweder der Aufhebung
der Sprachenverordnungen zuzu-
stimmen
und in der Mehrheit zu bleiben, oder die
Aufhebung der Sprachenverordnungen abzulehnen,
diese aber trotzdem aufgehoben zu sehen und in die
Opposition oder Abstinenz einzutreten. Das Beste sei
der goldene Mittelweg. Die czechischen Abgeord-
neten möchten sich also gegenüber einer zeitlichen Auf-
hebung der Sprachenverordnungen unter der Voraus-
setzung eines gerechten Sprachengesetzes passiv
verhalten.

Auf solche vernünftige Einsicht in
czechischen Kreisen rechnet Fürst Alfred Liechtenstein,
dessen geplante Mittelpartei sowohl die ver-
fassungstreuen als die feudalen Großgrundbesitzer, die
Polen, die von Dr. Kathrein geführten deutschconser-
[Spaltenumbruch] vative Gruppe und überhaupt die gemäßigten Gruppen
von links und rechts enthalten soll. Darüber werden seit
gestern ernstliche Unterhandlungen geführt, an denen
sich hervorragend auch Graf Oswald Thun, der
Führer des deutschliberalen Großgrundbesitzes, betheiligt.

Diese mittelparteiliche Gruppirung soll
zunächst die parlamentarische Indemnität für den nach
Auffassung der Krone unabänderlichen § 14-Ausgleich
mit Ungarn herbeiführen, die aufzuhebenden Sprachen-
verordnungen durch ein Nationalitäten- und Sprachen-
gesetz für Oestereich, das dem deutschen Pfingstgrogramm
ernst Rechnung trägt, möglichst bald ersetzen, die vielen
parlamentarischen Rückstände erledigen und kräftig an
die großen zeitgemäßen Reform-Aufgaben herantreten.

Gelingt dem Fürsten Alfred Liechtenstein oder
einem Anderen eine Cabinetsbildung solcher Structur
für diese Aufgaben nicht, dann soll die Bildung
eines Uebergangs-Ministeriums mit
dem Statthalter von Steiermark, dem Grafen Clary
oder einem Anderen an der Spitze, versucht werden.
Ein bloßes Beamtenministerium perhorrescirt auch die
den Jungczechen stets gefällige Ebenhoch-Gruppe, die
seit der Krisis des jetzigen Systems sich sehr reser-
virt hält.

Ist auch ein Uebergangs-Ministerium nicht durch-
führbar, dann stehen, da ein jüdisch-liberales Partei-
Ministerium an höchster Stelle direct ausgeschlossen
und überhaupt bestandsunfähig ist, innere Umgestal-
tungen der weitreichendsten Art in Aussicht, zu deren
Durchführung möglicher Weise wieder Graf Thun in
Betracht käme.

Reminiscenzen.

Wie sich die Gesinnung im
Ministerfrack ändert, dafür hat namentlich der jung-
czechische Finanzminister Dr. Kaizl starke Proben
gegeben. Nach seiner Einführung der drückenden Er-
höhung der Zuckersteuer und des P[e]troleumzolles wurde
daran erinnert, daß Dr. Kaizl, der seine drastische
Verurtheilung des Zeitungsstempels als Minister
völlig vergessen hat, in früherer Zeit jede
Consumsteuer-Vergrößerung offen als "Verbrechen
am Volke" bezeichnet habe. Jetzt aber erinnern ihn
Prager deutsche Blätter, daß er unmittelbar vor seinem
Eintritte ins Ministerum im officiellen Cluborgan der
Jungczechen für die Aufhebung der
Gautsch'schen Sprachenverordnungen
plaidirt
habe, indem er schrieb: "Die Hoch-
schulen in Prag sind getheilt, das Schulwesen
überhaupt ist auf nationale Grundlage
gestellt worden. Ueberall in der Kunst und der
Wissenschaft und in allen Institutionen wird gegen die
Doppelsprachigkeit und für eigene nationale
Typen
gekämpft, und nur die Behörden und die
Beamten sollten zweisprachig bleiben? Darin liegt ein
Widerspruch, und ich beschränke mich darauf, ihn
zu constatiren." So ändern sich Grundsätze und An-
schauungen um ministerieller Beneficien willen.

Zur Lage

Die Vertreter der deutschen Opposition,
welche Fürst Alfred Lichtenstein in Sachen der
Cabinets-Neubildung sondiren ließ, weisen auf ihre in der
Obmännerconferenz gegebenen gemeinsamen Erklärungen
hin, die bekanntlich außer der Zurückziehung der
Sprachenverordnungen auch verlässige Bürgschaften
für die Deutschen anläßlich eines Systemswechsels
fordern.

Unter den ernsten Candidaten für ein neues
dauerhaftes Cabinet werden die Abgeordneten Grab-
mayr, den der Kaiser in Meran so wohlwollend an-
sprach, ferner Dr. Pattai und der Handelsminister des
Cabinets Gautsch, Dr. v. Körber, genannt. Im
Uebrigen halten sich die deutschen Parteien der Gemein-
bürgschaft abwartend zurück, so lange noch das Mini-
sterium Thun amtirt.

