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Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 15
[Beginn Spaltensatz] schnell eine industrielle Bevölkerung von freien Arbeitern; theils
durch eigene Vermehrung, theils durch Zuströmen vom Lande,
wo der freie Arbeiterstand gleichfalls auf Kosten des Gesindes
und der sonst durch längere Contracte Gebundenen zunahm.
Zugleich wurde durch die Ausbildung der Verkehrsmittel die Pro-
ductionsweise auch insofern umgestaltet, als die Speculation mit
Massenprodukten und den zugehörigen Rohstoffen sich jetzt auf
viel weitere Gebiete in viel großartigerem Maßstabe erstreckte,
als bisher; wodurch natürlich auch die Schwankungen der Jn-
dustrie häufiger wurden. Außerdem drängte der Fabrikbetrieb in
sehr vielen Zweigen naturgemäß auf die Großunternehmung hin,
welche billiger produciren und den Markt besser beherrschen konnte.
Es traten also auch immer größere Arbeitermassen einzelnen
dirigirenden Unternehmern gegenüber. Wie war nun aber die
Lage dieser freien Arbeiter, die sich in allen Zweigen der volks-
wirthschaftlichen Thätigkeit gleichmäßig fanden, und welches wur-
den ihre gemeinsamen Kennzeichen?

Man kann dieselben aufzeigen erstens an der Thätigkeit und
zweitens am Einkommen dieser Klasse. Der freie Lohnarbeiter
ist thätig an einem fremden Kapital unter Direction des Be-
sitzers, welcher durch seine Dispositionsarbeit die Producte des
Arbeiters erst zu Werthen macht, als solche in die Volkswirth-
schaft einführt. Der Arbeiter schafft die Güter, aber er hat
keinen Einfluß auf die volkswirthschaftliche Verwerthung derselben
als Waaren, und keinen Theil am eigentlich volkswirthschaft-
lichen Produktionsprozesse. Seine Thätigkeit ist durchaus von
der Direction des Unternehmers abhängig, und von dessen fal-
scher, oder richtiger, glücklicher oder unglücklicher Speculation be-
dingt. Dieser mangelhafte Zusammenhang zwischen der stoffum-
wandelnden Thätigkeit des Lohnarbeiters und dem volkswirth-
schaftlichen Verwerthungsprozesse der Produkte giebt sich auch in
der Art des Einkommens der Lohnarbeiterklasse kund. Dieselbe
empfängt im Arbeitslohne eine Abfindungssumme in Geld, welche
zu dem Werthe des von ihr producirten Gutes in keinem nach-
weisbar festen Verhältniß steht; denn meist ist für das Gut noch
gar kein Preis erzielt und fixirt, wennschon die Lohnzahlung er-
folgt; sondern der Lohn ist das Ergebniß eines Kaufkontraktes
über die sogenannte Waare Arbeit; die möglichen Grenzen seines
Betrages sind nach oben und unten unsicher: nach unten näm-
lich, weil die "Lebenshaltung" des Arbeiters keine feste Größe
ist, nach oben, weil der Arbeitslohn ein Bestandtheil des Waaren-
preises ist und beide sich zum Theil nacheinander richten müssen.
Die Kaufsumme für die Arbeit läßt also bei ihrer Feststellung
einem Kampfe zwischen Käufer und Verkäufer Raum, in welchem
jeder Theil die Chancen des sogenannten Naturgesetzes von Nach-
frage und Angebot auf seine Seite zu bringen sucht, sodaß durch
das Arbeitsrecht ein beständiger Kriegszustand sanctionirt wird,
in welchem es die Aufgabe der Kämpfenden ist, ihre Waffen, wie
es nur immer geht, anzuwenden und zu schärfen, hin und wieder
durch einen Waffenstillstand zu schließen, dessen Dauer indeß auf
keine Weise garantirt ist. Die größte Kraftanstrengung und Er-
zitterung in diesem Kampfe muß natürlich auf Seiten des von
vornherein schwächern Theils, der kapitallosen Arbeiter, liegen;
sie bedürfen bei ihrer Schwäche und großen Zahl besonders so
zu sagen künstlicher Mittel, um ihre Ansprüche durchzusetzen; und
für diese Ansprüche giebt die Wissenschaft keine Grenze an, man
experimentirt also bis in's Unendliche. Das Lohneinkommen ist
aber nicht nur seinem Betrage, sondern auch seinem Bestande
nach unsicher, indem es sofort aufhört, sobald der Unternehmer
die Thätigkeit des Arbeiters an seinem Kapital nicht mehr will
oder braucht, ohne daß der Arbeiter dies sicher vorherberechnen
oder dagegen Vorkehrungen treffen könnte, während er nur schwer
und nach langer Kraftanstrengung im Stande ist, sich für solche
Zeiten Ersparnisse zu machen, die noch dazu leicht bei Krank-
heitsfällen, Familienereignissen u. s. w. arg geschmälert werden.
Jn dieser Weise ist also das Lohneinkommen einerseits, im Ge-
gensatz zu andern Einkommen, z. B dem eines Beamten, Dienst-
boten, von dem Quantum der gelieferten Producte unmittelbar
abhängig und wird in der Form des Stücklohnes sogar nach
diesem, freilich mit einem ganz willkürlichen Maßstabe gemessen,
während anderseits der Arbeiter doch nicht theilnimmt an der
volkswirthschaftlichen Thätigkeit, aus der sein Einkommen durch
Vermittelung des Unternehmereinkommens hervorfließt; und so
fallen auf ihn die unglücklichen Chancen der Unternehmerthätig-
keit mit ihrem ganzen Gewicht, indem dabei sein Einkommen
wegfällt, während er an den glücklichen Chancen nur durch ver-
hältnißmäßig sehr bescheidene Lohnsteigerungen theilnehmen kann.

