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Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 22
[Beginn Spaltensatz] ziehen. Sie rühmen sich, und ich glaube nicht ungerechter Weise,
daß sie in fünfzehn Minuten dreitausend Büchsen, jede Büchse
unterstützt von einem Revolver, um ihre Stadttheile versammeln
können. Einst, als ein falscher Alarm gegeben wurde, war diese
Anzahl Leute wirklich unter Waffen.

Diese Tempelbauer nennen sich selbst Heilige, acceptiren die
Bibel als wahr, taufen ihre Bekenner im Namen Christi; sie
sind indessen kein christliches Volk, und keine Kirche in der Welt
würde mit ihnen in ihrem gegenwärtigen Zustande Gemeinschaft
halten. Jn Wahrheit nähren sie sich im Glauben, in Sitten
und Regierungsweise viel mehr den Uten und Shashonen, als
irgend einer anglo=sächsischen Kirche. Young findet eine Bedeu-
tung in der Bibel, welche noch Niemand darin gefunden hat.

Es ist so oft gesagt worden, daß die Heiligen angeblich eine
neue Uebersetzung der Bibel hätten, eine Offenbarung des heili-
gen Geistes; aber Brigham Young sagt mir, daß dies unwahr
sei. -- Er macht darauf Anspruch, die heilige Schrift in einem
reineren Lichte zu verstehen, als wir Heiden thun, und über die
versteckte Bedeutung gewisser Theile derselben göttliche Offen-
barung erhalten haben; aber er nimmt unsere Bibel, wie sie in
der autorisirten englischen Uebersetzung steht.

" König Jacob's Bibel," sagte er mir einst mit Nachdruck,
"ist meine Bibel; ich kenne keine andere."

Er scheint in der That diese Uebersetzung als eine Art gött-
liche zu betrachten, und die Sprache selbst, in welcher sie geschrie-
ben ist, als gewissermaßen heilig. "Die englische Sprache," sagte
er, "ist eine heilige Redeweise; die beste, die sanfteste, die stärkste
Sprache in der Welt."

Jch glaube, er betrachtet sie als die Sprache Gottes und
des Himmels.

" Sie ist heilig," sagte er, "denn sie ist die Sprache, in
welcher der Engel das Buch Mormon geschrieben, die Sprache,
in welcher Gott dem Menschen seine letzte Offenbarung ge-
geben hat."

Als einer meiner Freunde in einen Buchhändlerladen in
der Salzseestadt ging, und nach einem Glaubensbuch der Mor-
monen fragte, reichte ihm der Mann hinter der Ladentafel eine
englische Bibel.

" Wir haben kein besseres Buch," sagte er. "Alles was wir
glauben, werden Sie in diesen Seiten finden." Das sagen sie
immer, aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr, daß sie tausend
Thatsachen und Lehren in der Bibel finden, welche wir nie in
unserer fanden, eine neue Geschichte der Schöpfung, des Falles,
der Sühne, des zukünftigen Lebens. Jn der That haben sie für
sich einen neuen Himmel und eine neue Erde gemacht.

Eine Moschee der Mohamedaner steht einer christlichen
Kirche näher, als dieser Tempel der Mormonen. Der Jslam
zerbrach die Götzen, der Mormonismus richtete sie wieder auf.
Smith und Young haben ihren fremdartigen Himmel mit selbst-
gemachten Göttern bevölkert, und der Allmächtige ist in ihren
Augen blos ein Präsident des Himmels, ein Häuptling unter
geistigen Personen seines Gleichen, welcher einen Thron ein-
nimmt, wie der römische Jupiter. Kurz, dieser Tempel ist nichts
weiter als der Altar eines neuen Volkes; eines Volkes, welches
ein neues Gesetz, eine neue Moralität, eine neue Priesterschaft,
eine neue Jndustrie, ein neues Glaubensbekenntniß und einen
neuen Gott hat.