Der ungarische Reichstag tritt am 28. d.
zusammen. Ministerpräsident Szell ist Sonntag, den
24. d., hier in Wien eingetroffen, offenbar um Klar-
heit über den Stand der diesseitigen Ministerkrise so-
wie der Indemnitätsaussichten für den Ausgleich zu
erhalten. Jedenfalls wird er dabei auch auf die im Reichs-
tage bevorstehenden Stürme vorbereiten, welche gelegentlich
der radicalen Interpellation über die Wiederaufrichtung
des Hentzi-Denkmals und über die Honvedbetheiligung an
der Weihe dieses Monumentes zu erwarten sind.
Von Seite der Kossuth-Partei wird auch die officielle
Betheiligung des Reichstages und der Regierungskreise
an der Jahresseier der Hinrichtung der 1848er Rebellen-
führer, der sogenannten "Märtyrer der Nation", für den
6. October gefordert werden. Man sieht, der magyarische
Radicalismus geht in der Rücksichtslosigkeit gegen das Haus
Habsburg geradezu unverschämt vorwärts. Man darf
gespannt sein, wie das Ministerium Szell sich dazu
stellen, und welche "patriotische" Erklärungen es dabei
abgeben wird. Ministerprästdent Szell, der gestern im
Laufe des Vormittags in Wien mit dem General-
gouverneur der Oesterreichisch-Ungarischen Bank Dr.
v. Kautz conferirte, wurde heute Montag vom
Kaiser in Audienz empfangen.

Gestern berief der Kaiser den Führer des ver-
fassungstreuen Großgrundbesitzes, den Grafen Oswald
Thun nach Schönbrunn zu besonderer Audienz. Der-
selbe verweilte über eine Stunde beim Monarchen.
Ebenso hatte Reichs-Finanzminister v. Kallay gestern
Nachmittags eine längere Audienz beim Kaiser.
Der Minister des Aeußern Graf Goluchowski erschien
gestern mehrmals beim Kaiser. Auch Freiherr von
Chlumecky ist wieder nach Wien berufen worden.
Ministerpräsident Graf Thun wurde gegen Mittag
vom Kaiser in Audienz empfangen.


Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. September 1899 219

[Spaltenumbruch]

beſitzen, über nationale und ſtaatsrechtliche, über
unöſterreichiſche und umſtürzleriſche Intranſigenten
zur Tagesordnung übergehen zu können, es wird
die Völker auf ſeiner Seite finden, die die
Parteien ſchon willig machen werden, ſoweit ſie
es nicht ſind. Ob dieſer Premier ſich finden wird,
ob man ihn finden will, das werden die
nächſten Tage, vielleicht ſchon die nächſten Stunden
lehren.




Politiſche Rundſchau.


Oeſterreich-Ungarn.
Der Cabinetswechſel.

Das Miniſterium
Thun-Kaizl-Dipauli führt nach ſeiner Demiſſion,
deren Annahme der Kaiſer ſich vorbehalten hat,
die aber für ſicher gilt, die Regierungsgeſchäfte
proviſoriſch bis zur Ernennung eines neuen
Miniſteriums weiter. Die Entſcheidung der
Krone wird in Bälde erwartet. Graf Thun
rüſtet ſich zur Heimkehr nach Tetſchen; Doctor
Kaizl will, was wir nicht recht glauben, wieder
einfaches Mitglied des Jungczechenclubs werden,
ſtatt ein gut dotirtes Staatsamt anzuſtreben;
Baron Dipauli hält ſich für eine neue Miniſter-
combination bereit, ohne jedoch viel Ausſicht auf
Erfolg zu haben, da wohl alle mit der Ver-
antwortung für die § 14-Arbeit belaſteten Ex-
cellenzen der neuen Entwicklung am beſten ganz
aus dem Wege gehen.

Der letzte Anſtoß zum Miniſter-
wechſel
wird, wie wir vorige Woche wiederholt
anführten, thatſächlich dem Leiter unſeres
äußeren Amtes, dem Grafen Goluchowski, zu-
geſchrieben. Derſelbe hatte ja ſeit neueſter Zeit alle
Urſache, die gefährlich wachſende Verwirrung der
inneren Lage als für das äußere Anſehen unſerer
Monarchie und ſeine Bündnißfähigkeit be-
denklich anzuſehen. Um der engherzigen Jung-
czechenpolitik willen, welcher ſich auf Drängen des
Dr. Kaizl das Cabinet Thun ſeit anderthalb
Jahren leider viel zu ſehr zur Verfügung geſtellt
hat, kann doch unmöglich das Staatsgefüge in
Frage geſtellt werden. Graf Goluchowski ſowohl
wie der Reichskriegsminiſter Baron Krieghammer
wollten nur vor verfaſſungmäßig,
alſo im Parlament herkömmlich gewählten
Delegationen, ihre Reſſort-Angelegenheiten ver-
treten.

Vor Rückſichtnahme auf die gerechten For-
derungen der deutſchen Geſammt-Oppoſition
beſtand aber für legale, parlamentariſche
Delegationswahlen abſolut keine Ausſicht. Der
jungezechiſche Finanzminiſter Dr. Kaizl rieth
darum im Cabinetsrathe eine willkürliche
Umgehung
dahin an, daß bei obſtructioneller
Verhinderung einfach auf die vorjährigen
Delegirten zurückgegriffen werden möge. Das
Cabinet Thun fand thatſächlich keinen anderen
Ausweg oder wollte ihn nicht finden. Die Auf-




und Uebermuth unſere Wünſche mißachteſt.“ In
der Nacht war der Sohn verſchwunden und blieb
verſchollen.