[Spaltenumbruch]

Dies ist das Charakteristische der Thätigkeit und des Ein-
kommens dieser neuen Klasse, die in früheren Perioden der Volks-
wirthschaft gar nicht oder nur in social unbedeutenden Anfängen
vorhanden war. Dazu kommen noch andere Eigenthümlichkeiten
ihrer allgemeinen Lage: die absolute Unmöglichkeit für den weit-
aus größten Theil derselben, in eine wirthschaftlich selbstständigere
Stellung zu kommen; der Mangel eigener und behaglicher Heim-
stätten; der Mangel eines geordneten Familienlebens, das durch
frühe Beschäftigung der Kinder, durch Frauen= und Nachtarbeit
geradezu unmöglich gemacht wird; Mangel an Muße für Weiter-
bildung und Häuslichkeit bei langer Arbeitszeit; schlechte Er-
ziehung für Gemüth und Geist; Mangel an Bildung, die übri-
gens mit Berufsthätigkeit und Leben dieser Klasse auch schwer
harmonisch und nützlich zu verbinden ist; vielfach einförmige,
Körper und Geist einseitig oder gering ausbildende Beschäftigung.

( Fortsetzung folgt. )



Postdienst zwischen Himmel und Erde.

Seit langer Zeit behauptet die südamerikanische und mexi-
kanische katholische Priesterschaft, daß sie eine Art Postdienst
zwischen der Erde und dem Himmel eingerichtet habe, dessen Ver-
läßlichkeit nichts zu wünschen übrig lasse. Beinahe in jeder Kirche
dieser Länder findet man in der Nähe des Altars einen Brief-
kasten befestigt, der meist der Jungfrau Maria gewidmet ist. Es
giebt Hunderttausende, welche Briefe, die ihrer Herzenswünsche
voll sind, in jene Briefkasten gleiten lassen, in der vollen Ueber-
zeugung, daß dieselben ihre Bestimmung erreichen. Die Priester
haben nun zwar keine regelmäßige Post, aber sie bemühen sich,
daß jene Briefe früher eine Antwort erhalten, denen eine größere
Geldspende beigefügt ist. Selten enthält ein solcher Brief weniger
als einen Silberdollar; und da die himmlische Post besonders
von den wohlhabenden Klassen sehr in Anspruch genommen wird,
die häufig auch Gold und Juwelen beilegen, so hat die Priester-
schaft aus dieser Quelle allein schon ein bedeutendes Einkommen.
Jn früheren Zeiten befanden sich die Briefkasten der Jungfrau
außerhalb der Kirche, gewöhnlich am Kirchenthore, befestigt, und
die Briefe wurden unter dem Schutze nächtlicher Dunkelheit hin-
eingeschoben. Aber dies gab Gelegenheit zu großen Scandalen.
Eifersüchtige Gatten und Liebhaber zogen mit dünnen Holzstäb-
chen, die an einem Ende mit einem klebrigen Stoffe bestrichen
waren, die Briefe heraus, und entdeckten Geheimnisse, die nur
für die Augen der heiligen Jungfrau bestimmt waren, so aber
zu Duellen und [unleserliches Material - 10 Zeichen fehlen]Mordthaten führten. Dabei gingen natürlich
auch die Briefbeilagen, um die es den "hochwürdigen" Herren
doch allein zu thun ist, verloren, und dem konnten sie nicht lange
zusehen. Das einzige Mittel, ihren frommen Kummer zu be-
schwichtigen, war, die Briefkasten in der Nähe des Altars auf-
zustellen und sie mit kräftigen Riegeln und Schlössern zu ver-
sichern, damit ja der heiligen Jungfrau nichts wegkomme.

[unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]Jnteressant ist die Art und Weise, "wie diese Briefe in den
Himmel expedirt werden". Wenn nämlich genug der Botschaften
vorhanden sind, daß ihre Absendung der Mühe lohnt, so werden
sie von den Priestern herausgehoben, geöffnet, gelesen, und die
werthvollen Beilagen fallen in der Kirche heiligen Schooß. Die
leeren Briefe werden dann im Beisein vieler Gläubigen auf eine
silberne Platte gelegt und vor einem Bilde der Jungfrau Maria
verbrannt. Die ganze Ceremonie geht in möglichst feierlicher
Weise vor sich. Auf Rauchwolken schwingen sich die irdischen
Botschaften in den Himmel. Wenn alle Briefe in Asche ver-
wandelt sind, wird diese in einem Gefäße vor das Madonnen-
bild hingestellt, und die schönen Correspondentinnen, welche der
Scene meist in athemloser Spannung beiwohnten, erhalten von
den Priestern die Versicherung, daß die Antworten in geeigneter
Zeit im Beichtstuhle zurückgelangen würden. Da die Priester
alle Briefe gelesen haben, ist es ihnen natürlich leicht, im Beicht-
stuhle jene Antworten zu geben, die für jeden einzelnen Fall
passen. Die Briefkasten Maria's sind nicht nur für die Priester-
schaft ein Mittel, ihr Einkommen zu mehren, sondern sie ge-
winnen dadurch, daß sie zahllose Geheimnisse erfahren, auch einen
mächtigen Einfluß, den sie selbstverständlich zuerst in ihrem
materiellen Jnteresse verwerthen.



[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 15
[Beginn Spaltensatz] schnell eine industrielle Bevölkerung von freien Arbeitern; theils
durch eigene Vermehrung, theils durch Zuströmen vom Lande,
wo der freie Arbeiterstand gleichfalls auf Kosten des Gesindes
und der sonst durch längere Contracte Gebundenen zunahm.
Zugleich wurde durch die Ausbildung der Verkehrsmittel die Pro-
ductionsweise auch insofern umgestaltet, als die Speculation mit
Massenprodukten und den zugehörigen Rohstoffen sich jetzt auf
viel weitere Gebiete in viel großartigerem Maßstabe erstreckte,
als bisher; wodurch natürlich auch die Schwankungen der Jn-
dustrie häufiger wurden. Außerdem drängte der Fabrikbetrieb in
sehr vielen Zweigen naturgemäß auf die Großunternehmung hin,
welche billiger produciren und den Markt besser beherrschen konnte.
Es traten also auch immer größere Arbeitermassen einzelnen
dirigirenden Unternehmern gegenüber. Wie war nun aber die
Lage dieser freien Arbeiter, die sich in allen Zweigen der volks-
wirthschaftlichen Thätigkeit gleichmäßig fanden, und welches wur-
den ihre gemeinsamen Kennzeichen?