Das Recht der Arbeit.
( Eine Rede von Moritz Heß. )
1.

Meine Herren! Schon im vorigen Jahrhundert vereinigten
sich in Frankreich unter dem Namen "Dritter Stand" alle pro-
duktiven Elemente der modernen Gesellschaft, vom genialsten
Geiste an bis herab zum mechanischen Arbeiter, gegen die bei-
den unproduktiv gewordenen Stände des Adels und der Geist-
lichkeit, um denselben politische und sociale Vorrechte zu entziehen,
die sie aus den dunkelsten, barbarischen Zeiten des Mittelalters
geerbt hatten. Die Vorrechte dieser beiden Stände, welche sich
auf die Eroberung des Bodens und dessen Ausbeutung im Jn-
teresse der Eroberer gründeten, waren in jenen uns fern liegenden
Zeiten gewiß auch zeitgemäß. Aber sie hatten schon längst auf-
gehört, einen Nutzen für die geschichtliche Entwickelung der mensch-
lichen Gesellschaft zu haben, und waren zuletzt gar nicht mehr
[Spaltenumbruch] mit dieser Fortentwickelung vereinbarlich, weil sie die Arbeit
hemmten und daher die Existenz der Gesellschaft gefährdeten.

Damals schon, als das französische Volk alle historischen
Rechte eines crerbten, unproduktiv gewordenen Besitzes geistlicher
und weltlicher Monopole abschaffte und die Gleichberechtigung
aller Staatsbürger proklamirte, wurde das Recht der Arbeit im
Gegensatze zum Rechte der Eroberung anerkannt.

Die ganze Gesetzgebung, durch welche die sranzösische Revo-
lution sanktionirt worden, beruht auf dem Grundsatze, daß die
Arbeit allein die Basis jedes politischen und sozialen Rechtes,
die Grundlage aller Macht im Staate und in der bürgerlichen
Gesellschaft, kurz, die Wurzel sei, ohne welche das sociale Leben
weder bestehen, noch sich entwickeln kann. Dabei wurde durch-
aus kein Unterschied zwischen mehr geistiger oder mehr mechani-
scher Arbeit, oder zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen
Funktionen gemacht; und die vollständigste Gleichheit vor dem
Gesetze, welche seitdem bereits in die französischen Sitten über-
gegangen ist, war die Folge des zur Herrschaft gekommenen
Rechtes der Arbeit.

Bemerken Sie wohl, meine Herren, das geschah in den
achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, also vor beinahe
achtzig Jahren, als man von den enormen Fortschritten, welche
die Arbeit, die Jndustrie, gerade in Befreiung von allem feu-
dalen Drucke, in unserem Jahrhundert gemacht hat, kaum eine
Ahnung hatte. Es geschah in Frankreich, wo die Jndustrie noch
nicht einmal so weit entwickelt war, als zur selben Zeit in Eng-
land. Es war eben erst der Anfang der Epoche, in welcher die
Arbeit zur Weltherrschaft gelangen sollte.

Heute hat sich bereits die Arbeit vielfach zur großen Jn-
dustrie entwickelt, und die Beherrscher derselben, die großen Kapi-
talisten, beherrschen die Welt. -- Die feudalen Machthaber,
welche auf ihr ererbtes, auf ihr historisches Recht pochen, sind
zum Theil vollständig durch die neuen Machthaber verdrängt,
zum Theil besitzen sie noch eine schwindsüchtige politische Herr-
schaft, welche selbst in den Ländern, die keine französische Revo-
lution hinter sich haben, keine ökonomische Grundlage und keine
sociale Macht mehr hat. Diese Macht, die Grundlage der poli-
tischen, ist überall, wo die Jndustrie einigermaßen entwickelt ist,
schon in den Händen der Kapitalisten. Mit Recht nennen diese
sich auch bei uns die "Potenten", und lächeln mitleidig über
diejenigen Narren sowohl, die sich einbilden, in der Gesellschaft
höher zu stehen, weil sie am Dache des Hauses herumflicken, in
welchem sie, die Kapitalisten, bequem wohnen und herrschen, als
über jene anderen Narren, welche wähnen, Arm in Arm mit
ihnen zu einer sozialen und politischen Umgestaltung zu gelangen
welche ihre Machtstellung in Frage stellt.

