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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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und von vielen Nachrichten empfangen, überall diesel-
be Klage, aber auch denselben Ausspruch: ohne ein
Turngesetz, ohne Verpflichtung, wie in Dänemark, Nor-
wegen, Schweden und Rußland wird es nie gehen.
Täuschen wir uns nicht wenn wir lesen, daß die Anzahl
der Turner einige hunderte sind. Um zu einem richti-
gen Ergebniß zu kommen, sind mancherlei Fragen zu
erwägen, z. B. wie viele turnen nicht? und wir werden
finden, daß 78 pCt. unfähig zum Soldatendienste sind,
und 90 pCt. nicht turnen. Dadurch drängt sich uns
eine nicht zu übersehende Frage auf: wie und in wel-
chem Sinn und Geist wird geturnt? Eine kleine Be-
leuchtung dieser zweiten Frage siehe unter "Abwehr."
Will man die allgemeine Verpflichtung der Schüler
nicht, so tritt dieselbe bis Tertia incl. ein, in den bei-
den obern Klassen mag freie Wahl herrschen. Jst
aber auch dies nach falschen Principien der Neuzeit noch
zu streng, so bleibt immer noch die Nothwendigkeit,
die Anstalt sicher zu stellen, und da giebt es kein ander
Mittel, als daß jeder Schüler, der die Schule besucht,
monatlich 2 -- 21/2 Sgr. als Turnbeitrag zahlt, wie
hier und da schon diese Einrichtung getroffen ist. Dann
würde sich die Zahl der Turner auch ohne Zwang
des Besuches sehr vergrößern und der Turnlehrer, in
seinem Bestehen gesichert, für diese Anzahl Turner die
Geräthe einrichten und demnächst einzelne Vorturner
besolden. Wie die Verhältnisse sich aber annoch ge-
staltet haben, kann und darf jeder Turnlehrer seinen
gegenwärtigen Aufenthalt nur als einen einstweiligen
betrachten, wodurch die Thatkraft übereilt oder gelähmt,
und die Stimmung gereizt oder getrübt wird, kein
heimisches und heimatliches Gefühl zieht in sein doch
sonst für alle Empfindungen offenes Herz ein. Es giebt
noch einen anderen Nachtheil, wissenschaftlich gebildete
Leute mögen sich einer so unsichern Sache nicht hin-
geben; und so werden wir dahin kommen, daß entwe-
der nur Seminaristen Turnlehrer werden, oder, wie in
Rußland, und wie der Gymnastiker Prof. Dr. Werner

und von vielen Nachrichten empfangen, überall dieſel-
be Klage, aber auch denſelben Ausſpruch: ohne ein
Turngeſetz, ohne Verpflichtung, wie in Dänemark, Nor-
wegen, Schweden und Rußland wird es nie gehen.
Täuſchen wir uns nicht wenn wir leſen, daß die Anzahl
der Turner einige hunderte ſind. Um zu einem richti-
gen Ergebniß zu kommen, ſind mancherlei Fragen zu
erwägen, z. B. wie viele turnen nicht? und wir werden
finden, daß 78 pCt. unfähig zum Soldatendienſte ſind,
und 90 pCt. nicht turnen. Dadurch drängt ſich uns
eine nicht zu überſehende Frage auf: wie und in wel-
chem Sinn und Geiſt wird geturnt? Eine kleine Be-
leuchtung dieſer zweiten Frage ſiehe unter „Abwehr.“
Will man die allgemeine Verpflichtung der Schüler
nicht, ſo tritt dieſelbe bis Tertia incl. ein, in den bei-
den obern Klaſſen mag freie Wahl herrſchen. Jſt
aber auch dies nach falſchen Principien der Neuzeit noch
zu ſtreng, ſo bleibt immer noch die Nothwendigkeit,
die Anſtalt ſicher zu ſtellen, und da giebt es kein ander
Mittel, als daß jeder Schüler, der die Schule beſucht,
monatlich 2 — 2½ Sgr. als Turnbeitrag zahlt, wie
hier und da ſchon dieſe Einrichtung getroffen iſt. Dann
würde ſich die Zahl der Turner auch ohne Zwang
des Beſuches ſehr vergrößern und der Turnlehrer, in
ſeinem Beſtehen geſichert, für dieſe Anzahl Turner die
Geräthe einrichten und demnächſt einzelne Vorturner
beſolden. Wie die Verhältniſſe ſich aber annoch ge-
ſtaltet haben, kann und darf jeder Turnlehrer ſeinen
gegenwärtigen Aufenthalt nur als einen einſtweiligen
betrachten, wodurch die Thatkraft übereilt oder gelähmt,
und die Stimmung gereizt oder getrübt wird, kein
heimiſches und heimatliches Gefühl zieht in ſein doch
ſonſt für alle Empfindungen offenes Herz ein. Es giebt
noch einen anderen Nachtheil, wiſſenſchaftlich gebildete
Leute mögen ſich einer ſo unſichern Sache nicht hin-
geben; und ſo werden wir dahin kommen, daß entwe-
der nur Seminariſten Turnlehrer werden, oder, wie in
Rußland, und wie der Gymnaſtiker Prof. Dr. Werner