Man kann dieselben aufzeigen erstens an der Thätigkeit und
zweitens am Einkommen dieser Klasse. Der freie Lohnarbeiter
ist thätig an einem fremden Kapital unter Direction des Be-
sitzers, welcher durch seine Dispositionsarbeit die Producte des
Arbeiters erst zu Werthen macht, als solche in die Volkswirth-
schaft einführt. Der Arbeiter schafft die Güter, aber er hat
keinen Einfluß auf die volkswirthschaftliche Verwerthung derselben
als Waaren, und keinen Theil am eigentlich volkswirthschaft-
lichen Produktionsprozesse. Seine Thätigkeit ist durchaus von
der Direction des Unternehmers abhängig, und von dessen fal-
scher, oder richtiger, glücklicher oder unglücklicher Speculation be-
dingt. Dieser mangelhafte Zusammenhang zwischen der stoffum-
wandelnden Thätigkeit des Lohnarbeiters und dem volkswirth-
schaftlichen Verwerthungsprozesse der Produkte giebt sich auch in
der Art des Einkommens der Lohnarbeiterklasse kund. Dieselbe
empfängt im Arbeitslohne eine Abfindungssumme in Geld, welche
zu dem Werthe des von ihr producirten Gutes in keinem nach-
weisbar festen Verhältniß steht; denn meist ist für das Gut noch
gar kein Preis erzielt und fixirt, wennschon die Lohnzahlung er-
folgt; sondern der Lohn ist das Ergebniß eines Kaufkontraktes
über die sogenannte Waare Arbeit; die möglichen Grenzen seines
Betrages sind nach oben und unten unsicher: nach unten näm-
lich, weil die „Lebenshaltung“ des Arbeiters keine feste Größe
ist, nach oben, weil der Arbeitslohn ein Bestandtheil des Waaren-
preises ist und beide sich zum Theil nacheinander richten müssen.
Die Kaufsumme für die Arbeit läßt also bei ihrer Feststellung
einem Kampfe zwischen Käufer und Verkäufer Raum, in welchem
jeder Theil die Chancen des sogenannten Naturgesetzes von Nach-
frage und Angebot auf seine Seite zu bringen sucht, sodaß durch
das Arbeitsrecht ein beständiger Kriegszustand sanctionirt wird,
in welchem es die Aufgabe der Kämpfenden ist, ihre Waffen, wie
es nur immer geht, anzuwenden und zu schärfen, hin und wieder
durch einen Waffenstillstand zu schließen, dessen Dauer indeß auf
keine Weise garantirt ist. Die größte Kraftanstrengung und Er-
zitterung in diesem Kampfe muß natürlich auf Seiten des von
vornherein schwächern Theils, der kapitallosen Arbeiter, liegen;
sie bedürfen bei ihrer Schwäche und großen Zahl besonders so
zu sagen künstlicher Mittel, um ihre Ansprüche durchzusetzen; und
für diese Ansprüche giebt die Wissenschaft keine Grenze an, man
experimentirt also bis in's Unendliche. Das Lohneinkommen ist
aber nicht nur seinem Betrage, sondern auch seinem Bestande
nach unsicher, indem es sofort aufhört, sobald der Unternehmer
die Thätigkeit des Arbeiters an seinem Kapital nicht mehr will
oder braucht, ohne daß der Arbeiter dies sicher vorherberechnen
oder dagegen Vorkehrungen treffen könnte, während er nur schwer
und nach langer Kraftanstrengung im Stande ist, sich für solche
Zeiten Ersparnisse zu machen, die noch dazu leicht bei Krank-
heitsfällen, Familienereignissen u. s. w. arg geschmälert werden.
Jn dieser Weise ist also das Lohneinkommen einerseits, im Ge-
gensatz zu andern Einkommen, z. B dem eines Beamten, Dienst-
boten, von dem Quantum der gelieferten Producte unmittelbar
abhängig und wird in der Form des Stücklohnes sogar nach
diesem, freilich mit einem ganz willkürlichen Maßstabe gemessen,
während anderseits der Arbeiter doch nicht theilnimmt an der
volkswirthschaftlichen Thätigkeit, aus der sein Einkommen durch
Vermittelung des Unternehmereinkommens hervorfließt; und so
fallen auf ihn die unglücklichen Chancen der Unternehmerthätig-
keit mit ihrem ganzen Gewicht, indem dabei sein Einkommen
wegfällt, während er an den glücklichen Chancen nur durch ver-
hältnißmäßig sehr bescheidene Lohnsteigerungen theilnehmen kann.