So, meine Herren, stehen die Sachen aber nur in unserem
Vaterlande, welches sich, wie man sagt, "die Resultate der fran-
zösischen Revolution auf friedlichem Wege angezeigt hat", ohne
selbst für ihre Prinzipien zu kämpfen. -- Nicht so im Lande,
welches sich das Recht der Arbeit selbst erkämpft hat. Dieses
Land, Frankreich, war auch während der Entwickelung der Arbeit
zur großen Jndustrie nicht unthätig.

Die französische Demokratie, welche so gut, wie die unsrige,
aus jenen Klassen zusammengesetzt ist, die zwischen den großen
Kapitalisten und den besitzlosen Arbeiterklassen in der Mitte
stehen und daher Mittelklassen genannt werden -- die französische
Demokratie ist niemals in den Fehler verfallen, den sich die
demokratischen Elemente unserer Fortschrittspartei haben zu Schul-
den kommen lassen. -- Unsere Mittelklassen rathen von jeder
Parteibildung ab, welche geeignet wäre, die Kapitalisten von der
Theilnahme an der "gemeinsamen" Opposition gegen die Feu-
dalen abzuschrecken und sie, die schon seit 1848 ihre Schwenkung
nach rechts gemacht haben, in das Lager der Reaktion zu treiben;
unsere Mittelklassen möchten das "gute Einvernehmen" innerhalb
der Alles umfassenden Fortschrittspartei nicht stören. Mit der
Bleikugel der zitternden Geldaristrokraten an den Füßen, glauben
sie besser fortschreiten zu können, als getragen von der gewaltigen
Volkskraft, welche sich gegen den Druck einer tausendjährigen
Ausbeutung erhebt. -- Die demokratischen Vertreter unserer
Mittelklassen möchten, um ihren Abfall von der entschiedenen
Demokratie zu beschönigen, sich selbst und uns einreden, wir
hätten in Deutschland gar keine solche Bourgeoste, wie in Frank
reich. Bei uns, sagen sie, verfolge diese Klasse noch im schönsten
Einklange mit allen produktiven Klassen dieselben Zwecke, habe
sie auch noch ganz gleiche Jnteressen mit ihnen. Hören Sie nur
unsere ehemaligen Social=Demokraten, die sich der Fortschritts-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 22
[Beginn Spaltensatz] ziehen. Sie rühmen sich, und ich glaube nicht ungerechter Weise,
daß sie in fünfzehn Minuten dreitausend Büchsen, jede Büchse
unterstützt von einem Revolver, um ihre Stadttheile versammeln
können. Einst, als ein falscher Alarm gegeben wurde, war diese
Anzahl Leute wirklich unter Waffen.

Diese Tempelbauer nennen sich selbst Heilige, acceptiren die
Bibel als wahr, taufen ihre Bekenner im Namen Christi; sie
sind indessen kein christliches Volk, und keine Kirche in der Welt
würde mit ihnen in ihrem gegenwärtigen Zustande Gemeinschaft
halten. Jn Wahrheit nähren sie sich im Glauben, in Sitten
und Regierungsweise viel mehr den Uten und Shashonen, als
irgend einer anglo=sächsischen Kirche. Young findet eine Bedeu-
tung in der Bibel, welche noch Niemand darin gefunden hat.