Der Mutter Haare waren inzwiſchen weiß
geworden und des Vaters Rücken hatte ſich unter
der Laſt der Sorgen und Arbeiten gekrümmt.
Bleich und hohl lag im Angeſichte das tiefe Weh
ihrer Seele: es durchfurchte die einſt ſo friſchen,
geſunden Wangen, die Wurzeln reckten ſich und
ſtreckten ſich im ganzen Leibe und zehrten am
Lebensmarke. „Er kann kein Glück haben auf der
Welt, weil er ſo von uns gegangen iſt. Des
Vaters Segen baut den Kindern Häuſer auf, und
er iſt fort ohne unſern Segen.“ So redete die
Mutter zum Vater eines Sonntags Nachmittag,
als ſie allein ſaßen in der weiten Stube. „Gott
wird ihn noch zwingen, ſich den Segen zu holen,
Mutter, wenn er noch am Leben iſt, der Franz“,
erwiderte traurig der Vater. — „Ich glaube halt
immer, daß er ſchon geſtorben iſt, weil’s jetzt ſchon
bald 10 Jahre ſind. — Ehre Vater und Mutter,
auf daß du lange lebeſt, und es dir wohl ergehe
auf Erden!“ ſprach ſie leiſe wie zu ſich ſelber. —
Eine Thräne rollte um die andere herab auf die
knochendürren Hände, die im Schoße lagen. „Er
wird noch einmal zu uns kommen, Mutter, ich
glaube nicht, daß er todt iſt, es hätte doch irgend-
woher die Todtennachricht kommen müßen“, meinte
der Vater und griff nach der Holzpfeife, um ſie
in Brand zu ſtecken und ſich damit die ſchweren
Sorgen und das tiefe Leid zu verſcheuchen.

(Schluß folgt.)


[Spaltenumbruch]

faſſung des Finanzminiſters Kaizl mußte aber
als verfaſſungswidrig beurtheilt werden. Darum
proteſtirte, wie man mittheilt, dagegen ſowohl
der Miniſter des Aeußern, der in dieſem
Sinne den Kaiſer informirte, wie Ungarn’s Mi-
niſterpräſident, der nur eine legal gewählte öſter-
reichiſche Delegation anerkennen wollte. Möglicher-
weiſe haben die Conferenzen zwiſchen Chlumecky
und Baron Szell in Ratot die Entſcheidung für
Ungarn’s Stellung eingeleitet.

Damit war das Schickſal des Miniſteriums
Kaizl, genannt Thun, entſchieden und die nun un-
ausweichliche Demiſſion zur Frage weniger Tage
gemacht. Das verrieth auch die Schwenkung des
„Fremdenblatt“. Ein Nachgeben gegen Doctor
Kaizl’s Rathſchlag, welch Letzterer die Sprachen-
verordnungen und die czechiſchen Poſtulate um
jeden Preis retten wollte, hätte übrigens die
Bahn zu politiſch-uferloſen Zuſtänden in
Oeſterreich eröffnet. Darum erfolgte am 23. d. M.
die Abdankang des Cabinets, als auch über die
Einmüthigkeit der deutſchen Oppoſition und deren
einſtimmige Ablehnung der Doctor v.
Fuchs’ſchen Verſtändigungsconferenz kein Zweifel
mehr übrigblieb.

Das künftige Miniſterium.

Seit Samſtag
überſtürzt ſich die Senſationspreſſe, die jüdiſche aus
Berechnung für Iſraels Sonderintereſſen, die nicht-
jüdiſche aus Neuigkeits-Haſcherei, damit eine Maſſe der
buntſcheckigſten Miniſterliſten aufzuſtellen, als hätte
ſich der Kaiſer, in deſſen Händen allein die Ent-
ſcheidung liegt, ihre Rathſchläge erbeten. Sicher iſt
bis jetzt nur, daß Fürſt Alfred Liechtenſtein, der die
Aufhebung der Sprachenverordnungen für unerläßlich
anſieht, vom Kaiſer vorläufig damit betraut wurde,
ein neues Cabinet vorzuſchlagen. Fürſt Alfred
Liechtenſtein plant angeblich ein Miniſterium, das,
auf eine Mittelpartei ſich ſtützend, den
Deutſchen ihr Recht zurückgäbe, die Czechen aber von
wilder Obſtruction zurückhielte. Dieſe Aufgabe iſt überaus
ſchwierig, weil die Jungczechen mit dem Alleräußerſten
drohen, wenn ihnen die Beute der Sprachenver-
ordnungen, die Badeni ihnen als Grundlage der
Nationalſtaatsforderung gab, wieder entriſſen würde,
und weil ſofort auch die Quertreibereien der jüdiſchen
Großpreſſe begonnen haben, die jeder Neuordnung ſtets
opponirt und Verwirrung ſäet, wenn dabei nicht
Iſraels Macht gefördert wird.

Darum bezeichnete dieſe Preſſe ſchon geſtern
die Miſſion des Fürſten Alfred Liechtenſtein als ge-
ſcheitert,
ohne daß bis heute dafür eine Be-
ſtätigung vorliegt. Die Berathungen dauern im Gegen-
theil fort.

Die Jungczechen verharren auf ihrem
ſtarren Standpunkte, und ihre Preſſe ſucht durch
Drohungen nach allen Seiten hin einſchüchternd zu
wirken. Eine Kundgebung der czechiſchen Abgeordneten
in Prag verkündete geſtern, daß der Czechenclub ent-
ſchiedenſt die Zumuthung zurückweiſe, als ob die
czechiſchen Ageordneten geneigt wären, einem Drucke
befreundeter Parteien der Rechten nachzugeben und
grundſätzliche Zugeſtändniſſe in ſprachlicher Hin-
ſicht zu machen. Das czechiſche Volk dürfe nicht daran
zweifeln, daß ſeine Abgeordneten nicht von der Linie
abweichen werden, die ſie ſich mit ihrer Prager Reſo-
lution vom 16. d. M. gezogen haben.