[Spaltenumbruch]

Dies ist das Charakteristische der Thätigkeit und des Ein-
kommens dieser neuen Klasse, die in früheren Perioden der Volks-
wirthschaft gar nicht oder nur in social unbedeutenden Anfängen
vorhanden war. Dazu kommen noch andere Eigenthümlichkeiten
ihrer allgemeinen Lage: die absolute Unmöglichkeit für den weit-
aus größten Theil derselben, in eine wirthschaftlich selbstständigere
Stellung zu kommen; der Mangel eigener und behaglicher Heim-
stätten; der Mangel eines geordneten Familienlebens, das durch
frühe Beschäftigung der Kinder, durch Frauen= und Nachtarbeit
geradezu unmöglich gemacht wird; Mangel an Muße für Weiter-
bildung und Häuslichkeit bei langer Arbeitszeit; schlechte Er-
ziehung für Gemüth und Geist; Mangel an Bildung, die übri-
gens mit Berufsthätigkeit und Leben dieser Klasse auch schwer
harmonisch und nützlich zu verbinden ist; vielfach einförmige,
Körper und Geist einseitig oder gering ausbildende Beschäftigung.

( Fortsetzung folgt. )



Postdienst zwischen Himmel und Erde.

Seit langer Zeit behauptet die südamerikanische und mexi-
kanische katholische Priesterschaft, daß sie eine Art Postdienst
zwischen der Erde und dem Himmel eingerichtet habe, dessen Ver-
läßlichkeit nichts zu wünschen übrig lasse. Beinahe in jeder Kirche
dieser Länder findet man in der Nähe des Altars einen Brief-
kasten befestigt, der meist der Jungfrau Maria gewidmet ist. Es
giebt Hunderttausende, welche Briefe, die ihrer Herzenswünsche
voll sind, in jene Briefkasten gleiten lassen, in der vollen Ueber-
zeugung, daß dieselben ihre Bestimmung erreichen. Die Priester
haben nun zwar keine regelmäßige Post, aber sie bemühen sich,
daß jene Briefe früher eine Antwort erhalten, denen eine größere
Geldspende beigefügt ist. Selten enthält ein solcher Brief weniger
als einen Silberdollar; und da die himmlische Post besonders
von den wohlhabenden Klassen sehr in Anspruch genommen wird,
die häufig auch Gold und Juwelen beilegen, so hat die Priester-
schaft aus dieser Quelle allein schon ein bedeutendes Einkommen.
Jn früheren Zeiten befanden sich die Briefkasten der Jungfrau
außerhalb der Kirche, gewöhnlich am Kirchenthore, befestigt, und
die Briefe wurden unter dem Schutze nächtlicher Dunkelheit hin-
eingeschoben. Aber dies gab Gelegenheit zu großen Scandalen.
Eifersüchtige Gatten und Liebhaber zogen mit dünnen Holzstäb-
chen, die an einem Ende mit einem klebrigen Stoffe bestrichen
waren, die Briefe heraus, und entdeckten Geheimnisse, die nur
für die Augen der heiligen Jungfrau bestimmt waren, so aber
zu Duellen und [unleserliches Material – 10 Zeichen fehlen]Mordthaten führten. Dabei gingen natürlich
auch die Briefbeilagen, um die es den „hochwürdigen“ Herren
doch allein zu thun ist, verloren, und dem konnten sie nicht lange
zusehen. Das einzige Mittel, ihren frommen Kummer zu be-
schwichtigen, war, die Briefkasten in der Nähe des Altars auf-
zustellen und sie mit kräftigen Riegeln und Schlössern zu ver-
sichern, damit ja der heiligen Jungfrau nichts wegkomme.

[unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]Jnteressant ist die Art und Weise, „wie diese Briefe in den
Himmel expedirt werden“. Wenn nämlich genug der Botschaften
vorhanden sind, daß ihre Absendung der Mühe lohnt, so werden
sie von den Priestern herausgehoben, geöffnet, gelesen, und die
werthvollen Beilagen fallen in der Kirche heiligen Schooß. Die
leeren Briefe werden dann im Beisein vieler Gläubigen auf eine
silberne Platte gelegt und vor einem Bilde der Jungfrau Maria
verbrannt. Die ganze Ceremonie geht in möglichst feierlicher
Weise vor sich. Auf Rauchwolken schwingen sich die irdischen
Botschaften in den Himmel. Wenn alle Briefe in Asche ver-
wandelt sind, wird diese in einem Gefäße vor das Madonnen-
bild hingestellt, und die schönen Correspondentinnen, welche der
Scene meist in athemloser Spannung beiwohnten, erhalten von
den Priestern die Versicherung, daß die Antworten in geeigneter
Zeit im Beichtstuhle zurückgelangen würden. Da die Priester
alle Briefe gelesen haben, ist es ihnen natürlich leicht, im Beicht-
stuhle jene Antworten zu geben, die für jeden einzelnen Fall
passen. Die Briefkasten Maria's sind nicht nur für die Priester-
schaft ein Mittel, ihr Einkommen zu mehren, sondern sie ge-
winnen dadurch, daß sie zahllose Geheimnisse erfahren, auch einen
mächtigen Einfluß, den sie selbstverständlich zuerst in ihrem
materiellen Jnteresse verwerthen.