Es ist so oft gesagt worden, daß die Heiligen angeblich eine
neue Uebersetzung der Bibel hätten, eine Offenbarung des heili-
gen Geistes; aber Brigham Young sagt mir, daß dies unwahr
sei. — Er macht darauf Anspruch, die heilige Schrift in einem
reineren Lichte zu verstehen, als wir Heiden thun, und über die
versteckte Bedeutung gewisser Theile derselben göttliche Offen-
barung erhalten haben; aber er nimmt unsere Bibel, wie sie in
der autorisirten englischen Uebersetzung steht.

„ König Jacob's Bibel,“ sagte er mir einst mit Nachdruck,
„ist meine Bibel; ich kenne keine andere.“

Er scheint in der That diese Uebersetzung als eine Art gött-
liche zu betrachten, und die Sprache selbst, in welcher sie geschrie-
ben ist, als gewissermaßen heilig. „Die englische Sprache,“ sagte
er, „ist eine heilige Redeweise; die beste, die sanfteste, die stärkste
Sprache in der Welt.“

Jch glaube, er betrachtet sie als die Sprache Gottes und
des Himmels.

„ Sie ist heilig,“ sagte er, „denn sie ist die Sprache, in
welcher der Engel das Buch Mormon geschrieben, die Sprache,
in welcher Gott dem Menschen seine letzte Offenbarung ge-
geben hat.“

Als einer meiner Freunde in einen Buchhändlerladen in
der Salzseestadt ging, und nach einem Glaubensbuch der Mor-
monen fragte, reichte ihm der Mann hinter der Ladentafel eine
englische Bibel.

„ Wir haben kein besseres Buch,“ sagte er. „Alles was wir
glauben, werden Sie in diesen Seiten finden.“ Das sagen sie
immer, aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr, daß sie tausend
Thatsachen und Lehren in der Bibel finden, welche wir nie in
unserer fanden, eine neue Geschichte der Schöpfung, des Falles,
der Sühne, des zukünftigen Lebens. Jn der That haben sie für
sich einen neuen Himmel und eine neue Erde gemacht.

Eine Moschee der Mohamedaner steht einer christlichen
Kirche näher, als dieser Tempel der Mormonen. Der Jslam
zerbrach die Götzen, der Mormonismus richtete sie wieder auf.
Smith und Young haben ihren fremdartigen Himmel mit selbst-
gemachten Göttern bevölkert, und der Allmächtige ist in ihren
Augen blos ein Präsident des Himmels, ein Häuptling unter
geistigen Personen seines Gleichen, welcher einen Thron ein-
nimmt, wie der römische Jupiter. Kurz, dieser Tempel ist nichts
weiter als der Altar eines neuen Volkes; eines Volkes, welches
ein neues Gesetz, eine neue Moralität, eine neue Priesterschaft,
eine neue Jndustrie, ein neues Glaubensbekenntniß und einen
neuen Gott hat.



Das Recht der Arbeit.
( Eine Rede von Moritz Heß. )
1.

Meine Herren! Schon im vorigen Jahrhundert vereinigten
sich in Frankreich unter dem Namen „Dritter Stand“ alle pro-
duktiven Elemente der modernen Gesellschaft, vom genialsten
Geiste an bis herab zum mechanischen Arbeiter, gegen die bei-
den unproduktiv gewordenen Stände des Adels und der Geist-
lichkeit, um denselben politische und sociale Vorrechte zu entziehen,
die sie aus den dunkelsten, barbarischen Zeiten des Mittelalters
geerbt hatten. Die Vorrechte dieser beiden Stände, welche sich
auf die Eroberung des Bodens und dessen Ausbeutung im Jn-
teresse der Eroberer gründeten, waren in jenen uns fern liegenden
Zeiten gewiß auch zeitgemäß. Aber sie hatten schon längst auf-
gehört, einen Nutzen für die geschichtliche Entwickelung der mensch-
lichen Gesellschaft zu haben, und waren zuletzt gar nicht mehr
[Spaltenumbruch] mit dieser Fortentwickelung vereinbarlich, weil sie die Arbeit
hemmten und daher die Existenz der Gesellschaft gefährdeten.