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[54/0058] und von vielen Nachrichten empfangen, überall dieſel- be Klage, aber auch denſelben Ausſpruch: ohne ein Turngeſetz, ohne Verpflichtung, wie in Dänemark, Nor- wegen, Schweden und Rußland wird es nie gehen. Täuſchen wir uns nicht wenn wir leſen, daß die Anzahl der Turner einige hunderte ſind. Um zu einem richti- gen Ergebniß zu kommen, ſind mancherlei Fragen zu erwägen, z. B. wie viele turnen nicht? und wir werden finden, daß 78 pCt. unfähig zum Soldatendienſte ſind, und 90 pCt. nicht turnen. Dadurch drängt ſich uns eine nicht zu überſehende Frage auf: wie und in wel- chem Sinn und Geiſt wird geturnt? Eine kleine Be- leuchtung dieſer zweiten Frage ſiehe unter „Abwehr.“ Will man die allgemeine Verpflichtung der Schüler nicht, ſo tritt dieſelbe bis Tertia incl. ein, in den bei- den obern Klaſſen mag freie Wahl herrſchen. Jſt aber auch dies nach falſchen Principien der Neuzeit noch zu ſtreng, ſo bleibt immer noch die Nothwendigkeit, die Anſtalt ſicher zu ſtellen, und da giebt es kein ander Mittel, als daß jeder Schüler, der die Schule beſucht, monatlich 2 — 2½ Sgr. als Turnbeitrag zahlt, wie hier und da ſchon dieſe Einrichtung getroffen iſt. Dann würde ſich die Zahl der Turner auch ohne Zwang des Beſuches ſehr vergrößern und der Turnlehrer, in ſeinem Beſtehen geſichert, für dieſe Anzahl Turner die Geräthe einrichten und demnächſt einzelne Vorturner beſolden. Wie die Verhältniſſe ſich aber annoch ge- ſtaltet haben, kann und darf jeder Turnlehrer ſeinen gegenwärtigen Aufenthalt nur als einen einſtweiligen betrachten, wodurch die Thatkraft übereilt oder gelähmt, und die Stimmung gereizt oder getrübt wird, kein heimiſches und heimatliches Gefühl zieht in ſein doch ſonſt für alle Empfindungen offenes Herz ein. Es giebt noch einen anderen Nachtheil, wiſſenſchaftlich gebildete Leute mögen ſich einer ſo unſichern Sache nicht hin- geben; und ſo werden wir dahin kommen, daß entwe- der nur Seminariſten Turnlehrer werden, oder, wie in Rußland, und wie der Gymnaſtiker Prof. Dr. Werner

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/58>, abgerufen am 27.04.2024.