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[15/0015] Zur Unterhaltung und Belehrung. 15 schnell eine industrielle Bevölkerung von freien Arbeitern; theils durch eigene Vermehrung, theils durch Zuströmen vom Lande, wo der freie Arbeiterstand gleichfalls auf Kosten des Gesindes und der sonst durch längere Contracte Gebundenen zunahm. Zugleich wurde durch die Ausbildung der Verkehrsmittel die Pro- ductionsweise auch insofern umgestaltet, als die Speculation mit Massenprodukten und den zugehörigen Rohstoffen sich jetzt auf viel weitere Gebiete in viel großartigerem Maßstabe erstreckte, als bisher; wodurch natürlich auch die Schwankungen der Jn- dustrie häufiger wurden. Außerdem drängte der Fabrikbetrieb in sehr vielen Zweigen naturgemäß auf die Großunternehmung hin, welche billiger produciren und den Markt besser beherrschen konnte. Es traten also auch immer größere Arbeitermassen einzelnen dirigirenden Unternehmern gegenüber. Wie war nun aber die Lage dieser freien Arbeiter, die sich in allen Zweigen der volks- wirthschaftlichen Thätigkeit gleichmäßig fanden, und welches wur- den ihre gemeinsamen Kennzeichen? Man kann dieselben aufzeigen erstens an der Thätigkeit und zweitens am Einkommen dieser Klasse. Der freie Lohnarbeiter ist thätig an einem fremden Kapital unter Direction des Be- sitzers, welcher durch seine Dispositionsarbeit die Producte des Arbeiters erst zu Werthen macht, als solche in die Volkswirth- schaft einführt. Der Arbeiter schafft die Güter, aber er hat keinen Einfluß auf die volkswirthschaftliche Verwerthung derselben als Waaren, und keinen Theil am eigentlich volkswirthschaft- lichen Produktionsprozesse. Seine Thätigkeit ist durchaus von der Direction des Unternehmers abhängig, und von dessen fal- scher, oder richtiger, glücklicher oder unglücklicher Speculation be- dingt. Dieser mangelhafte Zusammenhang zwischen der stoffum- wandelnden Thätigkeit des Lohnarbeiters und dem volkswirth- schaftlichen Verwerthungsprozesse der Produkte giebt sich auch in der Art des Einkommens der Lohnarbeiterklasse kund. Dieselbe empfängt im Arbeitslohne eine Abfindungssumme in Geld, welche zu dem Werthe des von ihr producirten Gutes in keinem nach- weisbar festen Verhältniß steht; denn meist ist für das Gut noch gar kein Preis erzielt und fixirt, wennschon die Lohnzahlung er- folgt; sondern der Lohn ist das Ergebniß eines Kaufkontraktes über die sogenannte Waare Arbeit; die möglichen Grenzen seines Betrages sind nach oben und unten unsicher: nach unten näm- lich, weil die „Lebenshaltung“ des Arbeiters keine feste Größe ist, nach oben, weil der Arbeitslohn ein Bestandtheil des Waaren- preises ist und beide sich zum Theil nacheinander richten müssen. Die Kaufsumme für die Arbeit läßt also bei ihrer Feststellung einem Kampfe zwischen Käufer und Verkäufer Raum, in welchem jeder Theil die Chancen des sogenannten Naturgesetzes von Nach- frage und Angebot auf seine Seite zu bringen sucht, sodaß durch das Arbeitsrecht ein beständiger Kriegszustand sanctionirt wird, in welchem es die Aufgabe der Kämpfenden ist, ihre Waffen, wie es nur immer