Damals schon, als das französische Volk alle historischen
Rechte eines crerbten, unproduktiv gewordenen Besitzes geistlicher
und weltlicher Monopole abschaffte und die Gleichberechtigung
aller Staatsbürger proklamirte, wurde das Recht der Arbeit im
Gegensatze zum Rechte der Eroberung anerkannt.

Die ganze Gesetzgebung, durch welche die sranzösische Revo-
lution sanktionirt worden, beruht auf dem Grundsatze, daß die
Arbeit allein die Basis jedes politischen und sozialen Rechtes,
die Grundlage aller Macht im Staate und in der bürgerlichen
Gesellschaft, kurz, die Wurzel sei, ohne welche das sociale Leben
weder bestehen, noch sich entwickeln kann. Dabei wurde durch-
aus kein Unterschied zwischen mehr geistiger oder mehr mechani-
scher Arbeit, oder zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen
Funktionen gemacht; und die vollständigste Gleichheit vor dem
Gesetze, welche seitdem bereits in die französischen Sitten über-
gegangen ist, war die Folge des zur Herrschaft gekommenen
Rechtes der Arbeit.

Bemerken Sie wohl, meine Herren, das geschah in den
achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, also vor beinahe
achtzig Jahren, als man von den enormen Fortschritten, welche
die Arbeit, die Jndustrie, gerade in Befreiung von allem feu-
dalen Drucke, in unserem Jahrhundert gemacht hat, kaum eine
Ahnung hatte. Es geschah in Frankreich, wo die Jndustrie noch
nicht einmal so weit entwickelt war, als zur selben Zeit in Eng-
land. Es war eben erst der Anfang der Epoche, in welcher die
Arbeit zur Weltherrschaft gelangen sollte.

Heute hat sich bereits die Arbeit vielfach zur großen Jn-
dustrie entwickelt, und die Beherrscher derselben, die großen Kapi-
talisten, beherrschen die Welt. — Die feudalen Machthaber,
welche auf ihr ererbtes, auf ihr historisches Recht pochen, sind
zum Theil vollständig durch die neuen Machthaber verdrängt,
zum Theil besitzen sie noch eine schwindsüchtige politische Herr-
schaft, welche selbst in den Ländern, die keine französische Revo-
lution hinter sich haben, keine ökonomische Grundlage und keine
sociale Macht mehr hat. Diese Macht, die Grundlage der poli-
tischen, ist überall, wo die Jndustrie einigermaßen entwickelt ist,
schon in den Händen der Kapitalisten. Mit Recht nennen diese
sich auch bei uns die „Potenten“, und lächeln mitleidig über
diejenigen Narren sowohl, die sich einbilden, in der Gesellschaft
höher zu stehen, weil sie am Dache des Hauses herumflicken, in
welchem sie, die Kapitalisten, bequem wohnen und herrschen, als
über jene anderen Narren, welche wähnen, Arm in Arm mit
ihnen zu einer sozialen und politischen Umgestaltung zu gelangen
welche ihre Machtstellung in Frage stellt.

So, meine Herren, stehen die Sachen aber nur in unserem
Vaterlande, welches sich, wie man sagt, „die Resultate der fran-
zösischen Revolution auf friedlichem Wege angezeigt hat“, ohne
selbst für ihre Prinzipien zu kämpfen. — Nicht so im Lande,
welches sich das Recht der Arbeit selbst erkämpft hat. Dieses
Land, Frankreich, war auch während der Entwickelung der Arbeit
zur großen Jndustrie nicht unthätig.