Die Prager „Politik“ verſichert: „Die Situa-
tion geſtaltet ſich gerade für die czechiſchen Vertreter
äußerſt ſchwierig. Sie kann gerettet, aber auch durch ver-
fehlte Taktik auf unabſehbare Zeiten ruinirt werden.“

„Narodni Liſty“ dagegen drohen: „Wir
wiſſen in dieſem Augenblicke nicht, wie die Entſcheidung
ausfällt; das aber wiſſen wir, daß nicht nur die
czechiſchen Abgeordneten, ſondern auch
das ganze czechiſche Volk durch die Wendung,
die ſich vorbereitet, ledig aller Rückſichten
gegenüber unſeren nationalen Brüdern, für die Rechte
ihrer Sprache und ihrer Nation überall und
gegen Jedermann
den ſchärfſten
Kampfführen
werden, die ſie antaſten.“

Vernünftiger urtheilen dagegen czechiſche Blätter
Mährens. Der Brünner „Hlas“ warnt dringend vor
Obſtruction und Abſtinenz. Das Blatt ſchreibt: Obſtruction
ſeitens der czechiſchen Abgeordneten würde nicht, wie
jene der Deutſchen, die Wiener Gaſſe für ſich, ſondern
gegen ſich haben. Deshalb ſei es nichts mit der
Obſtruction. Es bleibe nur die Frage der Abſti-
nenz
offen, deren Ausſichtsloſigkeit aber
bekannt ſei. Die czechiſchen Abgeordneten ſtehen alſo
vor der Frage, entweder der Aufhebung
der Sprachenverordnungen zuzu-
ſtimmen
und in der Mehrheit zu bleiben, oder die
Aufhebung der Sprachenverordnungen abzulehnen,
dieſe aber trotzdem aufgehoben zu ſehen und in die
Oppoſition oder Abſtinenz einzutreten. Das Beſte ſei
der goldene Mittelweg. Die czechiſchen Abgeord-
neten möchten ſich alſo gegenüber einer zeitlichen Auf-
hebung der Sprachenverordnungen unter der Voraus-
ſetzung eines gerechten Sprachengeſetzes paſſiv
verhalten.

Auf ſolche vernünftige Einſicht in
czechiſchen Kreiſen rechnet Fürſt Alfred Liechtenſtein,
deſſen geplante Mittelpartei ſowohl die ver-
faſſungstreuen als die feudalen Großgrundbeſitzer, die
Polen, die von Dr. Kathrein geführten deutſchconſer-
[Spaltenumbruch] vative Gruppe und überhaupt die gemäßigten Gruppen
von links und rechts enthalten ſoll. Darüber werden ſeit
geſtern ernſtliche Unterhandlungen geführt, an denen
ſich hervorragend auch Graf Oswald Thun, der
Führer des deutſchliberalen Großgrundbeſitzes, betheiligt.

Dieſe mittelparteiliche Gruppirung ſoll
zunächſt die parlamentariſche Indemnität für den nach
Auffaſſung der Krone unabänderlichen § 14-Ausgleich
mit Ungarn herbeiführen, die aufzuhebenden Sprachen-
verordnungen durch ein Nationalitäten- und Sprachen-
geſetz für Oeſtereich, das dem deutſchen Pfingſtgrogramm
ernſt Rechnung trägt, möglichſt bald erſetzen, die vielen
parlamentariſchen Rückſtände erledigen und kräftig an
die großen zeitgemäßen Reform-Aufgaben herantreten.

Gelingt dem Fürſten Alfred Liechtenſtein oder
einem Anderen eine Cabinetsbildung ſolcher Structur
für dieſe Aufgaben nicht, dann ſoll die Bildung
eines Uebergangs-Miniſteriums mit
dem Statthalter von Steiermark, dem Grafen Clary
oder einem Anderen an der Spitze, verſucht werden.
Ein bloßes Beamtenminiſterium perhorrescirt auch die
den Jungczechen ſtets gefällige Ebenhoch-Gruppe, die
ſeit der Kriſis des jetzigen Syſtems ſich ſehr reſer-
virt hält.

Iſt auch ein Uebergangs-Miniſterium nicht durch-
führbar, dann ſtehen, da ein jüdiſch-liberales Partei-
Miniſterium an höchſter Stelle direct ausgeſchloſſen
und überhaupt beſtandsunfähig iſt, innere Umgeſtal-
tungen der weitreichendſten Art in Ausſicht, zu deren
Durchführung möglicher Weiſe wieder Graf Thun in
Betracht käme.

Reminiscenzen.

Wie ſich die Geſinnung im
Miniſterfrack ändert, dafür hat namentlich der jung-
czechiſche Finanzminiſter Dr. Kaizl ſtarke Proben
gegeben. Nach ſeiner Einführung der drückenden Er-
höhung der Zuckerſteuer und des P[e]troleumzolles wurde
daran erinnert, daß Dr. Kaizl, der ſeine draſtiſche
Verurtheilung des Zeitungsſtempels als Miniſter
völlig vergeſſen hat, in früherer Zeit jede
Conſumſteuer-Vergrößerung offen als „Verbrechen
am Volke“ bezeichnet habe. Jetzt aber erinnern ihn
Prager deutſche Blätter, daß er unmittelbar vor ſeinem
Eintritte ins Miniſterum im officiellen Cluborgan der
Jungczechen für die Aufhebung der
Gautſch’ſchen Sprachenverordnungen
plaidirt
habe, indem er ſchrieb: „Die Hoch-
ſchulen in Prag ſind getheilt, das Schulweſen
überhaupt iſt auf nationale Grundlage
geſtellt worden. Ueberall in der Kunſt und der
Wiſſenſchaft und in allen Inſtitutionen wird gegen die
Doppelſprachigkeit und für eigene nationale
Typen
gekämpft, und nur die Behörden und die
Beamten ſollten zweiſprachig bleiben? Darin liegt ein
Widerſpruch, und ich beſchränke mich darauf, ihn
zu conſtatiren.“ So ändern ſich Grundſätze und An-
ſchauungen um miniſterieller Beneficien willen.