geht, anzuwenden und zu schärfen, hin und wieder durch einen Waffenstillstand zu schließen, dessen Dauer indeß auf keine Weise garantirt ist. Die größte Kraftanstrengung und Er- zitterung in diesem Kampfe muß natürlich auf Seiten des von vornherein schwächern Theils, der kapitallosen Arbeiter, liegen; sie bedürfen bei ihrer Schwäche und großen Zahl besonders so zu sagen künstlicher Mittel, um ihre Ansprüche durchzusetzen; und für diese Ansprüche giebt die Wissenschaft keine Grenze an, man experimentirt also bis in's Unendliche. Das Lohneinkommen ist aber nicht nur seinem Betrage, sondern auch seinem Bestande nach unsicher, indem es sofort aufhört, sobald der Unternehmer die Thätigkeit des Arbeiters an seinem Kapital nicht mehr will oder braucht, ohne daß der Arbeiter dies sicher vorherberechnen oder dagegen Vorkehrungen treffen könnte, während er nur schwer und nach langer Kraftanstrengung im Stande ist, sich für solche Zeiten Ersparnisse zu machen, die noch dazu leicht bei Krank- heitsfällen, Familienereignissen u. s. w. arg geschmälert werden. Jn dieser Weise ist also das Lohneinkommen einerseits, im Ge- gensatz zu andern Einkommen, z. B dem eines Beamten, Dienst- boten, von dem Quantum der gelieferten Producte unmittelbar abhängig und wird in der Form des Stücklohnes sogar nach diesem, freilich mit einem ganz willkürlichen Maßstabe gemessen, während anderseits der Arbeiter doch nicht theilnimmt an der volkswirthschaftlichen Thätigkeit, aus der sein Einkommen durch Vermittelung des Unternehmereinkommens hervorfließt; und so fallen auf ihn die unglücklichen Chancen der Unternehmerthätig- keit mit ihrem ganzen Gewicht, indem dabei sein Einkommen wegfällt, während er an den glücklichen Chancen nur durch ver- hältnißmäßig sehr bescheidene Lohnsteigerungen theilnehmen kann. Dies ist das Charakteristische der Thätigkeit und des Ein- kommens dieser neuen Klasse, die in früheren Perioden der Volks- wirthschaft gar nicht oder nur in social unbedeutenden Anfängen vorhanden war. Dazu kommen noch andere Eigenthümlichkeiten ihrer allgemeinen Lage: die absolute Unmöglichkeit für den weit- aus größten Theil derselben, in eine wirthschaftlich selbstständigere Stellung zu kommen; der Mangel eigener und behaglicher Heim- stätten; der Mangel eines geordneten Familienlebens, das durch frühe Beschäftigung der Kinder, durch Frauen= und Nachtarbeit geradezu unmöglich gemacht wird; Mangel an Muße für Weiter- bildung und Häuslichkeit bei langer Arbeitszeit; schlechte Er- ziehung für Gemüth und Geist; Mangel an Bildung, die übri- gens mit Berufsthätigkeit und Leben dieser Klasse auch schwer harmonisch und nützlich zu verbinden ist; vielfach einförmige, Körper und Geist einseitig oder gering ausbildende Beschäftigung. ( Fortsetzung folgt. ) Postdienst zwischen Himmel und Erde. Seit langer Zeit behauptet die südamerikanische und mexi- kanische katholische Priesterschaft, daß sie eine Art Postdienst zwischen der Erde und dem Himmel eingerichtet habe, dessen Ver- läßlichkeit nichts zu wünschen übrig lasse. Beinahe in jeder Kirche dieser Länder findet man in der Nähe des