Die französische Demokratie, welche so gut, wie die unsrige,
aus jenen Klassen zusammengesetzt ist, die zwischen den großen
Kapitalisten und den besitzlosen Arbeiterklassen in der Mitte
stehen und daher Mittelklassen genannt werden — die französische
Demokratie ist niemals in den Fehler verfallen, den sich die
demokratischen Elemente unserer Fortschrittspartei haben zu Schul-
den kommen lassen. — Unsere Mittelklassen rathen von jeder
Parteibildung ab, welche geeignet wäre, die Kapitalisten von der
Theilnahme an der „gemeinsamen“ Opposition gegen die Feu-
dalen abzuschrecken und sie, die schon seit 1848 ihre Schwenkung
nach rechts gemacht haben, in das Lager der Reaktion zu treiben;
unsere Mittelklassen möchten das „gute Einvernehmen“ innerhalb
der Alles umfassenden Fortschrittspartei nicht stören. Mit der
Bleikugel der zitternden Geldaristrokraten an den Füßen, glauben
sie besser fortschreiten zu können, als getragen von der gewaltigen
Volkskraft, welche sich gegen den Druck einer tausendjährigen
Ausbeutung erhebt. — Die demokratischen Vertreter unserer
Mittelklassen möchten, um ihren Abfall von der entschiedenen
Demokratie zu beschönigen, sich selbst und uns einreden, wir
hätten in Deutschland gar keine solche Bourgeoste, wie in Frank
reich. Bei uns, sagen sie, verfolge diese Klasse noch im schönsten
Einklange mit allen produktiven Klassen dieselben Zwecke, habe
sie auch noch ganz gleiche Jnteressen mit ihnen. Hören Sie nur
unsere ehemaligen Social=Demokraten, die sich der Fortschritts-
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[22/0022] Zur Unterhaltung und Belehrung. 22 ziehen. Sie rühmen sich, und ich glaube nicht ungerechter Weise, daß sie in fünfzehn Minuten dreitausend Büchsen, jede Büchse unterstützt von einem Revolver, um ihre Stadttheile versammeln können. Einst, als ein falscher Alarm gegeben wurde, war diese Anzahl Leute wirklich unter Waffen. Diese Tempelbauer nennen sich selbst Heilige, acceptiren die Bibel als wahr, taufen ihre Bekenner im Namen Christi; sie sind indessen kein christliches Volk, und keine Kirche in der Welt würde mit ihnen in ihrem gegenwärtigen Zustande Gemeinschaft halten. Jn Wahrheit nähren sie sich im Glauben, in Sitten und Regierungsweise viel mehr den Uten und Shashonen, als irgend einer anglo=sächsischen Kirche. Young findet eine Bedeu- tung in der Bibel, welche noch Niemand darin gefunden hat. Es ist so oft gesagt worden, daß die Heiligen angeblich eine neue Uebersetzung der Bibel hätten, eine Offenbarung des heili- gen Geistes; aber Brigham Young sagt mir, daß dies unwahr sei. — Er macht darauf Anspruch, die heilige Schrift in einem reineren Lichte zu verstehen, als wir Heiden thun, und über die versteckte Bedeutung gewisser Theile derselben göttliche Offen- barung erhalten haben; aber er nimmt unsere Bibel, wie sie in der autorisirten englischen Uebersetzung steht. „ König Jacob's Bibel,“ sagte er mir einst mit Nachdruck, „ist meine Bibel; ich kenne keine andere.“ Er scheint in der That diese Uebersetzung als eine Art gött- liche zu betrachten, und die Sprache selbst, in welcher sie geschrie- ben ist, als gewissermaßen heilig. „Die englische Sprache,“ sagte er, „ist eine heilige Redeweise; die beste, die sanfteste, die stärkste Sprache in der Welt.“ Jch glaube, er betrachtet sie als die Sprache Gottes und des Himmels. „ Sie ist heilig,“ sagte er, „denn sie ist die Sprache, in welcher der Engel das Buch Mormon geschrieben, die Sprache, in welcher Gott dem Menschen seine letzte Offenbarung ge- geben hat.