Zur Lage

Die Vertreter der deutſchen Oppoſition,
welche Fürſt Alfred Lichtenſtein in Sachen der
Cabinets-Neubildung ſondiren ließ, weiſen auf ihre in der
Obmännerconferenz gegebenen gemeinſamen Erklärungen
hin, die bekanntlich außer der Zurückziehung der
Sprachenverordnungen auch verläſſige Bürgſchaften
für die Deutſchen anläßlich eines Syſtemswechſels
fordern.

Unter den ernſten Candidaten für ein neues
dauerhaftes Cabinet werden die Abgeordneten Grab-
mayr, den der Kaiſer in Meran ſo wohlwollend an-
ſprach, ferner Dr. Pattai und der Handelsminiſter des
Cabinets Gautſch, Dr. v. Körber, genannt. Im
Uebrigen halten ſich die deutſchen Parteien der Gemein-
bürgſchaft abwartend zurück, ſo lange noch das Mini-
ſterium Thun amtirt.

Der ungariſche Reichstag tritt am 28. d.
zuſammen. Miniſterpräſident Szell iſt Sonntag, den
24. d., hier in Wien eingetroffen, offenbar um Klar-
heit über den Stand der diesſeitigen Miniſterkriſe ſo-
wie der Indemnitätsausſichten für den Ausgleich zu
erhalten. Jedenfalls wird er dabei auch auf die im Reichs-
tage bevorſtehenden Stürme vorbereiten, welche gelegentlich
der radicalen Interpellation über die Wiederaufrichtung
des Hentzi-Denkmals und über die Honvedbetheiligung an
der Weihe dieſes Monumentes zu erwarten ſind.
Von Seite der Koſſuth-Partei wird auch die officielle
Betheiligung des Reichstages und der Regierungskreiſe
an der Jahresſeier der Hinrichtung der 1848er Rebellen-
führer, der ſogenannten „Märtyrer der Nation“, für den
6. October gefordert werden. Man ſieht, der magyariſche
Radicalismus geht in der Rückſichtsloſigkeit gegen das Haus
Habsburg geradezu unverſchämt vorwärts. Man darf
geſpannt ſein, wie das Miniſterium Szell ſich dazu
ſtellen, und welche „patriotiſche“ Erklärungen es dabei
abgeben wird. Miniſterpräſtdent Szell, der geſtern im
Laufe des Vormittags in Wien mit dem General-
gouverneur der Oeſterreichiſch-Ungariſchen Bank Dr.
v. Kautz conferirte, wurde heute Montag vom
Kaiſer in Audienz empfangen.

Geſtern berief der Kaiſer den Führer des ver-
faſſungstreuen Großgrundbeſitzes, den Grafen Oswald
Thun nach Schönbrunn zu beſonderer Audienz. Der-
ſelbe verweilte über eine Stunde beim Monarchen.
Ebenſo hatte Reichs-Finanzminiſter v. Kallay geſtern
Nachmittags eine längere Audienz beim Kaiſer.
Der Miniſter des Aeußern Graf Goluchowski erſchien
geſtern mehrmals beim Kaiſer. Auch Freiherr von
Chlumecky iſt wieder nach Wien berufen worden.
Miniſterpräſident Graf Thun wurde gegen Mittag
vom Kaiſer in Audienz empfangen.