Altars einen Brief- kasten befestigt, der meist der Jungfrau Maria gewidmet ist. Es giebt Hunderttausende, welche Briefe, die ihrer Herzenswünsche voll sind, in jene Briefkasten gleiten lassen, in der vollen Ueber- zeugung, daß dieselben ihre Bestimmung erreichen. Die Priester haben nun zwar keine regelmäßige Post, aber sie bemühen sich, daß jene Briefe früher eine Antwort erhalten, denen eine größere Geldspende beigefügt ist. Selten enthält ein solcher Brief weniger als einen Silberdollar; und da die himmlische Post besonders von den wohlhabenden Klassen sehr in Anspruch genommen wird, die häufig auch Gold und Juwelen beilegen, so hat die Priester- schaft aus dieser Quelle allein schon ein bedeutendes Einkommen. Jn früheren Zeiten befanden sich die Briefkasten der Jungfrau außerhalb der Kirche, gewöhnlich am Kirchenthore, befestigt, und die Briefe wurden unter dem Schutze nächtlicher Dunkelheit hin- eingeschoben. Aber dies gab Gelegenheit zu großen Scandalen. Eifersüchtige Gatten und Liebhaber zogen mit dünnen Holzstäb- chen, die an einem Ende mit einem klebrigen Stoffe bestrichen waren, die Briefe heraus, und entdeckten Geheimnisse, die nur für die Augen der heiligen Jungfrau bestimmt waren, so aber zu Duellen und __________Mordthaten führten. Dabei gingen natürlich auch die Briefbeilagen, um die es den „hochwürdigen“ Herren doch allein zu thun ist, verloren, und dem konnten sie nicht lange zusehen. Das einzige Mittel, ihren frommen Kummer zu be- schwichtigen, war, die Briefkasten in der Nähe des Altars auf- zustellen und sie mit kräftigen Riegeln und Schlössern zu ver- sichern, damit ja der heiligen Jungfrau nichts wegkomme. ___________Jnteressant ist die Art und Weise, „wie diese Briefe in den Himmel expedirt werden“. Wenn nämlich genug der Botschaften vorhanden sind, daß ihre Absendung der Mühe lohnt, so werden sie von den Priestern herausgehoben, geöffnet, gelesen, und die werthvollen Beilagen fallen in der Kirche heiligen Schooß. Die leeren Briefe werden dann im Beisein vieler Gläubigen auf eine silberne Platte gelegt und vor einem Bilde der Jungfrau Maria verbrannt. Die ganze Ceremonie geht in möglichst feierlicher Weise vor sich. Auf Rauchwolken schwingen sich die irdischen Botschaften in den Himmel. Wenn alle Briefe in Asche ver- wandelt sind, wird diese in einem Gefäße vor das Madonnen- bild hingestellt, und die schönen Correspondentinnen, welche der Scene meist in athemloser Spannung beiwohnten, erhalten von den Priestern die Versicherung, daß die Antworten in geeigneter Zeit im Beichtstuhle zurückgelangen würden. Da die Priester alle Briefe gelesen haben, ist es ihnen natürlich leicht, im Beicht- stuhle jene Antworten zu geben, die für jeden einzelnen Fall passen. Die Briefkasten Maria's sind nicht nur für die Priester- schaft ein Mittel, ihr Einkommen zu mehren, sondern sie ge- winnen dadurch, daß sie zahllose Geheimnisse erfahren, auch einen mächtigen Einfluß, den sie selbstverständlich zuerst in ihrem materiellen Jnteresse verwerthen.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social01_1874/15>, abgerufen am 30.04.2024.