“ Als einer meiner Freunde in einen Buchhändlerladen in der Salzseestadt ging, und nach einem Glaubensbuch der Mor- monen fragte, reichte ihm der Mann hinter der Ladentafel eine englische Bibel. „ Wir haben kein besseres Buch,“ sagte er. „Alles was wir glauben, werden Sie in diesen Seiten finden.“ Das sagen sie immer, aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr, daß sie tausend Thatsachen und Lehren in der Bibel finden, welche wir nie in unserer fanden, eine neue Geschichte der Schöpfung, des Falles, der Sühne, des zukünftigen Lebens. Jn der That haben sie für sich einen neuen Himmel und eine neue Erde gemacht. Eine Moschee der Mohamedaner steht einer christlichen Kirche näher, als dieser Tempel der Mormonen. Der Jslam zerbrach die Götzen, der Mormonismus richtete sie wieder auf. Smith und Young haben ihren fremdartigen Himmel mit selbst- gemachten Göttern bevölkert, und der Allmächtige ist in ihren Augen blos ein Präsident des Himmels, ein Häuptling unter geistigen Personen seines Gleichen, welcher einen Thron ein- nimmt, wie der römische Jupiter. Kurz, dieser Tempel ist nichts weiter als der Altar eines neuen Volkes; eines Volkes, welches ein neues Gesetz, eine neue Moralität, eine neue Priesterschaft, eine neue Jndustrie, ein neues Glaubensbekenntniß und einen neuen Gott hat. Das Recht der Arbeit. ( Eine Rede von Moritz Heß. ) 1. Meine Herren! Schon im vorigen Jahrhundert vereinigten sich in Frankreich unter dem Namen „Dritter Stand“ alle pro- duktiven Elemente der modernen Gesellschaft, vom genialsten Geiste an bis herab zum mechanischen Arbeiter, gegen die bei- den unproduktiv gewordenen Stände des Adels und der Geist- lichkeit, um denselben politische und sociale Vorrechte zu entziehen, die sie aus den dunkelsten, barbarischen Zeiten des Mittelalters geerbt hatten. Die Vorrechte dieser beiden Stände, welche sich auf die Eroberung des Bodens und dessen Ausbeutung im Jn- teresse der Eroberer gründeten, waren in jenen uns fern liegenden Zeiten gewiß auch zeitgemäß. Aber sie hatten schon längst auf- gehört, einen Nutzen für die geschichtliche Entwickelung der mensch- lichen Gesellschaft zu haben, und waren zuletzt gar nicht mehr mit dieser Fortentwickelung vereinbarlich, weil sie die Arbeit hemmten und daher die Existenz der Gesellschaft gefährdeten. Damals schon, als das französische Volk alle historischen Rechte eines crerbten, unproduktiv gewordenen Besitzes geistlicher und weltlicher Monopole abschaffte und die Gleichberechtigung aller Staatsbürger proklamirte, wurde das Recht der Arbeit im Gegensatze zum Rechte der Eroberung anerkannt. Die ganze Gesetzgebung, durch welche die sranzösische Revo- lution sanktionirt worden, beruht auf dem Grundsatze, daß die Arbeit allein die Basis jedes politischen und sozialen Rechtes, die Grundlage aller Macht im Staate und in der bürgerlichen Gesellschaft, kurz, die Wurzel sei, ohne welche das sociale Leben weder bestehen, noch sich entwickeln kann. Dabei wurde durch- aus kein Unterschied zwischen mehr geistiger oder mehr mechani- scher Arbeit, oder zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Funktionen gemacht; und die vollständigste Gleichheit vor dem Gesetze, welche seitdem bereits in die französischen Sitten über- gegangen ist, war die Folge des zur Herrschaft gekommenen Rechtes der Arbeit. Bemerken Sie wohl, meine Herren, das geschah in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, also vor beinahe achtzig Jahren, als man von den enormen