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[2/0002] Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. September 1899 219 beſitzen, über nationale und ſtaatsrechtliche, über unöſterreichiſche und umſtürzleriſche Intranſigenten zur Tagesordnung übergehen zu können, es wird die Völker auf ſeiner Seite finden, die die Parteien ſchon willig machen werden, ſoweit ſie es nicht ſind. Ob dieſer Premier ſich finden wird, ob man ihn finden will, das werden die nächſten Tage, vielleicht ſchon die nächſten Stunden lehren. Politiſche Rundſchau. Wien, 25 September. Oeſterreich-Ungarn. Der Cabinetswechſel. Das Miniſterium Thun-Kaizl-Dipauli führt nach ſeiner Demiſſion, deren Annahme der Kaiſer ſich vorbehalten hat, die aber für ſicher gilt, die Regierungsgeſchäfte proviſoriſch bis zur Ernennung eines neuen Miniſteriums weiter. Die Entſcheidung der Krone wird in Bälde erwartet. Graf Thun rüſtet ſich zur Heimkehr nach Tetſchen; Doctor Kaizl will, was wir nicht recht glauben, wieder einfaches Mitglied des Jungczechenclubs werden, ſtatt ein gut dotirtes Staatsamt anzuſtreben; Baron Dipauli hält ſich für eine neue Miniſter- combination bereit, ohne jedoch viel Ausſicht auf Erfolg zu haben, da wohl alle mit der Ver- antwortung für die § 14-Arbeit belaſteten Ex- cellenzen der neuen Entwicklung am beſten ganz aus dem Wege gehen. Der letzte Anſtoß zum Miniſter- wechſel wird, wie wir vorige Woche wiederholt anführten, thatſächlich dem Leiter unſeres äußeren Amtes, dem Grafen Goluchowski, zu- geſchrieben. Derſelbe hatte ja ſeit neueſter Zeit alle Urſache, die gefährlich wachſende Verwirrung der inneren Lage als für das äußere Anſehen unſerer Monarchie und ſeine Bündnißfähigkeit be- denklich anzuſehen. Um der engherzigen Jung- czechenpolitik willen, welcher ſich auf Drängen des Dr. Kaizl das Cabinet Thun ſeit anderthalb Jahren leider viel zu ſehr zur Verfügung geſtellt hat, kann doch unmöglich das Staatsgefüge in Frage geſtellt werden. Graf Goluchowski ſowohl wie der Reichskriegsminiſter Baron Krieghammer wollten nur vor verfaſſungmäßig, alſo im Parlament herkömmlich gewählten Delegationen, ihre Reſſort-Angelegenheiten ver- treten. Vor Rückſichtnahme auf die gerechten For- derungen der deutſchen Geſammt-Oppoſition beſtand aber für legale, parlamentariſche Delegationswahlen abſolut keine Ausſicht. Der jungezechiſche Finanzminiſter Dr. Kaizl rieth darum im Cabinetsrathe eine willkürliche Umgehung dahin an, daß bei obſtructioneller Verhinderung einfach auf die vorjährigen Delegirten zurückgegriffen werden möge. Das Cabinet Thun fand thatſächlich keinen anderen Ausweg oder wollte ihn nicht finden. Die Auf- und Uebermuth unſere Wünſche mißachteſt.“ In der Nacht war der Sohn verſchwunden und blieb verſchollen. Der Mutter Haare waren inzwiſchen weiß geworden und des Vaters Rücken hatte ſich unter der Laſt der Sorgen und Arbeiten gekrümmt. Bleich und hohl lag im Angeſichte das tiefe Weh ihrer Seele: es durchfurchte die einſt ſo friſchen, geſunden Wangen, die Wurzeln reckten ſich und ſtreckten ſich im ganzen Leibe und zehrten am Lebensmarke. „Er kann kein Glück haben auf der Welt, weil er ſo von uns gegangen iſt. Des Vaters Segen baut den Kindern Häuſer auf, und er iſt fort ohne unſern Segen.“ So redete die Mutter zum Vater eines Sonntags Nachmittag, als ſie allein ſaßen in der weiten Stube. „Gott wird ihn noch zwingen, ſich den Segen zu holen, Mutter, wenn er noch am Leben iſt, der Franz“, erwiderte traurig der Vater. — „Ich glaube halt immer, daß er ſchon geſtorben iſt, weil’s jetzt ſchon bald 10 Jahre ſind. — Ehre Vater und Mutter, auf daß du lange lebeſt, und es dir wohl ergehe auf Erden!“ ſprach ſie leiſe wie zu ſich ſelber. — Eine Thräne rollte um die andere herab auf die knochendürren Hände, die im Schoße lagen. „Er wird noch einmal zu uns kommen, Mutter, ich glaube nicht, daß er todt iſt, es hätte doch irgend- woher die Todtennachricht kommen müßen“, meinte der Vater und griff nach der Holzpfeife, um ſie in Brand zu ſtecken und ſich damit die ſchweren Sorgen und das tiefe Leid zu verſcheuchen. (Schluß folgt.) faſſung des Finanzminiſters Kaizl mußte aber als verfaſſungswidrig beurtheilt werden. Darum proteſtirte, wie man mittheilt, dagegen ſowohl der Miniſter des Aeußern, der in dieſem Sinne den Kaiſer informirte, wie Ungarn’s Mi- niſterpräſident, der nur eine legal gewählte öſter- reichiſche Delegation anerkennen wollte. Möglicher- weiſe haben die Conferenzen zwiſchen Chlumecky und Baron Szell in Ratot die Entſcheidung für Ungarn’s Stellung eingeleitet. Damit war das Schickſal des Miniſteriums Kaizl, genannt Thun, entſchieden und die nun un- ausweichliche Demiſſion zur Frage weniger Tage gemacht. Das verrieth auch die Schwenkung des „Fremdenblatt“. Ein Nachgeben gegen Doctor Kaizl’s Rathſchlag, welch