"Ach, hast Du denn das gar nicht geahnt?" fragte Friedrich, "wir würden Dich vergessen, hast Du denken können?"
"Nein, ich wußte, daß Jhr mein Loos beklagtet -- aber auch, daß Jhr mir nicht helfen könntet!" sagte er.
"Ja früher, aber jetzt," meinte Friedrich --
"Jetzt?" fragte Johannes, "es ist wohl viel gesche- hen, das ich nicht weiß! ein halbes Jahr in einem Ker- ker ist lang!"
"So hat man Dir nicht gesagt, daß in Frankreich Republik ist und daß wir in Deutschland täglich freier werden?"
Johannes schüttelte das Haupt, dann winkte er dem Volke und es ward todtenstill: "Meine Freunde," sagte er, "ich danke Euch, Jhr habt mich befreit, ich habe jetzt keine Worte für meine Gefühle, es wird schon noch die Stunde kommen, da ich Euch danken kann. Jch bin wie Einer, der im Todtenschlaf gelegen und durch Euch zum Leben erweckt ist. Jch weiß nicht, was diese Fah- nen, diese Versammlung, diese Waffen, was all' diese Zei- chen bedeuten -- geht jetzt ruhig dahin, wohin die Pflicht Euch ruft -- mich laßt allein mit ein paar Freunden in mein Dorf gehen und ich werde mir dort dies Alles erklären lassen. Vielleicht, daß ich dann bald die Kraft habe, die mir jetzt fehlt, Euch zu danken." --
„Ach, haſt Du denn das gar nicht geahnt?“ fragte Friedrich, „wir wuͤrden Dich vergeſſen, haſt Du denken koͤnnen?“
„Nein, ich wußte, daß Jhr mein Loos beklagtet — aber auch, daß Jhr mir nicht helfen koͤnntet!“ ſagte er.
„Ja fruͤher, aber jetzt,“ meinte Friedrich —
„Jetzt?“ fragte Johannes, „es iſt wohl viel geſche- hen, das ich nicht weiß! ein halbes Jahr in einem Ker- ker iſt lang!“
„So hat man Dir nicht geſagt, daß in Frankreich Republik iſt und daß wir in Deutſchland taͤglich freier werden?“
Johannes ſchuͤttelte das Haupt, dann winkte er dem Volke und es ward todtenſtill: „Meine Freunde,“ ſagte er, „ich danke Euch, Jhr habt mich befreit, ich habe jetzt keine Worte fuͤr meine Gefuͤhle, es wird ſchon noch die Stunde kommen, da ich Euch danken kann. Jch bin wie Einer, der im Todtenſchlaf gelegen und durch Euch zum Leben erweckt iſt. Jch weiß nicht, was dieſe Fah- nen, dieſe Verſammlung, dieſe Waffen, was all’ dieſe Zei- chen bedeuten — geht jetzt ruhig dahin, wohin die Pflicht Euch ruft — mich laßt allein mit ein paar Freunden in mein Dorf gehen und ich werde mir dort dies Alles erklaͤren laſſen. Vielleicht, daß ich dann bald die Kraft habe, die mir jetzt fehlt, Euch zu danken.“ —
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„Ach, haſt Du denn das gar nicht geahnt?“ fragte
Friedrich, „wir wuͤrden Dich vergeſſen, haſt Du denken
koͤnnen?“
„Nein, ich wußte, daß Jhr mein Loos beklagtet —
aber auch, daß Jhr mir nicht helfen koͤnntet!“ ſagte er.
„Ja fruͤher, aber jetzt,“ meinte Friedrich —
„Jetzt?“ fragte Johannes, „es iſt wohl viel geſche-
hen, das ich nicht weiß! ein halbes Jahr in einem Ker-
ker iſt lang!“
„So hat man Dir nicht geſagt, daß in Frankreich
Republik iſt und daß wir in Deutſchland taͤglich freier
werden?“
Johannes ſchuͤttelte das Haupt, dann winkte er dem
Volke und es ward todtenſtill: „Meine Freunde,“ ſagte
er, „ich danke Euch, Jhr habt mich befreit, ich habe jetzt
keine Worte fuͤr meine Gefuͤhle, es wird ſchon noch die
Stunde kommen, da ich Euch danken kann. Jch bin
wie Einer, der im Todtenſchlaf gelegen und durch Euch
zum Leben erweckt iſt. Jch weiß nicht, was dieſe Fah-
nen, dieſe Verſammlung, dieſe Waffen, was all’ dieſe Zei-
chen bedeuten — geht jetzt ruhig dahin, wohin die Pflicht
Euch ruft — mich laßt allein mit ein paar Freunden in
mein Dorf gehen und ich werde mir dort dies Alles
erklaͤren laſſen. Vielleicht, daß ich dann bald die Kraft
habe, die mir jetzt fehlt, Euch zu danken.“ —
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/344>, abgerufen am 14.05.2024.
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