Fortschritten, welche die Arbeit, die Jndustrie, gerade in Befreiung von allem feu- dalen Drucke, in unserem Jahrhundert gemacht hat, kaum eine Ahnung hatte. Es geschah in Frankreich, wo die Jndustrie noch nicht einmal so weit entwickelt war, als zur selben Zeit in Eng- land. Es war eben erst der Anfang der Epoche, in welcher die Arbeit zur Weltherrschaft gelangen sollte. Heute hat sich bereits die Arbeit vielfach zur großen Jn- dustrie entwickelt, und die Beherrscher derselben, die großen Kapi- talisten, beherrschen die Welt. — Die feudalen Machthaber, welche auf ihr ererbtes, auf ihr historisches Recht pochen, sind zum Theil vollständig durch die neuen Machthaber verdrängt, zum Theil besitzen sie noch eine schwindsüchtige politische Herr- schaft, welche selbst in den Ländern, die keine französische Revo- lution hinter sich haben, keine ökonomische Grundlage und keine sociale Macht mehr hat. Diese Macht, die Grundlage der poli- tischen, ist überall, wo die Jndustrie einigermaßen entwickelt ist, schon in den Händen der Kapitalisten. Mit Recht nennen diese sich auch bei uns die „Potenten“, und lächeln mitleidig über diejenigen Narren sowohl, die sich einbilden, in der Gesellschaft höher zu stehen, weil sie am Dache des Hauses herumflicken, in welchem sie, die Kapitalisten, bequem wohnen und herrschen, als über jene anderen Narren, welche wähnen, Arm in Arm mit ihnen zu einer sozialen und politischen Umgestaltung zu gelangen welche ihre Machtstellung in Frage stellt. So, meine Herren, stehen die Sachen aber nur in unserem Vaterlande, welches sich, wie man sagt, „die Resultate der fran- zösischen Revolution auf friedlichem Wege angezeigt hat“, ohne selbst für ihre Prinzipien zu kämpfen. — Nicht so im Lande, welches sich das Recht der Arbeit selbst erkämpft hat. Dieses Land, Frankreich, war auch während der Entwickelung der Arbeit zur großen Jndustrie nicht unthätig. Die französische Demokratie, welche so gut, wie die unsrige, aus jenen Klassen zusammengesetzt ist, die zwischen den großen Kapitalisten und den besitzlosen Arbeiterklassen in der Mitte stehen und daher Mittelklassen genannt werden — die französische Demokratie ist niemals in den Fehler verfallen, den sich die demokratischen Elemente unserer Fortschrittspartei haben zu Schul- den kommen lassen. — Unsere Mittelklassen rathen von jeder Parteibildung ab, welche geeignet wäre, die Kapitalisten von der Theilnahme an der „gemeinsamen“ Opposition gegen die Feu- dalen abzuschrecken und sie, die schon seit 1848 ihre Schwenkung nach rechts gemacht haben, in das Lager der Reaktion zu treiben; unsere Mittelklassen möchten das „gute Einvernehmen“ innerhalb der Alles umfassenden Fortschrittspartei nicht stören. Mit der Bleikugel der zitternden Geldaristrokraten an den Füßen, glauben sie besser fortschreiten zu können, als getragen von der gewaltigen Volkskraft, welche sich gegen den Druck einer tausendjährigen Ausbeutung erhebt. — Die demokratischen Vertreter unserer Mittelklassen möchten, um ihren Abfall von der entschiedenen Demokratie zu beschönigen, sich selbst und uns einreden, wir hätten in Deutschland gar keine solche Bourgeoste, wie in Frank reich. Bei uns, sagen sie, verfolge diese Klasse noch im schönsten Einklange mit allen produktiven Klassen dieselben Zwecke, habe sie auch noch ganz gleiche Jnteressen mit ihnen. Hören Sie nur unsere ehemaligen Social=Demokraten, die sich der Fortschritts-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social01_1874/22>, abgerufen am 27.04.2024.