Letzterer die Sprachen- verordnungen und die czechiſchen Poſtulate um jeden Preis retten wollte, hätte übrigens die Bahn zu politiſch-uferloſen Zuſtänden in Oeſterreich eröffnet. Darum erfolgte am 23. d. M. die Abdankang des Cabinets, als auch über die Einmüthigkeit der deutſchen Oppoſition und deren einſtimmige Ablehnung der Doctor v. Fuchs’ſchen Verſtändigungsconferenz kein Zweifel mehr übrigblieb. Das künftige Miniſterium. Seit Samſtag überſtürzt ſich die Senſationspreſſe, die jüdiſche aus Berechnung für Iſraels Sonderintereſſen, die nicht- jüdiſche aus Neuigkeits-Haſcherei, damit eine Maſſe der buntſcheckigſten Miniſterliſten aufzuſtellen, als hätte ſich der Kaiſer, in deſſen Händen allein die Ent- ſcheidung liegt, ihre Rathſchläge erbeten. Sicher iſt bis jetzt nur, daß Fürſt Alfred Liechtenſtein, der die Aufhebung der Sprachenverordnungen für unerläßlich anſieht, vom Kaiſer vorläufig damit betraut wurde, ein neues Cabinet vorzuſchlagen. Fürſt Alfred Liechtenſtein plant angeblich ein Miniſterium, das, auf eine Mittelpartei ſich ſtützend, den Deutſchen ihr Recht zurückgäbe, die Czechen aber von wilder Obſtruction zurückhielte. Dieſe Aufgabe iſt überaus ſchwierig, weil die Jungczechen mit dem Alleräußerſten drohen, wenn ihnen die Beute der Sprachenver- ordnungen, die Badeni ihnen als Grundlage der Nationalſtaatsforderung gab, wieder entriſſen würde, und weil ſofort auch die Quertreibereien der jüdiſchen Großpreſſe begonnen haben, die jeder Neuordnung ſtets opponirt und Verwirrung ſäet, wenn dabei nicht Iſraels Macht gefördert wird. Darum bezeichnete dieſe Preſſe ſchon geſtern die Miſſion des Fürſten Alfred Liechtenſtein als ge- ſcheitert, ohne daß bis heute dafür eine Be- ſtätigung vorliegt. Die Berathungen dauern im Gegen- theil fort. Die Jungczechen verharren auf ihrem ſtarren Standpunkte, und ihre Preſſe ſucht durch Drohungen nach allen Seiten hin einſchüchternd zu wirken. Eine Kundgebung der czechiſchen Abgeordneten in Prag verkündete geſtern, daß der Czechenclub ent- ſchiedenſt die Zumuthung zurückweiſe, als ob die czechiſchen Ageordneten geneigt wären, einem Drucke befreundeter Parteien der Rechten nachzugeben und grundſätzliche Zugeſtändniſſe in ſprachlicher Hin- ſicht zu machen. Das czechiſche Volk dürfe nicht daran zweifeln, daß ſeine Abgeordneten nicht von der Linie abweichen werden, die ſie ſich mit ihrer Prager Reſo- lution vom 16. d. M. gezogen haben. Die Prager „Politik“ verſichert: „Die Situa- tion geſtaltet ſich gerade für die czechiſchen Vertreter äußerſt ſchwierig. Sie kann gerettet, aber auch durch ver- fehlte Taktik auf unabſehbare Zeiten ruinirt werden.“ „Narodni Liſty“ dagegen drohen: „Wir wiſſen in dieſem Augenblicke nicht, wie die Entſcheidung ausfällt; das aber wiſſen wir, daß nicht nur die czechiſchen Abgeordneten, ſondern auch das ganze czechiſche Volk durch die Wendung, die ſich vorbereitet, ledig aller Rückſichten gegenüber unſeren nationalen Brüdern, für die Rechte ihrer Sprache und ihrer Nation überall und gegen Jedermann den ſchärfſten Kampfführen werden, die ſie antaſten.“ Vernünftiger urtheilen dagegen czechiſche Blätter Mährens. Der Brünner „Hlas“ warnt dringend vor Obſtruction und Abſtinenz. Das Blatt ſchreibt: Obſtruction ſeitens der czechiſchen Abgeordneten würde nicht, wie jene der Deutſchen, die Wiener Gaſſe für ſich, ſondern gegen ſich haben. Deshalb ſei es nichts mit der Obſtruction. Es bleibe nur die Frage der Abſti- nenz offen, deren Ausſichtsloſigkeit aber bekannt ſei. Die czechiſchen Abgeordneten ſtehen alſo vor der Frage, entweder der Aufhebung der Sprachenverordnungen zuzu- ſtimmen und in der Mehrheit zu bleiben, oder die Aufhebung der Sprachenverordnungen abzulehnen, dieſe aber trotzdem aufgehoben zu ſehen und in die Oppoſition oder Abſtinenz einzutreten. Das Beſte ſei der goldene Mittelweg. Die czechiſchen Abgeord- neten möchten ſich alſo gegenüber einer zeitlichen Auf- hebung der Sprachenverordnungen unter der Voraus- ſetzung eines gerechten Sprachengeſetzes paſſiv verhalten. Auf ſolche vernünftige Einſicht in czechiſchen Kreiſen rechnet Fürſt Alfred Liechtenſtein, deſſen geplante Mittelpartei ſowohl die ver- faſſungstreuen als die feudalen Großgrundbeſitzer, die Polen, die von Dr. Kathrein geführten deutſchconſer- vative Gruppe und überhaupt die gemäßigten Gruppen von links und rechts enthalten ſoll. Darüber werden ſeit geſtern ernſtliche Unterhandlungen geführt, an denen ſich hervorragend auch Graf Oswald Thun, der Führer des deutſchliberalen Großgrundbeſitzes, betheiligt. Dieſe mittelparteiliche Gruppirung ſoll zunächſt die parlamentariſche Indemnität für den nach Auffaſſung der Krone unabänderlichen § 14-Ausgleich mit Ungarn herbeiführen, die aufzuhebenden Sprachen- verordnungen durch ein Nationalitäten- und Sprachen- geſetz