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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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VIII.
Turnzeitung.


A.
Ein Wort über deutsche Turnsitte.

Sie wünschen, daß ich in Jhren Jahrbüchern meine
Ansicht vom Turnwesen ausspreche; ich weiß nicht ob
ich Jhrem Wunsche irgend genügen kann, indem ich
einige kurze Andeutungen gebe, zu deren Ausführung
es mir gegenwärtig an Muße gebricht.

Jn der Gestalt, in welcher sich das Turnen in
Deutschland seit 1819 fristet, kann es nie das werden,
was es sein soll. Das Turnen gedeiht, wie Geschichte
und Erfahrung lehrt, nur da zum rechten Dasein und
vollen Leben, wo es als naturgemäße, zur Kunst stre-
bende Aeußerung der Männlichkeit (virtus) in volks-
thümlicher und zeitgemäßer Gesinnung wurzelnd, sich
zur Volkssitte gestaltet. Durch eine solche Auffassung
des Turnwesens ist ein Standpunkt gegeben, der alle
die besonderen Gesichtspunkte einschließt, aus welchen
man es zu betrachten pflegt, und der uns zugleich ge-
stattet, die Angemessenheit dieser Betrachtungsweisen
zu würdigen.

Denken wir uns die Turnübungen als Sitte,
so ist es zuvörderst unstatthaft, auf ihren physischen
Einfluß abgesehen vom ethischen hinzuweisen, oder

VIII.
Turnzeitung.


A.
Ein Wort über deutſche Turnſitte.

Sie wünſchen, daß ich in Jhren Jahrbüchern meine
Anſicht vom Turnweſen ausſpreche; ich weiß nicht ob
ich Jhrem Wunſche irgend genügen kann, indem ich
einige kurze Andeutungen gebe, zu deren Ausführung
es mir gegenwärtig an Muße gebricht.

Jn der Geſtalt, in welcher ſich das Turnen in
Deutſchland ſeit 1819 friſtet, kann es nie das werden,
was es ſein ſoll. Das Turnen gedeiht, wie Geſchichte
und Erfahrung lehrt, nur da zum rechten Daſein und
vollen Leben, wo es als naturgemäße, zur Kunſt ſtre-
bende Aeußerung der Männlichkeit (virtus) in volks-
thümlicher und zeitgemäßer Geſinnung wurzelnd, ſich
zur Volksſitte geſtaltet. Durch eine ſolche Auffaſſung
des Turnweſens iſt ein Standpunkt gegeben, der alle
die beſonderen Geſichtspunkte einſchließt, aus welchen
man es zu betrachten pflegt, und der uns zugleich ge-
ſtattet, die Angemeſſenheit dieſer Betrachtungsweiſen
zu würdigen.

Denken wir uns die Turnübungen als Sitte,
ſo iſt es zuvörderſt unſtatthaft, auf ihren phyſiſchen
Einfluß abgeſehen vom ethiſchen hinzuweiſen, oder

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[62/0066] VIII. Turnzeitung. A. Ein Wort über deutſche Turnſitte. Sie wünſchen, daß ich in Jhren Jahrbüchern meine Anſicht vom Turnweſen ausſpreche; ich weiß nicht ob ich Jhrem Wunſche irgend genügen kann, indem ich einige kurze Andeutungen gebe, zu deren Ausführung es mir gegenwärtig an Muße gebricht. Jn der Geſtalt, in welcher ſich das Turnen in Deutſchland ſeit 1819 friſtet, kann es nie das werden, was es ſein ſoll. Das Turnen gedeiht, wie Geſchichte und Erfahrung lehrt, nur da zum rechten Daſein und vollen Leben, wo es als naturgemäße, zur Kunſt ſtre- bende Aeußerung der Männlichkeit (virtus) in volks- thümlicher und zeitgemäßer Geſinnung wurzelnd, ſich zur Volksſitte geſtaltet. Durch eine ſolche Auffaſſung des Turnweſens iſt ein Standpunkt gegeben, der alle die beſonderen Geſichtspunkte einſchließt, aus welchen man es zu betrachten pflegt, und der uns zugleich ge- ſtattet, die Angemeſſenheit dieſer Betrachtungsweiſen zu würdigen. Denken wir uns die Turnübungen als Sitte, ſo iſt es zuvörderſt unſtatthaft, auf ihren phyſiſchen Einfluß abgeſehen vom ethiſchen hinzuweiſen, oder

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/66>, abgerufen am 27.04.2024.