für Oeſtereich, das dem deutſchen Pfingſtgrogramm ernſt Rechnung trägt, möglichſt bald erſetzen, die vielen parlamentariſchen Rückſtände erledigen und kräftig an die großen zeitgemäßen Reform-Aufgaben herantreten. Gelingt dem Fürſten Alfred Liechtenſtein oder einem Anderen eine Cabinetsbildung ſolcher Structur für dieſe Aufgaben nicht, dann ſoll die Bildung eines Uebergangs-Miniſteriums mit dem Statthalter von Steiermark, dem Grafen Clary oder einem Anderen an der Spitze, verſucht werden. Ein bloßes Beamtenminiſterium perhorrescirt auch die den Jungczechen ſtets gefällige Ebenhoch-Gruppe, die ſeit der Kriſis des jetzigen Syſtems ſich ſehr reſer- virt hält. Iſt auch ein Uebergangs-Miniſterium nicht durch- führbar, dann ſtehen, da ein jüdiſch-liberales Partei- Miniſterium an höchſter Stelle direct ausgeſchloſſen und überhaupt beſtandsunfähig iſt, innere Umgeſtal- tungen der weitreichendſten Art in Ausſicht, zu deren Durchführung möglicher Weiſe wieder Graf Thun in Betracht käme. Reminiscenzen. Wie ſich die Geſinnung im Miniſterfrack ändert, dafür hat namentlich der jung- czechiſche Finanzminiſter Dr. Kaizl ſtarke Proben gegeben. Nach ſeiner Einführung der drückenden Er- höhung der Zuckerſteuer und des Petroleumzolles wurde daran erinnert, daß Dr. Kaizl, der ſeine draſtiſche Verurtheilung des Zeitungsſtempels als Miniſter völlig vergeſſen hat, in früherer Zeit jede Conſumſteuer-Vergrößerung offen als „Verbrechen am Volke“ bezeichnet habe. Jetzt aber erinnern ihn Prager deutſche Blätter, daß er unmittelbar vor ſeinem Eintritte ins Miniſterum im officiellen Cluborgan der Jungczechen für die Aufhebung der Gautſch’ſchen Sprachenverordnungen plaidirt habe, indem er ſchrieb: „Die Hoch- ſchulen in Prag ſind getheilt, das Schulweſen überhaupt iſt auf nationale Grundlage geſtellt worden. Ueberall in der Kunſt und der Wiſſenſchaft und in allen Inſtitutionen wird gegen die Doppelſprachigkeit und für eigene nationale Typen gekämpft, und nur die Behörden und die Beamten ſollten zweiſprachig bleiben? Darin liegt ein Widerſpruch, und ich beſchränke mich darauf, ihn zu conſtatiren.“ So ändern ſich Grundſätze und An- ſchauungen um miniſterieller Beneficien willen. Zur Lage Die Vertreter der deutſchen Oppoſition, welche Fürſt Alfred Lichtenſtein in Sachen der Cabinets-Neubildung ſondiren ließ, weiſen auf ihre in der Obmännerconferenz gegebenen gemeinſamen Erklärungen hin, die bekanntlich außer der Zurückziehung der Sprachenverordnungen auch verläſſige Bürgſchaften für die Deutſchen anläßlich eines Syſtemswechſels fordern. Unter den ernſten Candidaten für ein neues dauerhaftes Cabinet werden die Abgeordneten Grab- mayr, den der Kaiſer in Meran ſo wohlwollend an- ſprach, ferner Dr. Pattai und der Handelsminiſter des Cabinets Gautſch, Dr. v. Körber, genannt. Im Uebrigen halten ſich die deutſchen Parteien der Gemein- bürgſchaft abwartend zurück, ſo lange noch das Mini- ſterium Thun amtirt. Der ungariſche Reichstag tritt am 28. d. zuſammen. Miniſterpräſident Szell iſt Sonntag, den 24. d., hier in Wien eingetroffen, offenbar um Klar- heit über den Stand der diesſeitigen Miniſterkriſe ſo- wie der Indemnitätsausſichten für den Ausgleich zu erhalten. Jedenfalls wird er dabei auch auf die im Reichs- tage bevorſtehenden Stürme vorbereiten, welche gelegentlich der radicalen Interpellation über die Wiederaufrichtung des Hentzi-Denkmals und über die Honvedbetheiligung an der Weihe dieſes Monumentes zu erwarten ſind. Von Seite der Koſſuth-Partei wird auch die officielle Betheiligung des Reichstages und der Regierungskreiſe an der Jahresſeier der Hinrichtung der 1848er Rebellen- führer, der ſogenannten „Märtyrer der Nation“, für den 6. October gefordert werden. Man ſieht, der magyariſche Radicalismus geht in der Rückſichtsloſigkeit gegen das Haus Habsburg geradezu unverſchämt vorwärts. Man darf geſpannt ſein, wie das Miniſterium Szell ſich dazu ſtellen, und welche „patriotiſche“ Erklärungen es dabei abgeben wird. Miniſterpräſtdent Szell, der geſtern im Laufe des Vormittags in Wien mit dem General- gouverneur der Oeſterreichiſch-Ungariſchen Bank Dr. v. Kautz conferirte, wurde heute Montag vom Kaiſer in Audienz empfangen. Geſtern berief der Kaiſer den Führer des ver- faſſungstreuen Großgrundbeſitzes, den Grafen Oswald Thun nach Schönbrunn zu beſonderer Audienz. Der- ſelbe verweilte über eine Stunde beim Monarchen. Ebenſo hatte Reichs-Finanzminiſter v. Kallay geſtern Nachmittags eine längere Audienz beim Kaiſer. Der Miniſter des Aeußern Graf Goluchowski erſchien geſtern mehrmals beim Kaiſer. Auch Freiherr von Chlumecky iſt wieder nach Wien berufen worden. Miniſterpräſident Graf Thun wurde gegen Mittag vom Kaiſer in Audienz empfangen.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost219_1899/2>, abgerufen am 27.04.2024.